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Die Frage nach Zugehörigkeit und infolgedessen nach Vereinbarkeit, vielmehr Unvereinbarkeit, von laizistischer und individualistischer Gesinnung mit einer religiös und tribal geprägten Gesellschaft stellen einen zentralen Aspekt im Theater von Lina Saneh und Rabih Mroué dar. Beide Künstler beziehen eine explizit anti-konfessionelle Position bei der Analyse und Kritik der libanesischen Geschichte und der Zerrissenheit ihrer Gesellschaft, in der Religion und Politik sich überlagern. Dies führt zu dem paradoxen Phänomen einer konfessionell geprägten und organisierten Demokratie, die den zivilen Personenstatus in die Hände der religiösen Autoritäten legt und somit dem Einzelnen wenig Entscheidungsfreiheit in Bezug auf individuelle Lebensentwürfe und alternative Zugehörigkeiten jenseits der vorgegebenen Grenzen einräumt. Welche Möglichkeiten hat das Individuum sich der Hegemonie der Gruppe zu entziehen, sein Anders-Sein und Anders-Denken zu leben und öffentlich zu vertreten? Welchen Status hat ein Künstler in einem Land, dessen innen- und außenpolitische Fragilität sowie latente und akute Konflikte einen lähmenden Zustand der "Suspension" hervorrufen, in dem Kultur zur Nebensache wird und Kunst bestenfalls als Zeitvertreib einiger weniger realitätsferner Idealisten angesehen wird? Welche Rolle schließlich spielt Kunst in einer Gesellschaft, die sich mit einem Bein im existentiellen Chaos, mit dem anderen in einer artifiziellen Hyperkonsumwelt befindet, in einer Realität, die sich zwischen einer mystisch erhöhten Vergangenheit und dem Glücksversprechen einer unmittelbar konsumierbaren Zukunft zerreibt?
A relação pai-filho é uma das pedras angulares da pesquisa psicanalítica. Este artigo examina tal relação, assim como se apresenta no romance "Zipper und sein Vater" (1928, "Zipper e seu pai"), de Joseph Roth, em um contexto histórico e psicossocial relevante. Traçando um paralelo entre a figural paternal do Imperador Austro-Húngaro, Franz Joseph, e o pai de Arnold Zipper, e valendo-se da experiência pessoal do narrador (e do próprio Roth), o artigo apresenta uma análise da importância da figura e as consequências devastadoras de sua ausência.
The study deals with the contacts between Princess Mechtilde Lichnowsky and the Prague German writer Franz Werfel in the years 1913–1914. The author outlines the friendly relationship between Mechtilde and Werfel, sketching the social and biographical background on the eve of World War I. In this context, attention is paid not only to Mechtilde Lichnowsky's drama "Ein Spiel vom Tod", but also to its reception by Werfel, by other authors, and not least by the contemporary press.
Der Titel der Tagung lautet 'Erich Rothacker und die Begriffsgeschichte' – ihr eigentliches Thema aber ist 'Erich Rothacker, die Begriffsgeschichte und die Philosophische Anthropologie'. Tatsächlich handeln viele der Vorträge über Rothackers Anthropologie, und es scheint, auch im Lichte der bislang unveröffentlichten Dokumente, als wäre dies das zentrale Thema: Rothackers Begriffsgeschichtsschreibung und die philosophische Anthropologie, genauer: die Frage nach dem Verhältnis von Begriffsgeschichte und Anthropologie. Die Frage, einmal so zugespitzt, verlangt sogleich nach Erweiterung, und zwar mehrfacher: das begriffsgeschichtliche Projekt Rothackers steht erstens im Zusammenhang der Frage nach der Begründung der Geisteswissenschaften und ihrer Einheit. Insofern stellt sich die Frage nach der Verhältnisbestimmung von anthropologischem Ansatz und dem übergreifenden begriffsgeschichtlich-geistesgeschichtlichen Projekt. Konkurrieren in einem Oeuvre verschiedene Ansätze – und das ist für Rothackers Werk festzustellen –, so fragt sich zweitens, welche Funktion sie in werkgeschichtlicher Perspektive haben. Entsprechend ist im Falle Rothackers die Frage nach der Verhältnisbestimmung von philosophischer Anthropologie und Begriffsgeschichte zuzuspitzen zur Frage nach der 'systematischen Funktion' des anthropologischen Ansatzes für die konkurrierenden, hier: begriffsgeschichtlichen und geistesgeschichtlichen Ansätze.
No início da segunda parte das "Afinidades eletivas", de Johann Wolfgang von Goethe, o narrador traça um paralelo entre a vida e o artifício do poeta para substituir, na epopéia, os protagonistas por figuras até então pouco notadas, justificando assim a crescente importância do arquiteto na sequência da narrativa. Este jovem artista vincula à sua arte uma esperança de permanência, de sobrevida. Ottilie discordará em seus apontamentos de diário. Ela vê nas ruínas das igrejas e nos destroços das lápides não só uma prova da transitoriedade desta vida, mas também do apagamento de uma segunda existência post-mortem: "Assim como sobre os homens, também sobre os monumentos, o tempo não abdica de seu direito". Partindo do ensaio de Walter Benjamin sobre as "Afinidades eletivas" e trazendo para as reflexões outro magnum opus de Goethe, o "Fausto", o artigo tece considerações sobre os aspectos de arte, renúncia e morte na obra do poeta alemão.
"Bin auff disse Welt gebohren worden" : Geburtsdatierungen in frühneuzeitlichen Selbstzeugnissen
(2012)
Bei der geschichtswissenschaftlichen Untersuchung von Zeitkonzeptionen und -praktiken des 16. und 17. Jahrhunderts galten bisher - zu häufig - die Publikationen Kosellecks als Standardtexte, deren Thesen meist unhinterfragt auf die zu erforschenden Quellenbestände übertragen wurden. Bei Berücksichtigung der gegen diese jüngst geäußerten, gravierenden Einwände ist es wichtig, frühneuzeitliche Zeitkonzeptionen und -praktiken auf methodisch reflektierte Weise neu zu untersuchen und sich dabei auch anderen methodologischen Herangehensweisen zuzuwenden. [...] Ziel dieses Aufsatzes ist es, die Komplexität der Vergangenheit aufzuzeigen, indem die Quellen und damit letztlich die historischen Akteure mit ihren Kosmologien, Bedeutungszuschreibungen, Handlungspielräumen und sinnstiftenden Interpretationsmöglichkeiten in den Vordergrund gestellt werden. Der Fokus meines Untersuchungsinteresses liegt hierbei auf den gesellschaftlich nicht exponierten Persönlichkeiten.
Seit seinen Anfängen in den siebziger Jahren durchlief das Kino deutschtürkischer Filmemacher mehrere Entwicklungsphasen, beginnend mit der Phase des Problemfilms und der bevorzugten Darstellung von Opferfiguren in der Fremde. Im Laufe seiner Entwicklung zeigt sich in den neunziger Jahren eine Variante zu dieser Orientierung in Form der komischen Verarbeitung interkultureller Begegnungen. Diese Phase des deutsch-türkischen Kinos steht in enger Verbindung mit der jetzigen Phase der Fusion verschiedener transkultureller Themen und Settings. Kreiste die Handlung in Filmen der ersten Phase überwiegend um das Thema der Migration, so rückt es im Laufe der Zeit entweder in den Hintergrund, vor dem sich die Handlung abspielt, oder wird in einigen Fällen nicht mehr berücksichtigt. [...] Das Thema der Homoerotik kommt generell nur in einigen wenigen deutschtürkischen Werken vor. Fatih Akins "Auf der anderen Seite", der 2007 in den Kinos lief, mag das bekannteste Beispiel sein. Darin werden im Rahmen einer lesbischen Liebesgeschichte die Schicksale einer deutschen und einer türkischen Frau verbunden: Im Film geht es um Tod, Liebe sowie um Grenzüberschreitungen zwischen verschiedenen Ländern, Generationen, aber auch zwischen Leben und Tod bzw. Jenseits und Diesseits. Das zweite Beispiel stammt vom Schriftsteller und Essayisten Zafer Senoçak. Sein Roman "Der Erottomane. Ein Findlingbuch" ist 1999 erschienen – im gleichen Jahr, in dem Kutlug Atamans "Lola und Bilidikid" im Panorama-Programm der Berlinale lief – und erzählt die Geschichte vom Deutsch-Türken Robert, dessen Tagebuch nach seiner Ermordung gefunden wird, wodurch Schilderungen über seine sadomasochistische und homosexuelle Vergangenheit publik werden. In "Novels of Turkish-German Settlement" konstatiert Tom Cheesman, dass die Aufnahme erotischer Motive die Verlagerung der Diskussion über nationale, ethnische und historische auf sexuelle Kategorien ermöglicht: „Here, [in "Der Erottomane"] as in "Der Mann im Unterhemd", Senoçak uses erotic and pornographic motifs in order to shift the public discourse about identity away from questions of ethnicity, nationhood, and historical memory, toward questions of sexuality.“
O presente artigo objetiva reavaliar a questão intermedial do expressionismo referente à "Da aurora à meia-noite", obra destacada de Georg Kaiser. O texto, escrito entre 1912 e 1915, e publicado em 1916, foi encenado em inúmeros teatros a partir de 1917. Em 1920, o diretor Karl Heinz Martin realizou sua transposição para o medium fílmico. A primeira parte do presente estudo analisa a forma textual de "Da aurora à meia-noite" entre tradição teatral e possíveis adaptações de técnicas cinematográficas. A seguir, investiga-se o aspecto visual de sua encenação no âmbito da nova visualidade expressionista no teatro, enquanto que a terceira parte se ocupa do filme "Da aurora à meia-noite" no contexto da permanente discussão sobre o chamado cinema expressionista
W marcu 1944 roku Frankfurt nad Menem został zniszczony w znacznym stopniu w wyniku ataków bombowych brytyjskiego lotnictwa. W sierpniu 1945 roku Kurt Blaum, nadburmistrz Frankfurtu w latach 1945–1946, utworzył Radę Miejską, która natychmiast rozpoczęła pracę nad organizacją odbudowy. Miasto przejęło pokryte gruzem parcele oraz utworzyło spółkę, której zadaniem było usuwanie i recykling gruzu. Jednocześnie nadburmistrz Blaum opracowywał nowe przepisy, które ostatecznie znalazły się w podsumowaniu uchwalonej w 1948 roku w Hesji Ustawie o Odbudowie. W praktyce pierwszeństwo realizacji w okresie urzędowania nadburmistrza Waltera Kolba (1946–1956) miały projekty odbudowy budynków użyteczności publicznej oraz uszkodzonych w niewielkim stopniu domów prywatnych, szczególnie na peryferiach. Dopiero w następnych latach rozpoczęto właściwe planowanie odbudowy, z czym związana była również restrukturyzacja urzędów budowlanych w 1947 roku. W tym samym czasie rozpisany został konkurs na plan reorganizacji ciągów komunikacyjnych. Stare Miasto nie zostało w nim ujęte, dopiero rok później włączono tę część aglomeracji do koncepcji. Debata nad jej kształtem doprowadziła do znacznych kontrowersji między zwolennikami tradycyjnych i nowoczesnych rozwiązań urbanistycznych. Tradycjonaliści chcieli odbudowy większości ulic i linii budynków Starego Miasta, wiernej rekonstrukcji znaczących zabytków oraz odbudowy pozostałych budynków z zachowaniem przedwojennego charakteru miasta. W przeciwieństwie do nich zwolennicy koncepcji nowoczesnych planowali budowę luźno stojących bloków mieszkalnych – bez uwzględnienia wcześniejszego układu przestrzennego miasta. Ostatecznie zawarto kompromis, w którym przewidywano odejście od ciasnego układu Starego Miasta oraz bardziej rozproszoną zabudowę poprzez uproszczenie dawnego układu przestrzennego.
Nella sua opera estrema, Teoria estetica, Adorno menziona Paul Valéry una ventina di volte. Già questo fatto basterebbe ad attestare l’importanza che Valéry riveste per la riflessione adorniana sull’arte e sull’estetico. Infatti Teoria estetica, sebbene costituita nel suo complesso da un corpus testuale di mole imponente, è avara di citazioni e sono tutto sommato pochi gli autori (sia artisti sia filosofi) i cui nomi ricorrono numerose volte tra le sue pagine. Oltre a Kant e Hegel, e oltre a Benjamin, più frequenti di Valéry sono solo Baudelaire, Beckett, Beethoven e Schönberg, mentre all’incirca egualmente frequenti sono Brecht, Goethe e Nietzsche. Vista la parsimonia con la quale Adorno centellina i propri referenti espliciti nel momento in cui compie il massimo sforzo di condensazione teorica di una lunga riflessione sull’estetico, sarebbe avventato relegare il dato della frequenza del nome di Valéry in Teoria estetica nel novero degli accidenti meramente estrinseci. L’impressione della rilevanza di tale riferimento risulta poi sicuramente rafforzata se si vanno a leggere i luoghi in cui viene effettuato il rimando a Valéry.
"Der Ewige Jude im Hamsterrad" : zur Literatur und zum Literaturverständnis von Vladimir Vertlib
(2012)
Der von Vladimir Vertlib in seinem letzten Roman "Schimons Schweigen" (2012) wortwörtlich ins Spiel gebrachte Topos des Ewigen Juden ist als eine motivische Konstante seit seinem Debüt greifbar. Vor dem Hintergrund dieser topischen Tradition fokussiert der Beitrag zum einen die Kernproblematik von Vertlibs Prosa – die Suche nach einer tragfähigen Identität der rastlos Umherirrenden, eine Suche, die stets in einer Sackgasse im Nirgendwo endet. Zum anderen dient der Topos als Folie für die Schilderung Vertlibs ästhetischer Selbstverortung, die ebenfalls durch die Suche nach einem sicheren Zufluchtsort gekennzeichnet ist.
Aus wertlosen Zetteln wird kaufkräftiges Geld, die öffentliche Finanzkrise scheint abgewendet, das Volk nimmt die Papierscheine mit Freude auf – nicht ohne Verluste! Die Papiergeldszene in Goethes »Faust« gehört zu den Schlüsselszenen jeder ökonomischen Deutung des Dramas, das an Aktualität bis heute nichts eingebüßt hat. Hellsichtig beschreibt Goethe die anbrechende Moderne, in der alle Lebensbereiche immer stärker von Abstraktion und Virtualisierung durchdrungen werden.
In früheren Jahrhunderten wurde Krankheit teleologisch begriffen; man nahm also an, die natürliche menschliche Verfassung sei die körperlicher wie geistiger Gesundheit. Krankheit war ein Abweichen von diesem idealen, ordnungsgemäßen Zustand – daher auch die englischen Termini 'disorder' und 'distemper'. Ehe sich die moderne Auffassung von Infektionskrankheiten entwickeln konnte, wurden Krankheiten von Ärzten meistens als eine Unausgewogenheit der physischen Beschaffenheit des Menschen verstanden. Die antike und mittelalterliche Physiologie – deren Spuren sich, Fortschritten der medizinischen Wissenschaft zum Trotz, bis ins 18. Jahrhundert finden – hatte Gesundheit im Sinne des Gleichgewichts der für den Körper konstitutiven Elemente definiert. Der Terminus 'Temperament' war ursprünglich ein Hinweis auf eine Veränderung der Qualitäten (heiß oder kalt, feucht oder trocken) oder des Gemüts, das durch verschiedene Mischungsverhältnisse der Körpersäfte (Blut, Schleim, gelbe Galle, schwarze Galle) die Natur oder die 'Komplexion' einzelner Menschen – deren körperliche wie geistige Verfassung – bestimme. Im Falle der Gesundheit seien die konstitutiven Elemente im Gleichgewicht – 'tempered' –, und dementsprechend im Falle der Krankheit – 'distempered'.
Auch nachdem man Krankheit nicht länger als Unausgewogenheit von Körpersäften verstand, blieb die Vorstellung, Gesundheit erfordere ein Gleichgewicht körperlicher Elemente, bestehen. Der Terminus 'Temperament' kam im Laufe der Zeit nicht außer Gebrauch, obwohl die Medizin und die Physiognomie die Idee der Humoralpathologie als obsolet verabschiedeten. Nach und nach bezeichnete 'Temperament' eine allumfassende Qualität des Charakters, des geistigen Wesens oder der natürlichen Veranlagung, statt eine körperfunktionale Qualität zu meinen. Dieser Bedeutungswandel beeinflusste die Geschichte von Physiologie und Physiognomie, weil er Änderungen der Konzeption menschlicher Leidenschaften und ihrer Ausdrucksformen einschloss.
O objetivo deste texto é analisar a experiência do estranho no romance "Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge", de Rainer Maria Rilke, através de novas perspectivas de interpretação apoiadas, por exemplo, nas teorias psicanalíticas de Sigmund Freud. Vivendo em uma cidade estrangeira (Paris), com a qual ainda não se identifica, o protagonista do romance, Malte Laurids Brigge, descobre um mundo interior novo através de seu choque com experiências do estranho nesse milieu. A revelação de recordações de sua infância e a projeção de seu ego em leituras de narrativas alheias são seus métodos para buscar e afirmar sua identidade.
The premise of this paper is that there is a special trait which authors writing in German – but having a different mother tongue – have in common: compared to authors whose mother tongue is German, they show a more distinct sensitivity for the peculiarities of language, a more intense preoccupation with language phenomena, and a habit of critically questioning linguistic conventions, i.e. overall they display a greater awareness of language. Using the examples of Libuše Moníková, Jiří Gruša and Michael Stavarič, the paper shows how their German texts become alienated through elements from their mother tongue and how these authors make use of their bilingualism in their creative way of handling the foreign language.
"Und wie steht es denn in Ägypten?" - das möchten in Ludwig Tiecks Roman Franz Sternbalds Wanderungen (1798) zwei europäische Reisende von einem dritten wissen, der dagewesen ist. Die Frage ist von besonderer zeitgenössischer Brisanz, beginnt doch im gleichen Jahr, in dem der Roman erscheint, eine militärische Unternehmung, die Ägypten (wieder einmal) in den Blickpunkt des europäischen Interesses rücken wird. Von der napoleonischen Campagne d'Égypte können Tiecks Protagonisten freilich noch nichts wissen. Deren Teilnehmer - neben den Soldaten zahlreiche Wissenschaftler, Künstler und Abenteurer - versorgen im Laufe der nächsten Jahre Europa mit einer Fülle von Berichten, Informationen und Materialien.
Was die schiere Produktivität betrifft, stellt der Zeitraum 1906-1911 einen Höhepunkt in Rilkes Schaffen dar. Schon seit seiner ersten Ankunft in Paris im Jahre 1902 hatte sich Rilke mit mehreren Projekten zugleich beschäftigt. Im Vergleich zu der Schaffensphase 1894-1902 veröffentlicht er allerdings weniger Aufsätze, und die Hoffnungen, die er für einen Erfolg im Theater gehegt hatte, hat er jetzt aufgegeben. [...] Die vielen, sich teilweise überschneidenden Projekte Rilkes lassen sich gleichsam als tektonische Platten vorstellen, die manchmal horizontal aneinander vorbeigleiten, manchmal miteinander zusammentreffen, und manchmal sich unter oder über einander schieben. Diese Seismologie wird zum Teil verdeckt durch die separate Erscheinung des "Buchs der Bilder" und der zwei Bände der "Neuen Gedichte". Wenn man nicht aus verständlichen Gründen die einzelnen Bände als geschlossene Einheiten behalten wollte, könnte eine Ausgabe der Gedichte in der Reihe ihrer Entstehung zu höchst faszinierenden Einsichten führen. Indem frühere Arbeiten neue, oft revidierte Auflagen erhalten, stellt sich die Frage nach den unterschiedlichen Kunstvorstellungen zurückliegender Werkphasen in besonders zugespitzter Form.
Die Loslösung Schweizer Autorinnen und Autoren von dem Thema "Schweiz als Heimat" (vgl. Reinacher 2003) hat neue Textwelten und neue Formen des Umgangs mit Textwelten für die Schweizer Literatur erschlossen. Eine herausragende Position kommt in dieser Hinsicht dem Autor Peter Stamm (Jahrgang 1963) zu. Sein Werk hat (wie der folgende Artikel zu zeigen sucht) sowohl bezüglich des Interesses für nicht schweizerische Schauplätze (z.B. Ungefähre Landschaft), aber auch bezüglich der selbstreflexiven Auseinandersetzung mit dem Funktionieren von Textwelten (z.B. Agnes) neue Wege beschritten.
"Es war 1mal 1 finsterer Wald ..." : Grimms Märchen in der aktuellen Kinder- und Jugendliteratur
(2012)
Was alles unter der literarischen Marke "Märchen" auf dem Kinder- und Jugendbuch-Markt firmiert, ist äußerst variantenreich – vom Wimmelbuch im Großformat bis zum SMS-Märchen in 160 Zeichen. Neben dem üblichen Dauersortiment tun sich auch immer mehr Parallelwelten zu den Grimm'schen Märchen auf: Dazu gehören beispielsweise die Märchen-Lovestories für Mädchen, in denen Märchen-Figuren als Strippenzieherinnen in der realen Welt auftreten, ebenso wie die Einbindung der Brüder Grimm in Jugendthriller. Die Verlage suchen Kontakt zum jungen Publikum. Vielfältige crossmediale Angebote, Apps und Fanclubs im Netz bedienen den modernen Märchen-User.