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Versprechen
(2016)
Das Versprechen ist an der Grenze zwischen Sprache und Handlung zu verorten, denn ein Versprechen verweist auf die zukünftige Ausführung eines Aktes. Damit geht es mit dem Versprechen weniger um das Wissen von der Zukunft als um die Herstellung einer 'verbindlichen Beziehung' zwischen Gegenwart und Zukunft: Wenn ein Versprechen gegeben wird, geht man davon aus, dass es in der Zukunft auch eingehalten werden wird. Zur Herstellung eines 'verbindlichen' Versprechens bedarf es daher zum einen spezifischer Regeln und Methoden, zum anderen über die Sprache hinausgehender Faktoren. Der Akt des Versprechens erfordert einen Zusatz – eine Kraft, eine Absicht, einen Willen oder bestimmte Umstände. Das Versprechen führt somit paradigmatisch vor, unter welchen Bedingungen überhaupt eine sprachliche Äußerung eine Verpflichtung auf zukünftiges Handeln zum Ausdruck bringt, zumal das Versprechen auch den Kern einer ganzen Reihe zukunftsbezogener Sprechakte bildet, man denke an den Bund, das Gelübde, den Eid oder den Schwur.
Konjektur
(2016)
Zu Beginn seines Buches 'Die Kunst der Vorausschau' umreißt Bertrand de Jouvenel nicht nur sein Projekt der "Futuribles", das er als Alternative zu Ossip K. Flechtheims "Futurologie" in Anschlag bringt, sondern reflektiert auch das Vokabular seiner Untersuchung – insbesondere den Begriff der Vermutung, der in der französischen Ausgabe titelgebenden Charakter hat: 'L’Art de la Conjecture' heißt Jouvenels 1964 erschienenes Buch im Original – und spielt damit explizit auf Jacob Bernoullis 1713 erschienene 'Ars Conjectandi' an. Stand coniectura im mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Denken als Chiffre vorläufiger menschlicher Mutmaßung im Gegensatz zu überzeitlichem göttlichem Wissen, so findet mit Bernoulli eine radikale Mathematisierung der "Konjekturalphilosophie" statt: Die 'Conjectura' ist als "wahrscheinliche Meynung, so aus gewissen Umständen entstehet und herrühret", nunmehr das Ergebnis einer komplexen Berechnung von Wahrscheinlichkeiten, die, losgelöst von empirischen Raum-Zeit- Verhältnissen, als kontingentes Spiel möglicher Ereignisse in möglichen Welten kalkuliert werden. Damit nimmt die Konjektur – wörtlich: das 'Zusammenwerfen' – einen epistemischen Zwischenraum im Spannungsverhältnis von Spekulation und Kalkulation ein, der ihre epistemologische Stellung bis heute bestimmt: Die 'Ars Conjecturandi' wird zur Grundlage von statistischen Theorien, "for assessing the probability of hypotheses in the light of data". Das heißt zugleich: Der Charakter der Konjektur wird nicht mehr allein durch die spekulative Annahme möglicher Ereignisse konfiguriert, sondern durch komplexe Kalkulationen, denen die Aufgabe zufällt, die mögliche Welt der Mutmaßung mit der wirklichen Welt zu verzahnen – vermittelt über eine "Zwischentätigkeit", nämlich das "Bauen von Modellen", die gleichsam ein Repertoire von präsumtiven Vorannahmen bereitstellen. Der Wechsel von einer Erkenntnistheorie, die ihre Wahrheiten im Rekurs auf eine göttlich gesicherte Weltordnung ermittelt, hin zu einer Erkenntnistheorie, die bloß vorläufige Wahrheiten in Relation zu selbst gebauten Modellen finden kann, impliziert einen Wechsel im "konjekturalen Paradigma". Aus einem mantischen Divinationskonzept, das anhand von signalhaften 'Vorzeichen' den göttlichen Willen zu erraten sucht, wird ein profanes Konzept des Aufstellens von Hypothesen, das sich bei der Deutung symptomatischer Anzeichen an den kalkulierbaren Prinzipien der Wahrscheinlichkeit und der Glaubwürdigkeit orientiert – und zwar sowohl im Rahmen von Diagnosen als auch im Rahmen von Prognosen.
Zwei Dinge gleich zu Beginn: Erstens – und dies betrifft einen persönlichen Aspekt – müsste ich auf die vor Gericht übliche Frage: 'Sind Sie mit der Autorin verwandt oder verschwägert?' mit 'Ja.' antworten und könnte ruhigen Gewissens jede Aussage zu und auch jede Beschäftigung mit 'Hoppe' verweigern. Da 'Hoppe' aber – wie wir (jetzt) aus sicherer literarischer Quelle wissen – keine Geschwister hat beziehungsweise sich diese nur erfindet und unverheiratet ist und folglich auch keinen Schwager haben kann, der als Germanist und als Berater in der 'freien' Wirtschaft arbeitet, kann ich mich – Dank sei der Einbildungskraft – auch ohne Bedenken frei und hoffentlich auch mit einem zwinkernden Auge zu 'Hoppe' und Hoppe äußern. Zweitens – dies betrifft mein Vorgehen – wird dieser Beitrag eher essayistischer und assoziativer Natur sein als strengen (literatur-)wissenschaftlichen Kriterien genügen. Ich werde versuchen, 'Hoppe' näher zu kommen – mit meiner Erfahrung als interessierter Leser gegenwärtiger philosophischer, historischer und soziologischer Literatur. Mein Blick ist neben anderem auch der eines Trainers, der im Hochleistungssport tätig war und den auch die sportlichen und spielerischen Aspekte des Textes interessieren und die Frage, was diese sportlichen Elemente mit 'Hoppe' zu tun haben. Ich möchte der Frage nachgehen, wie Hoppe diesen Gesichtspunkt produktiv in den Text integriert, um eine Entwicklung zu beschreiben – vom Eishockey zum Schreiben, vom Sport zur geistigen Arbeit. Schließlich interessiert mich, warum diese Entwicklung so und nicht anders verlaufen muss. Also, warum 'Hoppe' sowohl auf dem Eis als auch in der Musik scheitern muss – aber als Schriftstellerin besteht.
Im Rahmen meines Ansatzes möchte ich einen anderen Weg einschlagen und den autobiografischen Pakt (Lejeune) trotz besseren Wissens – das heißt trotz der Erkenntnis, dass es sich bei der literarischen Figur 'Felicitas Hoppe' offensichtlich um einen durch und durch konstruierten Charakter handelt – zunächst einfach akzeptieren. Deshalb soll (und muss) im Folgenden nicht trennscharf zwischen den Instanzen 'Felicitas Hoppe', 'Hoppe' und 'fh', so wie sie im Text in Erscheinung treten, differenziert werden. Vielmehr sollen diese verschiedenen, einer einzigen 'biofiktionalen' Person beziehungsweise persona zuschreibbaren Stimmen zusammengelesen werden, wobei in diesem Beitrag stets von 'Hoppe' gesprochen wird. Anders gesagt möchte ich den "Roman" – so die paratextuelle Genrebezeichnung des Titelblatts – Hoppe als mehrstimmige und traumlogische Inszenierung der Autorin Felicitas Hoppe lesen, wobei ich genauer der Rolle nachgehen möchte, die 'Hoppes' (fiktive) Mehrsprachigkeit innerhalb dieser Selbstinszenierung spielt.
Felicitas Hoppe entwickelt in ihrer fiktionalen Autobiografie 'Hoppe' (2012) ein komplexes Spiel mit Erzähl- und Erzählerkonventionen, Gattungs- und Leseerwartungen sowie mit Fakt und Fiktion. Offensichtlich changiert der Status dieses Textes: Für Fiktionalität sprechen etwa die paratextuelle Gattungskennzeichnung als "Roman", die Umschreibung auf dem Klappentext als "Traumbiographie" sowie die Rezeption als "Metaautobiografik". Auf Faktualität wiederum deuten eine ganze Reihe von epitextuellen und habituellen Inszenierungspraktiken hin, die den Text, gerade weil er gar nicht erst versucht, bloße Fakten zu schildern, als eine 'wahrhaftige' Autobiografie der 'realen' Autorin Felicitas Hoppes markieren. Der Text ist damit – wie es in Definitionen der Debatte um 'Autofiktion' heißt – von einer "oszillierenden Ungewissheit" zwischen autobiografischem und romaneskem Pakt, zwischen Fakt und Fiktion geprägt.
Felicitas Hoppes fiktionale Biografie 'Hoppe' (2012) soll [...] im Folgenden als Text vorgestellt werden, der das Spiel mit gesellschaftlichen und literarischen frames zu einem zentralen Gestaltungselement erhebt [...]. Die Kompromittierungen sozialer Erwartungsrahmen gegenüber Autorschaft und Autorperson, literarischer Fiktionalität und außerliterarischer Realität sowie zwischen Roman und Biografie lassen sich dabei als 'Sprünge' zwischen verschiedenen 'Rahmungen' beschreiben. Die zentrale Frage, ob moderne Ästhetik Einfluss auf die 'wirkliche Welt' nehmen kann, beantwortet Hoppe somit einerseits durch eine Art Rückeroberung und Wiederverrätselung der allzu 'öffentlich' gewordenen Autorinstanz und -biografie und andererseits durch ein Lektüreangebot, das den Leser in produktive Distanz zu gängigen Rahmungen setzen soll. Eine Schlüsselrolle spielen dabei Formen der literarischen Selbstthematisierung. Zunächst sollen zu diesem Ziel einige Aspekte der Goffman'schen Soziologie kurz rekapituliert werden.
Die folgenden Lektüren zum Problemfeld literarischer Identitäts- und Fremdheitserfahrung orientieren sich an einer heuristischen Unterscheidung, die Andrea Polaschegg im Rahmen ihrer Arbeit über den 'Anderen Orientalismus' (2005) eingeführt hat, nämlich der Trennung zwischen den Begriffspaaren 'das Eigene' – 'das Andere' und 'das Vertraute' – 'das Fremde'. [...] Das 'Andere' erscheint nicht selten als 'fremd', während 'das Eigene' sich zugleich als 'vertraut' präsentiert. Mit Blick auf diese Unterscheidung verfolgt der vorliegende Beitrag die Leitthese, dass sich beide Problemfelder in 'Eis und Schnee' auf charakteristische Weise überkreuzen. Hoppes Text greift die jeweilige Dichotomie von 'Eigenem' und 'Anderem' sowie von 'Vertrautem' und 'Fremdem' auf; doch sie unterläuft sie zugleich, indem sie eine scheinbar feststehende Gegensatzrelation destabilisiert. Und mehr noch: Verbinden sich in alltäglicher Wahrnehmung und gängigem Sprachgebrauch 'das Eigene' und 'das Vertraute' einerseits, 'das Andere' und 'das Fremde' andererseits, so brechen diese Allianzen in Hoppes Text auseinander.
Die Bedeutung des Raumes in literarischen Texten ist spätestens seit dem 'Spatial Turn' der Literatur- und Kulturwissenschaften unbestritten. Im Zuge jüngerer Debatten in den Geschichtswissenschaften haben sich parallel dazu Stimmen zu Wort gemeldet, die auf die Bedeutung des Raumes für historische Ereignisse und deren wissenschaftliche Darstellung hinweisen. Literatur, Literaturwissenschaft, Historiografie und Geschichtswissenschaft sind zudem disziplinär enger zusammengerückt, seit Hayden White auf die genuine Fiktionalität historiografischer Texte aufmerksam gemacht hat. Diese drei die Theoriebildung der Geisteswissenschaften betreffenden Aspekte sollen im Folgenden am Beispiel von Felicitas Hoppes Roman 'Johanna' (2006) zunächst zu einigen Beobachtungen hinsichtlich der Topografie des Raumes in historisch erzählenden Texten zusammengeführt und anschließend um einen Blick auf damit verbundene metafiktionale Aussagen ergänzt werden. Meine These lautet, dass die narrativ evozierten räumlichen Gegebenheiten der diegetischen Welt von Johanna die Erzählung grundsätzlich bedingen und metafiktional reflektieren. Die entworfenen Räume spiegeln nicht nur Geschehnisse auf zeitlich und räumlich getrennten Erzählebenen des Romans, sondern weisen auch poetologische Züge auf, indem sie das Potenzial von ‚Fiktionsräumen‘ ausloten.4 Mit der so gestalteten Fiktion setzt Hoppes Roman einen bestimmten Typus des Lesers voraus – einen postmodernen Idealleser, der der Polyfonie des Textes gewachsen ist, ja sich sogar aktiv auf das Spiel mit der rezeptiven Vieldeutigkeit einlassen kann, das der Roman erzeugt.
Im Folgenden sollen deshalb zunächst vereinzelte Aussagen zusammengeführt werden, aus denen sich ein poetologisches Kernthema ihres Schreibens erschließt: Als Kunstideal gilt Hoppe eine spezifische Verbindung von 'Realität' und 'Imagination', die letztlich auch in der oxymoronischen Selbstbezeichnung ihrer Texte als 'ehrliche Erfindung' mitschwingt, die von Literaturkritik und -wissenschaft so häufig aufgegriffen wurde. In einem zweiten Schritt wird argumentiert, dass dieses ästhetische Ideal in den literarischen Texten mehrfach bildlich dargestellt ist. Nach dieser Präzisierung der poetologischen Zielsetzung stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis die explizit-essayistischen und implizit-fiktionalen Reflexionen zur literarischen Praxis stehen. Daran schließt die Hauptthese dieses Beitrags an: Die Bildlichkeit von Hoppes Texten lässt sich zeichentheoretisch als 'ikonisches Erzählen' spezifizieren und hier liegt eine narrative Form vor, die die angestrebte Verbindung von 'Realität' und 'Imagination' umsetzt. Auf der Basis eines vom Symbolbegriff abgegrenzten Ikonbegriffs wird argumentiert, dass in Hoppes Texten die konkrete Ebene inhärente Ähnlichkeitsbeziehungen zu einer abstrakten Ebene aufweist. Bedeutungszuschreibungen, so die Folgerung, lassen sich entsprechend dem Autonomieanspruch der Autorin, für ihre Texte weitgehend durch Abstraktions- und Analogisierungsverfahren ableiten.
Ausgangspunkt der folgenden Argumentation ist die Beobachtung, dass die Spezifik dieser Poetik stärker als bisher erfasst, von kleinsten bedeutungstragenden Einheiten, die jeweils komplex miteinander verknüpft sind und zugleich weit über sich hinausweisen, getragen wird. In Hoppes Texten, so die Annahme, ist das Wechselspiel zwischen Sinn- beziehungsweise Kohärenzbildung und -störung sowie der Zusammenhang intratextueller, autointertextueller und intertextueller Verweise auf spezifische Weise an Überlappungen semantischer Felder gebunden – eine Spezifik, die weiterer Untersuchung bedarf. Im Anschluss an eine durch diesen Rahmen perspektivierte Lektüre von Safari im ersten und Iwein Löwenritter im zweiten, möchte ich im dritten Teil Überlegungen zur Interdependenz von semantischen Feldern und intertextuellem Verweissystem beziehungsweise Zitaten in 'variierenden Wiederholungen' darlegen. Im vierten Teil werde ich dies im Hinblick auf folgende vier Fragen weiterführen: erstens, wie mittels gezielter Überlagerung semantischer Felder Ambivalenz und Kohärenz hergestellt werden, zweitens, wie Ordnungen entstehen und gestört werden, drittens, wie kleinere mit größeren Bedeutungseinheiten und -ebenen korrelieren und, viertens, wie Konventionalisiertes aufgerufen wird, um es zu durchkreuzen und anschlussfähig für neue Verknüpfungen zu machen.
Im Folgenden soll daher, mit Schwerpunkt auf dem Roman 'Paradiese, Übersee', die Struktur von Hoppes Texten vor dem Hintergrund ihrer literaturhistorischen Kontexte aufgeschlüsselt werden. Diese, von der Kritik als irritierend wahrgenommene Struktur basiert auf der Abkehr von üblichen chronologischen und kausallogischen Ordnungsschemata und der gleichzeitigen Hinwendung zu einer Erzählstruktur, die ihren Sinn über variierende Verbindungen einzelner Elemente generiert. In der vorliegenden Untersuchung wird dieses Narrationsschema auf seine historischen Vorbilder hin untersucht, um das schöpferisch 'Neue', die innovative Formensprache des Hoppe'schen Erzählens fassbar zu machen.
Der folgende Beitrag unternimmt damit den Versuch, die 'Geschichtsverwicklungen' eines 'erzählerischen Fundamentalismus' in Abgrenzung zu bisherigen Deutungen unter dem Aspekt des zyklischen Erzählens und der Wiederholung zu beleuchten. In einem ersten Analyseschritt wird das Verhältnis von Rahmenhandlung und Binnenerzählungen einer Klärung zugeführt, um im Folgenden eine präzisere Charakterisierung der Erzählerfiguren des Zyklus zu ermöglichen. Dabei wird vorgeschlagen, den Erzählvorgang als performativen Akt zu begreifen, der bei Hoppe als Reenactment inszeniert wird.
Die Renaissance des Familien- oder Generationenromans in der (nicht nur deutschsprachigen) Gegenwartsliteratur ist in zahlreichen Untersuchungen der letzten Jahre zum Gegenstand gemacht worden. Um diese Wiederkehr eines Totgeglaubten rankten sich alsbald polemische Debatten, aus denen man ersehen konnte, dass es um weit mehr als das Wiedererstarken eines literaturwissenschaftlich recht schwammig definierten, unter Abgrenzungsschwächen (Familien- versus Generationenroman) leidenden, ästhetisch eher traditionellen Genres ging. Definitionsversuche wie derjenige der amerikanischen Komparatistin Yi-ling Ru brachten den Familienroman (scheinbar unauflöslich) in Zusammenhang mit den Kriterien der Verfallsgeschichte, der Chronologizität, der Schilderung integraler Familienriten und insbesondere mit einem unhintergehbaren Realismus der Darstellung. Dass der Umgang mit dem Thema 'Familie' über alle eher literarischen Koordinaten hinaus aber vor allem als Seismograf gesellschaftlicher und kultureller Entwicklungen verstanden wurde, zeigten schon die Kontroversen um den Stellenwert von Familie im deutschen Feuilleton, in dem etwa die Zeit-Literaturkritikerin Iris Radisch "[d]ie elementare Struktur der Verwandtschaft" gegen die "Monaden" der Gegenwartsliteratur in Stellung brachte: Gedeutet wurde die 'Rückkehr' der Familie so zugleich als Indiz für eine Sehnsucht nach traditionellen Strukturen, gerichtet gegen die Zersetzungskraft der Postmoderne, gegen das Single-Dasein als Lebensform. Andere wie Sigrid Löffler sahen in genauer Umkehrung der Werteskala gerade im Wiederauftauchen familiärer Narrative das konservative Revival einer spätestens mit Heimito von Doderers (1896-1966) Merowinger-Roman (1962) durch Hyperbolisierung in sich kollabierten Gattung.
In Felicitas Hoppes Roman 'Johanna' (2006) geht es nicht um die historische Johanna von Orléans (um 1412-1431) selbst, sondern um eine namenlose Ich-Erzählerin, die sich auf ihre mündliche Disputation im Fach Geschichte vorbereitet. Der Roman spielt nicht im 15., sondern im 21. Jahrhundert. Die Protagonisten sind die Ich- Erzählerin, die über Johanna von Orléans promoviert, ein Professor der Geschichtswissenschaft und sein Assistent, der von der Erzählerin auf den Spitznamen "Peitsche" getauft wird. Es geht also nicht um eine Märtyrerin, die von Geistlichen verhört und verurteilt wird, sondern um eine Doktorandin, die von einem Historiker mündlich geprüft wird. Anstelle des Todesurteils wird die Promovendin aus dem akademischen Betrieb ausgeschlossen. Es lassen sich also deutliche Parallelen zwischen den beiden Schicksalen erkennen. In beiden Fällen – ob innerhalb der Kirche oder der Universität – geht es um eine geistige Institution, die von Männern beherrscht wird und ihren eigenen 'Kanon' pflegt. Die Kirche bewahrt den Kanon der Heiligen; die Universität perpetuiert durch die Historiografie einen Kanon der wichtigsten Persönlichkeiten der Geschichte. In beiden Fällen werden die Argumente der Frau von den männlichen Juroren nicht akzeptiert beziehungsweise nicht ernst genommen. Diese Gemeinsamkeiten gilt es in diesem Beitrag vergleichend zu analysieren.
Auf meinem Posten war ich bereits mit sieben; hinter mir, was (angeblich) noch gar kein Leben war, aber vor mir schon ein fantastisches Werk, das einzig aus meiner Einbildung lebte, neben den üblichen Kinderlektüren die einzige Nahrung meines fröhlichen Schreibens; dass dieses Werk eines eigenen Lebens bedürfte, um tatsächlich Inhalt und Form anzunehmen, stand nicht zur Debatte: Wozu seine Zeit mit einem Leben verschwenden, das sich im Werk wie von selbst erfindet und haltbarer als jedes Tagwerk ist. So denkt und schreibt nur ein Kind, das noch jede Legende für Wahrheit hält und das ich bis heute geblieben bin: ein denkendes Kind, das sich in Größe hineinträumt und schreibend den Zugang zu einer Welt erschafft, die mir (wie ich umgekehrt ihr) immer fremd bleiben wird, das aber (immerhin) weiß, dass sich die Geschichte des Lebens nicht in ein Buch binden lässt, sondern sich unablässig weitererzählt und weiterschreibt, von Text zu Text und Buch zu Buch und über die Ränder der Bücher hinaus, ohne Aussicht auf Rettung und Ende, scheinbar absichtslos hinein in die Welt, die sich sowieso nicht erzählen lässt. Die letzten Sätze werden die ersten sein und die ersten die letzten, und immer so fort, bis ich eines Tages (niemand weiß, wann), den Stift endlich aus der Hand legen darf.
[...] 'Eis und Schnee' [zeichnet] kein einheitliches Gesamtbild von Junghuhns Leben. Vielmehr präsentiert sich der Text als unabgeschlossener Entwurf einer Existenz in Bewegung, gleichsam als möglichkeitsbewusste Erfindung eines Lebens-Laufs, der sich am Vorbild der historischen Person orientiert und zugleich reale Handlungen und Ereignisse fiktional verfremdet. Denn anstatt die zentralen Stationen dieses außergewöhnlichen Lebens in narrativer Kontinuität zum linear geordneten Gesamtbild zusammenzufügen, bricht der Text die zeitliche und räumliche Einheit des Erzählten auf. Entscheidendes verbindet sich mit Nebensächlichem, und spielerische Wechsel der Erzählperspektive lassen die Konturen der Figuren verschwimmen. So handelt Hoppes fiktionale Bio-Grafie, welche im Akt des Schreibens zugleich selbstreflexiv die Aporien einer Erfassung des gelebten Lebens ausstellt, von den Möglichkeitsbedingungen und Untiefen narrativer Identitätskonstitution. Entlang des Leitfadens eines Entdeckerlebens fragt Eis und Schnee nach Bestimmungsmerkmalen und Grenzen des 'Eigenen' – und zwar in individueller wie in kultureller Hinsicht. Denn Junghuhns Grenzgänge in der Ferne Asiens kreisen beständig um die Frage, wer er selbst überhaupt ist, wovon er sich warum und wie abgrenzt, und wer von diesem Leben auf welche Weise zu erzählen vermag. Einige Aspekte dieser Fragestellung erkundet der vorliegende Aufsatz in einer narratologischen Analyse von Hoppes komplexer Erzählprosa in 'Eis und Schnee'. Die folgenden Lektüren zum Problemfeld literarischer Identitäts- und Fremdheitserfahrung orientieren sich an einer heuristischen Unterscheidung, die Andrea Polaschegg im Rahmen ihrer Arbeit über den 'Anderen Orientalismus' (2005) eingeführt hat, nämlich der Trennung zwischen den Begriffspaaren 'das Eigene' – 'das Andere' und 'das Vertraute' – 'das Fremde'.
Das Spiel, die Maskerade und andere Elemente des Karnevals sind Fixpunkte in beinahe allen Texten von Felicitas Hoppe. Sie tauchen aber nicht nur auf inhaltlicher Ebene auf, sondern sie sind zudem wesentliche Bestandteile des ästhetischformalen Erzählprogramms der Autorin. Im vorliegenden Beitrag soll unter Berücksichtigung von Michail Bachtins Konzepten der Dialogizität und Polyfonie das karnevaleske Moment in Felicitas Hoppes Erzählwerk, vor allem in den Romanen 'Paradiese, Übersee' (2003), 'Johanna' (2006), und 'Hoppe' (2012) herausgearbeitet werden und zwar auf Ebene des Sujets, der Sprache und der Textgattung. Um Missverständnisse zu vermeiden, sei vorangestellt, dass das Motiv des Karnevals von seiner Anlage her keine bewusste narrative Strategie darstellt (auch wenn es durchaus als solches eingesetzt werden kann). Statt einer autorzentrierten Interpretation soll daher die 'Karnevalisierung' der Literatur ganz im Sinne Michail Bachtins als Traditionslinie und Textdynamik begriffen werden, die flexibel ist und die Individualität der einzelnen Autorinnen und Autoren in keinster Weise tangiert beziehungsweise formal einengt.
[...] wie die 'Berliner Kindheit' oft als eine 'Erinnerungspoetik' bezeichnet wird, deren treibende Kraft die "Ich-Konstitution" sei, ließe sich Hoppes 'Picknick der Friseure' als 'Ver(w)irrungspoetik' beschreiben. Der Prozess des Erinnerns und sich (Wieder)findens ist bei ihr noch verdichteter im Sinne eines 'Dickichts der Texte', als bei Benjamin. Die konsequente Verweigerung einer "homogenisierte[n] Ich- Bildung" rückt bei beiden Schriftstellern "die Frage nach den noch verbleibenden Formen der Identitätsbildung in den Mittelpunkt des Schreibens." Vor dem Hintergrund einer als desolat erfahrenen Wirklichkeit scheinen die 'Berliner Kindheit' und 'Picknick der Friseure' die "Wahrheit so behutsam aus der Dichtung hervor[zu]ziehen […] wie die Kinderhand den Strumpf aus 'Der Tasche'". Oder wie es in Hoppes Schlussgeschichte 'Not und Tugend' heißt: "[A]m Ende, beim Öffnen der Säcke, kam alles zum Vorschein, Feigheit und Gier und schlechte Gewohnheit und daß wir zu spät und mit Dreck an den Stecken ans Tageslicht gekrochen waren". Doch, und das ist das Wesentliche, "hier ist das Buch unserer Rettung", sodass wir „alt [werden können] in Würde". Damit birgt, wie Adorno es für Benjamin formuliert, die "Allegorie des eigenen Untergangs", das zersplitterte Geschichtswerk, auch bei Hoppe die Möglichkeit zur Selbstbehauptung.
Bücher, die Wirklichkeit werden, Figuren, die aus Geschichten in die Welt des Lesers eintreten, oder umgekehrt, Leser, die geheime Pforten zu fantastischen oder zu fiktionalen Welten aus ihrer Lektüre durchschreiten, gehören zum Inventar kinderliterarischen Erzählens, seitdem Lewis Carrolls (1832-1898) Alice an einem langweiligen Nachmittag dem weißen Kaninchen mit der Taschenuhr in sein Erdloch folgte und sich in Wunderland wiederfand. Eine Alice-Figur ziert als intertextuelle Allusion auch den Einband von Hoppe: Zu sehen ist ein kleines Mädchen mit Schleifen im Haar, vornübergebeugt zum Schnürsenkelbinden. 'Hoppe' ist natürlich kein Kinderbuch, sondern das autofiktionale Experiment einer Schriftstellerin, die bereits selbst Kinderbücher verfasst und übersetzt hat, die sich zudem gegen eine strenge Grenzziehung zwischen sogenannter Erwachsenen- und Kinderliteratur ausspricht und dafür plädiert, als Erwachsener die Bücher der eigenen Kindheit erneut zu lesen. Und so ist auch in Hoppe die Grenze zwischen sogenannter Kinder- und Erwachsenenliteratur äußerst durchlässig, springen doch bei einer ersten Lektüre bereits zahlreiche Anspielungen auf kanonische Texte der Kinderliteratur wie etwa Carlo Collodis 'Le avventure di Pinocchio' (1883), Mark Twains 'The Adventures of Tom Sawyer' (1876), Jules Vernes 'Les enfants du capitaine Grant' (1867/68), Frank L. Baums 'The Wonderful Wizard of Oz' (1900) und Astrid Lindgrens 'Pippi Långstrump' (1945-1948) ins Auge. Der autofiktionale Text 'Hoppe' mit seiner Doppelbiografie, einer verleugneten und einer vermeintlich 'verbrieften', mit seinem metaautobiografischen Spiel, stellt sicherlich die Fiktionalität eines jeden autobiografischen Schreibens noch einmal nachdrücklich aus.
Seit Beginn der 1990er Jahre rückt der Begriff des 'Autors' und der 'Autorschaft' wieder verstärkt in den Fokus literaturwissenschaftlicher Theoriebildung. Im Unterschied zu den subjektkritischen Konzepten der Postmoderne, insbesondere denjenigen des Poststrukturalismus, die in Roland Barthes' These vom Tod des Autors (1967) wohl am prominentesten widerhallen, gewinnt die Autorfunktion als legitime Bezugsgröße im interpretatorischen Zugriff auf den literarischen Text wieder an Bedeutung. Auch der Werkbegriff erhält infolge dieser Aufwertung des textgenerierenden Subjekts in Praxis und Theorie neue Aufmerksamkeit. Im Falle von Felicitas Hoppe wird über diesen Kontext hinaus die Betrachtung eines einzelnen Autorenwerks auch intrinsisch durch ihre Texte nahegelegt. Die inhaltliche und sprachliche Kontinuität zwischen fiktionalen und nicht-fiktionalen Texten, die enge auto-intertextuelle Verknüpfung sowie Hoppes ästhetischer Autonomieanspruch verlangen in besonderer Weise nach einer Fokussierung des autorspezifischen Werkzusammenhangs.
Das Paradigma, über das ich spreche, steht im Titel: Es geht um unsere fest institutionalisierte universalhistorische Langzeitbehauptung "Antike – Mittelalter – Neuzeit". Zeitlichkeit wird – unausweichlich – in Makromodellen gefasst. Das im Moment institutionalisierte, geradezu zementierte Makromodell ist ein Produkt der sogenannten Aufklärung. Die Denkfigur "Antike – Mittelalter – Neuzeit" ist der klassische Fall eines Paradigmas. Dieses geschichtswissenschaftliche Paradigma steuert bis heute die Anordnung des Materials in Makrodarstellungen, also die Entscheidung darüber, in welchem Großkapitel welches Thema landet. Zugleich steuert es, welche Inhalte überhaupt auftauchen. Viele heute besonders wichtige und durchaus gut erforschte Wissensfelder schaffen es nicht in die Handbücher, weil sie in den Makromodellen keinen Platz finden. ...
Mit der Smart Learning Infrastruktur wurde ein neuartiges didaktisches Konzept für Kurse in der Weiterbildung entwickelt. Diese Infrastruktur ist vielfältig anwendbar. Erste Analysen von Kursen zeigen, dass TeilnehmerInnen, die alle Übungen korrekt abgearbeitet haben, eine bessere Note erreichen als die Durchschnittsnote. Dieser Beitrag beschreibt ein Konzept für ein Gamification-Modul, welches mit spielerischen Elementen möglichst frühzeitig dazu animiert, alle Übungen eines Kurses korrekt und mit Verstand abzuarbeiten.
We propose and create a new data model for learning specific environments and learning analytics applications. This is motivated from the experience in the Fiber Bundle Data Model used for large - time and space dependent - data. Our proposed data model integrates file or stream-based data structures from capturing devices more easily. Learning analytics algorithms are added directly to the data, and formulation of queries and analytics is done in Python. It is designed to improve collaboration in the field of learning analytics. We leverage a hierarchical data structure, where varying data is located near the leaves. Abstract data types are identified in four distinct pathways, which allow storing most diverse data sources. We compare different implementations regarding its memory footprint and performance. Our tests indicate that LeAn Bundles can be smaller than a naïve xAPI export. The benchmarks show that the performance is comparable to a MongoDB, while having the benefit of being portable and extensible.
Digitale Kompetenzen von Hochschullehrenden messen : Validierungsstudie eines Kompetenzrasters
(2018)
Der Beitrag beschreibt die Entwicklung eines Kompetenzrasters zur Erfassung digitaler Kompetenzen von Hochschullehrenden und stellt Ergebnisse der Validierung des Rasters vor. Dazu werden die Ergebnisse eines Pre-Tests (N=90) unter Teilnehmenden eines E-LearningQualifizierungsangebots inferenzstatistisch ausgewertet. Zusätzlich werden zur äußeren Validierung des Kompetenzrasters Ergebnisse mit Aussagen der Befragungsteilnehmer*innen verglichen, die mit Hilfe qualitativer Methoden aus E-Portfolios gewonnen wurden. Die skalenanalytischen Befunde erbrachten für sechs der acht Subdimensionen digitaler Kompetenz eindeutige, einfaktorielle Lösungen mit guten Varianzaufklärungen. Die Subskalen verfügen über hohe interne Konsistenzen. Zwei Dimensionen trennen sich faktorenanalytisch in weitere Subtests auf, die sich im Test ebenfalls als reliabel erweisen. Zur Validität des Kompetenzrasters konnten durch Zusammenhänge mit Aussagen aus E-Portfolios positive Belege gesammelt werden.
Transkulturalität, Transnationalität, Transgender, Transspecies – Innerhalb des letzten Jahrzehnts erleben die politischen und wissenschaftlichen Debatten um Theorien, die sich dem Präfix 'trans-' (lat. 'jenseits, über, über – hin') verpflichtet sehen, eine bemerkenswerte Konjunktur. Grundlegend verbindet sich mit diesen Konzepten die Vorstellung eines übergreifenden und umfassenden Diskurses, der für durchlässige Konturen plädiert. Analytisch ermöglichen die Theorien des 'trans' die konzeptuelle Erfassung von Phänomenen, die sich in einem Prozess des Werdens befinden und aus entgegengesetzten Strukturen, Logiken, Dynamiken und Funktionsweisen bestehen. 'Trans' verweist folglich nicht auf geschlossene Identitätsvorstellungen, sondern enthält fluide Grenzverläufe. Die damit verbundenen subversiven Vorstellungen finden sowohl verstärkt Gehör in gesamtgesellschaftlichen Kontexten als auch innerhalb wissenschaftlicher Disziplinen, die sich abseits einer Fortschreibung kanonischer Inhalte neu konzipieren.
Relevant für kulturtheoretische Reflexionen im engeren Sinne wurden 'Trans-Konzepte', also etwa Transnationalität, Transkulturalität oder Transgender, erst in dem Moment, in dem die zu überschreitenden Grenzen, die zu transzendierenden Entitäten als Einschränkung, ideologische Verblendung, Herrschaftsformation oder affirmative Systemreproduktion angesehen wurden. Dabei ist die vielfach diskutierte Problematik, die darin besteht, dass nur stabile und relevante Grenzen überhaupt transgrediert werden können und zudem dieser Akt selbst so etwas wie eine Bestätigung der bestehenden Systeme sein kann, nur dann ein Problem, wenn die Identitäten, die Systeme, die Ordnungseinheiten als fundamental dysfunktional oder gar schädlich angesehen werden. Überlegungen, die sich an diesen Band sinnvoll und produktiv anschließen könnten, sind nicht ganz leicht anzustellen. Einen Ausblick auf das Kommende bieten zu wollen, ist immer schwierig. Die Frage, was nach 'trans' kommt, ist ähnlich schwer zu beantworten wie diejenige nach dem Nachfolger der 'Post'- Konstruktionen.
Transspezieskonzeptionen als Identitätskonzeptionen in Selbstinszenierungen, in populären Narrationen, in der Neurowissenschaft oder der Psychologie sind im Verhältnis zu anderen Transkonzepten (Transgender, Transkulturalität, Transnationalität, Transsozialität etc.) unterrepräsentiert und bieten gerade deshalb die Möglichkeit einer interdisziplinären und vergleichenden Analyse. Beobachtbar ist dabei, dass Transspezieskonzeptionen eine Mensch-Tier- Differenz zu unterminieren scheinen, indem sie menschliche Alleinstellungsmerkmale vorzugsweise von Identität, Person, Selbst und Psyche auf nichtmenschliche Tiere ausdehnen. Im Zentrum der Untersuchung steht deshalb die Frage, wie diese Konzeptionen mit den Begriffen 'Identität' und 'Spezies' genau verfahren und wie sie sich zu jener Grenze verhalten, die sie zu überschreiten vorgeben.
Bekanntermaßen hat der Begriff des Hybriden in den Kulturwissenschaften in den letzten drei Jahrzehnten eine beeindruckende Konjunktur erlebt. In Reaktion auf die virulenten Anforderungen der voranschreitenden Pluralisierung von Lebenswelten erschien die Öffnung und Verflüssigung vormals statischer Konzepte als geeignetes Mittel, unangemessenen, simplifizierenden Kategorisierungen entgegenzuwirken. Zwanzig Jahre nach dem Aufkommen des Bhabha'schen Hybriditätsverständnisses läuft der Begriff jedoch Gefahr, selbst zu einer mondial einsetzbaren Universalkategorie zu werden und birgt somit Risiken, die insbesondere in den postcolonial studies weiterhin zu diskutieren sein werden. Obwohl somit im folgenden Beitrag das kritische Bewusstsein ob generalisierender kulturtheoretischer Konzeptualisierungen mitschwingt, wird anhand des Verantwortlichkeitsdiskurses im Anthropozän eine Modellierung des Hybriden analysiert und als (unmittelbar kontextbedingtes) probates 'Behelfs- mittel' ausgewiesen. Das Gegenwirken der bipolaren Narrative und deren Einwirkungen auf ontologische Ebenen des menschlichen Subjektes im Anthropozän erfordert tragfähige Analyseinstrumente; die Denkfigur der Chimäre wird hierbei als ein Versuch fungieren, variable Vernetzungen von Subjekt(en) und 'Natur(en)', nivellierter als dies Hybriditätskonzepte leisten, zu analysieren. Der folgende Ansatz soll es erlauben, Plausibilitäten von Dichotomien infrage zu stellen und das menschliche Subjekt als 'Mischwesen' aus kantischer Vernunft und somatischer Determinante zu diskutieren.
Anhand des Klimadiskurses sollen im Folgenden zwei Modelle der Prozessierung der Natur/Kultur-Grenze vorgestellt werden, in denen unterschiedliche narrative Positionen eingenommen werden und der Grenzraum auf unterschiedliche Weise dimensioniert und strukturiert wird. Durch den Vergleich der Grenzerfahrung der Klimakrise mit der Grenzerfahrung des Krisen- und Kriegstourismus soll herausgearbeitet werden, dass zwar beide Grenzbereiche im Modus der Interpassivität rezipiert werden (können), sie hinsichtlich ihrer Handlungsvoraussetzungen und Möglichkeiten aber zu unterscheiden sind. Diese unterschiedlichen Voraussetzungen werden anhand der Theorie zur Natur/Kultur- Grenze verdeutlicht. Abschließend werden dann mit dem dystopischen Modell des 'tipping points' und dem Intensitätsmodell zwei narrative Verhandlungsstrategien der Natur/Kultur-Grenze vorgestellt. Problematisiert wird dabei die Zirkularität eines postmodernen Katastrophendiskurses, der im alarmistischen Bemühen einer Erhellung der Klimakrise eben jene Natur/Kultur-Dichotomie verfestigt, die aus der Perspektive des 'ecocriticism' die wesentliche Ursache der ökologischen Krise darstellt.
Zu beobachten ist die Karriere eines unreflektierten Essentialismus. Wurzeln sind Bestandteile von Pflanzen. Hier werden sie zu metaphorischen Bestandteilen von Menschen. Zu 'wurzeln' bedeutet, fest zu stecken, mit dem 'kulturellen Herkunftsraum' verwachsen zu sein und zu bleiben. Dieses konstruiert Pflanzliche betont eine letztliche Unverrückbarkeit – paradoxerweise bei Menschen, deren 'Migrationshintergrund' gleichzeitig auf ihre Mobilität fokussiert. Kern der Wurzel-Metapher ist dann auch die Behauptung, dass fremde und vorgeblich unveränderliche Eigenschaften mitgebracht werden.
Die amerikanische Hardcore Punk Szene wird bis heute als eine antirassistische Rebellion gegen das Wiedererstarken konservativer Wertvorstellungen wahrgenommen. Hardcore Punk entwickelte sich in den USA aus der Stilrichtung des Punkrock und hatte seinen Höhepunkt in den 1980er Jahren. Dabei wurde sowohl der lyrische Inhalt als auch die musikalische Form des ursprünglichen Genres radikalisiert und die subkulturelle Identität maßgeblich über körperbetonte und expressive Bühnenauftritte konstituiert. Die Hardcore Punk Szene inszenierte sich vornehmlich als prekäre und stigmatisierte Gesellschaftsschicht, um von dieser Position aus eine vermeintlich antirassistische Grundhaltung zu propagieren. Die Tatsache, dass diese Szene jedoch fast ausschließlich aus weißen, männlichen und der Mittelschicht zugehörigen Jugendlichen bestand, wirft Fragen hinsichtlich der etablierten, politisch eindeutigen Verortung als subversiver Bewegung auf.
Den 'Kampf der Kulturen' ein weiteres Mal genauer zu betrachten lohnt also der Mühe, wird doch auf diese Weise der Blick auf Thematiken gelenkt, die gegenwärtig in der Diskussion sind. Dabei ist insbesondere an Momente der Verbindung von (Neo-)Nationalismus und einem "Rassismus ohne 'Rassen'", an Fragen der Identitätskonstruktion sowie an die Huntington'schen Haupt- Konfliktparteien Westen und Islam zu denken. Fragen der räumlich-geographischen Verortung des Subjekts sind gerade in 'Migrationsdebatten' entscheidend und spielen ebenso in rassistischen Konstruktionen des 'Anderen' eine existentielle Rolle; auch – und das ist ausschlaggebend – für die gegenwärtige politische und gesellschaftliche Situation über den Rahmen der Hauptlinien, die Huntington aufzeichnet, hinaus.
Transkulturalität ist in den Nullerjahren zu einem zentralen Begriff der Kulturwissenschaften für die Beschreibung von Migrations- und Globalisierungsprozessen avanciert. Dabei eint die Transkulturalität mit ihren Vorgängermodellen der Inter- und Multikulturalität eine binäre konzeptuelle Ausrichtung: Zum einen wollen sie als Deskriptionsinstrumente der sich zunehmend kulturell vernetzenden Weltgesellschaft heuristisch angemessen begegnen. Zum anderen geht in ihnen ein normativer Impetus auf, indem sie Identitätsmodelle formulieren, die gegen Ressentiments und antimigrantische Narrative in Stellung gebracht werden. Immer richten sich diese 'Kulturalitätskonzepte' gegen ein bestehendes Defizit im gesellschaftlichen Wissen um Migrations-prozesse und treten mit ihren implizierten Visionen einer sich entwickelnden Einwanderungsgesellschaft als 'Hoffnungsträger' in den öffentlichen und wissenschaftlichen Debatten auf.
Auch wenn der hier vorgenommene Vergleich die gegensätzlichen Erinnerungsentwürfe der Romane besonders betont hat, ist es doch beeindruckend, von welcher Komplementarität beide Texte im Hinblick auf die von ihnen erzählten Geschichten und ihren Einsatz der Familie sind. Während die Erinnerungsarbeit Austerlitz' an der Unerzählbarkeit des Traumas einer verlorenen Vergangenheit scheitert und damit den Bruch des 'post-memory' markiert, gelingt Wackwitz nicht nur die Herstellung einer Kontinuität der Erinnerung als 'trans-memory', sondern letztlich auch die Verschiebung ihres 'Ursprungsortes'. Mithilfe eines 'erschriebenen' 'transmemory' gelingt es in 'Ein unsichtbares Land' durch den Entwurf einer männlich codierten Genealogie, die Mitläuferschaft des Großvaters in die eigene Herkunftsgeschichte zu integrieren. Dabei bedingt Wackwitz' 'Herkunftssehnsucht' seine Erkenntnisbedingungen, Gegenläufiges und Widersprüchliches muss ausgeklammert bleiben. Im Vergleich mit Austerlitz offenbart sich dabei eine hermeneutische Sehnsucht, die die Brüche zu den Erinnerungen der anderen, die auch die Erinnerungen der Opfer sind, systematisch übergeht. Ganz anders Sebalds Roman, in dem sich die Vergangenheits- und Zukunftslosigkeit der Figur Austerlitz jeder Kontinuität der Erinnerung verweigert.
Trans_Konzepte dienen der Beschreibung kultureller Formationen, die gegen binäre oder dichotomisierende Ordnungsstrukturen Offenheit, Vernetzung und Prozesshaftigkeit setzen. Ein großer Vorteil dieses methodischen Zugriffs liegt darin, dass das Untersuchungsfeld des ›Trans_‹ weder kulturhistorisch noch geopolitisch gebunden ist und somit auch einen innovativen Zugang zu historischen und längst kanonisierten Texten eröffnet – oder aber bereits beobachtete, textinterne Bewegungen beschreibbar macht. So lässt sich auch Ovids 'Narcissus et Echo' als Szenario der Trans_Geschlechtlichkeit lesen. Sobald man den Fokus der Lektüre nicht auf die Autoerotisierung der Hauptfigur legt, sondern den Text von seinem Ausgangspunkt her – der Vergewaltigung von Liriope durch ihren Vater – begreift, werden weitere textimmanente Prozesse sichtbar, die eine Bewegung des ›Trans_‹ abbilden. So lässt sich Narziss als eine psychische Auslagerung seiner Mutter verstehen, die sich nach dem gewaltsamen Zugriff auf ihren Körper im geschlechtlich Polyvalenten einen neuen Existenz- und Wahrnehmungsraum schafft. Narziss erscheint darin als geschlechtlich entortet und anhand mehrerer Spiegelungen nicht auf eine eindeutige 'Substanz' oder 'Natur' zurückführbar.
Erich Amborns 'Und dennoch Ja zum Leben' zeichnet das Leben eines_r Protagonist_ in nach, dessen Geschlechtsidentität immer wieder infrage gestellt wird. Das Buch erschien 1981 unter einem Pseudonym und erzählt von Ereignissen, die von 1914 bis 1933 stattfanden. Gattungsspezifisch ist der Text weder der Autobiographie noch dem Roman eindeutig zuzuordnen. Mal aus der Ich- Perspektive, mal mithilfe einer auktorialen Erzählinstanz werden die Geschehnisse aus dem Leben von Martina erzählt. Bei der Geburt im ausgehenden 19. Jahrhundert wird Martina dem weiblichen Geschlecht zugeordnet. Später jedoch nimmt sie – nun als ›er‹ – den Namen Martin, dann den Namen Toni an. Im Berlin der 1920er Jahre unterzieht er sich schließlich experimentellen chirurgischen Eingriffen zur Anpassung des Geschlechts. Anhand dieses Textes untersucht dieser Beitrag welche gesetzlichen und zugleich symbolischen und performativen Legitimationsmechanismen zur Regulierung von Transgeschlechtlichkeit im Text thematisiert werden, und wie sich diese Regulierungen auf den sozialen Status des_r transgeschlechtlichen Protagonist_ in auswirken. Von besonderer Bedeutung wird hier die Vergabe oder Aberkennung des Namens hervorgehoben, durch den die enge Verflechtung von Körperlichkeit und Geschlechtsidentität zementiert beziehungsweise erodiert werden kann.
Traditionell beziehen sich Kulturgeschichten auf Länder beziehungsweise Kulturräume, zum Beispiel Europa, jedenfalls zumeist auf das feste Land mit seiner Geschichte und seinen wechselhaften Grenzziehungen.1 Kaum gibt es aber Kulturgeschichten der Wassergebiete der Erde, obwohl diese über siebzig Prozent der Erdoberfläche ausmachen. Zumeist gelten Meere, Seen, Flüsse als Hindernisse oder Verbindungswege zwischen den Landmassen oder ganz einfach als Grenzen, die jedoch per se immer auch ihre Überschreitung verlangen. Aber findet Kulturgeschichte nur auf dem Lande statt? Oder impliziert das Wasser samt seiner Fluidität auch ein Problem für unsere Art der Geschichtsschreibung und die dahinterstehende Erkenntnistheorie?
Literatur und Kunst sind schon immer ein Barometer des Kultur- und Mentalitätswandels in der Gesellschaft gewesen. Auch heute reagieren Künstler_innen auf Veränderungen in der 'postmodernen' Welt, die sich auf solche Stichpunkte bringen lassen wie Globalisierung, Migration, Grenzüberschreitungen zwischen Nationen, Kulturen und Sprachen, Auflösung fester Identitäten. Mit künstlerischen Mitteln wird zudem – affirmativ, kritisch, ironisch – auf theoretische Konzepte Bezug genommen, mit denen Kulturwissenschaftler_innen die neuen sozialen, kulturellen und ökonomischen Lebensformen beschreiben. Zu diesen Konzepten gehört die auf Welsch zurückgehende Transkulturalität. Die damit eingeführte neue Sicht auf Kulturkontakte löst seit den 1990er Jahren zunehmend die Idee der Interkulturalität und die Prämissen der post-colonial studies ab, ganz zu schweigen von der überholten und politisch gescheiterten Multikulturalität.
Ilija Trojanow gelingt es in seinem Roman 'Der Weltensammler' mit der Reflexion der wandelbaren Identität des Briten Richard Burton bewusst zu machen, dass sich die Identität von Kulturen im globalen Raum durch interkulturelle Interaktionen, Assimilation und Integration ausbildet, auch wenn dies im 19. Jahrhundert noch ein Vorrecht des Westens zu sein scheint. Heute ist es für beide Seiten – sowohl für Europäer als auch für Nichteuropäer – unumgänglich, die Rolle des 'Anderen' einzunehmen, um ein Bewusstsein von Identität zu entfalten, das der Dynamik und Flexibilität der heutigen kulturellen Bewegungen von Menschen und Gesellschaften im Kontext von Globalisierung entspricht. Trojanow wollte mit seinem Roman 'Der Weltensammler' ein Buch schreiben, "ein Buch über die Möglichkeiten kulturellen Verstehens und die Möglichkeiten, eine dynamische kulturelle Identität zu leben." (Trojanow 2006) Er wollte aber auch durch die intensive Beschäftigung mit der historischen Figur Richard Burton darauf aufmerksam machen, dass er durch das Schreiben und in der Rekonstruktion der Persönlichkeit Richard Burtons zu einer neuen Selbsterkenntnis gelangt ist: "Je mehr ich recherchiere, desto mehr interessiert mich die Wirklichkeit von anderen. Ich bin fasziniert, wie das Schreiben mir hilft, eigene Vorurteile und Verengungen zu überwinden, wie sehr der kreative Prozeß mich selber in Frage stellt." (Trojanow 2008: 94)
'Arbeit und Müßiggang' in der Literatur? Die Berechtigung der Themenstellung scheint evident, denn schon ein flüchtiger Blick in die Initialtexte der abendländischen Tradition erweist, wie sehr das westliche Denken von seinen Anfängen her über den Binarismus von Arbeit und Müßiggang gesteuert worden ist. Dies gilt zunächst für die jüdisch-christliche Schöpfungsmythe, welche den nachparadiesischen Menschen nicht nur zur Arbeit verdammt ("Verflucht sey der Acker vmb · deinen willen/ mit kummer soltu dich drauff neeren dein Leben lang / Dorn vnd Disteln sol er dir tragen / vnd solt das Kraut auff dem felde essen. Jm schweis deines Angesichts solm dein Brot essen" [Gen 3,17-19]), sondern ihm zudem abverlangt, die Mühsal des Broterwerbs in dem Bewusstsein zu verrichten, dass sie eine Strafe für die Übertretung der göttlichen Ordnung darstellt. Denn das Vermögen zur Unterscheidung von 'Gut und Böse' ist es ja, das der Mensch durch die Übertretung des göttlichen Gebotes erwirbt ("Da sprach die Schlang zum Weibe / Jr werdet mit nicht des tods sterben / Sondern Gott weis / das / welchs tags jr da von esset / so werden ewre augen auff gethan / vnd werdet sein wie Gott / vnd wissen was gut vnd böse ist" [Gen 3,4f.]). Wer nachparadiesisch müßig geht, wird nicht nur darben, sondern verstößt gegen das über den Menschen verhängte Arbeitsgebot und missachtet damit, zum zweiten Mal, die Autorität des die Ordnung der Welt setzenden Schöpfergottes. Wer hingegen arbeitet, der akzeptiert die über das Menschengeschlecht verhängte Strafe und bejaht, den ursprünglichen Verstoß bereuend, die Schöpfungsordnung. So ist mit der Vetreibung des Menschen aus dem Paradies nicht nur die Mühsal der Arbeit gesetzt, sondern ebenso der Binarismus von Arbeit und Müßiggang als ein den abendländischen Diskurs prägendes Unterscheidungswissen von einem gottgefälligen und einem gotteslästerlichen Leben.
In diesem Beitrag möchte ich den Zusammenhang von Lebendigkeit und Unsterblichkeit in den Weltvorstellungen und Kunstwerken der frühen russischen Avantgarde in St. Petersburg genauer betrachten. Künstlerinnen und Künstler wie Pavel Filonov, Elena Guro, Nikolaj Kul'bin und Michail Matjušin teilten die Überzeugung, dass die Kunst ein Medium sein könne, die Strukturen des Kosmos in seinen sichtbaren materiellen wie seinen unsichtbaren nichtmateriellen und energetischen Aspekten zu enthüllen. Diese Künstler machten die Entwicklungsprozesse, Kräfte und Formen der Natur zum Modell ihres künstlerischen Schaffens; ihre organische Ästhetik wurde von ihren pantheistischen, neovitalistischen oder monistischen Anschauungen und vom Evolutionsgedanken beeinflusst. Sie verbanden unmittelbare Naturbeobachtung mit wissenschaftlichem Denken und mit einem starken Interesse an der Natur der menschlichen Seele sowie an psychophysiologischen Fragestellungen. Künstler wie Filonov, Guro, Kul'bin und Matjušin betrachteten den Menschen als integralen Bestandteil der Natur; sie waren überzeugt, dass das menschliche Dasein den Gesetzen der Natur unterworfen sei und sich ihre künstlerische Tätigkeit an den Gesetzen der Natur ausrichten müsse.
Auch wenn die Immortalisten von Gavdos in ihrer Konzeptualisierung des Todesproblems insofern eine skeptische Haltung gegenüber der biologischen bzw. medizinisch-technischen Modellierung der Unsterblichkeitsproblematik beziehen, als sie den Tod nicht über den Funktionsverlust einzelner Bestandteile des Körpers, sondern über seine physiologische Bedeutung hinaus als gesellschaftliches und das heißt auch zwischenmenschliches Phänomen wieder in den Fokus rücken, sind auch sie nicht frei vom Pathos der Idee eines Neuen Menschen. Dass in ihren Texten die Frage nach der Unsterblichkeit die Konturen einer gemeinschaftlichen Praxis bekommt, sollte nicht den Blick auf die Tatsache verstellen, dass die 'Rückbesinnung' der Immortalisten von Gavdos auf die antiken Wurzeln des Unsterblichkeitsglaubens in erster Linie eine geradezu mythopoietische Konstruktionsleistung darstellt, an deren Ende die schöpferische Erfindung und nicht das Auffinden einer antiken Unsterblichkeitstradition steht: Die Besinnung auf das 'Ursprüngliche' wird hier zum Modus der Gegenwartsbewältigung verklärt, die Vergangenheit des europäischen Homo immortalis zur Zukunft der Menschheit erklärt.
In seiner programmatischen Schrift 'Cybernetics: Or Control and Communication in the Animal and the Machine' von 1948 äußerte Norbert Wiener die Überzeugung, dass sich organische Systeme in kybernetisch-technische Prinzipien übertragen ließen. Biologie sei letztlich Code und Information, der Mensch ein Informationssystem. Vor dem Hintergrund dieser Grundannahme der Kybernetik, der Theorie und Modellierung von Regelungs- und Steuerungsvorgängen komplexer Systeme, wurden in der Folge auch verschiedene Wege zur Unsterblichkeit thematisiert und in trans- und posthumanistischen Unsterblichkeitsutopien zugespitzt, die sich im Wesentlichen zwei Teilbereichen der Biokybernetik zuordnen lassen: der medizinischen Kybernetik und der Neurokybernetik.
Der Golem ist keine Prager Figur, sondern eine verbreitete jüdische Legende. Dennoch sind die Stadt und der Golem nirgends so miteinander verwachsen wie in Prag. "Golem-City" nennt denn auch Louis Armand 2016 in seinem Roman The Combinations die böhmische Metropole. Diese Verschmelzung von Raum und Figur zur 'Golem-City' möchte ich am Prager Underground zeigen. Dabei handelt es sich um eine vielgestaltige, in der ČSSR weitgehend verbotene, poetologisch durchaus inhomogene Kunstrichtung der 1980er Jahre.
[Ich] will [...] im Folgenden zwei weniger bekannte dys-/utopische Prosatexte miteinander vergleichen, und zwar Prazdnik bessmertija (1912; Tag der Unsterblichkeit) von Aleksandr Bogdanov und Pronalazak Athanatika (1957/1975; Die Erfindung des Athanatik) von Vladan Desnica. Bogdanov gilt als Pionier der modernen Science- Fiction-Literatur in Russland, Desnicas intellektuelle Prosa, die eng mit der kulturellen Tradition Dalmatiens verbunden und überdies in verschiedene psychologische Diskurse eingebettet ist, nimmt ihrerseits einen festen Platz in der jugoslawischen Literatur ein. Die beiden Werke eignen sich für eine komparatistische Analyse insbesondere deshalb, weil sie frühe Beispiele für den Unsterblichkeitstopos in der Science-Fiction-Literatur darstellen.
Konstantin Ėduardovič Ciolkovskij (1857–1935), ein menschenscheuer, fast tauber Sonderling aus der Provinzstadt Kaluga, der als Lehrer für Mathematik und Physik an einer Realschule sein bescheidenes Auskommen fand, gilt als 'Großvater' des sowjetischen Raumfahrtprogramms. Seit den späten 1870er Jahren suchte er nach Wegen, wie der Mensch die Gravitation überwinden und in den 'freien Raum' gelangen könne. Zunächst dachte er daran, die Fliehkraft zu nutzen, doch erkannte er 1896, dass zum Vordringen in den Weltraum nur ein Flugapparat mit Rückstoßantrieb geeignet sein werde. Im selben Jahr schlug er in einem Zeitungsartikel vor, mit den Bewohnern anderer Planeten Kontakt aufzunehmen. Zu Ciolkovskijs wegweisenden Raumfahrtideen gehören die Entwürfe mehrstufiger Raketen ('Raketen-Züge') mit flüssigem Treibstoff, die Pläne bemannter autarker Raumstationen ('Kosmokolonien') sowie die Beschreibung der Überlebensbedingungen in Raumfahrzeugen.
Die biopolitischen Projekte der Lebensverlängerung und Todesüberwindung im Kontext der russischen Moderne legen geradezu nahe, sie unter dem Label einer 'Fortschrittsutopie' zu subsumieren. Es ist ein in der Kultur- und Wissenschaftsgeschichte regelmäßig wiederkehrender Tenor, die Hoffnung auf die Erlangung der Unsterblichkeit mit wissenschaftlich-technischen Methoden als Inbegriff und Gipfel des maßlosen Fortschrittsglaubens der Neuzeit zu betrachten. Dabei gelten Russland und erst recht das sowjetische Imperium als Brutstätte und Experimentierfeld utopischen Denkens. In der Tat verband sich mit dem kommunistischen Projekt des Neuen Menschen eine quasi-eschatologische Verheißung der diesseitigen Erlösung. Dabei richteten sich anfangs alle Erwartungen darauf, dass die medizinische Wissenschaft Pathologien, Leiden und selbst den (vorzeitigen) Tod ein für alle Mal verschwinden lassen werde. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass die parteioffizielle Ideologie ein ambivalentes Verhältnis zur Idee der Unsterblichkeit hatte und der sogenannte wissenschaftliche Immortalismus in der Sowjetunion nie wirklich Fuß fassen konnte. Diesen Ambivalenzen widmet sich der vorliegende Beitrag aus wissenschaftshistorischer Perspektive.
Der epistemologische Wandel in der Biologie Mitte des 19. Jahrhunderts brachte das Postulat einer "potentiellen Unsterblichkeit" physischer Lebewesen hervor. Dieses komplementierte nicht nur vielfältige metaphysische und religiöse Vorstellungen seit der Antike, sondern verunsicherte einmal mehr die Begriffe vom Leben und vom Tod. Es traten Organismen in den Fokus der Aufmerksamkeit, die sich vollständig selbst regenerieren oder extreme Lebensumstände durch Anabiose überdauern konnten, nicht alterten, durch Teilung ewig fortlebten und keine Leiche hinterließen, kurzum: bei denen nicht mehr von einem natürlichen Tod die Rede sein konnte. Ergründet wurde, warum bei komplex strukturierten Organismen anders als bei einfachen das genetische Programm der Zellen deren Altern und Absterben bestimmt – eine Funktion, die sich als eng an die zweigeschlechtliche Fortpflanzung geknüpft erwies –, und warum die Verlängerung der Fortpflanzungsperiode Langlebigkeit hervorrief. In diesem Kontext wurde ein neuer Topos geschaffen: der Tod als Krankheit bzw. Defekt des Menschen, den es zu heilen und zu beheben galt. Und zugleich stellte sich die Frage nach einer Übertragung biologischer 'Unsterblichkeitstechniken' auf den nach Optimierung und Vervollkommnung strebenden Menschen.
Die Geschichte der europäischen Integration wird in der Regel als Erfolgsgeschichte erzählt, vor allem als wirtschaftliche Erfolgsgeschichte, die sich in Folge kluger und aus historischer Erfahrung getroffener Entscheidungen ergeben habe (vgl. Loth 2014; vgl. auch Mittag 2008). Der Zweite Weltkrieg habe endgültig gezeigt, dass das durch zahlreiche Nationalstaaten gekennzeichnete Europa, sollte es nicht zusammenarbeiten, zu verheerenden Konflikten neige. Und die Zusammenarbeit sei nicht nur politisch klug; sie zahle sich zusätzlich wirtschaftlich aus. So seien allen Teilnehmerstaaten auch in einem ganz ordinär materiellen Sinne Profiteure der europäischen Einigung, die in dieser Logik dann auch gar nicht weit genug gehen kann, bedingen sich hiernach doch das politisch Sinnvolle und das ökonomisch Erfolgreiche gegenseitig – und zwar genau in der Form der supranationalen Organisation, die die Europäische Union mittlerweile angenommen hat. Liest man einen Satz der Bundeskanzlerin Angela Merkel so, dann ist die europäische Integration nach Brüsseler Art deshalb alternativlos, weil es kein vergleichbares Erfolgsmodell gibt. Aus der zunächst durch das Leid des Krieges geprägten Bereitschaft zur Zusammenarbeit ist unter der Hand eine Art Sachzwang geworden, denn von der einmal eingeschlagenen Straße der Integration kann man in dieser Sicht nur unter erheblichen Wohlstandsverlusten und politischen Risiken abweichen.
In dieser Sachzwanglogik war allerdings die Euro-Krise nicht vorgesehen. Sie konnte im strengen Sinne auch gar nicht passieren, war doch die weitere Vertiefung der europäischen Union zur Währungsunion in den 1990er Jahren gerade damit begründet worden, dass derartige Krisen zukünftig ausgeschlossen seien (vgl. Tietmeyer 2005). Dass die Politik auf sie zunächst überrascht, fast panisch und dann durch konsequentes Vorantreiben der institutionellen und finanziellen Integration reagiert hat, zeigt auch, dass hier ein Denken vorherrscht, das nach dem Motto funktioniert, es könne doch nicht sein, was nicht sein dürfe. ...
Students of computer science studies enter university education with very different competencies, experience and knowledge. 145 datasets collected of freshmen computer science students by learning management systems in relation to exam outcomes and learning dispositions data (e. g. student dispositions, previous experiences and attitudes measured through self-reported surveys) has been exploited to identify indicators as predictors of academic success and hence make effective interventions to deal with an extremely heterogeneous group of students.