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Grenzüberschreitungen : Tabu-Wahrnehmung und Lach-Inszenierung in mittelalterlicher Literatur
(2009)
In einem ersten Schritt soll nach ästhetischen Strategien der Wahrnehmung und Inszenierung von Tabu und Tabubruch in hoch- und spätmittelalterlichen Texten aus den Bereichen Roman, Lyrik und Schauspiel gefragt werden. Im ›Parzival‹ Wolframs von Eschenbach, in den Liedern Neidharts,im ›Ring‹ Heinrich Wittenwilers und auch in Nürnberger Fastnachtspielen kommen aggressive sexuelle Handlungen zur Sprache. Im Zentrum der folgenden Ausführungen steht der männliche Übergriff auf den weiblichen Körper, der Griff an das Geschlecht, als symbolische Geste für diesen Typ von Grenzüberschreitung. Schon im ›Parzival‹ ist die Spannung zwischen Strategien der Vermeidung (als Folge gesellschaftlicher Tabuisierung) und Strategien der Wahrnehmung von sexuellen Übergriffen (als Folge ästhetischer Reflexion von Tabuisiertem) als komisches Vexierspiel zwischen Erzählhandlung und Erzählerkommentar erfahrbar. Neidhart gilt als derjenige, der dem unerlaubten Griff einen neuen Kontext, das bäuerliche Milieu, schafft. Seine Liedkunst gewinnt dadurch eine neue Spannungsdimension, eine neue Quelle komischer Effekte und einen neuen Raum der Reflexion. Das Tabu des sexuellen Übergriffs scheint in der Welt der Bauern nicht mehr von Bedeutung; als ein gravierender Akt der Störung von sozialen Vereinbarungen existiert es jedoch fort. Die triebgesteuerte Bauernwelt ist dann im ›Ring‹ auf der einen Seite mit der Sphäre gelehrten Wissens konfrontiert, auf der anderen in eine Perspektive von Krieg und Selbstvernichtung gerückt. Motive aus Neidharts Liedern, auch der sexuelle Übergriff, rücken auf diese Weise in eine andere Wahrnehmungsperspektive. Kultureller Kontext der Fastnachtspiele ist die Fastnacht als Fest der Grenzüberschreitung und der Verkehrung. Die Imagination von aggressivem sexuellem Verhalten, auch und gerade von Übergriffen der besprochenen Art, ist ein wichtiges Element der temporären Suspendierung von körperbezogenen Tabus.