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Der Sammelband von Claudia Garnier und Christine Vogel widmet sich vormoderner interkultureller Ritualpraxis. Dafür haben die beiden Historikerinnen ein einigermaßen abgegrenztes Feld gewählt, nämlich die im Untertitel genannte "diplomatische Interaktion an den östlichen Grenzen der Fürstengesellschaft", was vor allem das Großfürstentum bzw. Zarenreich Moskau sowie das Osmanische Reich umfasst. Garniers und Vogels Einführung (7–17) umreißt knapp und lesbar die Forschungsfragen des Bandes, der aus einer 2012 an der Universität Vechta abgehaltenen Tagung hervorgegangen ist. Dass der kompakte Band zwei Schwächen aufweist, ist Ergebnis der kongruenten Perspektiven seiner Beiträge, die zugleich seine Qualität begründen. ...
Mónica García-Salmones Rovira hat ihr – mittlerweile preisgekröntes – Buch als "The Project of Positivism in International Law" betitelt. Das klingt etwas schmissig und zugleich verlockend rätselhaft. Wessen Projekt war es, wann gab es das und was ist davon zu halten? Die Verfasserin setzt keinen Untertitel dazu, der dem Leser einen erläuternden Hinweis geben könnte. Die eigentliche Überraschung ist, dass sich nach Lektüre der rund 400 Seiten beide Eindrücke sogar verstärkt haben: Das Buch-Ende wartet im Anschluss an die völkerrechtshistorische Darstellung mit einer persönlichen Positionierung der Autorin gegenüber ihrem Gegenstand auf, die eine akzentuiert kritische Haltung offenlegt und den Leser nochmals zum Nachdenken bringt. ...
Die "Grundrechte der Staaten" sind eine juristische Doktrin, die das Natur- und Völkerrecht der Vormoderne hervorgebracht hat. Der folgende Beitrag rekonstruiert ihre Merkmale, wobei er sich vor allem der Tradierung dieser Doktrin im 19. Jahrhundert widmet. Skizziert werden sollen die Voraussetzungen dieser Konstruktion, die ihre Ausformulierung in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts fand; im Hauptteil folgen einige Bemerkungen zu ihrer vollen Entfaltung und Karriere um 1800 und ihrer Fortdauer im 19. und 20. Jahrhundert. Gefragt wird, welche Vorstellungen über die zwischenstaatlichen Beziehungen sich in ihr abbildeten und wie diese normativ begründet wurden. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf der Rechtsquellenlehre des klassischen Völkerrechts, welche diese offenkundig naturrechtliche Vorstellung von der Existenz der "Grundrechte der Staaten" auch in jenen Epochen weitgehend unangetastet ließ, die vielfach als "positivistisch" etikettiert werden. ...
Juristischer Polyzentrismus : wie unterrichtet man vergleichende europäische Rechtsgeschichte?
(2010)
Auch Fragen, die offen klingen, können Suggestionen enthalten. "How to teach European comparative legal history?" lautete der Titel eines Workshops, der vom 19. – 21. August 2009 im südschwedischen Lund stattfand. Eingeladen hatten die örtlichen Rechtshistoriker Kjell Å. Modéer und Per Nilsén. Die Vorannahme, die der Titel transportierte, wurde durch das einleitende Referat Modéers begründet und als Imperativ bekräftigt: Ja, wir sollen vergleichende europäische Rechtsgeschichte lehren! Modéer scheint die europäisch-vergleichende Perspektive in diesen Zeiten hochgradig angemessen, da sie nationale Kurzsichtigkeiten und Engführungen überwinde. Den Wandel skizzierte er mit den Stichworten der Europäisierung des Rechts, der Internationalisierung der Studenten in den universitären Kursen und gesellschaftlich allgemeiner mit den zunehmenden Konflikten der Kulturen sowie der "postkolonialen Situation". Juristisch habe sich die Perspektive von der Pluralität der Rechtssysteme hin zur Pluralität der Rechtsordnungen gewandelt. Unter diesen Umständen sollten, so Modéers Credo, Rechtsgeschichte und Rechtsvergleichung kooperieren und neue Perspektiven auf das Recht entwickeln. Immerhin gebe es ja Theorien der Rechtsvergleichung, allerdings lehre die Erfahrung, dass sie im Unterricht entweder dominierten oder fehlten. Wie aber soll der Rechtshistoriker dieses Programm in der Lehre umsetzen?
Die Augsburger historische Dissertation von Andreas Toppe ist aus dem Projekt "Wehrmacht in der nationalsozialistischen Diktatur" des Münchner Instituts für Zeitgeschichte hervorgegangen. In der Einleitung legitimiert sich der Verfasser durch die gesellschaftlichen Diskussionen, welche im Zusammenhang mit der sogenannten Wehrmachtsausstellung Mitte der 1990er Jahre entstanden. Sie hätten gezeigt, so Toppe, dass "die deutschen Kriegsverbrechen hauptsächlich nach den moralischen Kategorien der'Nachgeborenen' bewertet werden, nicht aber nach den damals herrschenden Maßstäben des international gültigen Kriegs- und Völkerrechts" (9). Das Buch will demnach zu einer Verrechtlichung des Werturteils beitragen, diese Verrechtlichung wiederum soll dann eine "sachlich korrekte Verortung der Wehrmacht in der Geschichte" ermöglichen, an der es aus Sicht des Verfassers wohl fehlt; klar gesagt wird dies jedoch nicht. ...
Dieser Sammelband ist ein weiteres Beispiel für die anhaltende Verdrängung rechtlicher Perspektiven im kriminalitätshistorischen Forschungsfeld. Geschichtstheoretische Konjunktur haben nun die Begriffe "Diskurs", "Debatte" und "Verwissenschaftlichung". Fragen von Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit, ja überhaupt juristische Norm-Begriffe spielen im Gegensatz zu sozialen Normen und Normalitäten keine Rolle mehr. Den beiden Herausgeberinnen ist jener Trend, dessen Teil sie sind, durchaus bewusst. Die "Abgrenzung von der älteren, überwiegend positivistischen Strafrechtsgeschichte" wird von ihnen kompetent, sachlich und ohne Polemik eingangs notiert (9), da es keine Schlacht zu schlagen gab und gibt. Aber auch Kooperationsmöglichkeiten scheinen aktuell zu dünn gesät, um sie wahrzunehmen. Die Juristen haben das Feld anderen Disziplinen überlassen und sind in der Forschung schwächer denn je vertreten; in diesem Band repräsentiert sie nur Lars Hendrik Riemer, der infolge seines Doppelabschlusses freilich auch von den Historikern für sich reklamiert werden könnte. ...
Das rundum gelungene Buch der Münsteraner Historikerin Barbara Stollberg-Rilinger überzeugt auch deswegen, weil es ein sympathisch zu nennendes Verhältnis von Anspruch und Wirklichkeit aufweist. In der Einleitung, wo gerne programmatische Versprechungen erfolgen, die Autoren später im Buch nur bedingt wissenschaftlich einlösen, entfaltet Stollberg-Rilinger ihre Forschungsidee. Es heißt dort bescheiden, das Buch wolle eine "neue Perspektive" für eine "alternative Verfassungsgeschichte" öffnen, aber solle diese noch nicht selbst sein (18). Zumeist stimmen solche Sätze nicht, weil der Anspruch in der folgenden praktischen Umsetzung unterschritten wird; hier hat man eher den umgekehrten Verdacht. Denn Stollberg-Rilinger realisiert ihre theoretischen Leitlinien so umsichtig, konsequent und auch umfassend, dass bezüglich der Vormoderne damit mehr als nur Bausteine einer alternativen Verfassungsgeschichte vorliegen. ...
Im Spätherbst 2007 wurde in Mannheim eine Ausstellung mit früher bundesrepublikanischer Polizeifotografie eröffnet, die bis zum April 2008 gezeigt wurde. Die Bilder waren dabei über zwei Ausstellungsorte verteilt, denn die Schau fand sowohl im Museum Weltkulturen der Reiss-Engelhorn-Museen als auch im ersten Stock des Mannheimer Polizeipräsidiums statt. Die Besucher konnten somit ganz praktisch über die grundlegende Frage reflektieren, ob die Umgebung einer Ausstellung unmittelbare Rückwirkung auf die Wahrnehmung der Inhalte durch ihre Betrachter hat. ...
Staaten sind nicht gleich. Sie unterscheiden sich in Größe, innerer Verfassung und äußeren Beziehungen. Dennoch gibt es gute Gründe, auf die Fiktion der Gleichheit zurückzugreifen, wie es das moderne Völkerrecht vielfach tut. Dieses moderne Völkerrecht wiederum ist maßgeblich ein Produkt europäisch-amerikanischen Rechtsdenkens. Harald Kleinschmidt hat ein kleines, aber gehaltvolles Buch geschrieben, in welchem nicht etwa ein weiteres Mal emphatisch der Wert der juristischen Fiktion herausgehoben wird oder rechtstatsächliche Ausweitungen des Gleichheitspostulats angemahnt werden, im Gegenteil: Kleinschmidt widmet sich dem fragwürdigen Gebrauch und offenkundigen Missbräuchen dieser Gleichheitsfiktion im völkerrechtlichen Vertragswesen des 19. Jahrhunderts. Die "Ungleichen Verträge", von denen auch der Buchtitel spricht, bezeichnen dabei nicht allgemein eine Gattung im völkerrechtlichen Vertragswesen, sondern meinen speziell eine Fallgruppe ab der Mitte des 19. Jahrhunderts, die die geografisch auf Fernost fokussierte Studie tatsächlich auch untersucht. Dieser inhaltliche Bezug wäre klarer geworden, wenn die Formel konsequent in Majuskeln wiedergegeben worden wäre, wie es typografisch sonst vielfach geschieht. ...
Im seinerzeit in ganz Europa für seine Kriminologie berühmten Graz gründete sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine neue Teildisziplin. Diese schaffte es 1927 zu einer eigenen Untersuchungsstelle, an der Theorien entworfen und Praktiken erprobt wurden, denn nebenan befand sich eine Männerstrafanstalt. Studenten und Professoren traktierten die Insassen mit Untersuchungsbögen, anhand derer Persönlichkeitsprofile erstellt und Rückfälligkeitsprognosen ausgesprochen wurden. Der Grazer Historiker Christian Bachhiesl verfolgt anhand dieses kleinen Faches eine große Frage. Das kleine Fach ist die Kriminalbiologie, und die große Frage lautet: Was ist Wissenschaft? ...