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Weimarer Beiträge 67/2021
(2021)
Die Weimarer Beiträge sind eine Zeitschrift für Literaturwissenschaft, aktuelle ästhetische Theorie und Kulturwissenschaft. Zu Ihren Schwerpunkten gehören moderne Literatur im Rahmen anderer Künste und Medien, die Wechselbeziehungen von Literatur, philosophischer und ästhetischer Reflexion sowie die kritische Analyse der Gegenwartskultur.
Archiv und Kanon" war der Titel eines Workshops, zu dem sich vom 10. - 12. Mai 2023 Mitglieder des interdisziplinären Netzwerks #breiterkanon trafen. Neben allgemeineren Fragestellungen nach Repräsentation und Marginalisierungen im Archiv beschäftigte sich die Gruppe im Rahmen konkreter Forschungsfragen mit einzelnen Autorinnen und Autoren - u.a. Therese Huber, Charlotte von Ahlefeld, Gabriele Tergit, Louise von Ploennies, Friederike Hauffe und Wilhelmine von Hillern - sowie mit thematischen Fragestellungen zu Metadaten und Mehrsprachigkeit, der Neu-Edierung von Autorinnen des 20. Jahrhunderts, u.a.m.
Für einen Impulsbeitrag aus dem DLA zum Thema Metadaten wurden kleinere Auswertungen auf Basis der Katalogdaten des Marbacher Katalogs erstellt, die in diesem Blogbeitrag vorgestellt werden.
Am 6. August 1975 lädt der Verlag Roter Stern in Frankfurt am Main zu einer Pressekonferenz ins Hotel Frankfurter Hof. Hier präsentieren der Verleger KD Wolff, ehedem Bundesvorsitzender des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes, und der ehemalige Werbegrafiker D.E. Sattler den Einleitungsband ihrer neuen Hölderlin-Ausgabe. Die zwanzigbändige Edition soll in fünf Jahren abgeschlossen sein; tatsächlich erscheint der letzte Band 2008. Aufsehenerregend war die neue Ausgabe vor allem wegen ihrer Editionsprinzipien: Alle Handschriften werden im Faksimile wiedergegeben, eine "typographische Umschrift" bildet die Schriftbildlichkeit der Handschriftenblätter ab, eine "Phasenanalyse" macht den zeitlichen Charakter des Entwurfsprozesses nachvollziehbar. Aufsehenerregend war aber auch, dass die Frankfurter Hölderlin-Ausgabe (FHA) von Anfang an unter einem politisch-aktivistischen Stern stand: "Roter Stern über Hölderlin" oder "Liest Marx jetzt Hölderlin?" lauteten einschlägige Überschriften in der Presse.
So abenteuerlich die Wege von deutschen Exilschriftstellerinnen und -schriftstellern des letzten Jahrhunderts waren, so verworren sind meist auch die Wege ihrer Nachlässe. Selten finden sich alle Manuskripte, Briefe und persönlichen Gegenstände an einem Ort versammelt. Häufig verteilen sich Nachlässe auf verschiedene Orte und Länder. Im schlimmsten Fall hat überhaupt niemand etwas aufbewahrt. Der Nachlass des Schriftstellers und Philosophen Hermann Borchardt (1888–1951) findet sich an zwei Standorten: im Deutschen Exilarchiv 1933–1945 in Frankfurt am Main, wohin ihn der verdienstvolle Exilforscher John M. Spalek überführte, und in der Rubenstein Rare Book & Manuscript Library in Durham, North Carolina. Ein unerwarteter Fund, den mein Kollege Christoph Hesse und ich dort machten, veranlasste uns, Borchardt mit einer Werkedition als wichtigen Schriftsteller des Exils zu würdigen.
Nachdem Gabriele Tergit in den 1930er Jahren als Autorin von Reportagen und einem ersten Roman in der Weimarer Republik sehr erfolgreich gewesen war, wurden ihre Texte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts lange Zeit wenig oder gar nicht rezipiert. In den späten 1970er Jahren gab es eine erste kleine 'Wiederentdeckung', aber erst seitdem ihre Werke seit 2016 im Schöffling Verlag unter der Herausgeberschaft von Nicole Henneberg neu aufgelegt bzw. zum Teil überhaupt erstmals veröffentlicht werden, erfährt Tergit eine späte Anerkennung und Rezeption als eine große Autorin der Weimarer Republik und des Exils.
Im 'neuen deutschland' nimmt der Kritiker Björn Hayer am 9. Februar 2023 Stellung zur Tatsache, dass die Autorin Judith Zander den mit 15.000 € datierten Huchel-Preis gewonnen hat. Dieser Text hat ein einziges Ziel, auch wenn er behauptet, zwei Anliegen zu verfolgen, wie Hayer bei Twitter schreibt: "Der #Huchel-Preis an #JudithZander wirft nicht nur die Frage auf, warum er nicht an begabtere Stimmen geht. Wie ich in @ndaktuell diskutiere, erklärt die Vergabe auch, warum der #Lyrik unserer Zeit die Leser abhanden gekommen sind. #Gedicht #Poesie #Preis". Hier sei behauptet, dass Hayer nur vorgeblich die Lyrik als solche im Blick hat, wenn er sich am Werk einer einzelnen Autorin abarbeitet. Im Folgenden sollen alle Kriterien untersucht werden, die Hayers Offensiv-Text zugrunde liegen. Auf diese Weise kann sich zeigen, dass es ihm in erster Linie darum geht, Zanders preisgekrönten Gedichtband 'im ländchen sommer im winter zur see' als das Gegenteil von 'starker Lyrik' auszuweisen. Die Auswahl der Kriterien, ihr Passungsverhältnis und ihre argumentative Einbettung entlarven Hayers Text als erstaunlich bodenlos.
Betrachtet man die Lesebiographien vieler Schüler:innen und Studierender, so fällt auf, dass diese meistens von weißen, deutschen, männlichen Autoren geprägt sind bzw. ausschließlich aus diesen bestehen. Dies widerspricht jedoch ganz klar der Vielfalt und Diversität der Literaturlandschaft. Angeregt durch das Seminar "Was lesen? Kanonfragen an Universität und Schule" bei Frau PD Dr. Wernli im Wintersemester 2021/22 habe ich mir als Lehramtsstudent und angehender Deutschlehrer folgende Frage gestellt: Inwieweit wird diese ungerechte Geschlechterdifferenz und Unterrepräsentanz von Autorinnen institutionell von unserem Lehrplan Deutsch gefördert und wie verankert ist diese Differenz in unseren Lehrplänen?
Johann Christoph Gottsched hatte als Aufklärer ein zentrales Ziel: Die Bildung der Frau. Denn, wie Steffen Martus in seiner Studie zur Epoche der Aufklärung schreibt, "an Töchtern, Ehefrauen und Müttern erprobte man, wie sich die neue Weltweisheit mit einer neuen Lebenshaltung verbinden" lässt. Wenn der Mensch tatsächlich von Natur aus vernunftbegabt ist, und zwar unabhängig von Stand, Geschlecht und ethnischer Herkunft, dann muss man Frauen auch zu Gelehrten, Dichterinnen oder gar zu Doktorinnen erziehen können. So argumentierten viele Intellektuelle in der Zeit. [...] Wie aber verhielt sich die Programmatik der weiblichen Aufklärung zur sozialen Realität? Welche Chancen hatten gebildete und dichtende Frauen wirklich, gab es die Möglichkeit zur Selbstfindung und Selbstverwirklichung? Oder handelt es sich letztlich nur um Männerphantasien, um leere Gedankengebäude von Akademikern, denen Frauen als intellektueller Spielball dienten? Ich denke, dass gerade die Rolle einer 'femme de lettre', einer gebildeten, selbstbewussten Frau in der Frühaufklärung in der Tat sehr ambivalent war: Man begegnet ihr mit Bewunderung, Anerkennung und Staunen – vom "Wunderthier" wie in einem Kuriositätenkabinett ist oft die Rede -, aber auch mit Misstrauen und Missgunst, Polemik und Sexismus. Diese Ambivalenz lässt sich am Beispiel einer Autorin besonders gut zeigen: Christiana Marianna von Ziegler - Verfasserin saftiger Satiren und sanfter Schäferlyrik, selbstbewusste Salonière und treusorgende Professorengattin, fromme Kantatendichterin und emanzipierte Aufklärungsfeministin.
Afrodeutsche und afrofranzösische Kinder- und Jugendbücher : eine 'ganz, ganz kleine' Literatur?
(2022)
Vor einigen Monaten habe ich auf einer Tagung zu 'Minority Activism' eine Präsentation zu afrodeutscher und afrofranzösischer Kinder- und Jugendliteratur als Form des Aktivismus gemacht. Meine Präsentation hätte gut ins Panel "Activism of, and on behalf of migrants and minorities" oder in "Forms of Engagement" reingepasst, doch die Organisator:innen setzten sie in das Panel "Minority within Minority". Nach anfänglicher Irritation, musste ich mir eingestehen, dass die Organisator:innen der Tagung ein wesentliches Merkmal der afrofranzösischen und afrodeutschen Kinder- und Jugendliteratur (KJL) erkannt hatten: Sie ist eine "minorisierte" Literatur innerhalb einer "minorisierten" Literatur. Kurz, sie ist doppelt, und manchmal sogar dreifach marginalisiert.
Im Sommersemester 2021 habe ich an der Universität Mainz ein Seminar zum Thema "Kanon und Diversität" unterrichtet. Ziel war, meinen eigenen Lektüre-Horizont und denjenigen der Studierenden zu erweitern. Auf das Seminarprogramm setzte ich vor allem Gegenwartsliteratur und auch Neuerscheinungen, die ich gerade gelesen oder noch lesen und diskutieren wollte und von denen ich mir eine Erweiterung des Horizonts erhoffte. Kürzere theoretische Texte und literarische Erzählungen wurden als pdf zur Verfügung gestellt, drei Romane sollten ganz gelesen werden, nämlich Fatma Aydemirs "Ellbogen" (2017), Olivia Wenzels "1000 Serpentinen Angst" (2020) und Sharon Dodua Otoos "Adas Raum" (2021).