Linguistik
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In nur wenigen Jahren wird die Euopäische Union um eine Gruppe osteuropäischer Staaten erweitert werden. Diese Erweiterung birgt Chancen und Risiken. Die Chancen liegen unter anderem in der Erweiterung der Märkte und gegenseitigen Handelsbeziehungen. Voraussetzung hierfür ist allerdings gegenseitiges Verständnis im doppelten Sinn dieses Wortes. Wenn die Menschen sich nicht verstehen, werden auch neue Möglichkeiten nicht genutzt werden können, wenn die Wirtschaft nicht die richtige Sprache findet, kann sie nichts verkaufen. Für alle wirtschaftlichen, kulturellen und gesellschaftlichen Bereiche ist eine funktionierende verbale Kommunikation unerläßlich. Wie viel mehr gilt dies für grenzüberschreitende Beziehungen. Die Erweiterung der EU wird nur dann in eine Integration der neuen Kandidaten münden können, wenn die Verständigung zwischen allen Beteiligten gesichert ist. In dem vorliegenden Bändchen weisen die Autoren nach, dass nur durch Sprachkultur und eine einschlägige Forschung, die auch die kulturspezifischen Konnationen mit berücksichtigt, eine interkulturelle Sprachkompetenz erworben werden kann. In der Sprachenvielfalt eines vereinten Europa wird eine solche Kompetenz mehr denn je gefragt sein. Welche Wege uns diesem Ziel näher bringen und welche Möglichkeiten die deutsche Sprache hat, der wachsenden Sprachkonkurrenz international zu begegnen, das ist die Fragestellung der hier publizierten Studien, die dazu eine Fülle von Vorschlägen, Empfehlungen und Anregungen beisteuern. Die Arbeiten sind Ergebnisse des forost-Projektes "Sprachkultur und Sprachkultivierung in Osteuropa – ein paradigmatischer Vergleich", das sich innerhalb der Gruppe III des Forschungsverbundes "Nationale Identität, ethnischer Pluralismus und internationale Beziehungen" dieser Thematik gewidmet hat.
Die Sprachsituation der deutschen Schweiz, wo die Mundarten den großen Teil der gesprochenen Sprachrealität darstellen, bietet ein weites Feld für Erforschung der gesprochenen Sprache. Die starke Position der Mundarten und die weitgehend mündliche Überlieferung machen sie für die Sprachwandelforschung interessant. Nachdem die Erforschung von Sprachwandel lange auf der Rekonstruktion gesprochener Sprache aus Schriftzeugnissen beschränkt war, kann seit dem wissenschaftlich reflektierten Festhalten gesprochener Sprache in Transkripten und seit der Möglichkeit zur Tonarchivierung auf historische Zeugnisse gesprochener Sprache zurückgegriffen werden. So kann die primäre Sprachform berücksichtigt werden. Denn obwohl Lautwandel lange der zentrale Bereich der Sprachgeschichtsschreibung war und die Sprachgeschichtsschreibung weitgehend vom "Primat des Sprechens" (Sonderegger 1979, 11) ausgegangen war, musste sie sich lange mit Schriftzeugnissen abfinden, die nur Reflexe gesprochener Sprache darstellten.
Die Abduktion als Spiel
(2002)
Die Bewegung des Spiels als "Hin und Her" gleicht der abduktiven Bewegung des provisorischen Hypothesenaufstellens. Dies zeigt sich sowohl bei den Prozeduren und Prozessen wissenschaftlichen Rätsellösens, als auch beim freien Gedankenspiel, dem "musement", das Peirce explizit an das "ästhetische Spiel" Schillers anschließt.
Der Beitrag dokumentiert die linguistische Sonderposition, die Bern in der schweizerdeutschen Sprachlandschaft hinsichtlich der soziolinguistischen Varianz einnimmt. Dabei steht nicht die linguistische Analyse der Stadtberner Soziolekte und deren exakte Abgrenzung voneinander im Vordergrund, sondern die Einstellungen, die die Mundartsprecher den ihnen bekannten Varietäten gegenüber äußern. Das Bild, das sich aus den Tondokumenten ergibt, wird ergänzt durch Anekdoten aus dem Umfeld linguistischer Auseinandersetzung mit dem Berndeutschen. Insgesamt zeigt sich, dass die soziolinguistische Trennung nicht mehr so stark ist, wie sie im letzten Jahrhundert beschrieben wurde. Markierte Varietäten der Ober- und der Unterschicht verlieren an Prestige und werden abgebaut.
Sociolinguistic research has shown that attitudes towards linguistic variants can distinguish different speech communities. The importance of attitudes for an explanation of linguistic change was examined and compared to traditional explanations by sociolinguistic and dialectologic variables. Therefore the dialect of Aarau was investigated, a small town situated between the two cities of Bern (80 km in the west) and Zürich (50 km in the east) in the German speaking part of Switzerland. Bern and Zürich both are centres of a larger dialect region, Aarau lies in the contact zone of these two dialects. Phonetic variables of the idiolect of 55 speakers were compared to historical data and related to their attitudes towards the neighbouring dialects. The findings so far show no significant correlation of attitudes and language change, but further research including morphology will refine the results. The inclusion of attitudes to explain linguistic change can complement the understanding of linguistic change, but it can not explain it.
Die Flexionsmorphologie befasst sich mit der "Beugung" von Wörtern, d. h. mit der systematischen Kombination von (meist) Lexemen mit bestimmten sog. grammatischen Informationen (auch: Flexionskategorien). So wird die Wortart der Substantive im Deutschen mit den Informationen Kasus und vor allem Numerus (Singular und Plural) versehen.
In dem folgenden Beitrag beschäftigen wir uns mit den Merkmalen und Besonderheiten diskursanalytischer Fortbildungskonzepte. Unter diskursanalytischen Konzepten verstehen wir solche, die sich auf die Dokumentation, Transkription und Analyse authentischer Diskurse stützen. Wir beziehen uns hier im wesentlichen auf Fortbildungen im beruflichen Bereich und beschränken uns auf solche, die mündliche Kommunikationsformen zum Gegenstand haben. Maßnahmen für die schriftliche Kommunikation ("Schreibseminare") werden hier also nicht berücksichtigt. Im ersten Teil werden wir allgemeine Merkmale diskursanalytischer Fortbildungskonzepte vorstellen; im zweiten Teil folgt dann eine Darstellung des Standardverlaufs, nach dem diskursanalytische Fortbildung konzipiert und durchgeführt wird.
In dem Beitrag wird der Prozeß der Professionalisierung der Linguistik beleuchtet, indem die Zusammenhänge beschrieben werden, die zwischen linguistisch-diskursanalytischer Forschung an der Universität, der praktischen Anwendung ihrer Ergebnisse im Berufsfeld Kommunikationsberatung und -training sowie der Gestaltung der universitären Ausbildung, d.h. von Lehre und Studium, bestehen. Es werden Möglichkeiten und Wege aufgezeigt, diese drei Elemente enger aufeinander zu beziehen, sie in eine positive Wechselwirkung miteinander zu bringen und dadurch Synergieeffekte zu erzeugen. Die Herstellung und Absicherung solcher positiven Wechselwirkungen ist eine wesentliche Voraussetzung für eine verbesserte Trainings- und Beratungspraxis und zugleich ein Beitrag zur Professionalisierung der Linguistik.
Es wurden Interviews mit hauptberuflichen KommunikationstrainerInnen geführt, um herauszufinden, inwieweit diese sprachwissenschaftliche Theorien, Methoden und Ergebnisse kennen und für ihre Trainings nutzen, wie sie das Verhältnis von Theorie und Praxis der Kommunikation sehen und welche Methoden der Diagnose von Kommunikationsproblemen, Veränderung und Evaluation sie einsetzen. Wie die Befragung zeigt, ist die Distanz zwischen Trainingspraxis und Sprachwissenschaft noch immer sehr groß und haben nur wenige Theorien und Ergebnisse in den Trainingsbereich Eingang gefunden. Die diskursanalytischen Methoden zur Analyse kommunikativer Probleme werden hier bislang kaum genutzt. Eine Konsequenz daraus sollte u.E. sein, daß die Linguistik für eine Kooperation in aktiver Weise attraktive und auf die Adressaten zugeschnittene Angebote machen muß.
Wir wollen im folgenden das Verfahren der Simulation authentischer Fälle (SAF) etwas ausführlicher vorstellen. Es handelt sich um eine Methode, die das Potential diskursanalytischer Trainingskonzeptionen in spezifischer Weise nutzt und die wir bereits mehrfach mit Erfolg verwendet haben. Sie verbindet die Zwecke und Möglichkeiten traditioneller Simulationen, Plan- und Rollenspiele mit spezifischen diskursanalytischen Methoden und deren Vorteilen. Das Verfahren SAF und seine Zwecke werden zunächst allgemein charakterisiert. Dann wollen wir am Beispiel unseres Seminars, das wir 1995 durchgeführt haben, illustrieren, wie wir konkret vorgegangen sind. Schließlich werden einige weitergehende methodische Fragen diskutiert.
Adverbien der Art und Weise im Deutschen und Englischen: zu ihrer Stellung und Interpretation
(2002)
Während es für das Englische seit langem bekannt ist, dass die Interpretation bestimmter ambiger Adverbien von ihrer Stellung abhängt, soll hier gezeigt werden, dass ähnliche Fakten auch im Deutschen zu beobachten sind. Sie können als Hinweis darauf genommen werden, dass bestimmte Adverbialtypen bestimmte Grundpositionen im deutschen Satz haben. Als Beispiel werden in diesem Aufsatz Adverbien der Art und Weise herangezogen, deren Stellungsregularitäten im Englischen und Deutschen auf den ersten Blick völlig unterschiedlich sind. Es wird gezeigt, dass die Stellung dieser Adverbien einer sprachübergreifenden Regularität folgt und dass die zu beobachtenden Unterschiede in der Stellung auf die unterschiedlichen Satzstrukturen des Deutschen und des Englischen zurückzuführen sind.
Barriere Sprachkompetenz : Dokumentation zur Impulstagung vom 2. November 2001 im Volkshaus Zürich
(2002)
Betrachtet man im Rückblick, welche linguistischen Themen in der jüngeren Vergangenheit die Öffentlichkeit bewegt haben, dann fallen einem vor allem die Rechtschreibreform, die Bestrebungen der feministischen Linguistik, die Klage über den Verfall oder Niedergang der deutschen Sprache und in diesem Zusammenhang auch Bedenken gegen einen übermäßigen Anglizismen-Gebrauch im Deutschen ein.
Die vorliegende Arbeit setzt sich mit einer spezifischen Sprach- und Sprachensituation auseinander, die besondere Ausformungen sowie Strukturierungen des Deutschen aufweist und für die ein umfassender und durchdringender soziokultureller sowie sprachlicher Austausch – und als deren Folge Mehrsprachigkeit und Inter- bzw. Transkulturalität – den Bezugsrahmen darstellen. In dieser inter- bzw. transkulturellen „Fugen-Position“ ist das Deutsche weder Mutter- noch Fremdsprache im herkömmlichen Sinne des Wortes. Es handelt sich um Deutsch als Minderheitensprache (nach einer anderen Terminologie: Nationalitätensprache) in Ungarn. Die Sprach(en)verhältnisse der Ungarndeutschen werden seit über 250 Jahren grundlegend durch immer intensiver werdende „Außenkontakte“ mit dem Ungarischen und mit anderen Umgebungssprachen bzw. -varietäten gekennzeichnet: Ungarisch übt seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen sukzessiv erstarkenden Einfluss auf das kommunikative Handeln und dadurch auf das Sprachrepertoire der Ungarndeutschen aus, wohingegen nach 1945 die Einwirkung des Ungarischen besonders massiv wurde. Im Hinblick auf den sog. „geschlossenen“ (m.E. besser: zusammenhängenden) deutschen Sprachraum hat Mattheier (1980: 160) ausgeführt, dass Veränderungen in den Sprachgebrauchsstrukturen eng mit Veränderungen in den sprachlichen Strukturen verbunden sind und dass beide Prozesse gewöhnlich gleichzeitig vor sich gehen. Unter Bedingungen der Mehrsprachigkeit und der Inter- bzw. Transkulturalität gilt dies, wie mir scheint, verstärkt. Denn die Sprachgebrauchsstrukturen der Ungarndeutschen haben sich zugleich aus zweierlei Hauptgründen mehrfach geändert: (a) Zum einen haben die erwähnten lange andauernden und tief greifenden (alle sozialen Domänen erfassenden) sozio- bzw. interkulturellen und sprachlichen Kontakte und die sich aus ihnen ergebenden kommunikativen Muster erhebliche Konsequenzen für die Sprache. Denn Sprachenkontakte lösen „von Haus aus“ nicht unwichtige Veränderungen in den interagierenden Sprachvarietäten aus. Dies betrifft sowohl die sprachlichen Formen, Strukturen und Modelle als auch die Sprach- bzw. Diskursgewohnheiten und darüber hinaus – wie ich meine – sogar das Weltmodell der miteinander in Berührung befindlichen ethnischen Gruppen bzw. Kommunikationsgemeinschaften. (b) Zum anderen erfolgte die sprachliche Bewältigung der Umwelt – auch abgesehen von der Mehrsprachigkeitssituation – auf andere Art und Weise als im zusammenhängenden deutschen Sprachraum, unterscheidet sich doch der soziokulturelle Referenzrahmen für die deutsche Minderheit in Ungarn fundamental im auf dem deutschen Sprachgebiet. Diese beiden Aspekte (a und b) üben ihre sprachgestaltende Wirkung auf das Deutsche als Minderheitensprache im Kulturraum Ungarn auch heute aus. Somit werden im vorliegenden Beitrag Elemente, Strukturen, Modelle und Gesetzmäßigkeiten im Mikrokosmos einer spezifischen Kontaktvarietät des Deutschen beschrieben und exemplifiziert, die sich von der binnendeutschen Standardsprache, aber auch von den binnendeutschen regionalen Varietäten grundlegend unterscheidet. Anhand ausgewerteter oraler Sprachproben, die ich im Rahmen eines kontaktlinguistischen Feldforschungsprojekts in der ungarndeutschen („donauschwäbischen“) Ortschaft Hajosch (auf Ungarisch: Hajós) in der nördlichen Batschka erhoben habe, sollen Aspekte der Varianz und Kontaktlinguistik der Sprachinnovation ermittelt und dokumentiert werden.
Der Beitrag geht davon aus, dass es von den Anfängen bis heute eigentlich keine deutsche Einheitssprache gegeben hat, sondern nur regionale Varietäten. Auch wenn Regionalität bei den Sprachen eine universale Kategorie zu sein scheint, zählt das Deutsche aus einer Reihe soziokultureller und sprachhistorischer Gründe zu den Sprachen, in denen den Varietäten eine besondere Bedeutung zukommt: Deutsch ließe sich wohl als ein Prototyp für die Heterogenität innerhalb einer Sprache ansehen. Der Aufsatz spricht von einer „mehrfachen Regionalität“ der deutschen Gegenwartssprache, die sich zugleich in mehreren diatopischen Variationsdimensionen manifestiert. Gemäß der variationslinguistischen Dialektologie – die primär den Aufbau und den Wandel des gesamten Spektrums regionaler Sprachvariation zwischen den Extremen Standardsprache und Basisdialekt erforscht – handelt es sich im vorliegenden Beitrag nicht um Schichten bzw. Strata, sondern um Oppositionen, d.h. um eine Art „Skala“ mit den beiden Polen („Standardsprache“ vs. andere Varietät), in deren Spannungsfeld sich die Kulturrealität Variation abspielt. In diesem Sinne werden der Standardsprache folgende Oppositionsdimensionen gegenübergestellt: (a) (z.B. groß- und kleinräumige bzw. lokale) Basisdialekte, (b) regionale Umgangssprachen, (c) nationale Standardvarietäten des Deutschen im Rahmen des Konzepts „Deutsch als plurizentrische Sprache“ und (d) Deutsch als Minderheitensprache im Sinne einer dialektalen Kontaktvarietät.
Die vorliegende Arbeit zur Theorie, Praxis und fremdsprachlichen Didaktik der Fachsprache der Chemie geht auf meine unterrichtspraktische Tätigkeit auf dem Gebiet Deutsch als Fremdsprache in fachsprachlich ausgerichteten Kursen der Dublin City University zurück, In der täglichen Praxis des Unterrichtens wurde mir zunehmend deutlich, dass neben den vielen Aspekten, die in der Fachsprachenforschung und in der Erforschung der fremdsprachlichen Fachsprachenvermittlung wohl dokumentiert sind, andere, wie Eva Hund es formuliert, in einen toten Winkel der Fachsprachenbetrachtung geraten sind, Dies betrifft sowohl den philosophischen Hintergrund, als auch semiotische und linguistische Fragen. Der erste, theoretische Teil der Arbeit dient dazu, diese Fragestellungen, soweit dies im Rahmen einer Arbeit wie der vorliegenden möglich und nötig ist, aufzuspannen und auf pragmatische Weise, also wiederum im Rahmen der Möglichkeiten und Notwendigkeiten, zu lösen. Im zweiten Teil der Arbeit werden vier Grundbegriffe der Chemie als Anhaltspunkte verwendet, um anhand von Texten, die im vorgegebenen Rahmen für die fremdsprachliche Ausbildung von Chemikern von größter Relevanz sind, sprachliche, textuelle, diskursive und kulturelle Strukturen in deutschsprachigen Chemietexten offen zu legen, die für Studierende mit der Ausgangssprache Englisch Unerwartetes, Überraschendes, Schwieriges, gerade deshalb aber auch Herausforderndes, Aufregendes, Neues bergen. Dies ist der Ausgangspunkt für den dritten Teil der Arbeit, in dem der Versuch unternommen wird, die Tiefenschichtungen eines an der Entwicklung der Gesamtpersönlichkeit der Studierenden orientierten und interessierten Unterrichtens in der Fremdsprache zu zeigen, wo es nicht nur um den Erwerb eines möglichst funktionalen und utilitären Fachsprachenwissens geht, sondern darum, die durch die Fremdsprachlichkeit eröffneten Möglichkeiten der Distanzierung und Perspektivierung zu nutzen. Im Folgenden werden die Inhalte der drei Teile ein wenig genauer erläutert. Der erste Teil der Arbeit nimmt sich des philosophischen, semiotischen und linguistischen Hintergrunds für die Beschäftigung mit der Chemie in ihrer Erscheinungsform als zu erlernende fremdsprachliche Fachsprache an. Zunächst werden die Positionen des wissenschaftlichen Realismus und Relativismus betrachtet. Dies ist insofern wichtig, als hier der Grund für das Verhältnis von Sprache und Welt oder, anders ausgedrückt, für das Verhältnis von Inhalt und Sprache gelegt wird, oder, in einer weiteren Ausformung, für das Verhältnis zwischen dem Denken und der Wirklichkeit. Die Intensität, mit der etwa in der (muttersprachlichen) Chemiedidaktik die Debatte darum geführt wird, wann, wie und unter welchen Umständen die Modellvorstellung in den Unterricht eingeführt werden soll, vermittelt einen Geschmack von der Bedeutsamkeit diesen Themenfeldes. Für diese Arbeit wird die Spannung zwischen Realismus und Relativismus insofern aufgelöst, als Elemente von beiden verwendet und dem Konzept der Lehrbarkeit untergeordnet werden. In einem zweiten Schritt wird in diesem Teil der Arbeit mit Hilfe des Bühlerschen Zeichenmodells (und einer Erweiterung durch Roman Jakobson) demonstriert, dass, im Gegensatz zu häufig wiederholten Vorstellungen von der Fachsprache als ausschließlich in Sachzusammenhängen verharrender Ausdrucksweise, was der Bühlerschen Referenzfunktion des Zeichens entspräche, auch das Verhältnis zwischen Sender und Zeichen (Ausdrucks- bzw. emotive Funktion) und zwischen Zeichen und Empfänger (appellative Funktion) nicht nur zwangsläufig in der Fachsprache verankert sind, sondern auch eine wichtige Rolle in ihr spielen. Diese Zusammenhänge haben sich u.a. auch deshalb im toten Winkel der Forschung verloren, weil die Forschungstätigkeit sich bisher vor allem auf die sogenannte Theoriesprache der Chemie ausgerichtet hat, während die Textsorten der Wissensvermittlung auf der tertiären Bildungsebene (Lehrbuch, Laborhandbuch, Vorlesungsskripten) weitgehend unerforscht geblieben sind. Dies wird in diesem Teil der Arbeit insbesondere anhand der Unsicherheit der Kategorisierung der Lehrtexte in gängigen fachsprachlichen Textsortenanlysen verdeutlicht. Ein weiteres Ergebnis der Beschäftigung mit Texten der Wissensvermittlung ist die Tatsache, dass die wissenschaftliche Allgemeinsprache (Terminologie in einemweiteren Sinne, im Gegensatz zur chemischen Nomenklatur) ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt. Damit rücken auch in der Fachsprachenforschung, insbesondere auf dem Feld der Naturwissenschaften, ansonsten weniger beachtete Elemente (wie die Verben), Ausdrucks weisen (wie Metaphern), Sichtweisen (Zweisprachigkeit der deutschen Chemieterminologie) und Verhaltensweisen (im kulturellen Zusammenhang) in den Vordergrund. Der erste Teil der Arbeit schließt mit einem Vergleich der englischen und der deutschen Fachsprache der Chemie ab, welcher der Tatsache, dass sich der hier zu Grund gelegte Unterricht der deutschen Fachsprache der Chemie in einer homogen englischsprachigen Umgebung abspielt, Rechnung trägt. Im zweiten Teil der Arbeit wird zunächst der Grundlagentext für die ihn ihm erfolgenden Analysen eingeführt. Es ist das zweibändige Praktikum in Allgemeiner Chemie, herausgegeben von Hanns Fischer, das für die Zwecke dieser Arbeit aus mehreren Gründen besonders gut geeignet scheint. Im weiteren Verlauf des zweiten Kapitels werden vier Grundbegriffe der Chemie besprochen, mit deren Hilfe weite Gebiete der Chemie erfasst werden können, ohne die Übersichtlichkeit zu verlieren. Bei der Besprechung dieser Begriffe werden anhand gelegentlicher Fallstudien aus studentischen Arbeiten die Schwierigkeiten verdeutlicht, mit denen sich nichtmuttersprachliche Leser von wissensvermittelnden Texten konfrontiert sehen. In diesen Fallstudien werden studentischen Annotationen (zu einem Universitätsskript) und studentische Übersetzungen als Fenster zum Fremdsprachenverständnis benutzt.1 Der erste der Begriffe ist Stoff (in Verbindung damit die Aggregatzustände), an dem verdeutlicht wird, wie unterschiedlich auch grundlegendste Begriffe der Chemie definiert werden können. Dies mündet in eine Diskussion des Definitionsbegriffs in der fremdsprachlichen Fachsprachendidaktik ein, und erfasst auch kulturelle Aspekte, insofern hier die Zweisprachigkeit der deutschen Chemiesprache ein Synonymenpaar zur Verfügung stellt, das jedoch bei genauerem Hinsehen Zwischentöne ermöglicht, die im englischen Gegenstück nichtverwirklicht werden können. Der zweite der Begriffe ist Atom (mit den verwandten Begriffen Ion und Molekül). Anhand dieser Begriffe werden die Teilchen vor Stellungen der Chemie aufgerollt und zugleich die mit ihnen assoziierten Modelle. Hier wird an Beispielen aus der Praxis der Chemiesprache deutlich, wie sehr die Sprache, mit welcher der Modellcharakter der Teilchenvorstellungen vermittelt wird, mit metaphemhaften Ausdrucksweisen durchsetzt ist. Der nächste Begriff ist Reaktion, in dem vom objekthaften Stoff und Atom zum Prozesshaften übergeleitet wird. In diesem Abschnitt wird die beim Stoffbegriff schon angesprochene Zweisprachigkeit der deutschen Chemiesprache anhand des Begriffspaars Reaktion - Umsetzung nocheinmal aufgegriffen, diesmal aber mit den damit verbundenen Lemschwierigkeiten für Studierende verbunden, Im Zusammenhang mit dem Grundbegriff Reaktion wird die chemietypische Komplementarität von Formel und Text genauer betrachtet. Der vierte und letzte Grundbegriff im praktischen Teil der Arbeit ist der Begriff Labor, in dem eine deutliche Zweiteilung unterschiedliche Aspekte der Fachsprachenvermittlung unterstreicht. Einerseits wird in einer ausführlichen Fallstudie zu studentischen Annotationen in einem typischen deutschen Universitätsskript gezeigt, auf welche Art eine solcher für das Studium essentieller Text (fremdsprachlich erfasst wird. Hier wird anhand einer einfachen statistischen Übersicht deutlich, welch eine wichtige Rolle im Verständnis dieser Textsorte die Verben spielen. Dieser Punkt erfährt anhand einer Analyse zu den Verben, die im Zusammenhang mit der Manipulation von Flüssigkeiten (offensichtlich eine der häufigsten mit dem Labor assoziierten Tätigkeiten) verwendet werden, aus einer anderen Perspektive Bestärkung. Insgesamt zeigt sich im Verlauf des zweiten Teils der Arbeit ein Fortschreiten von der theoretisch ausgerichteten Chemie (über den allumfassenden Stoffbegriff) hin zum praktischen, handwerklichen Aspekt des Chemie-Treibens (im Labor). Der dritte, didaktische Teil der Arbeit beginnt mit einer ausführlichen Begründung für die Zweckmäßigkeit aber auch bildungsmäßigen Sinnhafltigkeit eines fremdsprachlichen Fachsprachenunterrichts auf der tertiären Bildungsebene gegen eine Ansicht, dass für einen solchen Unterricht weder ein Bedarf noch ein Bedürfnis bestehe. Nach einer kurzen Einführung in die Rahmenbedingungen des fachsprachlichen Unterrichts im hier vorliegenden Zusammenhang wird die Brücke zum ersten Teil der Arbeit geschlagen, und es werden, anhand dreier Kompetenzen, die auf das Bühlersche Zeichenmodell zurückreflektieren, Vorschläge für den fachsprachlichen Fremdsprachenunterricht unterbreitet. Diese drei Kompetenzen sind namentlich die Fachkompetenz, die Sozialkompetenz und die Ich-Kompetenz, Ziel dieses dritten Teils ist es, die an der Dublin City University von Françoise Blin, Christine Appel und mir selbst entwickelten Module unter dem Titel German (French/Spanish) for Science and Technology, die für alle vier Studienjahre vorliegen, inhaltlich und fachlich zu unterfüttem.
Rezeptive Mehrsprachigkeit ist eine der jüngsten Forderungen der EU-Kommission zum Erreichen einer realistischen Mehrsprachigkeit in Europa. Die maximalistischen Forderungen nach Perfektion in allen sprachlichen Kompetenzen haben sich in den nationalen Unterrichtswesen als illusionär erwiesen, da diese nirgendwo von statistisch nachvollziehbarem Erfolg gekrönt sind. Die sprachliche Diversität im multilingualen Europa findet sich nicht in der Realität der Bildungssysteme wieder. Zwar verfügen heute europaweit 26 % der Europäer über eine zweite und 8% über eine dritte Fremdsprache, in den einzelnen Ländern sieht es jedoch oft desolat aus. Während in den kleineren Unionsländern kaum jemand als nur monolingual gilt (Luxemburg 2%) ist die Krankheit der Einsprachigkeit in den großen EU-Staaten seuchenhaft verbreitet, etwa Großbritannien mit 66%. Dies hat in den neunziger Jahren in der Kommission zu den Postulaten geführt, die sich die Forschergruppe EuroCom als Programm gesetzt hat, nämlich Mehrsprachigkeit über den Einstieg in rezeptive Kompetenzen modularisiert und kognitiv über Transferbasen innerhalb von Sprachfamilien zu erreichen. EuroCom steht dabei als Kürzel für Eurocomprehension, ein Akronym für Europäische Interkomprehension in den drei großen Sprachengruppen Europas, der romanischen, slawischen und germanischen. Die Beschränkung auf rezeptive Kompetenzen ist dabei nur ein methodisches Ausgangsprinzip, das es ermöglicht, Mehrsprachigkeit besonders schnell über das Leseverständnis zu erreichen und modularisiert auf Hörverständnis und aktive Sprechkompetenz sukzessiv auszuweiten. Die Methode EuroCom arbeitet über die Aktivierung intralingualen Wissens mit linguistischem Transfermaterial in nahverwandten Sprachen, das als kognitives Potential den Erschließungsprozess optimiert und in kürzester Zeit ein Lese- und Hörverstehen in einer ganzen Sprachenfamilie erreichbar macht. ...