CompaRe | Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft
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Das Spiel ist aus
(2007)
Dieser bekannte Titel (ein Drama von Sartre / ein Gedicht von Bachmann) soll hier mit neuem Inhalt gefüllt werden, zunächst mit "Impurismus" als einer spielerischen Verschlüsselung von Literatur, dann mit Hinweisen auf das planmäßige Verdummungsspiel, das die Eingeweihten mit ihren an Kunst interessierten Mitbürgern treiben.
Die Theaterstücke des kamerunischen Autors Kum'a Ndumbe III. sind erst seit einigen Jahren einem breiten deutschsprachigen Publikum zugänglich. Während er in Deutschland als Politologe durch seine Publikationen unter anderem zu deutscher Kolonialpolitik bekannt ist, fanden seine in deutscher Sprache zwischen 1967 und 1970 entstandenen Theaterstücke keine Beachtung bei deutschen Verlagen: „Ich schrieb mein letztes Theaterstück in deutscher Sprache im Jahre 1970. Dann hörte ich auf. Es war kein Echo da. Alle meine Versuche bei deutschen Verlegern blieben ohne Erfolg." Der mittlerweile in Lyon studierende Kum'a Ndumbe III. schrieb nun verstärkt auf französisch und veröffentlichte bei dem Verleger Jean Pierre Oswald, Paris in der Reihe Théâtre africain.
Osorio Lizarazos Werk erstellt keine Gesamtansicht, kein totalisierendes Bild der Stadt als Zusammenschau aller gesellschaftlichen Schichten und Typen. Obgleich bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts einige wichtige literarische Beiträge zum Thema der städtischen Armut wie "La miseria en Bogotá" (Das Elend in Bogota, 1867) von Miguel Samper (1825-1899) erschienen waren, bemühte sich noch um die Wende zum 20. Jahrhundert eine traditionalistisch ausgerichtete Literatur und Ideologie eher darum, das Wachstum und die damit einhergehenden Veränderungen der Hauptstadt Kolumbiens zu verschleiern. Osorios Werk durchbrach diese Verschleierung mittels einer zugleich systematischen und kontinuierlichen journalistischen und literarischen Behandlung eines Themas, wie sie in Lateinamerika ihresgleichen sucht.
[...] Wie aber gestaltet sich eine "Gewißheit der Erfüllung"? Wie ist ihr Verhältnis zum Unsinn, zum Entstehen von Sinn; ist sie, wenn sie dies inkludiert, Erfüllung von etwas? Wie ist ihre Relation zu Bildern, die eine Majestät und zugleich ein Verströmen Gottes in der Liebe zur Kreatur, zum Nicht-nur-Geschaffenen also darstellen wollen - um angesichts des Scheiterns einem Ikonoklasmus, einer Unsinnlichkeit zuzuarbeiten ... ? Diesen Fragen sei im Folgenden an den Bibelaneignungen Friedrich Gottlieb Klopstocks und Ferdinand Schmatz' nachgegangen, [...]
Die Nibelungenparodie, die, soweit uns bekannt ist, zuvor noch nicht publiziert wurde, ist in mehrfacher Hinsicht von besonderem Interesse: zum einen als ein literarisches Debüt einer weiblichen Autorin und angehenden jungen Wissenschaftlerin Ende der zwanziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts, zum anderen als interessantes und aufschlussreiches Zeitzeugnis. So finden sich an mehreren Stellen Anzeichen einer Ironisierung des heroischen Männlichkeitsideals der Nibelungen und einer Entlarvung des germanischen Heldentums, parodistische Akzente, die zur aufkommenden Rassenideologie um 1930 markant quer liegen. Zugleich werden in augenzwinkernder Kontaktaufnahme mit dem Zuschauer bzw. Leser Elemente aus dem damaligen studentischen Leben wie der Besuch des Kleist-Seminars oder die beliebte Freizeitgestaltung mit Paddelbootausflügen auf der Lahn integriert, die einen Einblick in das damalige studentische Leben bieten. Im Text fungieren sie zudem als humoristische anachronistische Momente, die immer wieder zum Schmunzeln verführen. Darüber hinaus erweist sich die Nibelungenparodie als ein dichtes intertextuelles Gewebe mit zahlreichen Anspielungen, versteckten intertextuellen Referenzen und wörtlichen Zitaten aus den Opern Richard Wagners sowie Werken von Heinrich von Kleist, Adelbert von Chamisso und anderen Vertretern der klassisch-romantischen Tradition.
Im Ersten Weltkrieg erschienen llustrationen von Hans Volkert zu Gedichten Eichendorffs als "Künstlerkarten des Volkskunstverlags". Die "Eichendorff-Gedichte", von denen das Goethezeitportal eine Auswahl publiziert, umfassen mehrere Serien. Volkert - Maler, Zeichner, Radierer, Illustrator und Medailleur in München – hat sich im Bereich der Volkskunst und Kunsterziehung engagiert. In den Illustrationen zu Eichendorffs Gedichten dominieren Landschaft und Heimat; sie können der Neuromantik zugeordnet werden.
Ellen Keys Goethebild
(2007)
Am Anfang des 20. Jahrhunderts waren Selma Lagerlöf, August Strindberg und Ellen Key die in Deutschland meistgelesenen schwedischen Schriftsteller. Im Gegensatz zu Lagerlöf und Strindberg schrieb die Reformpädagogin und Frauenrechtlerin Ellen Key (1849-1926) aber keine Belletristik, sondern von ihr wurden in erster Linie der pädagogische Text "Das Jahrhundert des Kindes" und die feministisch-theoretische Arbeit Über "Liebe und Ehe" gelesen. Als ihre Vorbilder wurden Jean-Jacques Rousseau und dessen Überlegungen zu "natürlicher Erziehung" des Kindes bzw. Friedrich Nietzsches Gedanke vom Übermenschen erwähnt. Daß Ellen Key sowohl zu ihrer Auffassung in Erziehungsfragen als auch zu ihrer Frauenrolle durch ihre Bewunderung für Goethe gekommen war und sogar die erste schwedische Goethebiographie geschrieben hatte, war aber damals und ist noch heutzutage in Deutschland kaum bekannt. [...] Im folgenden möchte ich zeigen, welche entscheidende Bedeutung Goethe für Ellen Keys Leben und Werk und in Anlehnung daran für die Formung des Goethebildes in Schweden gehabt hat, und auch wie Ellen Keys Goethebild entstanden ist.
Innerhalb der Beschreibungen, insbesondere auch der Selbstbeschreibungen der Avantgarden kommt dem Wortfeld um »Fremde« eine Schlüsselstellung zu. Das Konzept der »Verfremdung« ist unter den ästhetisch relevanten Derivaten des Wortes »Fremde« zweifellos das prominenteste. Der Terminus »Verfremdung« kann sich sowohl auf das Medium der ästhetischen Gestaltung als auch auf die Gegenstände der Repräsentation beziehen; oft bezieht er sich auf beides zugleich, um anzuzeigen, dass Konventionsbrüche auf der Ebene der Darstellung als solcher eine unkonventionelle Auffassung des Dargestellten selbst erzeugen bzw. auf der Seite des Künstlers bezeugen. Verfremdung, so eine Leitidee, findet statt, um etwas bislang Unentdecktes zu zeigen, sei es am verwendeten Zeichensystem, dem neue Gestaltungsmöglichkeiten abgewonnen werden, sei es auch an der historisch-sozialen Wirklichkeit, auf die sich das ästhetische Gebilde bezieht – vor allem, um sie neu und anders wahrnehmbar werden zu lassen. Übersehenes sichtbar zu machen und »anders« zu sehen, impliziert Kritik an den Konventionen der Wahrnehmung, oft aber auch Kritik am Wahrgenommenen selbst, insofern sich dieses dem gewohnten Blick allzu unauffällig und harmlos darstellen mag.
Carl Schmitt ist heute nun wirklich kein vergessener Autor. Und dennoch gibt es zentrale Fragen seines Werkes, die bislang noch kaum erforscht sind. Eines dieser Themen ist das Hitler-Bild. Was genau dachte Schmitt über Hitler? Vor 1933 und 1945 äußerte er sich darüber erstaunlich selten. Nach 1945 jedoch dachte er in publizierten und nachgelassenen Texten und Aufzeichnungen ständig über Hitler, den Nationalsozialismus und seine eigene Rolle in dieser Geschichte nach. Dabei bediente er sich auch literarischer Spiegelungen. Eine solche soll hier genauer untersucht werden: der Vergleich Hitlers mit Friedrich Schillers Demetrius-Gestalt. Er ist eine Art esoterisches Schlußwort über Hitler. Frühere Überlegungen weiterführend, prüfe ich diesen Vergleich in seiner Aussagekraft. Dafür wird Schillers Fragment eingehender vorgestellt und als Verlaufsmodell für die Geschichte des Nationalsozialismus betrachtet. Es geht um einen "esoterischen" Schmitt. Diese Vorgehensweise hat ihre Tücken und erlaubt nur begrenzte Rückschlüsse auf Schmitts Hitler-Bild vor 1945. Sie thematisiert aber jedenfalls einen intensiven Umgang mit Schillers Dichtung.
Ausgangspunkt und Fokus des vorliegenden Textes sind die Verschränkung zweier Forschungsfelder und Reflexionsräume: Gender(-Forschung) und Dekonstruktion. Jedes einzelne dieser Felder ist selbst schon transdisziplinär angelegt und befindet sich am Schnittpunkt von Literaturwissenschaft (Ästhetik, Rhetorik), Philosophie (Sprachphilosophie, Sprechakttheorie, Erkenntnistheorie), Soziologie und Psychologie (Psychoanalyse). Mit dem Text möchte ich den LeserInnen einen grundlegenden Einblick in die Verwobenheit und wechselseitige Verwiesenheit der Kategorie Gender mit der Dekonstruktion bzw. mit dekonstruktiven Reflexionsansätzen erschließen.
Georg Büchners "Dantons Tod", erstmals 1835 in einer entstellten Version publiziert, wurde erst im frühen 20. Jahrhundert für die Bühne entdeckt. Zur Uraufführung kam es 1902, den Durchbruch brachte die Inszenierung von Max Reinhardt am "Deutschen Theater" in Berlin 1916. In der Weimarer Republik eroberte sich das Stück endgültig die Bühnen. Auch der Stummfilm nahm sich des Stoffes an ("Danton" 1921, mit Emil Janninngs als Danton und Werner Krauss als Robespierre). Der Aufstieg des Revolutionsdramas zum >Klassiker< spiegelt sich in llustrierten Einzelausgaben der Zeit. Das Goethezeitportal publiziert die Illustrationen des Verlages Ernst Guenther in Freiburg i.Br. 1920. Sie orientieren sich an der Ästhetik der expressionistischen Bühne und des expressionistischen Stummfilms.
Gnosis und Globalisierung
(2007)
So schwer das gegenwärtige Phänomen der Globalisierung im einzelnen auch zu beschreiben sein mag, so sehr kommt es uns inzwischen doch vertraut vor. Bei dem historischen Problemkomplex der Gnosis verhält sich das selbstverständlich anders, da es sich um ein Phänomen der Spätantike handelt, von dem allerdings Hans Blumenberg in seinem 1966 erstmals erschienenen Buch "Die Legitimität der Neuzeit" gesagt hat, daß es bis in die Neuzeit hinein die größte Herausforderung für die "abendländische Welt" darstellte. Diese Herausforderung, und das ist der Grund für die ungewöhnliche Verbindung zweier Themen, die historisch gesehen sehr weit auseinanderliegen, ist jedoch möglicherweise nicht, wie Blumenberg glaubte, mit der Neuzeit endgültig beantwortet, sondern stellt sich unter den Bedingungen eben jener Globalisierung neu.
Die Serie von sechs Prägedruckkarten stammt vom Postkartenverlag Paul Fink Berlin. Der Verlag hat vor dem Ersten Weltkrieg weitere Dichter-Serien (z.B. Theodor Körner, Schiller) herausgegeben. Von den Karten, die keinen Künstler ausweisen, sind einige 1902 gelaufen. Die teilweise dilettantisch wirkenden Bilder greifen die traditionell ausgewählten Szenen auf. Reizvoll sind die Farben dieser Chromolithos (Steindrucke in Farben), die an Aquarelle erinnern.
Zu Goethes idyllischem Epos „Hermann und Dorothea“ publiziert das Goethezeitportal – nach der Bildfolge von Arthur von Ramberg und der Postkartenserie aus dem Verlag Paul Fink – die Illustrationen von Emil Klein (1865-1943). Wie sein Lehrer Liezen-Mayer, der bekannte Faust-Illustrator, befaßte sich auch Klein mit Illustrationen literarischer Werke. Seine historisierenden Bilder zu „Hermann und Dorothea“ orientieren sich stark an Rambergs populärer Folge. Gemüthaftes Erzählen und Liebe zum Detail kennzeichnen seine malerisch gehaltenen Blätter.
Kafka war gewiß kein Verkünder des nervösen "Fin de siècle" (dazu war es um 1911 bereits zu spät) und auch wenn er wie viele intellektuelle Zeitgenossen dem Modethema Nervosität einige Aufmerksamkeit schenkte, so war er doch in erster Linie: ein nervöser Patient. Und als solcher begab er sich in ärztliche und heilpraktische Behandlungen, wo man ihm sehr bald das zugehörige Krankheitsbild bestätigte - Neurasthenie. Die nervöse Karriere des Schriftstellers und Unfallversicherungsbeamten Franz Kafka ist aus den gängigen Biografien bekannt. Sie bietet reichlich Einblicke in die Szenarien gesellschaftlicher Heilpraxis nach 1900, in die Diskussionen um Krankheit, pathologische Zustände und Minderwertigkeit, aber auch in die individuelle Verfassung des Autors Kafka, seine Selbstwahrnehmung und seine Schreibobsessionen. Doch zunächst: Was bedeutete eigentlich Neurasthenie? Die Frage führt uns in nuce in die Aporien ihrer Beantwortung; dennoch muß sie gestellt werden, um die Tragweite ihrer Formulierung zu bestimmen. Wir wohnen der begrifflichen Auseinandersetzung eines Krankheitsbildes bei, das in den Jahren Kafkas eine erstaunliche Entwicklung nahm. Joachim Radkau spricht im Zusammenhang der Jahre 1880-1914 von der "Epoche der Nervosität".
Suchen Sie auch den Schlüssel zum besseren Verständnis von Mythologie, Kunst und Literatur? Dann sollten Sie das Weltbild des Impurismus studieren. Es wird Ihnen die Augen öffnen für bislang hermetische Zusammenhänge, und Sie werden erkennen, was der Chorus mysticus (Faust II Ende) meint, wenn er sagt: "Alles Vergängliche Ist nur ein Gleichnis." Erde und Himmel, alles Materielle und alle Geistgebilde, der Kosmos und alle Lebewesen --- ein Gleichnis wofür? Wenn Sie die Antwort finden, werden Sie verstehen, warum die Wissenden unsere Kulturszene dominieren. Sie brauchen keine Forschungsnische zu suchen, wenn Sie das weite Feld des Impurismus mit Literatur- und Sprachwissenschaft beackern; denn "Poesie ist die Muttersprache des menschlichen Geschlechts" (Hamann: Aestetica in nuce).
Integrale Realität als mehrdeutige Raumerfahrung : zur Räumlichkeit der dynamischen Kompressionszeit
(2007)
[...] Diese Auflösung von Mensch und Ding im dynamischen Globo-Behälter (die Welt als Objekt unserer Süchte und Wünsche) scheint mir dann exakt den heutigen "informellen" Topos abzugeben, der inzwischen kein festes Objekt mehr stehen läßt. Ein abstrakter Raum, wo der Weltmarkt, die moderne Technologie der audiovisuellen Medien und die Totalität des Marktes die Raumkonstellationen zugunsten der Zeitkategorie vernichten. Bilder, Texte, Töne, Kommunikation, Sichtbarkeiten und Menschen sind zu einem Zustand des ungreifbaren Kapitals geworden. Damit können wir heute feststellen, daß der Fetischismus seinen Höhepunkt gerade dann erreicht, wenn er sich "entmaterialisiert" und sich in eine fliehende "immaterielle" virtuelle Wesenheit verwandelt.
Am 12. Oktober 2007 wurde der Roman "ESRA" von Maxim Biller (erschienen 2003 bei Kiepenheuer & Witsch) durch das Bundesverfassungsgericht wegen der Verletzung der Menschenwürde einer darin zu erkennenden Frau endgültig verboten. Das hat zahlreiche Äußerungen der Art nach sich gezogen, dass nach solchen Maßstäben auch Goethes "Werther", Fontanes "Effi Briest", Thomas Manns "Buddenbrooks" und wer weiß welche Werke noch hätten verboten werden müssen. Gegen diese historisch unsinnigen Gleichsetzungen wendet sich der hier wiedergegebene Artikel.
Journalistische Formate
(2007)
Neben den traditionellen Kernbereichen der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft und der europäischen Literaturgeschichte gilt das besondere Interesse der komparatistischen Internet-Zeitschrift neueren kulturtheoretischen Ansätzen aus dem internationalen Raum. Darüber hinaus widmet sich Komparatistik Online vor allem den produktiven Wechselbeziehungen zwischen Literatur, bildender Kunst und Musik (Comparative Arts und Inter Arts) und den ästhetischen Grundlagen intermedialer Grenzüberschreitungen und Transferbewegungen.
Überdies sollen Beiträge zur außereuropäischen Literatur und Kultur, zur globalen Vernetzung und zur postkolonialen Situation Berücksichtigung finden.
Interkulturelle und imagologische Fragestellungen bilden einen weiteren zentralen Forschungsbereich. Geplant sind Schwerpunkthefte zu spezifischen aktuellen Themenbereichen. Daneben sollen stets auch einschlägige Forschungsbeiträge mit individueller Thematik publiziert werden.
Darüber hinaus gilt die besondere Aufmerksamkeit interessanten komparatistischen und interdisziplinären Neuerscheinungen, für die eine eigene Rubrik mit Buchbesprechungen vorgesehen ist.
Ein weiterer wichtiger Bereich umfasst aktuelle Informationen zu den neuen Studiengängen in der deutschsprachigen Komparatistik (Bachelor und Master) sowie verwandten Bereichen wie Europäische Literatur- und Kulturgeschichte. Es ist geplant, diesbezüglich solche Informationen im Internet bereitzustellen und laufend zu aktualisieren, die für Studierende und Lehrende des Fachs gleichermaßen von Interesse sein dürften.
Kulturjournalismus
(2007)
„Da das menschliche Gemüth nichts leichter reizt als unterdrückte und beleidigte Unschuld, nichts inniger befriedigt als ihre Beschützung und Rettung“, schreibt das >Damen Conversations Lexikon<, hat das Schicksal der Genovevas eine ungewöhnliche Theilnahme erweckt. Die Legende von der treuen, aber schändlich verleumdeten Gattin, die mit ihrem im Kerker geborenen Sohn Schmerzenreich sechs lange Jahre im Wald überlebt, ist in der Romantik literarisch (Tieck), musikalisch (Schumann) und bildlich gestaltet worden. Das Goethezeitportal veröffentlicht die Illustrationsfolge, die Joseph von Führich (1800-1876) in seiner Frühzeit geschaffen hat. Den Bildern sind die Bezugstexte, die Erinnerungen des Künstlers über seine Wendung zur Romantik und die Entstehung der Bilder sowie weiterführende Links beigegeben.
Der Zugriff auf Lessings berühmte Bogenfabel, die den Auftakt zum dritten Buch seiner 1759 erschienenen Fabeln gibt, erfolgt aus der Überlegung heraus, daß da, wo die Erzählung der Geschichte einer zerbrechenden Intentionalität zur Anschrift gelangen soll, diese besonders dann den Status illustrativer Exemplarität zugewiesen bekommt, wenn sie im Umfeld eines Diskurses situiert ist, dem das Operieren mit dem Intentionalitätskonzept historisch eingezeichnet ist. Nicht zuletzt dürfte sich der konjunkturelle Aufschwung der Fabelproduktion zwischen 1740 und 1770 dem Umstand verdanken, daß die beiden maßgeblichen Konstituenten der Textsorte, die "fabula" einerseits und die "fabula docet" andererseits, sich exzellent in den durch die Frühaufklärung abgemessenen intentionalistischen Großrahmen des "docere" fügen. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts setzt sich die Tendenz durch, das Epimythion zunehmend wegzulassen. Lessing geht diese Entwicklung grundsätzlich mit. Gerade die Bogenfabel wird diesbezüglich gerne als Musterbeispiel veranschlagt. Der über die strukturnarratologische Reduktion "in nuce" eingeleiteten Entwicklung einer De-intentionalisierung der Fabel zum Trotz gibt sich der personal gebundene Reflex von der Fabel auf die dichterische Intention als Operation einer sich kurrent gemacht habenden Form von Hermeneutik überdeutlich zu erkennen.
Das Erkenntnisinteresse der Literaturforschung kann, selbst wenn deren Materialbasis sich auf literarische Texte beschränkt, über die Texte hinausgehen. Aber auch in diesem Falle ist nicht davon abzusehen, daß sie in der Regel die wichtigste Erkenntnisquelle der Forschung bilden, und das heißt, daß die Texte erst einmal verstanden werden müssen. Man kann durch die Texte nicht hindurchgehen wie durch eine geöffnete Tür. Einem sozialgeschichtlich interessierten Literaturforscher wird eine passagere sachliche Kenntnisnahme allenfalls genügen können, wenn er zum Beispiel nur feststellen will, in welchen literarischen Texten Kaninchen eine Rolle spielen oder von Kaninchen die Rede ist. Hingegen wird er schon bei der Untersuchung, "wie" sie zur Erscheinung kommen, zunächst einmal die Texte selbst in der Weise zu seinem Erkenntnisgegenstand machen müssen, daß er sie analysiert und interpretiert. Er muß den Texten erst eine Bedeutung zuschreiben, ehe er die Kontexte bilden kann, auf die sich sein Erkenntnisinteresse richtet.
Macunaíma : eine Rhapsodie
(2007)
During the first decades of the 20th century emerges a Brazilian artistic movement that aims to break with the cultural models imported from Europe. As a landmark one may cite the Week of Modern Art in São Paulo and Mário de Andrade as one of its main figures. His novel Macunaíma stands for one of the central pieces of modern Brazilian literature and was considered by Andrade as a literary rhapsody. This article aims to compare the formal elements of the rhapsody with the actual text written in 1928.
Der 1997 erschienene Roman Lisa's Liebe ist der zweite Roman der österreichischen Schriftstellerin Marlene Streeruwitz. Die Protagonistin des Romans ist die 39-jährige Volksschullehrerin Lisa Liebich, deren Leben „unspektakulär zwischen Lehrberuf, peinlich lieblosen Affären und Bildungsreisen" dahin verläuft.
„Recht interessante und gestreiche Umrisse zu Faust von Retzsch habe ich in Dresden gesehen. Wenn er sie ebenso auf die Platten bringt, so wird es ein gar erfreuliches Heft geben,“ schreibt Goethe 1810 an Cotta. Auch später hat er sich mehrfach lobend über diese Illustrationen geäußert, obschon er den Faust, als „zu poetisch“, „wenig für die bildende Kunst geeignet“ hielt (Gespräch mit Stieler, 1823). Das Goethezeitportal publiziert die gesamte Folge von 26 Umrissen, ergänzt um die referierten Textauszüge.
"Es ist wohl eine Regel, daß in gewissen Jahren der Geschmack an allem bloß Individuellen und Besonderen, dem Einzelfall, dem 'Bürgerlichen' im weitesten Sinne des Wortes allmählich abhanden kommt. In den Vordergrund tritt: Das Typische, Immer-Menschliche, Immer- Wiederkehrende, Zeitlose, kurz: das Mythische." Mit diesen Worten umreißt Thomas Mann im Jahre 1942 in seinem Vortrag Joseph und seine Brüder einige Beweggründe für seine fast sechzehnjährige Arbeit an dem "abseitigen, fernliegenden Stoff [...] der biblischen Legende", die er zu einem vierbändigen Romanwerk ausarbeitete. Ein wenig seltsam mutet es hier an, wenn man Thomas Mann, den bürgerlichen Romanautor, der stets darauf bedacht war, eben gerade das ganz Besondere, den nicht alltäglichen Menschen, den Einzelgänger und Außenseiter seinen Lesern vor Augen zu führen, vom "bloß" Individuellen reden hört; ganz so, als seien seine früheren Werke – cum grano salis – lediglich Geburtswehen eines weit größeren Unterfangens gewesen, welches nun endlich im Stande sei, zum Kern vorzudringen, um die nötigen aber überständigen Randerscheinungen hinter sich zu lassen. Thomas Mann führt den Leser sicherlich etwas in die Irre, wenn er hier behauptet, das Interesse am Individuum sei ihm in gewissen – und dies meint späteren – Jahren abhanden gekommen. Der Protagonist seiner Tetralogie, Joseph, scheint doch gerade ein ganz außergewöhnlicher Mensch zu sein, der, mit einigen, später zu erörternden Besonderheiten, eben genau das Individuum par excellence darstellt. Oder verhält es sich in Josephs ganz spezifischem Fall noch etwas komplizierter und seine Besonderheit und das Typische schließen sich gar nicht gänzlich aus?
Mit „Aschenbrödel“ bzw. „Aschenputtel“ beginnt das Goethezeitportal die Publikation einer Reihe von Märchen und ihrer Illustrationen. Dabei werden, wie auch in unseren anderen Text-Bild-Serien, Illustrationen der Hoch- wie der Popularkultur berücksichtigt. Beigegeben sind stets der Text des Märchens, in der Regel also die Fassung der Brüder Grimm in ihren „Kinder- und Hausmärchen“, ggf. weitere Bearbeitungen (z.B. von Ludwig Bechstein; Adaptionen im Theater und Film) sowie Hinweise auf Literatur und Weblinks. Die Geschichte vom „Aschenbrödel“ - trotz aller Intrigen der bösen Stiefmutter und ihrer Geschwister wird die gedemütigte Halbwaise vom Königssohn heimgeführt - wurde eines der bekanntesten deutschen Märchen, nicht zuletzt wohl auf Grund seiner positiven moralischen Botschaft. Dem Text sind 19 Illustrationen auf Postkarten beigegeben.
Das Märchen von den „sieben Schwaben“ karikiert und verspottet die Schwaben, die hier in wahren „Schwabenstreichen“ vorgeführt werden. Mit dem Text publiziert das Goethezeitportal die Bilder von Georg Mühlberg (1863-1925), der zahlreiche Märchen, Fabeln und andere Jugendbücher illustriert hat. Die Links verweisen auf verschiedene Versionen der Jahrhunderte alten Volkserzählung.
Die Bilderfolge "Von den sieben Raben und der treuen Schwester" führte Moritz von Schwind vom August 1857 bis Juli 1858 aus. Die Fabel handelt von einer armen Mutter mit 7 Söhnen und einer Tochter, die sich durch das Geschrei der Knaben nach Brot zu dem Wunsch hinreißen lässt, sie sollten lieber Raben geworden sein - worauf alle 7 als Raben zum Fenster hinausfliegen. Das Märchen erzählt, wie das Mädchen ihre Brüder erlöst und dabei selbst fast als Hexe auf dem Scheiterhaufen verbrannt wird. Die Bilder wurden als Aquarelle, mit Wasserfarben getönte Federzeichnungen, ausgeführt. Sie bilden einen Fries, der durch romanische Säulenstellungen gegliedert wird. Die Bildfolge nahm auf der großen deutschen Kunstausstellung, die 1858 zur Feier des 700jährigen Jubiläums der Stadt München stattfand, den Ehrenplatz ein. Das Goethezeitportal publiziert den Text des Märchens mit den Illustrationen in einem Mappenwerk und auf zwei Postkartenserien. Beigegeben ist das Gedicht „An Moritz von Schwind von Eduard Mörike.
In Jonathan Safran Foers bebildertem Roman Extremely Loud & Incredibly Close (2005) erzählt das neunjährige Wunderkind Oskar von seiner Suche nach dem Schloss, das zu jenem Schlüssel passt, welchen er im Wandschrank seines Vaters gefunden hat. Auslöser für die Suche ist die Trauer um den Vater Thomas Schell (Junior), der durch den Anschlag auf das World Trade Center am 11. September 2001 stirbt. Neben diesem main plot wird auch die Geschichte des Großvaters Thomas Schell (Senior) und der Großmutter Oskars erzählt, die nach der Bombardierung Dresdens nach New York City emigrieren. Im Folgenden soll näher untersucht werden, inwiefern in Extremely Loud & Incredibly Close auf der erzählerischen und vermittelnden Ebene - unter besonderer Berücksichtigung der Abbildungen - ästhetische und textuelle Konstruktionsprozesse thematisiert bzw. reflektiert werden.
Goethes »Faust«, dessen erster Teil unter dem Titel »Faust. Eine Tragödie« zur Ostermesse 1808 erschien, regte bald Illustratoren an. Der junge Peter Cornelius zeichnete ab 1809 Blätter zu diesem Werk und ließ sie durch Sulpiz Boisserée – einem der frühesten Sammler altdeutscher Malerei und Verfechter der Vollendung des Kölner Domes – Goethe zukommen, der die glückliche Verschmelzung von Form und Inhalt lobte, jedoch vor Überschätzung der altdeutschen Kunst warnte. Die 12 Blätter eschienen mit einer Widmung an Goethe 1816 bis 1826 im Verlag von F. Wenner in Frankfurt. Das Goethezeitportal publiziert alle Zeichnungen und fügt Dokumente zur Entstehungsgeschichte wie zur Aufnahme durch Goethe bei. Die Kompositionszyklen von Cornelius, Moritz Retzsch und Eugène Delacroix, die bedeutendsten zu Goethes Lebzeiten, können nun miteinander verglichen werden.
Politischer Idealismus auf dem Prüfstand : Heinrich Mann und "Die neue Weltbühne" (1936-1937)
(2007)
Hier ein Blick in das Interieur der Exilzeitschrift "Die neue Weltbühne", die das "Gewissen der herrlichen Einheizfront" in groben Umrissen abbildet. Ist die Polemik von George Grosz gerechtfertigt? Erneut soll die bislang völlig unbekannte Redaktionskorrespondenz zwischen Hermann Budzislawski und Heinrich Mann aufgeschlagen werden - nunmehr für die Jahre 1936/37. Bislang blieb die Frage nach der gedanklichen Entwicklung der Beiträge für die Wochenschrift "Die neue Weltbühne" sowohl in der Exilforschung als auch in der universitären Lehre völlig unbeachtet. Über die Korrespondenz ist es möglich, erstmals die materiellen sowie die ideellen Bedingungen ihrer Entstehung zu erfahren.
Der Dandy gehört zum wohlvertrauten Figurenrepertoire des europäischen Fin de Siècle und Symbolismus; er verkörpert neben dem Flaneur und dem Spieler einen jener berühmt-berüchtigten Typen des literarischen und kulturellen Lebens im 19. Jahrhundert, die von Dichtern und Kultursoziologen - von Charles Baudelaire bis Walter Benjamin - immer wieder fasziniert beobachtet und mit zeitdiagnostischem Blick detailfreudig beschrieben wurden. Der Attraktivität des Themas entsprechend, mangelt es nicht an wissenschaftlichen Studien zu diesem Gebiet, etwa die richtungweisende literaturwissenschaftliche Arbeit von Hiltrud Gnüg ("Kult der Kälte. Der klassische Dandy im Spiegel der Weltliteratur" Stuttgart: Metzler 1988) oder die jüngst erschienene, breit gefächerte kulturgeschichtliche Untersuchung des Berliner Kultur- und Literatursoziologen Günter Erbe ("Dandys - Virtuosen der Lebenskunst. Eine Geschichte des mondänen Lebens" Köln: Böhlau 2002), die einen umfassenden Überblick über den Dandy als kulturelles Phänomen in Europa bietet. Warum also, so könnte man sich fragen, noch eine weitere Studie über jene oft geschilderte und vielfach analysierte literarische und kulturelle Erscheinungsform? Zunächst ist man versucht anzunehmen, das Thema sei weitgehend erschöpft und daher eher unergiebig. Gleichwohl ist die von Fernand Hörner vorgelegte Studie weit mehr als dandyhafter Luxus, denn es gelingt dem Verfasser, die proteische Gestalt des Dandys durch ein subtiles methodologisches Netzwerk, im Rückgriff auf Michel Foucaults Archäologie und den New Historicism, zu erfassen und aus der gewählten systematischen Perspektive subtil zu beleuchten.
Die Herausgeber haben einen erstaunlich differenzierten und perspektivenreichen Band über Sartres Beziehung zu den Medien zusammengestellt, der so unterschiedliche Aspekte umfasst wie das Verhältnis des französischen Existenzphilosophen zum Film, insbesondere seine Tätigkeit als Drehbuchautor, seine Bildtheorie und visuell geprägte Theaterästhetik sowie seine Phänomenologie des Blicks und Konzeption des Imaginären. Es handelt sich, wie ein erster Überblick zeigt, um sehr heterogene Gesichtspunkte, die nicht ohne weiteres auf einen Nenner zu bringen sind, zwischen denen sich aber bei genauerer Betrachtung durchaus interessante und fruchtbare Verbindungslinien ziehen lassen. Michael Lommel weist in seiner Einführung „Elemente zur Einleitung" zu Recht darauf hin, dass bereits die philosophischen Schriften Sartres von der Kinoerfahrung beeinflusst seien, etwa das unmittelbare Auftauchen des Anderen, welches an Kinophantasien erinnere. Mit den Schlüsselbegriffen 'rôle', 'projet', 'transcendance' habe Sartre zudem die alternativen Lebensentwürfe und virtuellen Biografien vorweggenommen, die im Zeitalter der digitalen Medien und Computerspiele eine neue Aktualität gewinnen, auch wenn Sartre selbst wohl eher den theatralischen Raum als Experimentierfeld vor Augen hatte. Der Möglichkeitssinn und die Erkenntnis der Potentialität in Sartres Existenzphilosophie weisen zudem Affinitäten zum Genre des Episodenfilms auf.
Klaus Kreimeier diskutiert die Kindheitserfahrungen Sartres, seine ersten Kinobesuche im Alter von 6-7, die er rückblickend in seinen Erinnerungen "Les mots" (1964) eingehend schildert. Filme wie "Fantômas" und "Maciste" haben die Phantasie des Jungen modelliert und formativ auf ihn gewirkt. Neben den vornehmen Kinopalästen der Bourgeoisie faszinierte den jungen Sartre besonders die sinnlich intensive Atmosphäre des kleinen unprätentiösen Schlauchkinos in der Nachbarschaft. Die damaligen Katastrophenfilme (Anno 1912) erzeugten das Gefühl der Angst im kindlichen Beobachter, und zwar im Sinne einer physikalisch-körperlichen Überwältigung durch die Reizüberflutung, und lösten zugleich eine Art Katastrophensehnsucht aus. Der fast sechzigjährige Sartre erinnert in seinem autobiographischen Rückblick an die weiblichen Begleitpersonen des Kindes, insbesondere an seine damals noch jugendliche Mutter, die den Projektionssaal des Cinéma ebenfalls als bevorzugtes Unterhaltungsmedium an Regentagen zu schätzen wusste.
Von Edgar Allan Poe über Charles Baudelaire bis zu Walter Benjamin und Franz Hessel gilt der Typus des Flaneurs als ein ebenso faszinierender wie unverzichtbarer Bestandteil der modernen Großstadterfahrung, anhand dessen sich eine für den Epochenwandel im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert charakteristische Haltung bzw. Verhaltensform beispielhaft nachvollziehen lässt. Aus dem unvollendeten ‚Passagenwerk‘ Walter Benjamins ist der flanierende Großstadtbewohner nicht wegzudenken, der bevorzugt die Auslagen der Schaufenster besichtigt und - gelegentlich in Begleitung von angeleinten Schildkröten - durch die Passagen spaziert. Er ist offensichtlich beides zugleich: ein symptomatisches Phänomen der Kultur moderner Metropolen und ein Gegengewicht zu jener Beschleunigungserfahrung im Fahrwasser von Modernisierungsprozessen, insofern er die selten gewordenen Eigenschaften der Langsamkeit und Beschaulichkeit kultiviert. Während die erwähnten Beispiele vertraute Erscheinungsformen im Panorama der Literaturgeschichtsschreibung bilden und in Darstellungen zur literarischen Moderne in Europa entsprechend häufig genannt und zitiert werden, lassen sich neben den bekannten Autoren und Texten zu Figur und Habitus der flanierenden Müßiggänger durchaus noch Quellen entdecken, die bislang eher wenig Berücksichtigung gefunden haben. Margaret A. Rose hat mit ihrem neuen Buch Flaneurs & Idlers eine bemerkenswerte Edition von zwei bislang schwer zugänglichen Texten aus dem Umkreis der Kulturgeschichte des Flaneurs vorgelegt. Gemeint sind Louis Huart, "Physiologie du flâneur" und Albert Smith, "The Idler upon Town" (1848).
Dass der Name Spinoza und seine Schriften in der philosophischen und literarischen Rezeption des 17. und 18. Jahrhunderts für eine spezifische Form des kritischen Denkens stehen, die insbesondere in den Beiträgen und Debatten einer radikalen Aufklärung verhandelt wird, ist seit den Studien Paul Vernières ("Spinoza et la pensée française avant la Révolution". Paris: PUF 1954) und Winfried Schröders ("Spinoza in der deutschen Frühaufklärung". Würzburg: Königshausen und Neumann, 1987) bekannt. Der genannte Zusammenhang zeigt sich indessen in Yves Cittons Studie unter einem völlig neuen Blickpunkt. Der Einsatz des Buchs ist, wie bereits der Titel signalisiert, ein doppelter: Zum einen geht es um jene philosophisch-systematische Problematisierung des Freiheitsbegriffs, wie sie Spinoza in seinem Hauptwerk, der Ethik, durchführt. Zum anderen gilt die Aufmerksamkeit den vielfältigen Resonanzen und Fortschreibungen, die das 'System' Spinoza in den Kreisen der philosophes, den Diskussionen der Salons und in Romanen der französischen Aufklärung hervorruft. Die Arbeit rekonstruiert diese beiden in Form und Stil gänzlich verschiedenen Diskursstränge, indem sie sie in einer parallelen, durchgängig auf zwei Ebenen geführten Lektüre miteinander konfrontiert. Die Resonanz, die die spinozistischen Topoi in den Debatten und literarischen Fiktionen der Aufklärung erhalten, zeugt von der produktiven Anregungskraft des Spinozaschen Ansatzes, der sich so weniger als ein fertiges Denkgebäude denn als eine kombinatorische "Maschine der Ideenproduktion" ("machine-à-articuler-de-la-pensée", S. 19) erweist. Ob die Umschriften und Interpretationen des unter dem Namen Spinoza tradierten Gedankenguts, die die philosophische Imagination des 18. Jahrhunderts auf solche Weise hervorbringt, noch durch die Autorität der Spinozaschen Texte gedeckt sind, lässt sich dabei zumeist nicht ohne weiteres entscheiden. Von daher ist die Diskussion, die dort im Zeichen des Spinozismus geführt wird, unter Begriffen wie ‘Einfluss' oder 'Rezeption' kaum zureichend zu erfassen (vgl. S.43). Zutreffender lässt sich, wie Citton vorschlägt, das imaginaire spinoziste, das aus jenen Debatten hervorgeht, als Produkt der inventio, als 'Erfindung' beschreiben (S. 42-43). Die Vorstellung einer Erfindung des Spinozaschen Projekts verdankt sich dabei weniger, wie man zunächst meinen könnte, einer postmodernen oder poststrukturalistischen Inspiration, sie kann sich vielmehr auf die Selbstbeschreibungen der Epoche berufen. Schon von einem zeitgenössischen Beobachter des 18. Jahrhunderts, der der anti-spinozistischen Offensive angehört, Joseph Adrien Lignac, wird das Tun derer, die er für Spinozisten hält, als eine "invention" bzw. "seconde invention" beschrieben (S. 42). Man mag ein Moment von Ironie darin sehen, dass an dieser re-inventio des Spinozaschen Projekts, die zugleich eine Radikalisierung und eine Refundierung ist, offenbar auch diejenigen teilhaben, die es, der Intention nach, in aller Entschiedenheit angreifen und bestreiten. Die anti-spinozistischen Gegner befördern, ohne es zu wollen, die Verbreitung und Vertiefung jenes spinozistischen Gedankenguts, das sie prima facie bekämpfen (vgl. S. 44-45). Mehr noch: Die Gegner sind bisweilen sogar die scharfsichtigeren Leser Spinozas: in ihren Polemiken lassen sie die radikaleren Implikationen von Spinozas Entwurf mitunter deutlicher zutage treten als seine spinozistischen Nachfolger. Zur Verwischung der Grenze von Diskurs und Gegendiskurs, die sich hier zeigt, tragen indessen, wie Citton scharfsinnig beobachtet, auch die Spinozisten bei. Denn auch sie schließen keineswegs nur in positivem oder bestätigendem Sinne an Spinoza an. Im Gegenteil: diejenigen, die Spinozas Konzept fortschreiben, berufen sich kaum je in zustimmender Weise auf ihren 'Meister'. Charakteristisch für dessen aufklärerische Nachfahren ist vielmehr ein Moment der Negation, der zumindest partiellen Zurückweisung, durch das sie sich vom 'System' Spinozas abzugrenzen und zu unterscheiden suchen (vgl. S. 39-40, 43-44).
Zum 100. Todesjahr Schillers brachte der Verlag von Hans Bleher in Stuttgart eine sechsteilige Postkartenserie heraus. Die Karten sind Montagen von Bildern aus den jeweiligen Lebensabschnitten und Schaffenszeiten: Bildnisse, Ansichten von Erinnerungsorten, Szenen aus Dramen etc. Dieses Bildmaterial wird auf den sorgfältig gestalteten Karten, einem Dokument der Schillerfeiern 1905, erläutert.
Schiller-Motive auf Postkarten : eine Dokumentation ; Wilhelm Tell ; Verlag Theo Stroefer, Nürnberg
(2007)
Die anonyme Postkartenserie wurde vom Kunstverlag Theo Stroefer in Nürnberg zum 100jährigen Jubiläum von Schillers „Wilhelm Tell“ 1904 oder aus Anlass der Schillerfeiern 1905, zum 100. Todestag des Dichters, auf den Markt gebracht. Die Illustrationen bilden ein historisches Zeugnis der Schillerrezeption. Den Bildern gibt das Goethezeitportal den Bezugstext bei.
Schriftstellerberuf
(2007)
Der Beitrag erläutert den Forschungsstand zur Entdeckung der Spiegelneuronen und fragt nach den Folgen dieser Entdeckung für die alte Frage nach dem Grund unseres Wohlgefallens an nachgeahmten Handlungen. Der Beitrag argumentiert, dass die Spiegelneuronen mindestens einer der zentralen neuronalen Mechanismen sind, die erklären, warum der Mensch Literatur hat. Diese Hypothese hat ihrerseits Folgen für einen präziseren Begriff der Literatur. Literatur besteht demnach aus Nachahmungsgeschichten. Sie ist Nahrung für unseren Nachahmungsinstinkt. Die Spiegelneuronen erklären, warum wir diese Nahrung brauchen und welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit Literatur diese Funktion erfüllen kann.
Sieht man von Beispielen strikter Ghettoisierung ab, bleibt der Fremde nicht sein Lehen lang fremd, und auch der interkulturelle Schriftsteller läuft Gefahr, sich der Mehrheitssprache anzupassen, bis er schließlich seinen Sonderstatus verliert und ein "normaler" deutscher Autor wird. Im allgemein-gesellschaftlichen Bereich spricht man hier von Assimilierung. Spätestens seit der massiven Eingliederung westeuropäischer Juden im 19. und frühen 20. Jahrhundert weiß man, daß der Anpassungswille von Außenseitern oftmals den von "Einheimischen" übertrifft, die sich um ihre kulturelle Identität ohnehin keine Gedanken machen. Auch heute kann man dieses Phänomen immer wieder beobachten. Im Bereich der Literatur gibt es Autoren, [...] die sich um ein besonders gutes, besonders literarisches Deutsch bemühen - so als müßte der Zuwanderer erst einmal seine Sprachkompetenz unter Beweis stellen (und im gesellschaftlichen Leben muß er das ja auch). In sprachlicher Hinsicht, nicht in bezug auf den Inhalt seiner Geschichten, gibt er damit seine spezifische Differenz auf, die ihn in die Lage versetzen könnte, etwas Neues, bislang Unerhörtes zu schaffen. Kein Problem - auch gut geschriebene Erzählungen ohne innovative Ansprüche haben ihre Daseinsberechtigung. Sie teilen den Angehörigen der Mehrheitskultur subjektive Erfahrungen aus einer fremden Kultur mit, die in keinem Medium, abgesehen vielleicht vom Kinofilm, so gut mitteilbar sind wie in dem der Literatur. Allerdings gilt das auch für übersetzte Werke, so daß die Bereicherung der deutschen Sprachkultur in erster Linie eben doch von jenen Autoren ausgeht, die zunächst einmal das Risiko eingehen, "schlecht" zu schreiben.
Im Anschluss an Foucault könnte man sagen, dass die Funktion 'Herausgeber' darin besteht, erster Leser und zweiter Autor eines Texts zu sein, dadurch Kohärenz zu stiften und dem Text einen Rahmen zu geben. Dies geschieht durch eine Reihe editorialer Tätigkeiten: erstens das sammelnde Zusammenlesen von Manuskripten, zweitens das arrangierende Zusammenstellen der Textteile (ein Vorgang, den man auch als Zusammenschreiben bezeichnen könnte); drittens das kommentierende Dazuschreiben, das sich auf den Text als ein Gewebe von Spuren bezieht. Mit dieser kommentierenden Bezugnahme auf den Text findet eine diskursive Rahmung statt, die sich häufig als Paratext manifestiert: als Fußnote, als Überschrift, als Marginalie, als Inhaltsverzeichnis oder als Index der erwähnten Namen und behandelten Themen. Dergestalt etabliert das kommentierende Dazuschreiben des Herausgebers – und zwar gleichgültig, ob es sich um einen fiktionalen oder einen faktualen Herausgeber handelt – ein zweites Netz editorialer Indices, die vom Rande her wie mit Zeigefingern auf den Text verweisen.
Stifter-Gänge
(2007)
Ist 'das Ding' Stifters liebstes Substantiv, so darf 'gehen' als sein bevorzugtes Verb gelten. In der Erzählung 'Der Waldgänger' sieht sich etwa der an einem lebensweltlichen und geographischen "Scheidepunkte" innehaltende Wanderer von einer Landschaft umgeben, in der die Dinge buchstäblich ihren Gang gehen:
'Ganz oben, wo das Thal mit noch geringer Tiefe anfängt, begann auch ein winziges Wasserfädlein, neben dem Wanderer abwärts zu gehen. Es ging in dem Rinnsale neben dem Wege unhörbar und nur glizzernd vorwärts, bis es durch die Menge des durch die Höhen sickernden Wassers gestärkt vor ihm plaudernd und rauschend einher hüpfte, als wolle es ihm den Weg durch die Thalmündung hinaus zeigen [...]. Sie gingen an manchem Waldabhange, an mancher schattigen Stelle vorbei [...], sie gingen an manchen zerstreuten Häuschen, an mancher Mühle, an mancher auf einem tiefgelegenen Wiesenflecken weidenden Kuh vorüber, bis endlich nach einigen Stunden Wanderns [...] die hingebreitete große Ebene begann. Der Bach ging breit und wallend links gegen die Felder und Bäume [...]. (WG, 98f)'
Dem Gang der Dinge untersteht der Lauf der Welt. Diese Identität von Naturvorgängen und Lebensläufen immer neu, allen Irrwegen und Katastrophen, allen Sprüngen und Brüchen zum Trotz, unter Beweis stellen zu wollen, tritt Stifters Autorschaft an. Trauma und Trost seines Universums liegen beschlossen in dem fast stereotyp wiederkehrenden Satz: "Und so ging es immer fort."
Auf ihrer kulturellen Westroute erhält die therianthrope Erfahrung ihre moderne, wissenschaftliche Formulierung im 18. Jahrhundert, allem voran durch die institutionelle Ausbildung der Anthropologie. Die Wissenschaft vom Menschen bleibt von Anfang an ein merkwürdiger Schnittpunkt von Medizin, Literatur, Psychologie und Geschichte. Dieser auffällige Vorgang, er läßt sich bei vielen verfolgen, besonders intensiv und mit der ursprünglichen Plastizität neu formierter Erkenntnislagen aber bei Friedrich Schiller. Bereits Schillers erste publizierte Schrift setzt den Menschen einer Polarität aus, deren Widersprüchlichkeit - die Schillers gesamtes Werk umtreibt - schon in ihren Titelworten rumort: "Über den Zusammenhang der tierischen Natur des Menschen mit seiner geistigen". Schiller - wie später dann Büchner, Döblin, Benn und andere einer jener Mediziner-Dichter, die einschneidende Erfahrungen mit dem menschlichen Körper haben - reichte den Text als medizinische Dissertation 1780 an der Stuttgarter Karlsschule ein. Trotz der erstaunlichen Ansätze zu einer Psychosomatik - das Zusammenspiel von Biologie und Seele - und der Aussagekraft von Träumen - "dem Integralbild des Traums" -, die darin in die wissenschaftliche Zukunft zeigen, stößt man hier doch vor allem auf das neue anthropologische Objekt als das alte Kompositum: den "Tiermenschen".
Die vier vorgestellten Bücher haben uns sozusagen Zitterpartien in der Zirkuskuppel präsentiert: Daß der stets angeduselte, häufig auch kurz vor der Ohmacht stehende Ich-Erzähler aus "Faserland" seine Reise überhaupt so weit durchsteht, kam uns vor wie ein kleines medizinisches Wunder. Die ständig unzufriedenen, unentwegt in ihrem narzißtischen Wettstreit befindlichen Sprecherinnen aus "Königinnen" sahen wir gleich mehrere Mal hysterisch in sich zusammenstürzen. Der Erzähler aus "Heute könnte ein glücklicher Tag sein" wirkte auf uns wie ein Gast in seinem eigenen Leben: unschlüssig darüber, was von ihm erwartet wird. Die übersexualisierten und dabei vollkommen isolierten Männer aus "Die Schnecke" beobachteten wir bei mühsamer Inbetriebhaltung ihrer neurotischen Überlebenstechniken. Und die Absicherungsmaßahmen, die diese literarischen Figuren in ihrem Leben installierten - Markenfetischismus, Affirmation des Konsums, besinnungslose Medienbeschallung, Zelebrierung des kleinen Unglücks, Inszenierung des Ennnuis, sexuelle Getriebenheit, Kultivierung der Neurosen und Depression -, dies alles hat sich bei näherem Besehen als untauglich erwiesen, vor allem für die dauerhafte Stabilisierung eines emotionalen Gleichgewichts.
Varianten oder Zeichen : zur Diskussion um die Textlichkeit der Bibel von Spinoza bis Derrida
(2007)
»Die Bibel: iss für mich’n unordentliches Buch mit 50 000 Textvarianten. Alt und buntscheckig genug, Liebeslyrik, Anekdoten [...]«. Zugegeben: Arno Schmidt, in dessen 1955 erschienener Erzählung Seelandschaft mit Pocahontas sich der dem Verfasser keineswegs unähnliche Protagonist derart spöttisch äußert, mag nicht gerade der berufenste Kommentator für die Heilige Schrift sein! Allzu oft und unmissverständlich hat dieser sogenannte ›Solipsist in der Heide‹ klar gemacht, dass er sich als Atheist verstand und auch als solcher verstanden wissen wollte. Aber trotzdem: Wer der Bibel nicht glaubt, der kann sie womöglich umso unbefangener als Text wahrnehmen, kann sich eventuell umso ernsthafter mit ihrer Sprachlichkeit auseinandersetzen und Qualitäten erkennen, die über den theologischen Wahrheitsgehalt hinausreichen und doch mit der Frage nach der Wahrhaftigkeit des Schriftsinns verbunden bleiben.
Lenz' Dramen stehen zu seiner Dramentheorie in eigentümlicher Spannung: Die "Anmerkungen über's Theater" sind weitgehend von der Idealvorstellung eines schöpferischen und frei handelnden, sein Schicksal selbst bestimmenden Menschen beherrscht. Von einem durchaus Unfreien handelt hingegen "Der Hofmeister". Dem Schicksal der Alten zwar nicht mehr unterworfen, ist doch die Hauptfigur in ihrer Handlungsfreiheit durch innerweltliche Gewalten nicht weniger eingeengt. [...] Um den Text mit den "sozialen Energien" seines Entstehungszusammenhangs wieder aufzuladen, sind die diskursiven Fäden seiner Verstrickung in außerliterarische Zusammenhänge zu verfolgen; Literatur ist dabei als eine Form des Wissens auf andere zu beziehen, die ihren Gegenstand in je spezifischer Weise konstituieren. So stellt das Soziale im Drama sich anders dar als in wissenschaftlichen Abhandlungen etwa, wie sie "die herrschende Sozialphilosophie der Zeit von 1600-1800" produziert hat: die Lehre vom Naturrecht.
Der Begriff der Interaktivität ist mittlerweile zum Zauberwort der digitalen Epoche geworden• Er verspricht nicht nur eine neue Erfahrung bei der Aufnahme eines Kunstwerkes, sondern verweist vor allem auf das veränderte Benutzer-Bild im digitalen Medienzeitalter. Anders als der passive und manipulierbare Rezipient des Fernsehens ("Couch Potato") trifft der aktive, selbstbewußte Benutzer im Netz selber die Entscheidung unter den verschiedenen Möglichkeiten, die die neuen Medien anbieten, und nimmt unmittelbar am Prozeß der Konfiguration teil. Vom idealen Benutzer im Netz wird hier angenommen, daß er immer Lust hat, zwischen den Hyperlinks zu wählen, um den eigenen Weg im und aus einem medialen Labyrinth für sich zu finden. Dieses strahlende Bild von niemals erschöpften Benutzern wird sogleich in dasjenige von Lesern der hypertextuellen bzw. hypermedialen Literatur transformiert. Die durch Knoten organisierte Literatur präsentiert mehrere inhaltliche oder formative Variationen, eine von denen wird nur mit dem Eingreifen des Lesers vollendet. Tatsächlich wird das Thema bezüglich der Interaktivität diskutiert, immer unter der Vorraussetzung, daß der Leser gerne diese aktive Rolle übernimmt. Dabei fehlt aber die wichtige Frage, ob man in jeder Situation wirklich aktiv sein will. Wie wir an der nicht so erfolgreichen Geschichte der Hypertextliteratur im letzten Jahrzehnt beobachten konnten, erzeugt der sich wiederholende Aufruf zur Entscheidung meistens uninteressante Ergebnisse und demotiviert den Rezipienten. Ob es um den Zuschauer beim interaktiven Fernsehen, um den Benutzer bei der Informationssuche oder auch um den Leser bei der Hyperfiktion geht - nicht immer ist die Aufforderung, jederzeit bereit zu sein, willkommen und angenehm. "Kreativität und Phantasiereichtum entwickeln sich zu neuen Prestigeindikatoren, die aktive Rezeption wird soziales Druckmittel."
Die Frage, was Literatur ist, scheint nicht nur die grundlegendste zu sein, die sich der Literaturwissenschaft stellt, sie ist zugleich ihre abgründigste. Grundlegend ist sie, weil sie nach dem Wesen der Literatur fragt und damit eigentlich eine Selbstverständlichkeit aufruft, die die Auseinandersetzung mit Literatur begleitet. Abgründig ist sie, weil auch die scheinbar selbstverständlichsten Definitionen der Literatur bisher nicht zu einer einheitlichen Auffassung vom Wesen der Literatur geführt haben. So steht die Literaturwissenschaft bereits mit der ersten Frage, die sich ihr stellt, vor einem scheinbar unaufhebbaren Dilemma. Auf den Gegenstand angesprochen, der ihr zugehört und der entsprechend über ihre Berechtigung als Wissenschaft Auskunft zu geben vermöchte, bleibt sie im Unklaren.
Weimarer Beiträge 53/2007
(2007)
Die Weimarer Beiträge sind eine Zeitschrift für Literaturwissenschaft, aktuelle ästhetische Theorie und Kulturwissenschaft. Zu Ihren Schwerpunkten gehören moderne Literatur im Rahmen anderer Künste und Medien, die Wechselbeziehungen von Literatur, philosophischer und ästhetischer Reflexion sowie die kritische Analyse der Gegenwartskultur.
Das Gedicht „Der Lindenbaum“ (1823), mit den Anfangszeilen „Am Brunnen vor dem Tore / Da steht ein Lindenbaum“, aus dem Zyklus „Die Winterreise“ von Wilhelm Müller ist zum Volkslied geworden. Es wurde mehrfach komponiert, vor allem durch Franz Schubert, und vielfach illustriert. Mit dem Text und einer Biographie des „Griechenmüller“ publiziert das Goethezeitportal 20 alte Postkarten mit gemalten oder fotografierten Motiven dieses Liedes.
Das Gedicht „Ungeduld“, mit der Anfangszeile „Ich schnitt es gern in alle Rinden ein“, erschien 1820 in der Sammlung "Sieben und siebzig Gedichte aus den hinterlassenen Papieren eines reisenden Waldhornisten". Ähnlich wie „Der Lindenbaum“ wurde auch dieses Gedicht Wilhelm Müllers im 19. Jahrhundert zum Volkslied, das vielfach komponiert, unzählige Male illustriert und auch parodiert wurde. Die Wendung „Dein ist mein Herz und soll es ewig bleiben!“ wurde als Liebes- und Treueschwur zum geflügelten Wort. Mit dem Text und einer Biographie des „Griechenmüller“ publiziert das Goethezeitportal 27 alte Postkarten mit gemalten oder fotografierten Motiven dieses Liedes.
In der Einleitung eines von ihnen herausgegebenen Sammelbandes schlagen Jürgen Fohrmann und Helmut J. Schneider vor, die Geschichte der 1830er und 1840er Jahre als "die Geschichte von 'Bewegung'" zu erzählen. Sie sehen diese beiden Dezennien durch einen Diskurswechsel bestimmt, "der mit den politischen Schlagworten 'Leben', 'Jugend', 'Gegenwart', 'Emanzipation' usw. eine strukturelle Umpolung unserer Semantik auf 'Bewegung' hin versucht". Dieser Vorschlag leuchtet unmittelbar ein; doch ist von dem Diskurswechsel nicht nur die Semantik, sondern auch die Pragmatik der Literatur und damit die Konzeptualisierung der Autorposition betroffen. Lässt sich in diesem Sinne eine ganze Reihe von Schriftstellern nennen, die sich in den genannten Jahrzehnten einem neuen, im Zeichen der politischen Emanzipation stehenden Konzept der Autorschaft verschreiben, so kennzeichnet es die Schriften Heinrich Heines, dass sie an diesem Konzeptwechsel nicht lediglich teilhaben, sondern ihn thematisieren und inszenieren. Ja, man kann sagen, dass die Inszenierung der eigenen Autorschaft einen Grundzug des Heineschen Werkes darstellt.
Welches sind [...] die Kanäle, auf denen wir unsere Traditionen und unser Wissen kommunizieren und übermitteln? Diese Frage muss für jede Generation neu verhandelt werden. Umberto Eco macht darauf aufmerksam, dass dies nicht allein über den Weg der Hochkultur geschieht. In seinem jüngsten Roman "Die geheimnisvolle Flamme der Königin Loana" (2004)3 beschreibt er am Beispiel seines Protagonisten Yambo Bodoni die éducation sentimentale seiner Generation, aufgewachsen und sozialisiert im Zeichen des italienischen Faschismus, aber auch einer insbesondere aus den USA stammenden Gegenkultur. Hierfür be- und hinterfragt Eco – und dies ist ein Novum für die italienische Literatur – insbesondere die Populärkultur der Zeit, die er in Form von Comics, Fotos, Plakaten und sogar Schlagern und Propagandaliedern als originale Bild- und Textzitate in die Romanhandlung integriert.
Im Bereich der deutsch-ungarischen literarischen Wechselbeziehungen offenbaren sich kontinuierlich neue Forschungslücken, die Fragestellungen aufwerfen, welche bislang weder von der Germanistik, noch von der hungarologischen Forschung hinreichend beantwortet wurden. Die Wirkungsgeschichte Hölderlins in Ungarn stellt zweifels ohne eine derartige Forschungslücke dar: selbst in den groß angelegten Forschungsprojekten zur Geschichte der Aufnahme der deutschsprachigen Literaturen in Ungarn wurde auf die Rezeption des Hölderlinschen Werkes entweder nur am Rande oder gar nicht eingegangen. Dies überrascht umso mehr, als die Rezeptionshandlungen bereits seit Jahrzehnten über die Grenze des Textmediums hinaus wiesen. In der Folge soll Andor Sas’ 1909 veröffentlichter Hölderlinaufsatz – der den Beginn der ungarischen Hölderlinforschung darstellt – einer kritischen Analyse unterzogen werden.