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Aktuelle wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit dem Sinnerleben Beschäftigter thematisieren vor allem die Problematik eines belastungsbedingten Sinnverlustes. Danach leiden immer mehr Beschäftigte darunter, ihre Arbeit nicht mehr als sinnvoll empfinden zu können. Eine solche Perspektive lässt allerdings die subjektiven Gestaltungsleistungen und Aneignungsformen von Arbeit aus dem Blick geraten. Diesen wendet sich der Beitrag zu, indem er danach fragt, inwieweit sich unterschiedliche Formen der Aneignung von Arbeit identifizieren lassen. Auf der Basis von Interviews mit vierzig hochqualifizierten Beschäftigten werden drei unterschiedliche Aneignungsmodi mit ihren inhärenten Ambivalenzen identifiziert. Jeder Modus steht für eine spezifische Sichtweise auf die eigenen Gestaltungsmöglichkeiten und für eine Form der primären Sinnzuschreibung in der Arbeit. Differenziert werden drei Idealtypen – „progressive Sinngestaltung“, „widerständige Sinnbewahrung“ sowie „pragmatische Sinnbewahrung“ –, anhand derer die Heterogenität und die Ambivalenzen der Aneignung professioneller Arbeit deutlich werden. Der Beitrag liefert so Erkenntnisse über die subjektiven Praktiken des Bedeutsam-Machens von Arbeit und trägt zur Erforschung des Zusammenspiels von Arbeit und Subjektivität bei.
Den Menschen als vernunftbegabtes Wesen, als animal rationale, zu begreifen heißt, ihn als rechtfertigendes Wesen anzusehen. Die Vernunft ist die Fähigkeit, sich anhand rechtfertigender Gründe in der Welt zu orientieren. Denn „ratio, raison, reason bedeutet“, wie Tugendhat hervorhebt, „ebenso sehr ‚Grund‘ wie ‚Vernunft‘. Das Vermögen der Vernunft ist die Fähigkeit, für seine Meinungen und für seine Handlungen Rede und Antwort stehen zu können; lat. rationem reddere, griech. logon didonai.“ Dieses Rede-und-Antwort-Stehen ist eine soziale Praxis kulturell und historisch situierter Wesen, die einerseits frei sind, ihre Gründe zu wählen und zu prüfen, andererseits aber daran gebunden, welche Gründe ihnen zur Verfügung stehen und welche als gut oder rechtfertigend gelten. Der Raum der Gründe ist ein Raum der Rechtfertigungen, die nicht nur Einzelhandlungen, sondern auch komplexe Handlungsordnungen, also soziale Verhältnisse und politische Institutionen, legitimieren.
Menschen sind aber auch erzählende Wesen. Der Raum der Gründe, in dem sie sich orientieren, ist kein nackter Raum einzelner Sätze oder gar Normen, sondern bevölkert von Narrativen.
Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, den Wohnungsbau der letzten 15 Jahre im Frankfurter Europaviertel mit Hilfe David Harveys Raumökonomie des Kapitals zu betrachten. Dazu wird der Frage nachgegangen, inwiefern sich die im Europaviertel zu betrachtenden Urbanisierungs- und Investitionsprozesse mit Hilfe Harveys gesellschaftstheoretischer Raumökonomie erklären lassen. Zur Beantwortung dieser Frage wird eine Recherche und Analyse diverser Datenquellen aus Wissenschaft, Medien und Politik vorgenommen. Die Analyse der Quellen zeigt, dass Harveys an Karl Marx angelehnte Theorien der Urbanisierung des Kapitals und einer ‚uneven geographical development‘ aufschlussreiche Erklärungsmöglichkeiten für die Investitionsprozesse vor Ort liefern können. Die Betrachtung findet dabei auf einer makroökonomischen Ebene statt und bezieht die Finanzialisierung von Immobilien sowie die Miete von Wohnraum als mögliche Aspekte zur Sicherstellung der Kapitalzirkulation ein.
An die Soziologie werden zunehmend Fragen des ökonomischen Nutzens und der gesellschaftlichen Relevanz herangetragen. Ein Wissen um den gesellschaftlichen Impact soziologischen Wissens und die Artikulation eines Nutzens für die Praxis sind wertvolle Werkzeuge im Kampf um die Alimentation soziologischer Forschung. Aber wie wird soziologisches Wissen überhaupt angewendet? Um diese Frage zu beantworten, wird soziologisches Wissen definiert und dessen Anwendung expliziert. Unter Zuhilfenahme von Wissenschaftstheorie und Wissenssoziologie wird zunächst eine Definition erarbeitet. Anschließend werden Forschungsgebiete, die sich mit der Anwendung von (soziologischen) Wissen beschäftigen, vorgestellt – allen voran die soziologische Verwendungsforschung. Darauf aufbauend wird eine Explikation der Anwendung soziologischen Wissens erarbeitet, vor dessen Hintergrund aktuelle Bemühungen, soziologisches Wissen stärker anzuwenden, betrachtet werden. Die abschließende Diskussion beschäftigt sich mit den Möglichkeiten und Restriktionen der Anwendung soziologischen Wissens und betont die Rolle der Soziologie als kritische gesellschaftliche Aufklärungsinstanz.
Die Forschungsfrage dieser Arbeit untersucht die Veränderungen in der sicherheits- und verteidigungspolitischen Agenda von Bündnis 90/Die Grünen seit dem Ausbruch des Ukraine-Krieges 2022. Die Analyse zeigt, dass die Grünen ihre Agenda angepasst haben, jedoch ihre politische Kultur beibehalten. Obwohl sie sich neuen sicherheitspolitischen Herausforderungen stellen, bleiben ihre pazifistischen Grundprinzipien erhalten. Es wurde eine Reihe von Veränderungen festgestellt, darunter eine verstärkte Unterstützung für militärische Maßnahmen, jedoch bleibt die Priorität bei nicht-militärischen Ansätzen wie Diplomatie und humanitärer Hilfe. Die Ergebnisse zeigen, dass die Grünen eine pragmatischere Betrachtung der Sicherheitspolitik angenommen haben, ohne ihre grundlegenden Werte zu verlieren. Die Erkenntnisse dieser Arbeit bieten eine Grundlage für zukünftige Forschungen zur Entwicklung der sicherheitspolitischen Agenda der Grünen und zur öffentlichen Wahrnehmung dieser Veränderungen.
In this article, I question the use of the notion of ‘constituent power’ as a tool for the democratization of the European Union (EU). Rather than seeing the absence of a transnational constituent power as a cause of the EU’s ‘democratic deficit’, I identify it as an opportunity for unfettered democratic participation. Against the reification of power-in-action into a power-constituted-in-law, I argue that the democratization of the EU can only be achieved through the multiplication of ‘constituent moments’. I begin by deconstructing the normative justifications surrounding the concept of constituent power. Here I analyze the structural aporia of constituent power and question the autonomous and emancipatory dimension of this notion. I then test the theoretical hypothesis of this structural aporia of the popular constituent power by comparing it with the historical experiments of a European popular constituent power. Finally, based on these theoretical and empirical observations, I propose to replace the ambivalence of the concept of popular constituent power with a more cautious approach to the bottom-up democratization of European integration: that of a multiplication of transnational constituent moments.
Das Staatsangehörigkeitsrecht verankert rechtlich Vorstellungen über Zugehörigkeit und bestimmt wer vollumfängliche Rechte in einer Gesellschaft hat und wer nicht. Jahrzehntelang wurde Migration in Deutschland als etwas temporäres betrachtet. Im Staatsangehörigkeitsrecht galt bis zur Reform 1999/2000 weitgehend das „ius sanguinis“, das Abstammungsrecht, das auf einem rassistischen und völkischen Staatsverständnis beruht. Diese Reform bedeutete somit mehr als eine reine Gesetzesänderung. Sie war eine Anerkennung Deutschlands als Einwanderungsland und die Veränderung der Vorstellung deutscher Identität. Als Reaktion entbrannte infolge der Reformpläne eine hitzige, rassistische Debatte in der Öffentlichkeit über ebendiese Fragen, die unter dem polarisierten Schlagwort „Doppelpass“ verhandelt wurde. Es war die lauteste migrationspolitische Debatte dieser Zeit.
Kurze Zeit vor Beginn dieser Debatte war die rechtsterroristische Gruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) abgetaucht, um einem Haftbefehl zu entgehen. Der NSU war ein deutsches, neonazistisches Netzwerk, in dessen Mittelpunkt drei Terrorist*innen standen. Sie verübten über einen Zeitraum von zwölf Jahren eine rassistische Mordserie an neun Personen türkischer, kurdischer und griechischer Herkunft sowie drei Sprengstoffanschläge auf migrantische Orte und ermordeten eine Polizistin. Den ersten ihrer Sprengstoffanschläge begingen sie nur einen Monat nach der Unterzeichnung der Reform. Wenige Monate nach dem Inkrafttreten des Gesetzes begannen sie mit dem Anschlag auf Enver Şimşek ihre rassistische Mordserie.
Diese Arbeit untersucht anhand der Struktur der Historisch-Materialistischen Politikanalyse das Migrationsregime um die Staatsangehörigkeitsreform von 1999/2000 und wie der NSU darin verortet werden kann.
Die Kontextanalyse stellt auf der Grundlage einer Literaturrecherche die relevanten historischen und strukturellen Faktoren der Debatte sowie des NSU dar. Im nächsten Schritt werden mithilfe einer Analyse von Zeitungsartikel aus dieser Zeit die relevanten Akteur*innen identifiziert und in die vier Hegemonieprojekte neoliberal, sozial, linksliberal-alternativ und konservativ gruppiert. Darauffolgend wird der Ablauf der Debatte in vier Phasen darstellt und als Aushandlung der vier Hegemonieprojekte rekonstruiert. Dabei zeigt sich, dass kein Projekt sich vollumfänglich durchsetzen und Hegemonie erreichen konnte, sie jedoch unterschiedlich stark in den Medien repräsentiert wurden.
Im letzten Schritt betrachtet diese Arbeit Verbindungen dieser Migrationsregime-Analyse zum NSU. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass der NSU kein Akteur im Migrationsregime um die Staatsangehörigkeitsdebatte von 1998/99 war. Aufgrund der geringen Erkenntnisse über spezifische Meinungen des NSU zum Staatsangehörigkeitsrecht, können keine kausalen Beziehungen hergestellt werden. Dennoch zeigt diese Arbeit Gemeinsamkeiten in den Weltbildern, Annahmen und migrationspolitischen Zielen des NSU, des konservativen Hegemonieprojektes sowie Teilen der Bevölkerung auf. Dadurch wird ein Beitrag dazu geleistet den NSU als Produkt und Teil der deutschen Gesellschaft zu begreifen.
Les Républicains in Frankreich, die Tories in Großbritannien, die österreichischen Christdemokraten: Parteien, die jahrzehntelang als feste politische Größe in ihren Ländern galten, haben einen rapiden Bedeutungsverlust erlebt, manche sind in Richtung des rechten Randes gerückt. Doch eine gemäßigt konservative Kraft rechts der Mitte ist notwendig für eine stabile und zukunftsoffene Demokratie.
Scholars and international organizations engaged in institutional reconstruction converge in recognizing political corruption as a cause or a consequence of conflicts. Anticorruption is thus generally considered a centrepiece of institutional reconstruction programmes. A common approach to anticorruption within this context aims primarily to counter the negative political, social, and economic effects of political corruption, or implement legal anticorruption standards and punitive measures. We offer a normative critical discussion of this approach, particularly when it is initiated and sustained by external entities. We recast the focus from an outward to an inward perspective on institutional action and failure centred on the institutional interactions between officeholders. In so doing, we offer the normative tools to reconceptualize anticorruption in terms of an institutional ethics of ‘office accountability’ that draws on an institution’s internal resources of self-correction as per the officeholders’ interrelated work.
Background: This study investigates the willingness of men-who-have-sex-with-men (MSM) to use HIV pre-exposure prophylaxis (PrEP). Research in the HIV/AIDS field typically relies on clinical and epidemiological studies, thereby often excluding social dimensions of the illness as well as factors explaining its prevention. The current study analyzes HIV-prevention through an interdisciplinary theoretical approach. It aims to comprehensively understand the mechanisms associated with the willingness to take PrEP among MSM in terms of psychological, social, behavioral, cultural, and demographic factors. Methods: We analyze data from the survey “Gay Men and AIDS” conducted in Germany in 2013 prior to market approval for PrEP. Analyses were performed using the statistical software SPSS 25.0, while results were visualized using the R programming language. Results: We find that perceived risk of infection, social norms (anticipated HIV-stigma), practices (e.g. regular condomless sex), and socio-demographic factors (young age, being single) all have a positive effect on the willingness to take PrEP, while education reveals a negative, and income no effect. Conclusions: Results indicate that beyond well-established socio-psychological mechanisms of health behavior, social factors play a crucial role in understanding the willingness of PrEP uptake. This study enriches existing health behavior theories with sociological concepts such as social norms and social practices.
Under pressure? : "Querdenken" - Kollektivierung als Praxisproblem einer Bewegung unter Druck
(2021)
Die vorliegende Arbeit untersucht eine lokale Telegram-Chatgruppe der Corona-Protestbewegung „Querdenken“ hinsichtlich deren Kollektivierungspraktiken. Das Erkenntnisinteresse liegt darin, zu untersuchen, wie die Gruppe in einer Zeit, in der durch häufige Demonstrationsverbote hoher Druck von außen auf sie einwirkt, Gemeinschaft herstellt. Analysiert werden dabei symbolische Grenzziehungspraktiken sowie die Mobilisierung leerer Signifikanten und – um einen Blick auf Kollektivierung als Praxisproblem zu werfen – die Konflikte, die innerhalb der Gruppe herrschen. Dabei zeigt sich eine antagonistische Identitätskonstitutionslogik, die sich anhand der privilegierten Signifikanten Demokratie vs. Diktatur konstituiert. Diese entwickeln ihre identitätsstiftende Kraft vor allem in der Attribution zu verschiedenen Subjektpositionen, von denen ‚die Politik‘ die zentrale Abgrenzungsposition für die Querdenker*innen darstellt. Weiterhin zeigt sich, dass die strategischen Konflikte, die aus dem Druck von außen resultieren, kontextabhängig gleichermaßen zersetzende wie integrative Kräfte entwickeln.
In cases in which there is the possibility of massive human losses, the threshold likelihood of their occurrence, and the non-excessive costs of their prevention, we ought to act now. This is all the more definitely the case because it may well be that this is the time-of-last-opportunity to head off one or more potential disasters, all of which may still be preventable by sufficiently rapid reductions in carbon emissions from the combustion of fossil fuel. It is unfair that the present generation should incur as heavy a burden as it does of seizing the last opportunity for prevention of disasters like large sea-level rises, but the unfairness is not sufficient to make the burden unreasonable to bear, especially since it is not in fact as heavy as often believed.
Türkisch-russische Zentralasienpolitik : geopolitische Rivalität oder strategische Partnerschaft?
(2020)
Die türkisch-russische Geschichte ist eine Geschichte der Rivalitäten. Sie wird wegen 15 Kriege zwischen den beiden Staaten als konflikthaft bezeichnet. Ihren 1. Krieg führten die beiden Staaten wegen Zentralasien, um das Khanat Astrachan (1568–1570). Der Untersuchungszeitraum dieser Dissertation erstreckt sich von diesem Datum bis zum Ende 2019. In diesem Zeitraum rivalisierten die Türkei und Russland geopolitisch in Zentralasien. Diese Arbeit konzentriert sich auf die türkisch-russische Zentralasienpolitik, bzw. darauf, wie die Türkei und Russland auf ihre gegenseitige Zentralasienpolitik reagieren, warum sie in Zentralasien geopolitisch rivalisieren (1. Forschungsfrage) und ob in Zukunft eine türkisch-russische strategische Partnerschaft in Zentralasien möglich ist (2. Forschungsfrage). Politikwissenschaftlich sind diese Fragen von großer Relevanz, weil eine mögliche türkisch-russische strategische Partnerschaft die gesamten Machtverhältnisse der Welt verändern würde.
Die vorliegende Untersuchung wurde mit dem Ziel durchgeführt, fördernde und hemmende Einflussfaktoren auf die Entstehung und Durchführung von translationaler Forschung näher bestimmen zu können. Dazu wurden im Verlauf der Forschung sechs Gruppen von möglichen Einflussfaktoren untersucht. Diese waren 1) externe politische, 2) institutsbezogene, 3) soziale (auf soziale Rollen und sozialen Status bezogene), 4) epistemische, 5) forschungskulturelle und 6) individuelle Faktoren.
Translationale Forschung wurde als Spezialform interdisziplinärer Forschung konzeptualisiert. Auch bei dieser wird Wissen aus mehr als einer wissenschaftlichen Disziplin herangezogen, um ein disziplinübergreifendes Problem zu lösen. Das Besondere an der translationalen Forschung ist jedoch, dass zusätzlich mindestens eine der beteiligten Disziplinen grundlagenorientiert und eine andere anwendungsorientiert ist. Der Vorteil besteht darin, dass fortan der Wissensbestand beider Disziplinen kombiniert werden kann. Ein Nachteil ergibt sich daraus, dass die Wissensbestände untereinander nicht ohne Weiteres anschlussfähig sind und eine „Übersetzung“ durch die unterschiedlichen Praxisbezüge der beteiligten Disziplinen erschwert wird. Die translationalen Forschung muss neben dieser noch einer weiteren Herausforderung begegnen: Denn sie gewinnt ihre Erkenntnisse unter Laborbedingungen, wo Umweltfaktoren praktisch keine Rolle spielen. Dadurch lassen sich ihre Ergebnisse nicht unbedingt in die klinische Praxis transferieren. Kurz gesagt: Was im Labor eine bestimmte Wirkung erzielt hat, entfaltet diese Wirkung nicht automatisch am Patienten.
Im Rahmen der Dissertation wurden sechs translationale Forschungsprojekte aus Berlin-Buch aus der Zeit zwischen 1959 und 1989 untersucht. Aufgrund der in der DDR etablierten, staatlichen Überführungspolitik konnte insbesondere der Einfluss externen politischen Drucks auf diese Forschungsprojekte untersucht werden. Als Quellen dienten archivierte Akten, graue Literatur, zur damaligen Zeit publizierte Fachliteratur und Interviews mit Forschern, die damals an diesen Projekten beteiligt waren. Da es an soziologischer Literatur spezifisch zu translationaler Forschung bisher mangelt, wurden mehrere Einzelstudien aus der soziologischen und wissenschaftshistorischen Forschung herangezogen. Die Untersuchungsergebnisse erweitern den Forschungsstand zur interdisziplinären Forschung und zu Praxisbezügen von Forschung.
Die untersuchten Fallstudien zeigen exemplarisch, dass es die von der Staatsführung der DDR gewollten anwendungsorientierten medizinischen Forschungsprojekte auch in Berlin-Buch gegeben hat. Entgegen der Erwartung zeigen sie aber auch, dass translationale Forschung nicht speziell gefördert (mit Ressourcen oder einem besonderen Commitment) wurde und es somit oft vom Zufall abhängig war, ob diese (vorzeitig) beendet wurde oder nicht. Darüber hinaus konnten Anhaltspunkte dafür gefunden werden, dass translationale Forschung im Wesentlichen auf epistemischen (fachlichen) Schnittstellen beruht, die von anwendungsorientierten Biomedizinern meist aus persönlichem Interesse aufgegriffen werden, wenn sie als solche erkannt werden und wenn entsprechende Ressourcen zur Forschung zur Verfügung stehen.
Somit konnte widerlegt werden, dass das so genante „Translationsproblem“ darauf zurückzuführen ist, dass Kliniker und Forscher kein Interesse haben, miteinander zu kommunizieren oder zu forschen. Ein Problem stellt lediglich dar, dass epistemische Schnittstellen meist zufällig (oft als Nebenprodukte von disziplinärer Forschung) sichtbar werden und es an kurzfristig verfügbaren Ressourcen fehlen kann, um diesen nachzugehen. Hinzu kommt der erhöhte Aufwand, der sich durch das Einbeziehen von Forschern aus anderen Disziplinen ergibt und das vergleichsweise hohe Risiko, dass medizinische Anwendungen, die auf translationaler Forschung aufbauen, unter komplexen Umweltbedingungen (am Patienten) nicht mehr die gewünschte Wirkung entfalten. Die untersuchten Fallstudien haben jedoch auch gezeigt, dass translationale Infrastrukturen und regelmäßiges Peer Review Forschern dabei helfen können, Ergebnisse translationaler Forschung auf ihre Tauglichkeit in der Klinik zu prüfen. Das Risiko des Scheiterns lässt sich jedoch nicht vollständig ausschließen.