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Wenn Rechtstexte auf literarische Texte treffen, dann treffen Wahrheitsformen aufeinander. Es treffen unterschiedliche Weisen, Wahrheit zu produzieren, aufeinander. Zu den zahlreichen Unterschieden gehören, historisch bedingt, unterschiedliche Stile, die sich um die Objektivierung und "Subjektivierung" der Aussagen bilden. Das fängt bei den banalen "wir" und "man" rechtswissenschaftlicher Texte an, geht über allgemein gehaltene, enthistorisierende und systematisierende Definitionen bis zu einem Fussnotenapparat, der in manchen Rechtstexten beinahe jede Aussage als nachweisbare Aussage absichern soll. Die Rechtswissenschaft, zumal die deutsche, pflegt bei ihren Wahrheitsformen objektivierende Stile, die Literaturwissenschaft tut das nicht, nicht in dem Maße, sie lässt das Subjekt stärker in die Aussage einbrechen. Die Lage zwischen diesen beiden Disziplinen ist allerdings kompliziert, weil wiederum das Recht eine wirksame Subjektivierungsinstanz ist, die eben die Instrumente zur Verfügung stellt, um Aussagen an Subjekte zu binden. Sie hat die Unterschrift und den Urheber erfunden. In dieser Lage kann man also nicht einfach das Subjektive gegen das Objektive ausspielen. Von Anfang aber über das Zusammentreffen von Literatur und Recht in objektivierenden Stilen zu schreiben, schafft eine asymmetrische Ausgangslage, die ich gerne zugunsten einer symmetrischen Ausgangslage umgehen möchte – soweit das möglich ist. ...
Das rhetorische Ensemble
(2006)
Auf dem Tisch liegt die zweite Auflage von Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz (1968) von Claus-Wilhelm Canaris, erschienen Berlin 1983. Die schriftliche Fassung basiert auf einem rhetorischen und mündlichen Ereignis, seinem Habilitationsvortrag. Spuren davon finden sich noch im Text. Das gilt für die Spuren, die Rhetorik immer schon in nicht-mündlichen Texten wie der Schrift hinterlassen hat, also etwa in den Kompositionsregeln und den Regeln des Umgangs mit Figuren und Stil. Die rhetorische Spur findet sich darüber hinaus an herausragenden Stellen in den kurzen Hinweisen und Adressen, die scheinbar außerhalb der eigentlichen Schrift selber stehen. In einem Fall findet sich z. B. in Kursivschrift eine Widmung an den verehrten Lehrer Karl Larenz, in einem anderen erinnert der Autor daran, dass der Vortrag am 20. Juli gehalten wurde. Es sind kurze und knappe Hinweise auf denMoment, an dem ein Jurist eigenständig, zu seinem autonomen System wird und eine eigene Lehrbefugnis erhält. Sie sind noch rhetorisch, weil sie in ihrem Aufspüren von Referenzen an den Lehrer und an historische Daten vollziehen und reflektieren, was sich in solchen Augenblicken geziemt. Sie begegnen einem an der Schwelle des Textes – also kurz bevor man sich auf die sachliche Ordnung des Textes einlässt. An der Schwelle wird die letzte Gelegenheit ergriffen, dem Text eine genealogische Adresse zu verleihen. Es sind (um selbst rhetorisch zu werden) letzte Tankstellen vor der Autobahn. Sie markieren keine Systembrüche, sie markieren den Eingang in den Text, der sich in einer rhetorischen Transmission positioniert. In der Architektur der Argumentationsführung sind diese Stellen der Bogen, der durchschritten wird, unmittelbar bevor die Lektüre beginnt – oder mit denen die Lektüre beginnt. Das hängt schon davon ab, wie man Rhetorik vom System abgrenzt. ...
Ist die Welt sichtbarer geworden? Der Blick in die Bücher am Rande der Gutenberggalaxis bestätigt die Zunahme des Visuellen. Da ist vom photographischen und televisionären Vordringen der Bilder in unserer Alltagswelt die Rede, von der Wiederkehr der Bilder – auch im Recht. Das Recht und das Bild scheinen nach einer Zeit des bildscheuen Logozentrismus zunehmend Allianzen einzugehen. Die Indizien reichen von dem Skandal um Abu Ghraib bis hin zu den Schwierigkeiten, die wir mit Begriffen wie Person, Staat und Verfassung haben und die mit zunehmender Unschärfe vermehrt als Bild für etwas anderes rezipiert werden. Sollen wir also an die These von der Bilderflut glauben? ...
As if to bear out the tenet of this study, the field of black British literature has been transformed enormously over the last ten years or so, while this book was in the making. And for myself, too, this has been a formative process. During this time I’ve been supported, challenged, and encouraged by more colleagues and friends than I can acknowledge here. ...
Die öffentliche Wahrnehmung und der kulturelle Stellenwert von Comics haben sich im deutschsprachigen Raum im vergangenen Jahrzehnt grundlegend gewandelt. Das zeigt auch der Titel dieser Studie, in dem einerseits von "graphischem Erzählen" und andererseits von "Autorencomics" die Rede ist. Comics werden hier also selbstverständlich – und zu Recht – als eine mediale Erscheinungsform von Literatur betrachtet. Mit der Fokussierung auf das Thema Adoleszenz schließt die Arbeit an entsprechende Diskurse in der Kinder- und Jugendliteraturforschung und der Jugendsoziologie an, während die transmediale Narratologie als Analysewerkzeug eine Brücke zu literatur- und medienwissenschaftlichen Ansätzen baut. Damit ist das interdisziplinäre Feld umrissen, in welchem die Dissertation von Felix Giesa verortet ist. ...
Angaben aus der Verlagsmeldung:
Ob beim Aufrufen einer Webseite, beim Versenden einer E-Mail oder beim Hochfrequenzhandel an der Börse: Auf ihrem Weg durch die Weiten digitaler Netze durchqueren Bits zahlreiche Knoten, an denen eine Reihe von Mikroentscheidungen getroffen werden. Diese Entscheidungen betreffen den besten Pfad zum Ziel, die Verarbeitungsgeschwindigkeit oder die Priorität zwischen den ankommenden Paketen.
In ihrer vielschichtigen Gestalt bilden solche Mikroentscheidungen eine bislang nur marginal beachtete Dimension von Kontrolle und Überwachung im 21. Jahrhundert. Sie sind sowohl die kleinste Einheit als auch die technische Voraussetzung einer gegenwärtigen Politik digitaler Netzwerke – und des Widerstands gegen sie. Die aktuellen Debatten um Netzneutralität und Edward Snowdens Enthüllung der NSA-Überwachung bilden dabei lediglich die Spitze des Eisbergs. Auf dem Spiel steht nicht weniger als die Zukunft des Internets, wie wir es kennen.
Be it in the case of opening a website, sending an email, or high-frequency trading, bits and bytes of information have to cross numerous nodes at which micro-decisions are made. These decisions concern the most efficient path through the network, the processing speed, or the priority of incoming data packets.
Despite their multifaceted nature, micro-decisions are a dimension of control and surveillance in the twenty-first century that has received little critical attention. They represent the smallest unit and the technical precondition of a contemporary network politics – and of our potential opposition to it. The current debates regarding net neutrality and Edward Snowden’s revelation of NSA surveillance are only the tip of the iceberg. What is at stake is nothing less than the future of the Internet as we know it.
Cellular mobile networks, in which devices constantly relay their location and their movements, are formed by the motion of end devices in relation to the position of radio towers. As a matter of principle, it is this motion that allows the location of devices to be identified within the network. The article argues that the emergence of mobile media based on cellular triangulation has introduced an ontology in which, by technical necessity, the position of every object is constantly registered and objects that do not have an address do not exist. The location and movement of all participants are, at all times, a known technical variable. With Xeros PARC’s “ubiquitous computing” as a reference case, the article scrutinizes how movement triggers the process that registers the locations of mobile phones or smartphones, a development it situates against the cybernetic imagination of determining the location and the movement of an object at the same time.
Argentinien gedenkt 2010 der zweihundertjährigen Unabhängigkeit, und es ist nach Mexiko 1992 und Brasilien 1994 das dritte lateinamerikanische Gastland der Frankfurter Buchmesse. Auf beiden Seiten des Atlantiks steigen die Zahlen der Buchpublikationen und der Übersetzungen. Grund genug, um im jährlich wiederkehrenden Termingeschäft des Markts Ausschau zu halten nach der die Jubelfeiern und Bestsellerlisten überdauernden Literatur. Auch in einer Phase der beschleunigten globalen Kommerzialisierung existiert sie noch.
Das weisse Buch (2010) dient Rafael Horzon als Baustein seiner öffentlichen Inszenierungspraktiken, die, so die These dieses Beitrags, den kulturellen Techniken von hochstaplerischen Performances entsprechen. Es wird folgend der Versuch unternommen, Überlegungen zum Begriff der ‚Hochstapelei‘ mit vielversprechenden Ansätzen der autofiktionstheoretischen Forschung zu verbinden. Dabei arbeitet der Beitrag heraus, wie sich der reale Autor Rafael Horzon als gleichnamiger autodiegetischer Erzähler in Das weisse Buch inszeniert. Peritextuelle Angaben in Form von zugleich ironisierenden und täuschenden Gattungsbestimmungen sowie Wahrheitsbekundungen sind Teil einer textintern zum Vorschein kommenden hochstaplerischen Performance. Mit dem spielerischen Umgang zwischen Primärtext und Epitexten setzt der reale Autor Horzon diese Performance textextern fort und versperrt seinen Rezipient*innen letztlich den Zugang zur ‚echten‘ Person hinter dieser schelmischen Fassade.
Bereits im November 2013 verstarb Prof. Dr. phil. Gundi Gompf, die sich große Verdienste um den Fremdsprachenunterricht in der Grundschule erworben hatte. Gundi Gompf wurde 1976 auf eine Professur für „Didaktik der Englischen Sprache und Literatur“ an der Goethe-Universität berufen. Diese Tätigkeit nahm sie bis zu ihrer Pensionierung im Jahre 2005 wahr.
In German children’s literature around 1900, the representation of childhood in pseudo-colonial realms participates in a construction of racial identities based on transcultural play. Acts of reading and scenes of instruction intersect with material objects to convey a pedagogy of race dominated by learned whiteness. This article asks: How does German children’s fiction around 1900 reconfigure national identity as imperial experience? An analysis of a noncanonical though exemplary fictional text about a jungle adventure demonstrates strategies used to include the child in the colonial experience. Imagining this ›play world‹ replicates for the child reader a sense of agency and citizenship through encounters with an indigenous mediator, an impish primate and imaginary landscapes – each represented through the lens of European epistemologies. These tropes produce tension between historical fact and imaginative fiction, working together to map a colonial geography of German identity on to a model transatlantic German childhood. Framed by theories of material objects and toys, and supported by the work of literary scholars and cultural historians, I examine the brief story »Die kleine Urwälderin« [The Little Jungle Girl] from Auerbachs Deutscher Kinder-Kalender auf das Jahr 1902 [Auerbach’s Almanac for German Children, 1902]. In it, the Amazonian setting aspires to historically factual representation, which, however, cedes considerable territory to the realm of fantasy. The projection of a German forest adventure on to a Brazilian geography elides historical truths, such as centuries of the transatlantic slave trade, and instead inserts imperial signifiers into an established syntax of the European child at play. The resulting national ideology of childhood identity in this German language story imposes colonial order on a reimagined play world.
Dass im Sachbuch allgemein und im bebilderten Sachbuch für Kinder im Speziellen mittlerweile verschiedene Formen der Informationsvermittlung existieren, bei denen einerseits die Erzählung, und andererseits die Sache selbst im Vordergrund stehen können, spiegelt sich unter anderem in Begriffen wie Sachbilderbuch, Erzählsachbuch oder Informationssachbuch (vgl. Ossowski 2000, S. 673) wider. Diese Begriffe legen offen, dass Sachbücher mittlerweile verschiedene Akzentuierungen der Kombination erzählender und informierender und daraus folgend fiktionaler und faktualer Narrationselemente aufweisen, denen die dem Sachbuch unterstellte Dichotomie dieser beiden Aspekte (vgl. Hussong 1984, S. 71) nicht gerecht wird...
This paper investigates multi-valuation, i.e. cases where one probe agrees with multiple goals thus obtaining multiple feature values. Focusing on number agreement, I look at the cross-linguistic patterns on multi-valued Ns in the nominal Right Node Raising construction (Nominal RNR) reported in Belyaev et al. (2015); Harizanov & Gribanova (2015); Shen (2016) as well as multi-valued Ts in TP RNR construction reported in Yatabe (2003); Grosz (2009; 2015); Kluck (2009). I show that three types of languages are attested: languages like Serbo-Croatian that show singular marking on both multi-valued Ns and Ts, languages like Russian that show plural marking on both multi-valued Ns and Ts, and languages like English that show singular marking on multi-valued Ns and plural marking on multi-valued Ts. No language is attested that shows plural marking on multi-valued Ns and singular marking on multi-valued Ts. I use this 3/4 pattern to argue that multi-valuation shows the effect of the Agreement Hierarchy discussed by Corbett (1979; 2006) among others.
Der Mensch ist ein emotionales Tier: Gefühle beeinflussen jedes menschliche Verhalten – auch jenes von Wissenschaftler/innen. Meist wird diese Emotionalität im Dienst wissenschaftlicher Objektivität vermieden oder unterdrückt. Dabei hat sie entscheidenden Anteil an Erkenntnisprozessen sowohl in der Generierung von Daten als auch in deren Interpretation und in der Präsentation von Wissensbeständen. Dies gilt ganz besonders für die Primatologie, gerade dort, wo mit unseren nächsten Artverwandten, den anderen Affen, im Feld geforscht wird. Primatologische Erkenntnisse wiederum affizieren ein großes Publikum und können deswegen leicht popularisiert werden. - Diese Open-Access-Publikation untersucht anhand primatologischer Forschungsmemoiren die Form und Funktion von Emotionen, Affekten und Gefühlen in der Feldforschung, die Affektpoetik und Emotionsregime der Primatologie sowie die Rolle, welche Fiktionen für die Reflexion des Verhältnisses von Mensch, Affe und Affekt spielen. Sie stellt damit die Frage nach der Rolle von Emotionalität in der Primatologie als Frage nach den epistemischen, poetologischen und politischen Grundlagen einer gegenwärtigen Leitwissenschaft der Anthropologie.
Ausgangspunkt der Überlegungen war die Beobachtung, daß die Germanistik nach 1966/68 als „disziplinäre Einheit“ in die „Krise“ geriet. Erklärt werden kann dies mit dem Verlust ihrer bis dato unhinterfragten einheitsstiftenden Fundamente: Plötzlich wurden der Nationenbegriff, der bürgerliche Literaturbegriff und der Bildungsbegriff zur Zielscheibe der Kritik und Forderungen nach Aktualität oder gesellschaftlicher Relevanz bestimmten das Denken. Die „Dichtersterne“ und Geistesgrößen am „Bildungshimmel“, die die Götter abgelöst hatten, wurden entthront; die Hochsprache wurde als Machtinstrument enttarnt. Ob es sich bei der „Krise“ tatsächlich um eine „Krise“ handelt oder um einen „Segen“, hängt vom Betrachterstandpunkt ab. In dieser Hinsicht spaltete sich denn auch die disziplinäre Gemeinschaft in zwei Hälften. Lediglich die Lehrerbildung blieb als „Klammer“ für das Fach erhalten. Diese beiden „Hälften“ entfalteten in den letzten Jahrzehnten unterschiedliche Strategien, wie mit der Situation umzugehen sei: Stiegen die einen aus der Germanistik aus („Die Ratten verlassen das sinkende Schiff.“), versuchten die anderen das Schiff wieder flott zu bekommen, also der Germanistik wieder zu der gesellschaftlichen Bedeutung zu verhelfen, die ihr historisch und faktisch zusteht – als Wissenschaft von der deutschen Sprache, Literatur und Kultur – und dies gegen alle Widerstände. Zu diesen Widerständen gehört erstens ab Mitte der 60er Jahre die Szientifizierung1, die zwei Funktionen erfüllt: Sie verschafft wissenschaftliches Renommee (Professionalisierungsstrategie) für ein Fach bzw. dessen Teilfächer, die als soft sciences traditionell dem Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit ausgesetzt sind – so v.a. die subjektiv operierende Literaturwissenschaft –, und sie demonstriert Distanz zur Politik bzw. Ideologiefreiheit. Zu diesen Widerständen gehört zweitens – wenn man den wissenschaftspolitischen Prognosen der Systemtheorie folgt – die subdisziplinäre Ausdifferenzierung, die quasi natürlich und unaufhaltsam von statten geht und zwei Folgen zeitigt: die Auflösung in Teildisziplinen und die Distanzierung von außerhalb des Wissenschaftssystems liegenden Funktionen und Leistungen. Auch das Nichtüberschreiten der (Wissenschafts-)Systemgrenze demonstriert Ideologiefreiheit. Gesellschaftliche Diskussionen („Zuwanderung“; „deutsche Leitkultur“ etc.) als außerhalb des Wissenschaftssystems liegend dürfen von der Germanistik nicht aufgegriffen werden – auch dies ist eine Frage des wissenschaftlichen Ansehens im Elfenbeinturme. Dabei verwandeln sich merkwürdigerweise Leistungen für das politische System (Sprachen-, Kultur- bzw. Bildungspolitik) zum schlechten, Leistungen für das ökonomische System oder das „Beschäftigungssystem“ zum guten Ton...
Soziokulturelle Funktionen von daytime Talkshows: Die den Untersuchungen zugrundeliegenden Annahme war, TV-Talkshows als Teil eines gesellschaftlichen Diskurses, als eine mit spezifischen Merkmalen ausgestattete Art der Sprachverwendung zu betrachten, die gerade als kollektive, gesellschaftliche Praxis determinierende Faktoren und spezifische Wirkungen hat. Ihre Manifestationen als Programm, Videoband oder (in reduzierter Form) als verschriftetes Transkript wurden als "Text" definiert, der innerhalb der soziokulturellen Ordnung bestimmte Aufgaben hat, und dessen Funktionen sich nicht allein als lokale Funktionen (die sich auf die unmittelbare Situation als gelenktes Gespräch im Studio vor Publikum beziehen) erklären lassen. Der gesellschaftliche Effekt (die Funktion?) der hier untersuchten daytime talkshows ist ein öffentliches In-Erscheinung-Treten und ein komplementär dazu wirkendes Wahrnehmen des Privatmenschen in seiner Alltäglichkeit, des Durchschnittsmenschen im Medium Fernsehen. Dieser alltägliche Durchschnittsmensch kann durchaus als "the nigger of tv" gesehen werden, denn außer seiner (bisweilen nackten) Haut - oder seinem Innenleben hat er dem Fernsehen nichts zu verkaufen, denn er ist ja gerade nicht prominent, attraktiv, glamourös oder aus anderen Gründen begehrenswert für ein Publikum. Doch zu der Bedingung, seine seelischen Defekte öffentlich vorzuführen, ist auch ihm jederzeit ein Platz im Glanz der Scheinwerfer gewiß. Daß sich so viele zu einer öffentlichen Innenschau entschließen können, hängt vermutlich mit einem medialen Narzißmus zusammen, der die Spiegelung im Blick des Anderen zum Beweis seiner Existenz braucht. In einer von den visuellen Medien, insbesondere dem Fernsehen durchdrungene Lebenswelt, ist das Bedürfnis des namenlosen, unscheinbaren Alltagsmenschen, ebenfalls als ein in dieser TV-Welt existierendes Subjekt wahrgenommen zu werden, möglicherweise verständlich. Dieses Subjekt der Talkshow wird jedoch erst durch Konventionen des Sprachgebrauchs und der Interaktion, durch gezielte Bildführung und Auswahl der Einstellungen, durch sozial signifizierte Formen von Makeup und Dresscodes, aber auch durch Zuschreibungen und Kategorisierungen sowie durch Möglichkeiten (oder Unmöglichkeiten) der zumeist konversationell narrativ realisierten Selbstdarstellung etc. konstituiert und als "Typus" entwickelt. Es ist ein Effekt des Talkshowspezifischen Diskurses. Gleichzeitig ist es Objekt dieses Diskurses, insofern sich alle Teilnehmer über dieses Subjekt (über sein Innenleben, seine Probleme, geeignete Korrekturverfahren etc.) unterhalten. Die soziale (nicht die individuelle!) Identität als Durchschnittsmensch in seiner öffentlichen, gesellschaftlichen Erscheinungsform wird in solchen TVDiskursen erst produziert, und historisch betrachtet ist sie noch eine junge Erscheinung: TV-Talkshows dieses Zuschnitts haben sich erst Ende der achtziger Jahre herausgebildet. Die Showproduzenten sehen explizit eine auf Selbsterkenntnis ausgerichtete, beratende, (alltags-)problemlösende Funktion ihrer Programme, "der Alltagsmensch in Not wird hier geholfen", so würde V. Feldbusch von Sat1 vermutlich formulieren. Als selbsternannte Fernsehvariante eines Ratgeberdiskurstyps ist das Alltagssubjekt aufgefordert, einen Diskurs über es selbst zu halten (Gestehen), Diskursen anderer über es selbst zuzuhören (Informiert-/Belehrt-/Ermahnt-Werden). In dieser Hinsicht ist die hier untersuchte Form von Talkshows auch als gesellschaftliche Praxis zu verstehen, die auf ihre triviale Weise ein "Wissen vom Subjekt" (über sog. subjektive, innere Verfaßtheit, psychische Eigenschaften) hervorbringt, täglich reproduziert und massenhaft verbreitet. Dieses weitgehend durch eine therapeutische Weltanschauung strukturierte, entblößende "Wissen" wird zwischen den Beteiligten jedoch in Formen verhandelt, die die Strukturen und Merkmale eines privates Gespräch simulieren. Das Sprechen über den Privatbereich wird formal auch als privates Gespräch simuliert, weist aber eine hybride Struktur zwischen Abfrageformat und informellem Gespräch auf. Dabei war festzustellen, daß die Teile des Hybrids den Teilnehmerkategorien GUE und HOST nicht zu gleichen Teilen zufallen, sondern die Moderatorin die Optionen informeller Gesprächsorganistationen und Merkmale nutzt, während den Gästen nur die Optionen des reaktiven Parts im Interviewrahmen zustehen und sie auch im Bereich der Lexis selten Gebrauch vom informellen Register machen . In einer merkwürdigen Umkehrung des Faktischen erweist sich die "Redeweise des Volkes" gerade ausschließlich als Option der Moderatorin, die eben nicht die Massen, sondern die Institution, das Medium verkörpert. Talkshowdiskurse formieren öffentlich wahrnehmbare, medial konstituierte soziale Subjekte, die jedoch nicht als Rollen und Statusträger oder Repräsentanten von Institutionen, auch nicht als "Popstars", sondern gerade als "einfache Durchschnittsmenschen" konstituiert werden. Diese Typisierung bzw. Konturierung einer öffentlichen Form des Alltagsmenschen erfolgt jedoch nicht allein über Bilder und Repräsentationen, sondern weitgehend, aber unmerklicher durch diskursive Praktiken, durch den Umgang mit dem Subjekt der Talkshow, durch Interaktionskonventionen und anderen Modalitäten des Sprechens wie Höflichkeitsstrategien oder bestimmte narrative Verfahren, die in selbstdarstellerischer Absicht Sprecheridentitäten artikulieren. Die je Talkshow spezifische Konfiguration solcher subjektkonstitutiver Praktiken auf verschiedenen Ebenen des Diskurses ergibt eine Kontur, einen durch die Talkshow produzierten und nur vermittels der Praktiken, nie jedoch explizit charakterisierten "Entwurf" des Alltagsmenschen (z.B. ohnmächtig, Autoritäten unterworfen, selbstermächtigt, einsichtsfähig, vereinzelt, einer neben vielen usw.). Diese Typisierung bzw. implizite Charakterisierung durch Konventionen des Sprachgebrauchs und der Gesprächsstruktur wird maßgeblich in der Differenz zu den Positionen der anderen Diskursteilnehmer (Experten, Studiopublikum, Moderatorin) herausgebildet. Diese Diskurssubjekte stehen in einem für den Diskurstyp je charakteristischen Verhältnis zum Diskurs, zu den Modalitäten des Sprechens und zu anderen Subjektpositionen, von denen aus gesprochen werden kann. Subjektpositionen sind die unabhängig vom jeweils auf dem Podium platznehmenden Individuum vorstrukturierten, mit bestimmten Möglichkeiten des Sprechens ausgestatteten, an bestimmte kommunikative Handlungen gebundenen, mit bestimmten interaktionellen Vorrechten ausgestatteten etc. transindividuellen Äußerungsmöglichkeiten, die, realisiert, ein typisches Exemplar dieser Subjektposition zur öffentlichen Erscheinung bringen. Insofern sind diskursiv positionierte (konstituierte) Subjekte bzw. Subjektpositionen gleichzusetzen mit den spezifischen Äußerungsmodalitäten des jeweiligen Diskurstyps. Unter der Perspektive einer kritischen Diskursanalyse werden diese Vorgänge als moderne Form von Machtausübung und Ideologie betrachtet. Der Fokus auf die diskursiven Praktiken, die unscheinbare Normalisierungs und Disziplinierungseffekte bewirken als explizite Repräsentationen und Repression, lenkt das Augenmerk auf das, was Foucault den technologischen Aspekt von Macht bezeichnet. Machttechnologien stellen über konventionalisierte Diskurspraktiken gesellschaftliche Ordnung und Dominanz her, regulieren über Kommunikationsverhalten die Masse der Bevölkerung bzw. reproduzieren diese (hegemoniale) Ordnung in unzähligen, alltäglichen Mikropraktiken zwischen Institutionen und ihrer Klientel. Nicht nur in Talkshows handelt es sich bei solchen Praktiken weitgehend um sprachlich strukturierte Praktiken. Auch sprachlich konstituierte Verhältnisse artikulieren Machtverhältnisse, sie strukturieren sich nach Gleichheit/Nähe oder Ungleichheit/Distanz. Subjektpositionen sind die Pole in diesem Verhältnis. Da jedoch Subjektpositionen von diskursiven Positionen, d.h., Sprecherpositionen bestimmt werden, gilt es die Formen und Möglichkeiten des Sprechens der unterschiedlichen Teilnehmerkategorien im Talkshowdiskurs genau zu analysieren: In welcher Form zu welchen Bedingungen kann wer was wem gegenüber wie artikulieren? Wer mit wem in welcher Form interagieren? Welche Implikationen hat das? Welche sprachlichen Strukturen und Prozesse strukturieren dieses Sprechen und inwiefern strukturieren die sprachlich diskursiven Formen das Verhältnis der Diskurspositionen? In welchen sprachlichen Formen wird das Subjekt/ive verhandelt, und vor allem: Welches Sprechen legitimiert den medial konstituierten Durchschnittsmenschen? Prämissen, Vorgehensweise und Ergebnisse Um sich der Problemstellung zu nähern und die Mikropraktiken des Sprachgebrauchs funktional zu erfassen, wurde eine systemischlinguistische sprachtheoretische Perspektive eingenommen, die die primären Funktionen von Sprache in eine repräsentationsorientierte, eine interpersonell ausgerichtete und eine textuelle Dimension gliedert. Da es galt, diskursive Praktiken hervorzuheben, die sich nur durch den Bezug auf Akteure und Handlungen zwischen diesen beschreiben lassen, lag der Schwerpunkt der Untersuchung auf den sprachlichdiskursiven Merkmalen, die die Verhältnisse zwischen den Diskursbeteiligten bzw. die der Teilnehmer zum Diskurs regulieren und artikulieren. Die Entscheidung, zwei unterschiedliche Talkshowreihen zu untersuchen, beruht auf der Annahme, daß erst der kontrastierende Blick es ermöglicht, wesentliche Merkmale und Spezifika des Diskurstyps zu erfassen. Oft rücken nur über vergleichende Analysen kennzeichnende Aspekte in den Mittelpunkt, die bei homogeneren Daten möglicherweise unterbeleuchtet blieben. So konnten unterschiedliche Optionen der Realisierung bestimmter funktional definierter Vorgänge (z.B. das Vorstellen, die Einführung, die Befragung usw.), die innerhalb ähnlich strukturierter Diskurstypen zur Verfügung stehen und für z.T. signifikante Unterschiede sorgen, präzisiert werden. Die Auswahl der zu untersuchenden Phänomene und Merkmale wurden durch dieses vergleichende Lesen der Transkripte erheblich beeinflußt. Der Reihe nach wurden mit sprachwissenschaftlichem sowie interaktionsanalytischem Instrumentarium die Gesprächsorganisation, die Fremddefinitionen und Kategorisierungen des Subjekts der Talkshow durch die Einführungs und Einleitungsverfahren auf verschiedenen (visuellen, graphischen und sprachlichen) Ebenen untersucht. Im Anschluß daran standen kommunikative Handlungen zwischen den Diskursteilnehmern im Mittelpunkt, mit dem Schwerpunkt auf Analysen von Fragehandlungen und Frageformaten der Moderatorinnen und persönlichen Erzählungen der Alltagsmenschen/Gäste. Implikationen der sprachlichen Organisation und der verbalen oder kommunikativen Strukturen für die Subjektpositionen der Beteiligten wurden herausgearbeitet. Sodann habe ich mich auf den Diskurs der Experten konzentriert und Strategien der Subjektkonstitution dargestellt. Dabei ging es vor allem darum, wie das "ExpertenWissen" in diesen Shows auf das Subjekt zurückwirkt, welche Formen der "Beratungs/Ratgeberdiskurs" annimmt und welche SubjektEffekte dies zeitigt. Dabei wurde deutlich, daß beide Showreihen unterschiedliche Subjektpositionen für den Fernseh Durchschnittsmenschen konstituieren, die sich aus den ebenfalls unterschiedlichen Strukturierungen und Differenzen zu den anderen Positionen (Experten, Moderatorinnen, Studiopublikum) ergeben. Um den Aspekt der Macht und die gesellschaftliche Funktion der Talkshowpraktiken in die Untersuchungen einzuführen, wurde auf das Konzept der Machttechnologien zurückgegriffen, wie von Foucault (z.B. 1977) skizziert. Er verweist auf zwei grundlegende Metastrategien, die ungeregelte "Masse Mensch" gesellschaftlich (staatlich, hegemonialkulturell) zu disziplinieren, zu steuern und letztenendes verwaltbar zu machen, auf seinen gesellschaftlichen Platz zu verweisen, indem sie zu Subjekten (gemacht) werden. Es handelt sich dabei um die Machttechnologien der Objektivierung und der Subjektivierung von Individuen, die sich jeweils durch verschiedene Verfahren auszeichnen, wie ein Wissen vom Menschen hervorgebracht wird, das dann von den Individuen als "ihre Wahrheit" bzw. als die Beschreibung ihres "wahren Selbst" von ihnen selbst angenommen und diskursiv reproduziert wird. Die Möglichkeiten, sich als Selbst wahrzunehmen, die Formen, in denen dies geschieht und die Repräsentationen, die damit verbunden sind, stehen daher immer in einem sei's konservierenden, sei's subversiven Verhältnis zu Macht. Die Kennzeichen beider Machttechnologien habe ich in Anlehnung an Ausführungen von Foucault (1977;1983) bzw. seiner Interpreten Dreyfus und Rabinow (1987) versuchsweise und relativ frei auf interaktionelle und diskursive Verfahren in den Talkshows übertragen, was mir allerdings unproblematisch erscheint, denn die "Strategien" sind in aller Regel in Verbindung mit Sprache realisierte Vorgänge. Insofern entspricht es nur einer Präzision auf konkreter sprachlicher Ebene (was Foucault schuldig bleibt). Es wurde also der Versuch unternommen, diskursive Korrelate zu den von Foucault nur sehr allgemein formulierten Merkmalen der Technologien zur Subjektkonstitution zu finden und gesprächsanalytisch erfaßbar zu machen. Als Objektivierungsprozesse lassen sich die Verfahren beschreiben, die die Diskursteilnehmer zu AusstellungsObjekten (des Blicks und der Rede) machen. Andererseits gibt es subjektivierende diskursive Verfahren, die die Teilnehmer als Subjekt konstituieren, indem sie zur relativ ungelenkten, freigewählten Diskursproduktion, d.h. zu längerem und ggf. auch eigenintitiativen Sprechen animiert werden, allerdings immer in Erwartung, ihr "wahres Selbst" der Öffentlichkeit auszustellen ("gestehen"), das im Anschluß daran von einer Experteninstanz ausgedeutet wird. Sprachlichdiskursiv realisierte Objektivierungsstrategien definieren sich z.B. durch Verfahren der (mit negativ konnotierten Werten beladenen) Identifizierung, Fremdkategorisierung, Aussonderung und Vereinzelung, die in überaus großem Maß in den Shows von Rolonda festzustellen sind. Das impliziert den Fokus auf das konkrete Individuum und den Einzelfall, der vor den Augen der Öffentlichkeit vorgeführt, belehrt und ermahnt wird. Durch Identifikation und Fremdkategorisierung wird das Subjekt der Talkshow zum Objekt der Rede gemacht, anstatt es selbst sprechen zu lassen. In dieser Hinsicht spielen vor allem die Untertitel, die Einleitungsdefinitionen der Moderatorin (v.a. in Rolonda) und der Gebrauch der Personalpronomen, insbesondere des persönlich gebrauchten, definiten "you" eine große Rolle, die als personalisierende Identifizierungspraktiken stark vereinzelnde Effekte haben. Kategorisierungen der Personen, die im Dienste der Show operieren und sie von vornherein auf bestimmte Wahrnehmungen festlegen, sind ebenfalls objektivierende Talkshowpraktiken: Reduktionen auf die "Eigenschaft" der Familienzughörigkeit, Subsumtion unter das Tagesthema und Definitionen in Abhängigkeit von selbstdefinierten Absichten der Showgestalter ("helfen, glücklich machen, bessern") klassifizieren das TalkshowSubjekt jeden Tag aufs Neue in den immer gleichen Mustern als unfähig zur Selbsthilfe, als Schädling und Problem für die anderen und als disziplinierungsbedürftig. In Rolonda fand sich zudem ein spezielles Aussonderungsverfahren, das in der Moderationsstrategie des inhaltlichthematisch definierten "Stehenlassens" der Fragerunden bei spektakulären Details besteht. Das hat den Effekt, ein grelles Schlaglicht auf das Individuum zu werfen, es in einem Detail bloßzulegen, ohne ihm im Anschluß weitere Relativierungen und Kommentare zu ermöglichen (da die Moderatorin schon zum nächsten Gast und nächsten Thema gewechselt hat). Dazu gehören die auf Lupeneffekte und Details ausgerichtete Frageführung der Moderatorin, die Hinführung der persönlichen Erzählungen auf MiniSzenen und affektiv aufgeladene Einzelmomente, die das Subjektive auf spektakuläre Ereignisse reduzieren und aus seinem lebensweltlichen Zusammenhang reißen. Spiegelvorhaltungstechniken als verdinglichende Disziplinierungsmaßnahme wurden ebenfalls identifiziert. In visuellen Repräsentationen soll das Subjekt sich spiegeln und wiedererkennen. Ein Verfahren in Rolonda ist es, den ZuschauerInnen das Alltagsleben der als Gäste eingeladenen Durchschnittsmenschen in Form eines pseudo dokumentarischen Filmclips zu präsentieren und sie im Anschluß daran mit dem (darin gezeigten) Fehlverhalten zu konfrontieren, sie zu veranlassen, es zu verurteilen und andere Stimmen zu diesen Spiegelungen Stellung nehmen zu lassen (in Form von Verurteilung, Tadel, Zurechtweisung). Ein weiteres Spiegelungverfahren (mit disziplinierender oder kathartischer Absicht) in Rolonda stellt die Strategie dar, das Fehlverhalten im Studio zu provozieren und live auf dem Podium in Szene zu setzen (z.B. der Streit zwischen Mutter und Tochter, der vorführt, daß die Mutter ihre Tochter nicht disziplinieren kann in Anger; Zornausbruch und Kommunikationszusammenbruch in der Auseinandersetzung von Jeremy und dem Mann im Publikum, wobie vorführt wird, daß Jeremy nicht in der Lage ist, seinen Frustrationen Ausdruck zu verleihen etc.). Dabei wird jedoch eher dem Publikum als den Gästen ein Spiegel vorgehalten, der vermutlich als Abschreckung dienen soll. Zum Objekt der Rede wird der FernsehPrivatmensch auch im Expertendiskurs, der seine Innenwelt analysiert oder ggf. korrigiert. Das Interaktionsarrangement in Rolonda ist dabei so, daß nicht GUE Dialogpartner dieser Analysen sind, sondern die Moderatorin. Das Subjekt wird so zum Gegenstand der Analyse eines Autoritätendiskurses, der aber mit anderen Autoritäten (nämlich mit der medienspezifischen Machtposition HOST) geführt wird. Durch Befragungstechniken und Frageformate wird die Innenschau auf das Subjekt möglich und seine diskursive Position gleichzeitig stark beschränkt und kontrolliert. Auf linguistischer Ebene korrespondiert dies mit Frageformaten in Deklarativformen, die inhaltlich aus vollständigen Propositionen bestehen, die nur noch bestätigt werden müssen. Dies schränkt den inhaltlichen wie den kommunikativen Spielraum der Befragten ein, weil es konversationell präferiert ist, eine Bestätigungshandlung im Anschluß zu produzieren, und weil es kommunikativ nur einer minimalen Antwort (ja/nein) bedarf, um die Replik zu vollziehen. Dadurch sind die Gäste, bereits schon in reaktiver Position durch den Interviewrahmen, abhängig von einer weiteren, expliziten Aufforderung, einen längeren oder einen inhaltlich konträren Redebeitrag zu liefern. Andererseits ist auf der interpersonellen Ebene eine Deklarativfrage der HOSTs prekärer als ein klassisches Frageformat mit Fragewort und Verbinversion. Denn HOST kann ihr (interaktionell definiertes) Gesicht verlieren, wenn sie eine unrichtige oder nur teilweise richtige Proposition formuliert. In dieser Hinsicht wurde die Präferenz für Deklarativfragen als Modus des informellen Sprechens definiert, weil eine gegenseitige Abhängigkeit entsteht, die in der Regel mit dem egalitär strukturierten ChatModus assoziiert wird. Es wurde festgestellt, daß HOST/Rolonda kaum, HOST/Winfrey jedoch häufig mit diesem Format operiert, sich also auch als gleichwertiger Interaktionspartner ihren Gästen gegenüber konstituiert. Normalisierung und Messen an Standards ist ein weiteres Merkmal der Machttechnologie durch Objektivierungspraktiken. Normalisierungsversuche verweisen das Subjekt auf seinen Platz, häufig im Zusammenhang mit Normgeboten, Aufforderungen zur Veränderung usw. Normalisierende Disziplinierungsdiskurse werden in Talkshows u.a. durch die Warnungen und Zurechtweisungen des Studiopublikums gegenüber den Gästen bzw. durch den kategorischen, einflußnehmenden Redestil der ExpertInnen realisiert. Das Subjekt wird immer wieder Gegenstand und Zielscheibe für disziplinierende Interventionen und Eingriffe. Ein Äquivalent zu den objektivierenden Teilungspraktiken, die durch klare Entweder/OderTrennungen Individuen bestimmten Klassen und Ordnungen zuteilen, findet sich in der emotionell aufgeheizten, und von HOST durch Unterlassen von Schlichtungshandlungen aktive unterstützten Frontenbildung bei Rolonda zwischen den Teilnehmerkategorien GUE und AUD (Saalpublikum). An der Grenze von objektivierenden zu subjektivierenden Praktiken liegen die Verfahren, die den SprecherInnen zwar Rede abverlangen, diese aber durch kommunikative Strategien und Dynamiken in den Beteiligunsstrukturen inhaltlich bereits vorgegeben ist. Hierzu gehören u.a. Selektion von und Präferenz für bestimmte Frageformate (in der grammatischen Form des Deklarativs) und Dynamiken des Zitierens der Rede der Gäste sowie das Suggerieren, Soufflieren und Vorsprechen dessen, was das zu erkennende Subjekt erwidern muß indem ihm die Wahrheit über sein Selbst bereits fertig in den Mund gelegt wird. Zu den subjektivierenden Praktiken in Talkshows, die die Teilnehmer zum freien Reden über sich selbst bringen und diskursproduktiv wirken, zählen besonders ChatMomente in den Shows. Passagen, in denen die Gäste auch längere Redebeiträge machen ohne vorstrukturierende Fragestellungen. Die Abwesenheit von Interviewtechniken bzw. sehr offen strukturierte Frageformate geben einen Hinweis auf solche Stellen im TalkshowDiskurs. Narrative Sequenzen, die nicht von Zwischenfragen unterbrochen werden verweisen in der Interaktion zwischen den Gästen (den Alltagssubjekten) und anderen TeilnehmerInnen auf subjektivierende Momente, genauso wie die Häufung bzw. Anwesenheit von Rückmelde und Hörersignalen der Moderatorinnen denn sie sind ein Signal zum Verlängern ihres Redebeitrags, das in keiner Hinsicht strukturierend oder einschränkend wirkt. Die Analysen der Subjektpositionen und Positionierungen geben so meines Erachtens den Blick frei für zwei unterschiedliche Möglichkeiten, Diskurse mit dem Durchschnittsmenschen über seine subjektive Verfaßtheit in der Öffentlichkeit zu führen (und ein Bild von ihm in der Öffentlichkeit zu zeichnen). Es stellt sich heraus, daß die beiden TalkshowReihen unterschiedliche Präferenzen und Gewichtungen der diskursiven Korrelate subjektkonstituierender Machttechnologien aufweisen. Objektivierende Praktiken fanden sich zahlreiche in der RolondaShowreihe, viele Verfahren ausschließlich dort (Spiegelungen, derogative Untertitel, auf Kommunikationsakte ausgerichtete Dressur etc.). Der Diskurs ist auch auf der sprachlichinteraktionellen Mikroebene stark von objektiverenden Praktiken des Aussonderns, Isolierens, dem spektakulären BlickFreigebens auf Details und des inhaltlichen Vorgebens bzw. Repetition der fremden Rede (Aufoktroyieren der fremden Perspektive) geprägt. Als Objekte der analytischen und interpretierenden Rede werden sie in ihrem Subjektstatus (z.B. als eigenständige Sprecher) reduziert und mit den Regeln und Normen eines Kollektivs konfrontiert. Durch diskursive Mikropraktiken werden auf verschiedenen Ebenen Machtgefälle konstruiert, die das Talkshowsubjekt unterordnen unter die Stimmen der Autorität und des Kollektivs, die fordernd und zurechtweisend auf den einzelnen einwirken und direkten Einfluß nehmen. Konfrontative Sequenzen führen auf interpersoneller Ebene zu einem hohen Gesichtsverlust für die Gäste, die gesichtsbedrohliche Sprechhandlungen in der Regel nicht parieren können, weil HOST ihnen keine Gelegenheit gibt und der Interaktion einen "zurechtstutzenden" Grundton gibt. Durch gesichtsbedrohende Akte wie Zurechtweisung und Ermahnung wird die Distanz zu den Gästen gering gehalten, was einem umgangssprachlichen "Zunahetreten" entspricht. Zudem zeichnet sich der Diskurs durch eine extrem dramatisierende Verlaufsform aus, die eine kommunikative Katastrophe (Zusammenbruch der Interaktionsordnung), einen Dressur bzw. Disziplinierungsakt durch eine Autorität (Expertin) und die Katharsis einschließen (Reue, von HOST evozierte, nach außen gekehrte Einsichtsbekundungen und Gutheißen der "Lektion"). Der dramatische Konflikt samt Eskalationen und Konfrontationen mit den kollektiven Forderungen wird dann erst mit Hilfe von anweisenden Autoritäten gelöst. Die Ermächtigung der Autoritäten geht einher mit Objektivierungen, der Degradierung zum Objekt von fremden Blicken, fremder Rede und fremden Regeln. Allerdings auch mit der Reduzierung der Position der Moderatorin, die sich gegenüber den Experten stark zurücknimmt. Die Übernahme von Wissen ("Lernen" und Erkenntnis gewinnen) wird artikuliert als Drill und Gefügigmachen (inklusive Dankbarkeit, vgl. HOSTFrage an GUE/Kathy: Are you happy now?), und baut nicht auf Einsicht. Vorhaltungen und negative Spiegelungen sollen zur Abschreckung und Besserung dienen. Das Subjekt muß zum Nutzen der Gemeinschaft erzogen werden und sich ihren Normen unterordnen. Der SubjektEffekt dieses Diskurses ist ein Autoritäten untergeordnetes Subjekt, das bei Fehlverhalten isoliert und "an den Pranger" gestellt wird, korrekturbedürftig ist und durch Drill (nicht Einsichtsfähigkeit) an die Forderungen einer größeren Gemeinschaft anzupassen ist. Das Verhältnis zu den Autoritäten und zur Gemeinschaft ist ein stark personalisiertes und das Individuum ist gleichzeitig extrem abhängig von diesen, aber auch durch die Detaillierung und die Fokussierung auf den Einzelfall stark überhöht. Diese Entwürfe vom Subjekt lassen sich mühelos in hierarchischautoritären Kontexten wiederfinden und könnten innerhalb eines traditionellen sozio politischen "RechtsMitteLinks"Schemas möglicherweise als Bestandteil eines recht(spopulistisch)en Diskurses betrachtet werden. Die Daten aus der WinfreyReihe zeichnen sich durch insgesamt weniger objektivierende Strategien aus und weisen an manchen Stellen Spuren von subjektivierenden Verfahren auf (die Gäste kommen ausführlicher und weniger als Ausgefragte zu Wort, haben bisweilen Möglichkeiten, sich als Partner in einem informellen Gespräch zu konstituieren etc.). Mehr noch als das Vorhandensein von subjektivierenden Techniken fällt das NichtVorhandensein vieler Objektivierungsstrategien auf. D.h., eine Vereinzelung und Ausrichtung auf das Subjekt im Besonderen ist nicht auffällig ausgeprägt (sie ist vorhanden und im Fernsehen auch medienstrukturell verankert). Viel eher findet ein verallgemeinernder Diskurs statt, der das Subjekt und seine Erfahrung als Ausgangspunkt für generalisierbare Erörterungen nimmt. In den Daten gab es kaum dissentive Sequenzen, wenn es zu spontanen Frontbildungen kam, wurden diese von HOST geschlichtet, die hier untersuchten Shows weisen keine dramatisch strukturierten Formen auf jedenfalls nicht im selben Maß wie die ihrer Kollegin. Natürlich kann man im Mikrobereich sicher ebenfalls Zuspitzungen finden. Aber im Gesamtablauf ist die Show zyklisch strukturiert. Hier erscheint eine zweite Option, wie durch die Praktiken einer "Show für den Privatmenschen in seiner Alltäglichkeit" dieser medial konstituiert wird. Der einzelne wird weder auffällig häufig zum Objekt, noch wirklich frei in seiner Rede, sondern vielmehr zum Ausgangspunkt für Verallgemeinerungen gemacht. Der im Vergleich relativ weitgehende Verzicht auf Aussonderung des konkreten Falls und die Bezugnahme auf den generellen Fall hat als diskursive Korrelate Möglichkeiten der Gleichheit zwischen den Diskursteilnehmern und die Relativierung der Stimme der Autorität (der Experten). Die Übernahme von Wissen und Erkenntnis wird durch die Abhandlung der Problembereiche als denkbare Fälle und Optionen fürs Handeln der Eigenverantwortlichkeit der Subjekte anheimgestellt (ohne evozierte Affirmation und Ausstellung von Akten der Einsicht). SubjektEffekte sind: der einzelne wird als wichtiger Träger von verallgemeinerbaren Erfahrungen konstituiert, allerdings auch als einer neben vielen anderen (vgl. auch die Funktion der AUD, die die Perspektiven der Aussagen erweiteren, keine Fronten zu GUE bilden), das Verhältnis zu den anderen Diskurspositionen, v.a. zu den Autoritäten ist distanzierter, gesichtsbedrohende Sprechhandlungen sind nicht direkt an GUE gerichtet usw. Das Subjekt wird als lernfähig durch rationale Einsicht konstituiert. Analog zur Einordung in ein gesellschaftspolitisches Spektrum, könnte behauptet werden, diese Subjektkonzeptionen reflektieren Normen eines neoliberalen Diskurses der bürgerlichen Mittelschicht über das Individuum, der sich über die Besetzung der Position "egalitär" bzw. "antiautoritär" und "eigenverantwortlich" in Opposition zu "hierarchisch", "autoritär" und fremddefiniert bzw. abhängig von übergeordneten Instanzen definiert. Insofern stehen die beiden Pole der Möglichkeiten der Subjektkonzeption (und medialen Konstitution des Durchschnittsmenschen als Subjekt) in direkter Abfolge hintereinander auf dem Programm USamerikanischer Fernseh Nachmittage. Eine Entscheidung darüber, ob der immense Erfolg von Winfreys neoliberalem Diskurs, der jeden für sich allein und individuell "verantwortlich" macht, oder die Absetzung der ReiheRolonda mit ihrem autoritären und explizit hierarchisch operierenden Diskursmodus Anlaß zur Hoffnung geben sollte, muß anderen medien und sozialkritischen Untersuchungen überlassen bleiben.
This paper addresses a set of issues related to language documentation that are not often explicitly dealt with in academic publications, yet are highly important for the development and success of this new discipline. These issues include embedding language documentation in the socio-political context not only at the community level but also at the national level, the ethical and technical challenges of digital language archives, and the importance of regional and international cooperation among documentation activities. These issues play a major role in the initiative to set up a network of regional language archives in three South American countries, which this paper reports on. Local archives for data on endangered languages have recently been set up in Iquitos (Peru), Buenos Aires (Argentina), and in various locations in Brazil. An important feature of these is that they provide fast and secure access to linguistic and cultural data for local researchers and the language communities. They also make data safer by allowing for regular update procedures within the network.
Die vierzehn Beiträge dieses Bandes, eingeleitet durch ein ausführliches Vorwort der Herausgeberinnen, gehen auf eine an der Pädagogischen Hochschule Weingarten gehaltene Ringvorlesung im Wintersemester 2013/14 zurück. Die Vorlesung stand unter dem Titel "Weißt du noch? Kennst du noch? Vergessene und wiederentdeckte Schätze der Kinder- und Jugendliteratur". Im Gegensatz zu naheliegenden Konnotationen, die insbesondere der Untertitel des Buches hervorruft, ist mit "Kanonbildung" nicht ein mehr oder minder allgemein gültiges Textkorpus gemeint, das gemeinhin auch mit dem Klassiker-Begriff angesprochen wird, sondern vielmehr ein sehr individueller Fundus erster erinnerter Lesetexte, der mit »frühe Leseerfahrungen« gemeint ist. ...
Das Unsichtbare hat Konjunktur. Dies spiegeln nicht nur akademische Diskurse, sondern auch populärkulturelle Erzeugnisse wider. Die Aktualität des Themas scheint hierbei mit Neudefinitionen des Wissens, mit veränderten medialen Möglichkeiten und dadurch erschlossenen epistemischen Feldern, mit neuen ways of seeing und den damit einhergehenden Verunsicherungen zu tun zu haben. Idee der Tagung war es daher, den Blick zurück ans Ende des 19. bzw. den Beginn des 20. Jahrhunderts lenken, auf einen historischen Moment, der ebenfalls von einer Krise der Wahrnehmung geprägt ist. In der Medialisierung des "Unsichtbaren" treffen sich hier technischer Optimismus und phantasmatisches Begehren, die Verfahren der wissenschaftlichen Visualisierung und die entpragmatisierten Spiel-Räume der Kunst. ...
Das "International Institute of Political Murder" – verschiedene Modelle Dokumentarischen Theaters
(2014)
Aufbauend auf ihre Studie Disturbing the Universe: Power and Repression in Adolescent Literature (2000) fokussiert Roberta Seelinger Trites in Literary Conceptualizations of Growth die Metaphorik des (Heran-)Wachsens innerhalb der englischsprachigen Adoleszenzliteratur. Im erstgenannten Text hat sie dieser die Botschaft attestiert, dass das adoleszente Individuum sich stets aus seinem momentanen Zustand befreien müsse, um entweder zu "wachsen" und sich in die Erwachsenengesellschaft zu integrieren, oder aber zu sterben und somit zu scheitern. Fokussiert werde ein Wachstumsprozess, der mit einer "Besserung" gleichgesetzt werde. ...
In ihrer Dissertation nimmt Margarete Hopp 287 Bilderbücher zu den Themen Sterben, Tod und Trauer in den Blick, die zwischen 1946 und 2011 in Westdeutschland erschienen sind. Das Korpus besteht aus Sach- und Tierbilderbüchern, realistischen, fantastischen sowie märchenhaften Bilderbüchern. Nur zehn der insgesamt 287 Texte stammen aus der Zeitspanne zwischen 1946 und 1971, d. h. der Zeit vor dem kinderliterarischen Paradigmenwechsel. ...
Der Sammelband ist in drei Abschnitte unterteilt und enthält 12 Beiträge. In ihrem einführenden Beitrag gehen die Herausgeberinnen Emer O’Sullivan und Andrea Immel unter anderem auf die historisch verankerte Funktion der Kinder- und Jugendliteratur als Sozialisationsinstanz ein, auf ihre gemeinschaftskonstituierende Funktion sowie das Potenzial, einen Eindruck davon zu vermitteln, wie sich ein »uns« gegenüber einem wie auch immer gearteten »Anderen« und »Fremden« verhält. Dass die Perspektive, aus der das literarische Geschehen geschildert und betrachtet wird, für die Rezeptionslenkung und die (Be-)Wertung der Dichotomie von »eigen« und »fremd« bzw. »vertraut« und »unbekannt« ausschlaggebend ist, veranschaulichen sie am Beispiel der Imagologie. ...
Die Phänomene des Traums und Träumens als allnächtliche Konfrontation mit dem Fremden und Anderen des wachen (Er-)Lebens (vgl. Engel 2003, S. 153) wie auch der wachen Persönlichkeit üben eine nachhaltige Faszination aus, die maßgeblich auf ihre ambivalente Charakteristik zurückzuführen ist. Der/die Träumende befindet sich in einem Stadium jenseits der Realität, in einem Dazwischen von Leben und Tod, und ist »mit einer Erlebenswelt und einer Erlebensweise konfrontiert, die [Manfred Engel zufolge] auf ebenso evidente wie rätselhafte Weise anders sind als die des wachen Lebens« (ebd.)...
Die von der Friedrich Stiftung sowie von der Vereinigung von Freunden und Förderern der Goethe-Universität unterstützte Ringvorlesung richtet sich an Studierende und Lehrende sowie an die interessierte Öffentlichkeit.
Sie wird am 19. April 2016 um 18 Uhr (c.t.) im Casinogebäude Raum 1.801 (Renate-von-Metzler-Saal) beginnen – und in der Folge jeweils dienstags von 16 bis 18 Uhr im Raum HZ 13 des Hörsaalzentrums auf dem Campus Westend der Goethe-Universität fortgesetzt werden.
Eine materialreiche, ansprechend illustrierte und mit zahlreichen Beispielen ausgestattete Einführung in die Lyrikvermittlung liegt hier vor, die sich vorrangig an die Lehrenden im Primarbereich richtet. Die Stärke der Darstellung liegt eindeutig im Praxisbezug, viele Modelle für konkrete Unterrichtsplanung und -durchführung können hier nachgelesen und dann erprobt werden, die Ausrichtung folgt dezidiert handlungs- und produktionsorientierten Methoden, wie man es von Franz-Josef Payrhuber auch nicht anders erwartet. Die Gliederung ist ausgerichtet an vier "Blickpunkten": Zunächst werden "Formen" präsentiert, der umfangreiche zweite Teil widmet sich den "Methoden", der dritte präsentiert einzelne "Themen" und der letzte nimmt "Autoren" in den Blick. Abgeschlossen wird der Band durch ein umfassendes Literaturverzeichnis. ...
Die vorliegende Werkbiographie Mira Lobes ist Ergebnis eines Forschungsprojekts am Ludwig Boltzmann Institut für Geschichte und Theorie der Biographie in Wien. Daraus entstanden eine Ausstellung im Jahre 2014/15 mit dem Titel "Ich bin ich. Mira Lobe und Susi Weigel" anlässlich des hundertsten Geburtstags der Schriftstellerin, die der Verfasser mitkuratiert hat. Seine Forschungen wurden 2014 als Dissertation in Wien vorgelegt. Es ist die erste umfassende Darstellung zu Leben und Werk der erfolgreichen und kanonisierten Autorin, vermag über den Blick auf die Einzelperson hinaus außerdem wichtige Erkenntnisse über das kinderliterarische Leben in Österreich seit den 1950er Jahren zu vermitteln. Denn neben den Ausführungen zu Mira Lobe selbst berücksichtigt Huemer eine Vielzahl anderer Aspekte: die Publikationswege Lobes, die Verlagslandschaft, die IllustratorInnen ihrer Bücher wie auch zum Teil die Rezeption der Werke. Dies alles wurde erreicht durch eine akribische Auswertung des recht verstreuten Nachlasses sowie durch zahlreiche Interviews mit noch lebenden Weggefährten, die eine wichtige Rolle im Leben der Autorin gespielt haben. ...
Die afrikanische Literatur existiert genau so wenig wie die europäische, zu vielfältig und vielschichtig sind die beteiligten Gesellschaften, Sprachen, Kulturen und Nationen. Afrika als einheitlicher Kulturraum wurde historisch von Europa erfunden: als Inspirationsquelle zivilisationsmüder Avantgarde-Bewegungen und als Projektionsfläche europäischer Phantasien und Exotismen. Tatsächlich sind auf dem Boden wirtschaftlicher Ausbeutung, religiöser Missionierung und politischer Allmachtsvorstellungen überall in Afrika höchst unterschiedliche postkoloniale Kulturen und Literaturen entstanden, die "afrikanische Identität" permanent überdenken und auf neue Weise zum Ausdruck bringen. Die Konturen dieser afrikanischen Vielfalt werden vor dem Hintergrund der Einbindung und Vernetzung der afrikanischen Literatur in der globalisierten Welt besonders deutlich.
Überraschende neue Antworten auf die althergebrachte Frage nach dem »Eigenen« und »Fremden« geben die Romane des indischstämmigen Schriftstellers Moyez G. Vassanji, der in Kenia geboren wurde, seit Jahrzehnten in Kanada lebt und heute zu den bedeutendsten Autoren der ostafrikanischen Gegenwartsliteratur zählt. Seine Protagonisten verkörpern eine transregionale Verflechtungsgeschichte, die aus europäischer Perspektive kaum wahrgenommen wird, aber durchaus Impulse für aktuelle Debatten geben kann.
Bewegung im Satz : Remnant Movement – Syntaktische Grundlagenforschung am Institut für Linguistik
(2013)
In this paper, we investigate whether timing in monolingual acquisition interacts with age of onset and input effects in child bilingualism. Six different morpho-syntactic and semantic phenomena acquired early, late or very late are considered, with their timing in L1 acquisition varying between age 3 (subject-verb agreement) and after age 6 (case marking). Data from simultaneous bilingual children (2L1) whose mean age of onset to German was 3 months are compared with data from early second language learners of German (eL2) whose mean age of onset to German was 35 months as well as with data from monolingual children. To explore change over time, children were tested twice at the ages of 4;4 and 5;8 years. The main findings were that 2L1 children had an advantage over their eL2 peers in early acquired phenomena, which disappeared with time, whereas in late acquired phenomena 2L1 and eL2 children did not differ. Moreover, 2L1 children performed like monolingual children in early acquired phenomena but had a disadvantage in the late acquired phenomena with the amount of delay decreasing with time. We conclude that age of onset effects are modulated by effects of timing in monolingual acquisition. Contrary to expectation, input in terms of language dominance, measured as the dominant language used at home, did not affect simultaneous bilingual children’s performance in any of the phenomena. We discuss the implications of our findings for the hypothesis that acquisition of late phenomena is determined by input alone and suggest an alternative concept: the learner’s internal need for time to master a phenomenon, which is determined by its complexity and cross-linguistic robustness.
Diese Arbeit sucht Antworten auf zwei Fragen: Welche Prozesse steuern die Interaktion zwischen Autor und seinen Lesern, und wie haben sich diese Prozesse im Laufe des 20. Jahrhunderts möglicherweise verändert? Wir wollen zur Beantwortung dieser Fragen beispielhaft zwei Aspekte der Interaktion zwischen Autor und Leser betrachten, die wir, ausgehend von der vorliegenden Sekundärliteratur, für besonders vielschichtig und relevant halten: Intertextualität und Performativität. Diese Aspekte sollen dann an drei literarischen Beispielen: Henry Jamesens The Turn of the Screw (1898), Samuel Becketts Film (1963) und John Banvilles The Untouchable (1997) durchgearbeitet werden. Sie sollen drei Stationen der literarischen Entwicklung des 20. Jahrhunderts repräsentieren: den Beginn der Moderne, den Beginn der Postmoderne und die heutige Zeit. Im Vergleich der Texte wollen wir die Entwicklung der Beziehung zwischen Autor und Leser über diesen Zeitabschnitt hinweg offen legen. Film bildet sozusagen ein Scharnier zwischen Henry Jamesens und John Banvilles Texten. Im Sinne von Linda Hutcheons (2002 (1989)) Überlegungen zur Charakteristik postmoderner Texte und John Kenny (2006:57), der eine Verwandtschaft von John Banvilles Texten zu denen von Henry James nachweist, kann man The Turn of the Screw durchaus auch als postmodernen, mit The Untouchable sehr verwandten Text lesen.
Als global bekanntes Erinnerungsnarrativ nimmt Das Tagebuch der Anne Frank (erste deutsche Fassung 1950) einen bedeutenden Part in der Holocaust Education ein. Dabei beteiligt sich die grafische Adaption von Ari Folmans und David Polonskys Das Tagebuch der Anne Frank. Graphic Diary (2017) auf zweierlei Art am Fortschreiben des kulturellen Gedächtnisses; einerseits in seiner Geformtheit durch die Publikation selbst und darüber hinaus in seiner Organisiertheit aufgrund der institutionalisierten Kommunikation (vgl. Assmann 1988, S. 12).
Beyond "singular" identities : multiculturalism and cultural freedom in Australian literature
(2009)
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Frage von Wahrnehmung und Entwicklung multipler individueller Identitäten in australischer Literatur unter Berücksichtigung von kultureller Freiheit und Multikulturalismus. Amartya Sen präsentiert in seinem Buch Identity and Violence einen Identitätsansatz, der davon ausgeht, dass jedes Individuum plurale kulturelle Identitäten besitzt, deren Relevanz kontextspezifisch zu wählen ist. Die vorliegende Arbeit soll überprüfen ob Sen's Modell der pluralen Identitäten auch für den Bereich der Literaturwissenschaften adaptiert werden kann. Fragen der Identität sind selbstverständlich nicht neu in diesem Bereich. Insbesondere die Transcultural- und Postcolonial-Studies haben unter Aspekten wie Ethnizität, Gender, oder Hybridität verschiedene Modelle von Identität entwickelt. Da solche Modelle jedoch oft primär an einem dieser spezifischen Aspekte ausgerichtet sind, ist eine generelle Aussage über Wahrnehmung und Entwicklung von Identitäten oft nur bedingt möglich. Sen's Modell hat den Vorteil, dass es einfache allgemeingültige Regeln schafft, auf deren Basis alle identitätsbezogenen Aspekte verhandelt werden können. Während vielen anderen Modellen ein serieller (diachronischer) Ansatz explizit oder implizit zu Grunde liegt, geht Sen von einer parallelen (synchronen) Identitätsstruktur aus. Außerdem rückt er im Gegensatz zu vielen gruppenorientierten Ansätzen das Individuum in das Zentrum seiner Betrachtung und entwickelt auf Basis individueller, pluraler Identitäten seine umfassende Theorie. Gerade die Betonung von Gruppenidentitäten sowie die Verhandlungen von Identitäten zwischen Individuen und / oder Gruppen macht Sen als potentiellen Ursprung von gesellschaftlichen Konflikten aus. Dies liegt unter anderem an der gesellschaftlich weit verbreiteten Annahmen, dass kulturelle Identitäten singulär und gruppenorientiert strukturiert sind. Demnach ist jedes Individuum einer primären kulturellen Gruppenidentität zuzuordnen, welche alle anderen Identitätsaspekte determiniert. Gemeinsame Identitätsmerkmale zweier Individuen mit unterschiedlichen primären Gruppenidentitäten werden somit ausgeschlossen oder als sekundär bzw. nachrangig der primären Identität untergeordnet. Die Definition dieser singulären kulturellen Identitäten und die entsprechenden Regeln der Zugehörigkeit werden innerhalb der jeweiligen Gruppe verhandelt. Kommt es zwischen zwei Individuen zu Missinterpretation von identitätsbezogenen Kausalitäten, entstehen die von Sen beschriebenen Konflikten kommen. Um dieses Konfliktpotenzial zu entschärfen fordert Sen für jedes einzelne Individuum die Freiheit seine Präferenzen kontextspezifischer Identitäten frei zu wählen, ohne Einflussnahme anderer Individuen oder Gruppen. Dies kann als allgemeine Forderung individueller kultureller Freiheit, analog zur Freiheit der eigenen Meinung verstanden werden. Das Bewusstsein für die jeweiligen kontextspezifischen Identitäten anderer kann somit durch ein größeres Verständnis von Kausalitäten zur Vermeidung identitätsbezogener Konflikte führen. Da Sen seine Theorie nicht explizit für literaturwissenschaftliche Anwendungen beschreibt, muss im Rahmen dieser Arbeit zuerst ein methodologisches Modell für die Arbeit an literarischen Texten erarbeitet werden. Dazu werden verschiedene, auf Sen basierende, Aspekte definiert, die dann an den vorliegenden Texten auf ihre Gültigkeit überprüft werden. Erstens wird ermittelt, ob es generell möglich ist individuelle und Gruppenidentitäten zu identifizieren. Zweiten wird untersucht, ob die zentralen Protagonisten plurale kulturelle Identitäten aufweisen. Drittens wird die Frage gestellt, ob ein kausaler Zusammenhang zwischen den Identitätsverhandlungen von Individuen und / oder Gruppen, sowie den in den Texten beschriebenen Konflikten hergestellt werden kann. Viertens wird untersucht, ob die Erzählungen Konzepte von singulärer kultureller Identität, pluralem Monokulturalismus, oder Multikulturalismus widerspiegeln. Fünftens soll geklärt werden, ob Sen's Forderung nach individueller kultureller Freiheit einen realistischen Lösungsansatz für die in den Erzählungen beschriebenen Konflikte bedeuten würde. Die zugrunde liegenden Primärtexte – Behrendt's Home, Haikal's Seducing Mr Maclean und Teo's Love and Vertigo – wurden auf Grund der vergleichbaren Identitätsthematik gewählt. Alle drei schildern die Wahrnehmung und Entwicklung multipler individueller Identitäten vor dem Hintergrund einer australischen Migrationsgesellschaft und deren Umgang mit Angehörigen der australischen Ureinwohner. In Bezug auf die oben genannten Fragen weisen alle drei Texte eine große Übereinstimmung mit Sen's Theorie auf. In allen Erzählungen ließen sich individuelle und Gruppenidentitäten nachweisen, wobei vor allem die zentralen Protagonisten deutliche plurale kulturelle Identitäten aufwiesen. Ebenso konnte ein starker Zusammenhang zwischen den Identitätsverhandlungen von Individuen und / oder Gruppen, sowie den in den Texten beschriebenen Konflikten hergestellt werden. Auch war es möglich bei verschiedenen Protagonisten Vorstellungen von singulärer kultureller Identität oder pluralem Monokulturalismus nachzuweisen. Letztlich kann für alle drei Texte angenommen werden, dass individuelle kulturelle Freiheit einen realistischen Lösungsansatz für die in den Erzählungen beschriebenen Konflikte bedeuten würde. Sen's Modell pluraler individueller Identitäten hat sich somit prinzipiell für den Einsatz im Bereich der Literaturwissenschaften bewährt. Für die Literaturwissenschaften hat dieses Modell den Vorteil, dass im Gegensatz zu vielen anderen Identitätskonzepten verschiedene Aspekte wie Ethnizität, Gender, oder Hybridität auf einem gemeinsamen theoretischen Fundament analysiert und diskutiert werden könnten.