BDSL-Klassifikation: 03.00.00 Literaturwissenschaft > 03.04.00 Methodik
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[Es] zeichnen sich drei grundlegend unterscheidbare Richtungen ab, die als Aufgabenfeld einer Computerphilologie gesehen werden: die Entwicklung digitaler Editionen, die Erforschung PC-basierter Literatur und die Ausbildung PC-basierter Methoden einschließlich der Entwicklung und Programmierung entsprechender Anwendungen. Diese Definition bietet Anlass zur Reflexion über die Frage nach Methodologie und Disziplinarität der Computerphilologie. Die Aufzählung […] kann jedoch nur den Ausgangspunkt markieren, da sie lediglich den Einsatzbereich des PCs absteckt. Aber darauf aufbauend lassen sich drei Thesen zur näheren Bestimmung computerphilologischer Arbeit formulieren, die nachfolgend zur Diskussion gestellt werden.
Im vorliegenden Themenschwerpunkt wird die zentrale Frage aufgeworfen, wie Literatur in interdiskursiven Formationen durch ihre spezifischen Mittel das Wissen von verschiedener (hauptsächlich jedoch wissenschaftlicher) Provenienz kommuniziert. In den Beiträgen wird auch explizit auf die Problematik der theoretisch-methodologischen Erfassung des Zusammenhangs von Literatur und Wissen eingegangen und die jeweilige Art und Weise der Reflexion des konstruktiven Charakters der Literatur als Interdiskurs modelliert. Dadurch wird auf die Funktion der Literatur fokussiert, von der wir annehmen, dass sie die Spur der interdiskursiven Kommunikation in sich trägt. In dieser Perspektive lassen sich entsprechende Transformationsstrategien und Strukturen herausarbeiten, durch die wir uns in der Regel identifizieren und die Tragsäulen unseres Weltbildes darstellen. Im Wesentlichen jedoch wird der Blick auf die Frage gerichtet, was genau geschieht, wenn Wissensbestände über die Grenzen der Spezialdiskurse hinausgehen, oder genauer, in welchem Verhältnis das Wissen der Spezialdiskurse zu ihrer literarischen Kommunikation steht. Der zuletzt angesprochene Aspekt betrifft auch Fragen der Rezeptionsästhetik. Mit der Fokussierung der Besonderheiten der literarischen Kommunikation, also der Integration und der Darstellung des Wissens der Spezialdiskurse im Spektrum der literarischen Mittel wird ein Bereich betreten, der für die Literaturwissenschaft eine Herausforderung darstellt. Diese Neuperspektivierung rekurriert auf Foucaults Postulat von der Entprivilegierung des Wissens der Spezialdiskurse durch Interdiskurse wie Literatur (korrelierende und kompensierende Funktion von Interdiskursen), indem sie Wissen in Zusammenhänge bringt, die für den gegebenen Spezialdiskurs unzugänglich oder vielmehr unzulässig sind. Das Themenheft versammelt eine Serie von Aufsätzen, die jeweils ganz spezifische Perspektiven auf die aufgestellte Problematik eröffnen.
Der Terminus „Annotation“ gewinnt mit der fortschreitenden Verankerung der Digital Humanities innerhalb der akademischen Landschaft immer stärker an Bedeutung. Gleichzeitig steht er in den Geistes- und Informationswissenschaften für jeweils unterschiedliche Konzepte, welche zwar in Umfang, Einsatz und Zielausrichtung variieren, aber auch konzeptuelle Parallelen aufweisen. Vor dem Hintergrund der Zusammenarbeit der verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen scheint es daher geboten, verschiedene Annotationspraxen und die mit ihnen verbundenen Konzepte von Annotationen zu reflektieren und diskutieren, ins Verhältnis zueinander zu setzen sowie Gemeinsamkeiten und Unterschiedlichkeiten zu systematisieren. Hierfür luden Julia Nantke und Frederik Schlupkothen (beide Bergische Universität Wuppertal) vom Graduiertenkolleg "Dokument – Text – Edition. Bedingungen und Formen ihrer Transformation und Modellierung in transdisziplinärer Perspektive" zur interdisziplinär angelegte Tagung "Annotationen in Edition und Forschung. Funktionsbestimmung, Differenzierung und Systematisierung" vom 20. bis zum 22. Februar 2019 an die Bergische Universität Wuppertal ein. Wissenschaftler*innen aus verschiedenen Ländern und Fachbereichen berichteten in fünf Sektionen über ihre Forschungsprojekte und –ergebnisse zu Annotationen, deren unterschiedlichen Erscheinungsformen und Funktionsweisen sowie zu verschiedenen terminologischen, methodischen und technischen Fragestellungen. Der Annotationsbegriff wurde hierbei bewusst weit gefasst und sowohl auf digitale und analoge sowie manuelle und automatisierte Annotationsprozesse in unterschiedlichen Medien bezogen.
Anfangen
(2014)
En arche en ho logos, im Anfang war der Logos (Joh 1,1); darüber kann man streiten, insofern es Theologie ist, sagte man aber, es seien die Logiken (oder doch logoi) in den Anfängen, in den methodisch je neuen Versuchen gelegen, so beschriebe man die Morgenröten des Intellekts, die vielleicht auch in präsumptiver Summa und der Spannung das ergeben, was man den Logos nennen könnte. Man beginnt also so: etwa mit einem Wort, das noch ungewiss ist, oder einem Zitat …
Tatsächlich mag es dies sein, was uns Gedichte bis heute bedeutsam macht. In ihnen beginnt etwas, drückt man es so sachlich wie möglich aus, so generieren sie wohl Methoden. Mit einem unsäglichen Wort der Gegenwartspädagogik könnte man sie vorwissenschaftlich heißen.
Wissenschaft verfügt über Methodik, sie setzt sich einem Risiko aus, wenn sie eine neue erfindet, so gewiss auch ist, dass erst die neue Methode - die neue Frage - einen neuen Respons hervorrufen kann. Dieses Vortasten aber ist in Zeiten des Drittmittelfinanzierens und Evaluierens bedroht; und damit womöglich die Forschung nur mehr ein um Perfektibilität ringendes Sich-Wiederholen. Einzig das Kühne in den Versprechen zu Beginn einzelner Projekte erinnert vage an die kühnen Erwartungen der Naturpoesie, als deren Erben man dereinst folglich manche Projektmittelanträge vielleicht entdecken wird …
The concept of length, the concept is synonymous, the concept is nothing more than, the proper definition of a concept ... Forget programs and visions; the operational approach refers specifically to concepts, and in a very specific way: it describes the process whereby concepts are transformed into a series of operations—which, in their turn, allow to measure all sorts of objects. Operationalizing means building a bridge from concepts to measurement, and then to the world. In our case: from the concepts of literary theory, through some form of quantification, to literary texts.
If there is one thing to be learned from David Foster Wallace, it is that cultural transmission is a tricky game. This was a problem Wallace confronted as a literary professional, a university-based writer during what Mark McGurl has called the Program Era. But it was also a philosophical issue he grappled with on a deep level as he struggled to combat his own loneliness through writing. This fundamental concern with literature as a social, collaborative enterprise has also gained some popularity among scholars of contemporary American literature, particularly McGurl and James English: both critics explore the rules by which prestige or cultural distinction is awarded to authors (English; McGurl). Their approach requires a certain amount of empirical work, since these claims move beyond the individual experience of the text into forms of collective reading and cultural exchange influenced by social class, geographical location, education, ethnicity, and other factors. Yet McGurl and English's groundbreaking work is limited by the very forms of exclusivity they analyze: the protective bubble of creative writing programs in the academy and the elite economy of prestige surrounding literary prizes, respectively. To really study the problem of cultural transmission, we need to look beyond the symbolic markets of prestige to the real market, the site of mass literary consumption, where authors succeed or fail based on their ability to speak to that most diverse and complicated of readerships: the general public. Unless we study what I call the social lives of books, we make the mistake of keeping literature in the same ascetic laboratory that Wallace tried to break out of with his intense authorial focus on popular culture, mass media, and everyday life.
In the last few years, literary studies have experienced what we could call the rise of quantitative evidence. This had happened before of course, without producing lasting effects, but this time it’s probably going to be different, because this time we have digital databases, and automated data retrieval. As Michel’s and Lieberman’s recent article on "Culturomics" made clear, the width of the corpus and the speed of the search have increased beyond all expectations: today, we can replicate in a few minutes investigations that took a giant like Leo Spitzer months and years of work. When it comes to phenomena of language and style, we can do things that previous generations could only dream of.
When it comes to language and style. But if you work on novels or plays, style is only part of the picture. What about plot – how can that be quantified? This paper is the beginning of an answer, and the beginning of the beginning is network theory. This is a theory that studies connections within large groups of objects: the objects can be just about anything – banks, neurons, film actors, research papers, friends... – and are usually called nodes or vertices; their connections are usually called edges; and the analysis of how vertices are linked by edges has revealed many unexpected features of large systems, the most famous one being the so-called "small-world" property, or "six degrees of separation": the uncanny rapidity with which one can reach any vertex in the network from any other vertex. The theory proper requires a level of mathematical intelligence which I unfortunately lack; and it typically uses vast quantities of data which will also be missing from my paper. But this is only the first in a series of studies we’re doing at the Stanford Literary Lab; and then, even at this early stage, a few things emerge.
Rezension zu Uta Gerhardt: Idealtypus. Zur methodischen Begründung der modernen Soziologie. Frankfurt/Main (Suhrkamp) 2001 (= suhrkamp taschenbuch wissenschaft; Bd. 1542). 486 Seiten.
Die Intention der Verfasserin sei an den Darlegungen demonstriert, mit denen sie ihre Monographie enden lässt. Ich konzentriere mich auf die Ausführungen zu Alfred Schütz - und das unter der leitenden Frage: Worin besteht für den Literaturwissenschaftler der Nutzen dieser methodischen Begründung der modernen Soziologie? Antwort: Ganz offensichtlich lässt sich aus den Ausführungen der Verfasserin zum Begriff des Idealtypus ein Schlüssel zur Analyse literarisch gestalteter sozialer Welten gewinnen.
Rezension zu Andreas Böhn: Das Formzitat. Bestimmung einer Textstrategie im Spannungsfeld zwischen Intertextualitätsforschung und Gattungstheorie. Berlin (Erich Schmidt) 2001 (= Philologische Studien und Quellen; Heft 170). 208 Seiten.
Einen breit angelegten Beitrag zur Intertextualitäts- bzw. Transtextualitätsforschung hat jüngst Andreas Böhn mit seiner Studie 'Das Formzitat' vorgelegt, die 1999 von der Fakultät für Sprach- und Literaturwissenschaft der Universität Mannheim als Habilitationsschrift angenommen wurde. Böhns Studie versteht sich zum einen als Beitrag zur Allgemeinen Literaturwissenschaft. Begriff und Phänomen des Formzitats werden theoretisch beschrieben und definiert. Zum anderen zeigt Böhn an ausgewählten literarischen Beispielen aus der deutschen Literatur vom 18. bis zum 20. Jahrhundert die verschiedenen Funktionen des Formzitats und versucht auf diesem Wege, seine theoretischen Ausführungen historisch zu akzentuieren.
Rezension zu Volker Pantenburg u. Nils Plath (Hg.): Anführen - Vorführen - Aufführen. Texte zum Zitieren, Bielefeld (Aisthesis) 2002. 291 Seiten.
Die Beiträge des Sammelbandes 'Anführen - Vorführen - Aufführen. Texte zum Zitieren', herausgegeben von Volker Pantenburg und Nils Plath, gehen diesem feinen Netz kultureller Praktiken nach, die an das Zitieren angeschlossen sind. Im Mittelpunkt der Beiträge steht weniger der Begriff der Intertextualität, es werden stattdessen Arten und Weisen des Zitierens an-, vor- und aufgeführt. Die Beiträge setzen sich dementsprechend mit den Verfahren und Bedingungen des Zitierens auseinander, sie gehen den Technologien, dem Wiederholungs-/Gedächtnis-Charakter des Zitats nach und führen das Zitieren performativ vor. Sie zeigen aber auch, in welchen Momenten das Zitat den Text stört, in den es eingefügt ist.
Quantitative Textanalyse wird oft mit empirischer Literaturwissenschaft verwechselt oder als Wörterzählen verniedlicht. Gerade in den Anfängen der Romanistik, als Linguistik und Literaturwissenschaft noch wesentlich enger verknüpft waren, wurde jedoch auch in der Textanalyse literarischer Werke mit Konkordanztabellen und anderen äußeren Strukturmerkmalen von Texten gearbeitet. Heute wird im Kontext der Digital Humanities in der Literaturwissenschaft versucht, Erkenntnisse aus dem Bereich der forensischen Linguistik und Autorschaftsattribution auch zur literarischen Stil- und Gattungsdiskussion zu verwenden. Die Methode der Stilometrie nutzt dabei vor allem das leicht zugängliche Tool stylo für das Statistikprogramm R, das von der Gruppe computational stylistics entwickelt wurde.
Der Workshop setzt sich aus folgenden Teilen zusammen:
1. Einführung in die quantitative Textanalyse im Kontext der Digital Humanities
2. Erläuterung der Funktionsweise von Stilometrie: mathematische Distanzmaße und statistische Verteilung
3. Anwendungsbeispiel mit stylo für R
Verbal storytelling – in a sense broad enough to include all forms from casual conversation across oral folklore to written literature – seems to be a universal human activity and has thus been considered an evolutionary adaptation several times in the past few years. The fact that a particular trait is a species-wide universal, however, does not automatically make it an adaptation; it could also be a contingent universal, that is, a cultural behavior which notably relies on biological substrates and therefore emerges in similar fashions in all human cultures, times, and milieus. Yet verbal storytelling is not only universal but also distinct to our species. The uniqueness of a trait can indeed be indicative of a biological adaptation1 in that we have reason to assume that this trait emerged newly in the given animal lineage and thus might owe its existence to the process of natural selection. However, since verbal storytelling completely depends on language, that is, another uniquely human faculty, the uniqueness of storytelling is hardly surprising and cannot serve as a conclusive argument for considering storytelling itself to be a specifically selected trait. Storytelling could simply be a particular use of language (though we shall see below that the relationship between language and narration is a little more complicated). A third possible indication of a biological adaptation, however, is the fact that storytelling seems to be a notably self-rewarding activity. It occurs on a much larger scale than would seem justified by rational choice or other reasons. As fitness-enhancing behaviors should, as a rule, be intrinsically motivated under certain conditions, the unusually high frequency of storytelling might indeed be revealing of an innate preference for this behavior.
There has been a great deal of uproar about Darwinian approaches in literary scholarship. Statements range from enthusiastic prophecies of a new paradigm for literary studies to acrimonious scoldings of reductionism. Believing that the major challenge is first to find good questions to which evolutionary psychology might provide us with good answers, I outline and critically assess different veins of argumentation as revealed in recent contributions to the field. As an alternative to some simplistic mimeticism in present Literary Darwinism, I put forward the idea of evolutionary psychology as a heuristic theory that serves to resolve defined problems in interpretation and literary theory.
Die mit dieser Arbeit einsetzende Rezeption der Rezeptionsgeschichte und Rezeptionsästhetik in der Literaturwissenschaft war – wie es scheint – durch folgende Erwartungen bestimmt:
1. Sie versprach, die "Kluft zwischen der historischen und der ästhetischen Betrachtung" zu schließen, formalistische und historisch-soziologische Betrachtungsweisen in ihrer Einseitigkeit zu überwinden und zu versöhnen und beiläufig die marxistische Literaturwissenschaft in die Wissenschaftspraxis zu integrieren.
2. Sie versprach, die Legitimationsfrage der Literaturwissenschaft zu lösen, indem die rezeptionsästhetische Methode die Literaturwissenschaftler in die Lage versetzen sollte, an der "Totalisierung des Vergangenen", will sagen an der Wiederaneignung von Werken der Vergangenheit und der Vermittlung vergangener Kunst und gegenwärtiger Kunsterfahrung teilzunehmen. Sie beanspruchte, für eine bewußt angestrebte neue Kanonbildung Kriterien bereitzustellen und damit die hoffnungslosen Aporien zu heilen, in welche der Historismus alle normativen Anstrengungen der Literaturwissenschaft gebracht hatte.
3. Sie stellte die Möglichkeit in Aussicht, die Wissenschaftsgeschichte insbesondere der Germanistik ohne allzu heftige Erschütterung zu beschreiben, indem sie erlaubte, in den literaturwissenschaftlichen Hervorbringungen der Vergangenheit ebenfalls die "sukzessive Entfaltung eines im Werk angelegten, in seinen historischen Rezeptionsstufen aktualisierten Sinnpotentials" zu sehen, ohne deswegen in den Verdacht zu kommen, einem Einrücken in diese Tradition oder einem Verzicht auf Kritik das Wort zu reden.
4. Schließlich erlaubten die vorgetragenen methodischen und theoretischen VorschIage durchaus unterschiedliche Folgerungen, vor allem aber eine Fülle von praktikablen neuen Projekten und Themenstellungen bei prinzipiell gleichbleibender Struktur der Lehr- und Forschungspraxis. Es zeigte sich, daß überall keineswegs voraussetzungslos begonnen werden mußte, daß insbesondere bei den von Jauß vorgeschlagenen Methoden der synchronen und diachronen Querschnittsanalysen, bei der Rekonstruktion von "Erwartungshorizonten" aus den Texten selbst und aus den Traditionen, in denen sie stehen, und auch bei der Rekonstruktion der "ereignishaften Geschichte der Literatur", in welcher sich Rezeption durch Kritiker und Autoren als Fundament neuer Produktionen darstellt, auf das ganze reiche Arsenal der eingeubten positivistischen Arbeitsweise der Gattungs-, Motiv- und Einflußgeschichte u. a. m. zurückgegriffen werden konnte.
Es ist bekannt, daß sich der theoretische Dissens zwischen Michel Foucault und Jacques Derrida, wie er seit den sechziger Jahren, seit Foucaults Buch "Wahnsinn und Gesellschaft", in den Texten beider Autoren seinen Niederschlag gefunden hat, anhand von Fragen entzündet hat, die die Problematik der Lektüre einiger Passagen der "Meditationes de Prima Philosophia" von René Descartes betreffen. Diese durchaus von polemischer Schärfe getragene Auseinandersetzung, deren z.T. unversöhnbar scheinende Rhetorik angesichts einer strategischen Nähe, die man prima facie zwischen den theoretischen Projekten beider vermuten könnte, verwundern mag, findet ihren Ausgangspunkt in Foucaults frühem Projekt einer Rekonstruktion des für die klassische und moderne Epoche angeblich konstitutiven Ausschlusses des Wahnsinns aus der Vernunft. [...]
Im folgenden werde ich zunächst die Position Foucaults in Bezug auf den Zusammenhang des Ausschlusses der wahnsinnigen Sprache aus der Vernunft und der Entstehung einer spezifischen Literatur erläutern. Die Erläuterung der Beziehung von Wahnsinn, Sprache, Vernunft und Literatur macht es notwendig, weitere Texte Foucaults heranzuziehen, trotz eines gewissen Vorbehalts bezüglich der Zulässigkeit einer Art der Rekonstruktion der Thesen Foucaults, die über verschiedene Texte hinweg zeitlich divergierende Stadien seiner Theorie als eine einheitliche und kohärente Theorie behandelt. Der dritte Teil widmet sich einer Rekonstruktion der theoretischen Verschiebung, die Derrida an Foucaults Projekt vornimmt. Schließlich folgt im letzten Teil eine Rekonstruktion der gegenseitig erhobenen Einwände im Rahmen eines Vergleichs beider Positionen und ein Aufriß der Strategie und Methodik.
Digital document and interpretation : re-thinking "text" and scholarship in electronic settings
(2008)
The contribution starts from outlining the evolution of the scholarly production flow from the print based paradigm to the digital age and in this context it explores the opposition of digital versus analog representation modes. It then develops on the triple paradigm shift caused by genuine digital publishing and its specific consequences for the social sciences and humanities (SSH) which in turn results in re-constituting basic scholarly notions such as 'text' and 'document'. The paper concludes with discussing the specific value that could be added in systematically using digital text resources as a basis for scholarly work and also states some of the necessary conditions for such a 'digital turn' to be successful in the SSH.
Figur
(2011)
Wenn literarische Geschichten ('mythoi') gemäß der Bestimmung des Aristoteles "menschliche Handlungen" darstellen ('mimesis praxeōs'; Aristoteles 1982, 1449b), dann sind die Akteure dieser Handlungen zweifellos ein zentrales Element von Erzählungen, genauer gesagt: eine Grundkomponente der erzählten Welt (Diegese). Die Bewohner der fiktiven Welten fiktionaler Erzählungen nennt man 'Figuren' (engl. 'characters'), um den kategorialen Unterschied gegenüber 'Personen' (oder 'Menschen') hervorzuheben. Autoren fiktionaler Texte erfinden Figuren, Autoren faktualer Texte berichten von Personen. Aus diesem Unterschied folgen einige Besonderheiten, die Figuren. Fiktionaler literarischer Welten sowohl von der Darstellung realer Personen in faktualen Texten wie auch von der Wahrnehmung realer Personen in unserer Alltagswelt unterscheiden.
Figuren müssen nicht menschlich oder menschenähnlich sein. Viele literarische Akteure besitzen phantastische Qualitäten, die mit dem Begriff einer Person unvereinbar sind – man denke an die tierischen Handlungsträger in Fabeln. Selbst unbelebte Dinge wie Roboter in der Science Fiction oder die titelgebenden Protagonisten des Grimmschen Märchens "Strohhalm, Kohle und Bohne" können in der Fiktion zu Handlungsträgern und damit zu Figuren werden. Gibt es überhaupt eine notwendige Voraussetzung dafür, dass ein Textelement als eine Figur gelten kann? Das einzige unerlässliche Merkmal für den Status einer Figur ist wohl. dass man ihr Intentionalität, also mentale Zustände (Wahrnehmungen, Gedanken, Gefühle, Wünsche, Absichten) zuschreiben können muss.
Erzählen
(2011)
Was ist Erzählen? Erzählen ist eine sprachliche Handlung: Jemand erzählt jemandem eine Geschichte. An dieser Handlung lassen sich – in Analogie zu der linguistischen Grundeinteilung zwischen der Pragmatik, Semantik und Syntax der Sprache – drei Dimensionen unterscheiden.
(a) Erstens ist das Erzählen eine Sprachhandlung, die in einem bestimmten Kontext zwischen einem Erzähler und einem oder mehreren Rezipienten stattfindet. Diese Kommunikation kann unterschiedlich gestaltet sein, beispielsweise als mündliches Erzählen mit kopräsenten Gesprächsteilnehmern oder zerdehnt als schriftlicher Kontakt zwischen räumlich und zeitlich voneinander entfernten Autoren und Lesern. Die Praxis des Erzählens kann unterschiedlichen Funktionen dienen: Man kann erzählend informieren, unterhalten oder belehren, moralisch unterweisen, geistlich stärken oder politisch indoktrinieren, Erzählgemeinschaften bilden, individuelle oder kollektive Identität en stiften usw. Pragmatische Aspekte des Erzählens stehen insbesondere bei der Untersuchung nicht-literarischer ›Wirklichkeitserzählung en‹ (Klein/Martínez 2010) im Vordergrund, also beim Erzählen in institutionellen, quasi-institutionellen und alltäglichen Situationen, etwa Gerichtserzählungen, Predigten, Krankheitsgeschichten beim Arzt oder Therapeuten, journalistischen Reportagen oder dem Klatsch unter Arbeitskollegen.
(b) Eine zweite Dimension der Erzählhandlung umfasst das, was mitgeteilt wird: den Erzählinhalt, nämlich bestimmte Figuren, Schauplätze und Ereignisse, die sich zu einer Geschichte zusammenfügen.
(c) Drittens schließlich ist das ›Wie‹ des Erzählens von Interesse, die Gestaltungsweise der Erzählung. Dazu gehören rhetorische und stilistische Mittel, aber auch die verschiedenen Gestaltungsmöglichkeiten der Erzählstimme, etwa der aus dem Text erschließbare ›Standort‹ des Erzähler s (der sich innerhalb innerhalb oder außerhalb seiner eigenen Geschichte befinden kann), das Verhältnis zwischen dem Zeitpunkt des Erzählens und dem Zeitpunkt der erzählten Handlung oder auch die Perspektive der Darstellung. Während die erste Dimension den pragmatischen Kontext des Erzählens umfasst, betreffen der Erzählinhalt (das ›Was‹) und die Erzählweise (das ›Wie‹) textinterne Aspekte.
In dem vorliegenden Aufsatz werden die literaturwissenschaftlichen Paradigmen und Tendenzen der letzten 40 Jahre behandelt. Seit dem Jahr 1968, das einen Wendepunkt darstellt, wird darüber diskutiert, inwiefern es keine Einstimmigkeit über die ideelle Legitimation des Faches mehr gibt. Ein führendes methodologisches Paradigma verschwindet und die leitenden Theorien werden im Gegenzug zu Modewellen, die nicht lange anhalten. Seit den 80er Jahren beschleunigen sich die Tendenzen, die sich von einem Orientierungszentrum entfernen.
One of the most fundamental problems of systemic approaches to literature is the question of how systemic principles might be translated into a manageable methodological framework. This contribution proposes that a combination of functionalistsystemic theories (in casu Itamar Even-Zohar’s Polysystem theory – especially the textually oriented versions – and the prototypical genre approach proposed by Dirk De Geest and Hendrik Van Gorp 1999) with Mikhail Bakhtin’s chronotope theory shows great promise in this respect. Since I am primarily interested in literary genres, the prototypical genre approach assumes a central position in my theoretical framework. My main argument is that Bakhtin’s chronotope concept offers interesting perspectives as a heuristic tool within a functionalist-systemic approach to genre studies, enabling the study not only of the constitutive elements of genre systems, but also of their mutual relations. Bakhtin’s own vague definitions of the concept somewhat hamper the process of putting it into practice for this purpose, but with the aid of the distinction between generic and motivic chronotopes, that problem can be solved. A detailed, comprehensive account of the theoretical premises underlying my proposal can be found in Bemong (under review); here I restrict myself to the basics.
Ebenen : eine Skizze
(2001)
Ohne dass es tatsächlich notwendig wäre, kann die Frage gestellt werden, warum man es macht: Warum man wissenschaftlich tut – schreibt, spricht, arbeitet. Keine oder nicht nur Romane, Gedichte oder Theaterstücke schreibt, Berichte, Kritiken, feuilletonistische Essays verfasst. Nicht oder nicht nur moderiert, unterhält, Witze erzählt, lügt und verkauft. Nicht oder nicht nur einer geregelten Arbeit nachgeht mit geregelten Arbeitszeiten. Mit klaren Grenzen zwischen Arbeits- und Frei-Zeit. Warum man es sich antut, die gesamte Zeit damit zu verbringen, auch wenn man einen Großteil dieser Zeit nichts oder etwas anderes tut, wenn ein großer Teil dieser Zeit immer wieder, im Sinne eines nachweisbaren oder vorzeigbaren Ergebnisses, ergebnislos vergeht. Warum man mitunter am intensivsten daran arbeitet, die wesentliche Kontinuität des wissenschaftlichen Lebens als jene des Nichts-Tuns zu begreifen, mit dem Nicht-Tun-Können oder -Wollen zurecht zu kommen. Mit der fixen Idee, man sei damit allein, die Ausnahme der Regel, die uns im Kantschen Ideal vom metronomisch Arbeitenden als Vorbild vorgegeben ist. Nie, als impliziter Aspekt des kontinuierlichen Nichts-Tuns, werden die Dinge ohne Gewaltakt fertig. Was nicht heißt, dass es sie nicht gäbe, die Pünktlichen, Korrekten, Disziplinierten, die immer schon (vorzeitig) Fertigen.
„In Blumenbergs ‚Arbeibt am Mythos’ zeigt sich der Philosoph als vergleichender Literaturwissenschaftler. (...) Blumensbergs philosophische Erklärung des Mythos handelt nicht begrifflich abstrakt von ihrem Gegenstand, sie folgt vielmehr ganz den konkreten literarischen Überlieferungen und deren Darstellungsvielfalt. Begriffliche Orientierungen – grundsätzlich die, dass der Mythos menschliche Selbstbehauptung gegen den Absolutismus der Wirklichkeit sei – werden gegeben, doch treten sie gegenüber dem Interesse am Stoffgeschichtlichen, an den literarischen Variationen etwa der Prometheus-, der Odysseus- oder der Faust-Figur zurück. Damit vertritt und vollzieht Blumenberg den Primat der erzählenden Imaginationen vor jeder thematisch lehrhaften Zuordnung, den Primat der Geschichten vor dem, was religiöse, kosmologische, physikalische, moralische, historische, psychologische und andere Deutung aus ihnen abstrahiert.“
Unsere Ausgangsthese ist, dass sich die unterschiedlichen methodischen Zuspitzungen und Richtungswechsel, die die Philologie seit ihrer disziplinären Ausdifferenzierung im 19. Jahrhundert erlebt hat, als Parametrisierung des Verhältnisses von Konjektur und Krux beschreiben lassen. Anders gewendet: Konjektur und Krux markieren die Grenzen eines epistemischen Bezirks, der von unterschiedlichen philologischen Methodenpolitiken konfiguriert wird. Die sich daraus ergebende "disziplinäre Matrix" an Verfahrensweisen, die den Anspruch erheben, 'Methode' zu sein, hat insofern politischen Charakter als die Entscheidung für bzw. gegen eine bestimmte Verfahrensweise implizit oder explizit ein Interesse verfolgt, das in aller Regel über das Anliegen einer bloßen Textrekonstruktion entschieden hinausreicht: Es geht darum, die Bedingungen festzulegen, unter denen eine philologische Aussage als 'wissenschaftlich qualifiziert' gelten darf.
Wir möchten im folgenden den Versuch unternehmen, das zu skizzieren, was wir die 'philologische Frage' nennen. Darunter verstehen wir die Frage nach dem epistemischen Status philologischer Theorie und der daraus resultierenden Praxis: Auf welche philologischen Traditionen und theoretischen Prämissen nehmen die hier versammelten Texte Bezug, in welchem Kontext stehen sie? Auf welche Ziele wird die philologische Tätigkeit hin ausgerichtet – wie wird das 'Erkenntnisinteresse' der Philologie definiert? Welches Autorschaftskonzept und welches Textverständnis werden zugrunde gelegt? Der Ausgangspunkt all dieser Fragen ist die etymologische Bedeutung des Begriffs „philologia“, gefasst als 'Liebe zum Wort'. Der Philologe ist demgemäß ein Wort-Liebhaber. Doch was heißt hier 'Liebe'? Und was ist überhaupt ein Wort?
Innovation oder Wiederkehr? : Das Methodenspektrum im Kurzzeitgedächtnis der Literaturwissenschaft
(2011)
In recent years, a pronounced methodological self-reflexiveness has been established as a standard in studying language and literature. Methodological pluralism and a specific methodological adaptation to the objects of study are a characteristic feature of present-day literary and cultural studies. In keeping with this tendency, introductory textbooks on literary studies often provide an overview of the broad discussion and spectrum of methods and their seemingly boundless possible applications and the options for combining them. But this is not the first time that the boundaries of our discipline have undergone dissolution. Beginning with early examples of accounts of methodological variety and methodological reflection (Oscar Benda, Harry Maync, Emil Ermatinger, Julius Petersen), the present article discusses the ways in which an awareness of a surprisingly long tradition of discussions concerning methodological competence affects the present self-conception and identity of philology.
Is there something like a 'scientific' approach to the reading or interpretation of literary texts as is suggested by the German term 'Literaturwissenschaft'? This essay argues that genuinely scientific criteria such as the intersubjective verifiability of a given reading do not apply to the reading of literary texts. The reason is that such texts enable a quasi infinite range of different readings the preconceptions of which are contingent upon the individual readers, their previous experiences, literary as well as non-literary, and their expectations. — What, then, are the tasks of a scholarly reading of literary texts? Firstly, the theoretical reflection upon the status of such texts in comparison to pragmatic texts; secondly, the attempt at reconstructing their historical context (in terms of discursive history), and thirdly, a reading with regard to present-day problems. The 'quality' of a scholarly reading of a literary text would thus be dependent not on its 'objectivity', but rather on its capacity to produce resonances amongst other present-day readers, scholarly and non-scholarly.
This paper examines the well-known practice of developing a conceptual frame-work for reading works of literature in such a way as to illuminate previously ignored aspects of those works. It investigates the nature or genre of such discoveries: Are they philological? Hermeneutic? Do they correspond to the discipline of the framework selected? This problem is considered in the case of an example of the deployment of a very specific philosophical framework, namely the problem of skepticism as glossed by the American philosopher Stanley Cavell. This framework brings to light a structural affinity between two seemingly disparate moments in the history of German lyric poetry: the Biedermeier period and the works of Konkrete Dichtung from the mid-twentieth century. The paper postulates this affinity as an exam-ple of the kind of “discovery” whose type, usefulness, or even existence as discovery might be called into question and perhaps not, ultimately, agreed on.
In this paper, a methodology for the analysis of the structure of the thematic openings of academic journal articles is developed. The methodology is derived from Hyland (2000) and Fredrickson/Swales (1994). After sketching the methodology, it is used to examine a corpus of 14 articles selected from the periodical Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur. The conclusion discusses perspective for further studies in this thematic field.
[Rudolf Schenda] sah in [der Volksaufklärung] die Ursache für die "äußerst schleppende Bildungsentwicklung des 19. Jahrhunderts, die noch heute stark fortwirkt"; keine geistige Revolution stelle sie dar, sondern lediglich "ein klägliches Gefecht gegen den zähen Brei jahrhundertealter Unbildung". Dieses Gefecht, so wissen wir inzwischen, wurde besonders mittels des geschriebenen und gedruckten Wortes geführt. Mehrere tausend Schriften wandten sich an das leseunwillige Volk, hunderte von Zeitungen und Zeitschriften wurden für einfache Leser geschrieben, und zahllose Autoren zerbrachen sich den Kopf, auf welchen Wegen alle diese Druckerzeugnisse an den anvisierten neuen Adressaten zu bringen seien. Aus diesen Diskussionen, aus dieser neu erschlossenen Literatur insgesamt läßt sich heute ein differenziertes Bild einer Reformbewegung zeichnen, die die ersten Schritte hin zu einer allgemeinen und gleichen Bildung tat. Diese Bemühungen sind voller Widersprüche, Unentschlossenheiten und Unschlüssigkeiten, doch stellen sie die erste Infragestellung des Bildungsprivilegs der oberen Stände dar.