Weimarer Beiträge 59.2013
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Die Literatur der Weimarer Republik ist ein diskursives Schlachtfeld, auf dem die "neuen" elektronischen Massen- und Unterhaltungsmedien den traditionellen Buch- und Menschenmedien Konkurrenz machen. Im 19. Jahrhundert findet eine Verschiebung der Medienkonstellationen statt. Die Zahl der Einzelmedien nimmt zu: Die Menschenmedien (Theater), Schreibmedien (Brief, Blatt, Wand) und Druckmedien (u.a. Zeitung, Zeitschrift, Buch) bekommen ab jetzt Konkurrenz von den elektronischen Unterhaltungs- und Massenmedien Telegraf, Fotografie, Telefon, Schallplatte und Film. Diese neuen Medien sind auch in die Literatur eingegangen, u.a. durch so genannte "Medienreflexionen", Reflexionen also über die Medien im Rahmen der literarischen Werke selbst, wie z. B. Prousts Ablehnung des Mediums Film in 'À la recherche du temps perdu'. Wenn Medienreflexionen sich auf ein einzelnes Werk beziehen, spricht man von "Einzelreferenz", wenn sie sich auf eine Mediengruppe beziehen von "Systemreferenz". Wenn Reflexionen über die mediale, ästhetische oder fiktionale Qualität eines Mediums in einem literarischen Text figurieren, spricht man von "Metamedialität". Ein weiterer Terminus, der im vorliegenden Beitrag von Belang ist, ist Transmedialität. Transmedialität wird hier in Anlehnung an Hermann Herlinghaus als das Übersetzen eines Mediums in ein anderes definiert und meint "jene Prozeduren und Wechselwirkungen, die mit einem medialen Gestalt- und Funktionswechsel verbunden sind, das heißt die Transformation von Diskursen eines Mediums in Bilder oder Texte eines anderen: Literaturverfilmungen, 'Verbuchung' von Filmen und Hörspielen, Fernsehinszenierungen nach Theater- und Erzähltexten, Videoaufzeichnungen von Theaterstücken und dergleichen mehr."
Fellinis Faulpelze
(2013)
Fellinis OEuvre, so könnte man mit etwas Mut zur Vereinfachung sagen, kennt vor allem zwei Arten von Filmen: solche, in denen es stets voran, und solche, in denen es gar nicht erst losgeht. Ersteres führt uns in mustergültiger Weise 'La strada' aus dem Jahr 1954 vor Augen, Fellinis weltberühmte Ballade vom Unterwegs- und Unbehaustsein, die immer wieder und durchaus zu Recht als frühes Road Movie gehandelt wird, letzteres 'I vitelloni' von 1953, ein, wenn man so will, Proto-Slacker-Movie, das ausschließlich in einem nicht identifizierten Badeort an der Adria spielt und statt der Straße die Gasse als prominenten Ort des Geschehens ausweist. Dass dies einen nicht unerheblichen Unterschied bedeutet, versteht sich von selbst. Schließlich führt eine Straße von A nach B, eine Gasse hingegen nur von A nach A', das heißt einen anderen Winkel von A. Den Sachverhalt etwas überspitzend, ließe sich somit sagen, dass es demjenigen, der die Straße benutzt, um eine Ortsveränderung geht, wohingegen derjenige, der sich auf der Gasse bewegt, nicht wirklich weg, sondern bleiben will. Eindrucksvoll belegen dies die Helden aus 'I vitelloni', und das bereits in dessen Titelsequenz, weswegen es sich lohnt, dass wir sie uns einmal etwas genauer anschauen: Nachdem sich die Blende öffnet, fällt unser Blick auf einen kleinen Platz, der - es ist schon lange nach Mitternacht - wie ausgestorben daliegt. Von links aus einer engen Gasse kommend, treten die fünf jungen Männer, ineinander gehakt und in linearer Formation, ins Bild, überqueren, von der mitschwenkenden Kamera verfolgt, den Platz, um sodann nach links in eine andere Gasse abzubiegen, wobei sie stark zu schlingern beginnen. Ihr Gang verliert folglich an Zielstrebigkeit und Geschwindigkeit, wodurch sie den Moment, in dem sie durch das keilförmig von oben in den Bildkader hineinragende Haus 'verschluckt' werden, hinauszögern. Doch noch immer geht es, wenn auch verlangsamt, voran, und das Aus-dem-Bild-Treten scheint unausweichlich. Dass es hierzu letztlich nicht kommt, verdankt sich einem an dieser Stelle einigermaßen unerwarteten freeze frame, der gerade noch rechtzeitig die Bewegung der Vitelloni einfriert und dadurch für deren Verbleiben im Kader sorgt - ein filmischer Kniff, mittels dessen Fellini eine höchst subtile Vorabcharakterisierung seiner Helden vornimmt. Denn diese werden uns die kommenden ca. hundert Filmminuten vor allem als eines präsentieren: notorische Bleiber, die keinerlei Anstalten machen, sich vom Fleck zu rühren, sei es in wörtlichem oder übertragenem Sinne.
Play Episode
(2013)
Im frühen 20. Jahrhundert begeisterten sich die Menschen für Rekorde aller Art, für die Geschwindigkeit der Eisenbahn, des Autos: schneller, schneller ... in die Zukunft. Die Futuristen riefen: "Wir erklären, dass sich die Herrlichkeit der Welt um eine neue Schönheit bereichert hat: die Schönheit der Geschwindigkeit". Der sonderbare Eindruck des Rückwärtslaufens der Eisenbahnräder in der filmischen Aufnahme, der die menschliche Wahrnehmung verunsichert, traf im Kino auf die Freud'sche Traumanalyse. Traumbilder und Projektionen im Kinosaal formten ein neues Erzählmantra. Das große Versprechen des 20. Jahrhunderts war der Kommunismus - ein Kinotraum. Heute scheint es, dass uns die Geschwindigkeitsfantasien des 20. Jahrhunderts überholt haben. Während sich zwischen den Jahren 1500 und 1900 das Wissen der Menschheit nur etwa alle hundert Jahre verdoppelte, geschieht dies heute alle fünf Jahre - Tendenz steigend. Datenströme fließen in Echtzeit, Verkehrsströme haben sich vervielfacht. Unser Zeitbegriff klingt im Echoraum von updating nach. Zeit wird wahrgenommen als eine Art ewig andauernde Gegenwart.
Der Begriff temporality ersetzt den Begriff time. Unsere Vorstellung von Zeit ist nicht mehr an eine Abfolge einzelner Schritte geknüpft, sondern ein Fluss permanenter Veränderung. Diesem Zeitbegriff entspricht eine Erzählform, die keinen Anfang und kein Ende hat, vielmehr einen Fluss von Veränderungskrisen, von Episoden und Staffeln beschreibt - die serielle Erzählung im Fernsehen. Eine Staffel, die übergeben wird und weiterläuft oder, wie im Englischen der Begriff season, auf den ewigen Fluss der wechselnden Jahreszeiten verweist.
Die in Deutschland seit etwa den 80er Jahren andauernde Konjunktur der Kulturwissenschaften, die nicht mit den aus Konzepten der Birmingham-School hervorgegangenen Cultural Studies zu verwechseln sind, führt als ihr theoriegeschichtliches Apriori den Diskurs über Differenzen zwischen Natur- und Geisteswissenschaften mit sich, dessen Konstellation im 19. Jahrhundert Wilhelm Dilthey 1910 in Gestalt eines Standardwerkes beschrieben hat. Die vor fast fünfzig Jahren von dem englischen Physiker und Romancier Percy Charles Snow getroffene Diagnose zweier sich entfremdet und kommunikationslos gegenüberstehender Kulturen, einer traditionalistisch literarischen und einer naturwissenschaftlichen, deren Trennung Snow als ein Problem analysierte und als ein Dilemma beklagte, wurde entgegen der Absicht ihres Erfinders zu einem ebenso bequemen wie die aufgerufenen Probleme verwirrenden Schema kanonisiert. Verwirrend war (und bleibt) der Dualismus eines Modells, das von Befürwortern wie Gegnern als Voraussetzung angenommen wurde und schließlich sogar durch Anbauten einer dritten (soziologischen) Kultur erweitert und ergänzt wurde, der Wolf Lepenies im Vergleich zwischen Frankreich, England und Deutschland eine wissenschaftsgeschichtliche Begründung zu geben versuchte. "Seit der Auseinandersetzung zwischen P. C. Snow und F. R. Leavis ist der Gegensatz von Natur- und Geisteswissenschaften zum Schlagwort von den zwei Kulturen geworden. Ich bin der Auffassung, dass man die Sozialwissenschaften als eine dritte Kultur bezeichnen kann, in der seit ihrem Entstehen szientifische und literarische Orientierungen einander gegenüberstehen."
Es ist nicht üblich, Brecht und Celan in einem Atemzug zu nennen. Zu sehr dominiert die Vorstellung von dem hermetischen Lyriker hier, der eher mit Hölderlin, Mallarmé und Rilke in Zusammenhang gebracht wird und sich in der raffinierten und weltabgewandten Verschlüsselung ausgedrückt haben soll, und dem operativen Dichter dort, der, um in das politische Handgemenge unmittelbar eingreifen zu können und dort seine Wirkungen zu erzielen, sich einer möglichst kommunikativen und transparenten Sprache verschrieb. Woher sollten sich dann ihre Sphären je berühren? Indes, sie berühren sich, und nicht zuletzt dadurch, dass Celan selber noch in seiner letzten und zunehmend umdüsterten Lebensphase sich wiederholt und ausdrücklich auf Brecht bezogen hat.
Am 14. November 1956, vormittags gegen zehn Uhr, versammelten sich die Studenten des Philosophischen Instituts der Berliner Humboldt-Universität vor dem Haus Universitätsstraße 3b, dem Sitz des Instituts, zu einem kleinen Demonstrationszug, der angemeldet gewesen sein musste, denn er wurde von zwei Polizeimotorrädern, eines vorne, eines hinten, durch den Verkehr geleitet. Angeführt vom Institutsdirektor Georg Klaus bewegte sich der Zug über die Weidendammer Brücke die Friedrichstraße entlang bis zum Dorotheenstädtischen Friedhof an der Chausseestraße. Anlass war der 150. Todestag von Georg Wilhelm Friedrich Hegel, was den meisten der neugierig zuschauenden Passanten nur wenig sagte. An Hegels Grab wurden Blumen niedergelegt, Reden wurden nicht gehalten, einige Studenten ließen es sich nicht nehmen, auf dem Grabstein, einer alten Sitte gemäß, ein paar Münzen niederzulegen. Es herrschte eine fast fröhliche Stimmung, die von einem Gefühl der Genugtuung erfüllt war, hatte man doch über die Stalinistische Fronde gegen Hegel gesiegt. Ein paar Stunden später traf man sich wieder im vollbesetzten Audi Max, in dem Ernst Bloch einen Vortrag über Hegel und das offene System der marxistischen Philosophie hielt. Zehn Tage zuvor waren sowjetische Panzer in Budapest eingerückt, um eine exzessive Massenerhebung niederzuwalzen. Der Zorn der Massen hatte sich gegen das stalinistische Rákosi-Regime und seine Geheimpolizei gerichtet; die Russen machten jedoch die neue Regierung Imre Nagy für die inneren Unruhen verantwortlich. Die Nagy-Regierung wurde abgesetzt und kriminalisiert, darunter der streitbare Marxist und profunde Hegel-Kenner Georg Lukács. Der Vorgang führte bald auch in der Universitätsstraße 3b zu heftigen Diskussionen. Eine Anfang 1957 als Reforminitiative konzipierte studentische Streitschrift, die die ungarischen Ereignisse als eine Folge der systematischen Verhinderung einer freien öffentlichen Diskussion erklärte, zog die Aufmerksamkeit der SED-Zentrale auf das Institut und löste eine Kette von Parteiverfahren und Maßregelungen aus. Vier Studenten waren von mehrjähriger Studienunterbrechung zwecks Praxisbewährung betroffen, anderthalb Jahre später folgte ein von der Stasi vorbereiteter Schauprozess, der für drei weitere Studenten mit Haftstrafen bis zu sechs Jahren endete.
In einem nachgelassenen Heft Franz Kafkas fand ich folgende Fabel: "Von Prometheus berichten vier Sagen: Nach der ersten wurde er, weil er die Götter an die Menschen verraten hatte, am Kaukasus festgeschmiedet, und die Götter schickten Adler, die von seiner immer wachsenden Leber fraßen. Nach der zweiten drückte sich Prometheus im Schmerz vor den zuhackenden Schnäbeln immer tiefer in den Felsen, bis er mit ihm eins wurde. Nach der dritten wurde in den Jahrtausenden sein Verrat vergessen, die Götter vergaßen, die Adler, er selbst. Nach der vierten wurde man des grundlos Gewordenen müde. Die Götter wurden müde, die Adler wurden müde, die Wunde schloß sich müde.
Blieb das unerklärliche Felsgebirge. - Die Sage versucht das Unerklärliche zu erklären. Da sie aus einem Wahrheitsgrund kommt, muß sie wieder im Unerklärlichen enden."
Schließt Kafka damit die Akten über den Fall Prometheus? War das Resultat der großen Rebellion kein anderes, als wäre nichts gewesen? Oder formuliert dieser fast nüchterne Bericht im Paradox die Sehnsucht, jene Erinnerung ins Künftige zu retten? Spricht hier ein gekreuzigter Prometheus, ein Prediger des Schlosses oder dessen letzter Untertan? Rollt hier ein Prozeß der Trivialisierung ab, der Verwandlung der heroischen Tragödie ins Nichtige - wer erleidet und wen entlarvt und verlacht diese Komik: Gegenstand, Richter oder Opfer des Prozesses, das Publikum oder alle miteinander?
Ist die Sage, die vergangenes Geschehen mythisch berichtet, nur Illusion? Kapituliert hier historische Erinnerung vor der stummen, unbegreiflichen, immerwährenden Natur des Felsgebirges? In der alten Sage wurde Prometheus, der Helfer der Menschen, von Herakles befreit. Ist hier keine Hoffnung mehr?
Im Kongress 'Das Freie Wort' traten Intellektuelle, Künstler und Repräsentanten zahlreicher Vereinigungen gemeinsam mit Männern und Frauen aus verschiedenen Parteien – von der demokratischen Mitte über die SPD bis zur KPD - öffentlich für die Pressefreiheit, die Versammlungsfreiheit, die Lehr- und Redefreiheit und die Freiheit der Kunst ein. Am Tagungsort, dem großen Festsaal der ehemaligen Krolloper im Zentrum von Berlin, fanden sich am Sonntag-Vormittag des 19. Februar 1933 ab zehn Uhr an die 1000 Menschen ein, davon mindestens 100 Journalisten aus dem In- und Ausland. Eingeladen hatte "Das Initiativkomitee 'Das Freie Wort'". Gegen halb zwei Uhr wurde der Kongress von der Polizei aufgelöst.
Nur neun Tage später diente der Reichstagbrand der Regierung als Vorwand, mit der Notverordnung vom 28. Februar 1933 "bis auf weiteres", also unbefristet, die Bürgerrechte der Weimarer Verfassung "zur Abwehr kommunistischer staatsgefährdender Gewaltakte" außer Kraft zu setzen. Unmittelbar danach begannen die Verhaftungen von Kommunisten, Sozialisten und anderen Oppositionellen. Rückblickend besteht kein Zweifel: Der Kongress 'Das Freie Wort' kam viel zu spät und blieb politisch völlig wirkungslos. Aber allein die Tatsache, dass er angesichts von Terror und Einschüchterung im Vorfeld der Reichstagwahl am 5. März 1933 überhaupt stattfand, rechtfertigt seine Würdigung.
Seit der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 war der staatlich geduldete wilde Terror und der staatlich legalisierte Terror gegen die politischen Gegner ständig angewachsen. Gleich am 4. Februar 1933 hatte eine Notverordnung die Versammlungs- und Pressefreiheit über die bereits bestehenden Einschränkungen hinaus beschnitten. Am 17. Februar hatte Göring mit seinem berüchtigten Schießerlass der Polizei Straffreiheit bei Schusswaffengebrauch gegen alle "staatsfeindlichen Kräfte" zugesichert. Am 22. Februar waren die bewaffneten SS und SA Einheiten (ca. 50.000 Mitglieder) offiziell zu Hilfspolizisten ernannt worden.
Der Spielfilm ist seit seiner Erfindung vor mehr als hundert Jahren in mehrfacher Hinsicht eng mit dem Literaturwesen verknüpft. So ähnelt ein Drehbuch in seinem Aufbau einem Theaterstück, verwendet aber gleichzeitig Erzähltechniken, die aus Kurzgeschichten und Romanen bekannt sind. Den deutlichsten Eindruck der Verbindung zwischen Film und Literatur allerdings vermittelt ein Blick auf die große Anzahl an Adaptionen, welche jährlich auf die Leinwand gebracht werden. Vom jahrhundertealten Klassiker bis zum eben erschienenen Horror-Thriller werten Produzenten unermüdlich Dramen, Kurzgeschichten und vor allem Romane auf ihre mögliche (Wieder-)Verfilmbarkeit aus, erwerben gegebenenfalls die Rechte und übertragen das schriftliche Original - mit häufig stark verändertem Handlungsstrang - in audiovisuelle Unterhaltung. Unabhängig davon, ob es sich um 'hohe' oder 'triviale' Literatur handelt, gelingen dabei oft von der Kritik hoch gelobte und zeitlose Filme. Die Vorlage gerät dabei nicht selten in Vergessenheit. So wählte im August 2012 das British Film Institute Alfred Hitchcocks 'Vertigo - Aus dem Reich der Toten' (Vertigo, 1958) zum besten Film aller Zeiten. Pierre Boileau und Thomas Narcejacs Roman 'Von den Toten auferstanden' (D’Entre Les Morts, 1954), auf dem der Film beruhte, dürfte heute dagegen nur mehr den Wenigsten bekannt sein. Um einige weitere Beispiele berühmter filmischer Adaptionen zu nennen (basierend auf mehr oder weniger berühmten Romanen): Im Westen nichts Neues (All Quiet on the Western Front, 1930, Regie: Lewis Milestone, nach dem Roman von Erich Maria Remarque, 1928); Vom Winde verweht (Gone with the Wind, 1939, Victor Fleming, nach dem Roman von Margaret Mitchell, 1936); Einer flog übers Kuckucksnest (One Flew over the Cuckoo's Nest, 1975, Milos Forman, nach dem Roman von Ken Kesey, 1962), No Country for Old Men (2007, Joel und Ethan Coen, nach dem Roman von Cormac McCarthy, 2007), und Slumdog Millionaire (2008, Danny Boyle, nach dem Roman Rupien! Rupien! - im Original Q & A - von Vikas Swarup).
Auch wenn Stimmen, welche die prinzipielle Überlegenheit des Buches gegenüber der Kinoadaption propagieren, nie gänzlich verstummen, finden Literaturverfilmungen immer wieder hohe Anerkennung (es sei hier nur nebenbei erwähnt, dass alle oben genannten Adaptionen - mit Ausnahme von Vertigo - mit dem Oscar in der Kategorie 'Bester Film' ausgezeichnet wurden).
Stellen wir uns vor: Jemand geht eine Straße entlang. Zügig, aber nicht hastig, aufmerksam, aber nicht lauernd oder wie gejagt. Er blickt nach den Fenstern und Hauseingängen, in die Vorgärten und Hinterhöfe, seine Augen sind ununterbrochen in Bewegung, gleiten über die Dinge, erfassen sie, prüfen sie, schätzen sie ab, gleiten weiter. Er scheint auf dem Weg zu Etwas zu sein, das in und an allem steckt, was er zu sehen bekommt, aber nur teilweise, unvollkommen, vorläufig. Kann sein, es findet sich am Ende der Straße. Kann sein, die Biegung, die sie dort unten einschlägt, verbirgt es. Kann aber auch sein, dass der, der sie durchquert, selbst nicht genau weiß, wo und was es ist, aber die Gewissheit hat, dass er es auf seinem Weg finden wird.
In seinem Schatten geht jemand, der nur sein Schatten wäre, verließe er ihn nicht immer wieder für Augenblicke. Aus nicht einzusehender Ursache tritt er plötzlich beiseite, bleibt stehen, vertieft sich, verträumt sich, ohne dass jemand, der ihm über die Schulter sähe, zu sagen wüsste, was Besonderes oder gar Einmaliges gerade hier vorläge. Bevor jedoch der Schatten dessen, in dessen Schatten er geht, verschwindet, kehrt er sich ab und schließt auf. Er bleibt in Kontakt.
Dieser Jemand, dem man in unseren Straßen so oft begegnet, dass er gar nicht mehr auffällt, hat einen Vorgänger im späten 18. Jahrhundert. "Die Vernunft erlaubt mir, befiehlt mir sogar, einer Neigung zu frönen, die mir zusagt und die ich mir leisten kann. Doch sie erklärt mir nicht, weshalb gerade diese Neigung mir zusagt", schreibt Jean-Jacques Rousseau in seinen 1776 begonnenen und 1782 posthum erschienenen Träumereien eines einsamen Spaziergängers, als er sich entschließt, die Botanik zum Inbegriff seiner Spaziergänge zu machen. Die Vernunft, die ihn dazu bestimmt, gibt sich zielführend, aber nicht zielerklärend. Sie schreibt ihrem Subjekt die Bestimmtheit vor, die es sich leisten kann, weil es sie ihrer Meinung nach zu leisten vermag, aber sie kümmert sich nicht darum.