830 Literaturen germanischer Sprachen; Deutsche Literatur
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Vermeintliche Freiheit
(1996)
Interpretation des Gedichts "Klage der Ceres" von Friedrich Schiller. [...] gerade "Alexis und Dora" sei, schreibt [Schiller] an Goethe, "so voll Einfalt [...], bey einer unergründlichen Tiefe der Empfindung", daß sie dem proklamierten Muster der Empfindung vollkommen zu entsprechen scheint. Seine Theorie gibt Schiller jedoch auch die Kritik ein, er vermisse bei der Idylle eine anhaltende Grundstimmung, zu rasch wechselten Glücksgefühl und Eifersucht innerhalb dieser Dichtungsweise. Auf Schillers rezeptionsgeschichtlich wirkungsträchtiges Mißverständnis wird hier eingegangen, weil es durch Goethes folgende Revanche in Form der in bedeutendem Ton vorgetragenen Unverbindlichkeiten zur "Klage der Ceres" auf Schillers Elegie zurückgewirkt hat.
Wenn der systematische Pferdefuß aller Literaturgeschichtsschreibungen schon bei DDR-Autoren einer Generation erkennbar ist [...], müssen die Lektüren der etwa zeitgleich entstandenen Marsyas-Erzählungen des über dreißigjährigen Brasch (1945-2001) und des Mitfünfzigers Fühmann (1922-1984) vornehmlich als Übersetzungsversuche autobiographischer Besonderheiten ausfallen, die das Dilemma zweier Schriftsteller zwischen Ausdruckswillen und Beschreibungsohnmacht als ein derart existenzielles artikulieren, dass es Bilder der Schindung zur ästhetischen Entsprechung bedarf. Dagegen führt eine statistisch anmutende Frage, wie die nach der Bevorzugung des kulturanthropolgischen Topos der Häutung durch DDR-Schriftsteller, vielleicht eher zum realen als zum ästhetischen Ort der Aggressivität.
Thema ist [...] die Ambivalenz jenes Gefühlshaushaltes, über den auch Stolber im Zuge des "selbstkritisch gewordenen Emotionalismus des achtzehnten Jahrhunderts" nicht nur im Stil der Zeit über "Empfindung" und "Empfindelei" poetisch zu Gericht sitzt, sondern ihn bis an den Rand der psychischen Erschöpfung treiben wird.
Weimar ohne Goethe gibt es nicht im Bewußtsein der Weltkultur. Die Stadt verdankt ihren Mythos zuallererst der originären Gestalt Goethes, dem bürgerlichen Dichter, der zum Anbruch der Moderne neue Bereiche des Fühlens und Denkens literarisch-poetisch erschließt, der hier den größten Teil seiner Lebenszeit verbringt. Aber daß "die berühmtesten Deutschen [...] lange hier gewohnt, dafür kann man billigerweise Weimar selbst nicht verantwortlich machen. Der Ort ist keine Fabrik berühmter Leute", wußte man bereits kurz nach Goethes Tod.
Die Auffassung, daß Goethes Überlieferungspraxis vornehmlich davon diktiert sei, "der Flüchtigkeit des Geschehens und Geschriebenen durch schriftliche Aufzeichnungen dauerhaft entgegenzuwirken" und "für die Nachwelt [...] einen Fundus zu gestalten" oder von einem "elementare[n] Bedürfnis nach Ordnung in Lebensführung und Gestaltung", dürfte schon der von Goethe selbst demonstrierte Umgang mit seinem Nachlaß entgegenstehen. [...] Mittlerweile herrscht auch in der traditionellen Germanistik Konsens, daß Goethes "grundsätzlicher Status autobiographischen Schreibens [...] nicht eigene Identität gleichsam objektiv dar[stellt], sondern [er] 'erschreibt' sie als spezifische Identität mit dem Zielpunkt der Schreibgegenwart", wie es Benedikt Jeßing [...] im neuen Goethe-Handbuch formuliert.