830 Literaturen germanischer Sprachen; Deutsche Literatur
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Kehlmann beschwört die Toten und leckt die Wunden des Dreißigjährigen Kriegs - nicht um sie zu heilen, sondern um sie offen zu halten. Durchgehend beharrt er auf dem Unabgegoltenen und Unabgeltbaren der Geschichte. Womöglich dichtet er aus dem Grund seinen gesamten Roman gegen jede potenzielle Identifikation des Dreißigjährigen Kriegs mit der gegenwärtigen Weltlage auch förmlich ab. Anspielungen auf den Nahen Osten oder auf Nordafrika sucht man in "Tyll" vergebens. Das wirft die simple Frage auf, was der Kehlmann'sche Text unabhängig von seiner offiziellen Poetik und Intention heute eigentlich anzeigt.
Es ist nichts unnatürlicher als der Frieden : Lebensform Krieg und Friedenskunst im 17. Jahtrhundert
(2001)
Die Friedensdichtungen, die zeitnah auf das historische Ereignis von 1648 reagierten, bleiben merkwürdig von Bedenken getragen. Diese Bedenken sind nicht juristischer oder politischer Art. Die literarischen Texte nehmen auf die Unsicherheiten und Probleme der vertraglichen Regelung keinen sonderlichen Bezug. Sie begrüßen die Regelung als Friedenswerk. Aber zum Ereignis überhaupt verhalten sie sich so, als sei noch gar nicht wirklich eingetreten, was sie doch gerade feiern, und als seien sie selbst vor allem deshalb wichtig, damit der Frieden auch vorstellbar werde, von dem sie Nachricht geben. Das Kriegsende ist die höchst glückliche Erfüllung eines langgehegten Wunsches, und trotzdem scheint hier ein historisches Geschehen seiner Wahrnehmbarkeit vorauszueilen.