830 Literaturen germanischer Sprachen; Deutsche Literatur
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Georg Büchners Fragment gebliebenes Drama "Woyzeck" (1837/1879) stellt eine Figur mit selbigem Namen ins Zentrum, die meint, Stimmen zu hören. Nicht nur leidet Woyzeck an akustischen Halluzinationen, diese drängen ihn zudem zu einer Mordtat, für die er schließlich hingerichtet werden soll. Von den diversen akustischen Halluzinationen, die im Clarus-Gutachten auftauchen, greift Büchner allerdings nur eine spezifische Konstellation heraus und montiert sie in sein Stück. Dessen ungeachtet zeigen dort die pietistischen Konventionen, die Sittenstrenge und die im Sprachbewusstsein eingelassenen Imperative eine eigentümliche Gewalt: Sie durchsetzen die Figurenrede, geben sich darin als Rede eines Anderen zu erkennen und können unabsehbare Impulse auslösen. Die gehörten Stimmen operieren dann gleich Vektoren, die einander begegnen oder durchdringen, was sogleich Handlungsketten durchtrennt und neu arrangieren lässt. Das trifft allerdings nicht nur auf die Hauptfigur zu, auch die übrigen Akteurinnen und Akteure zeigen sich von sozialen Imperativen durchherrscht, die einer eigenen Logik folgen. Die nachstehenden Überlegungen beabsichtigen, den Stimmen im Drama "Woyzeck" in bislang unversuchter Weise Gehör zu schenken. Wohl ist das Drama mitsamt der darin versammelten Stimmen Gegenstand unterschiedlicher Analysen geworden. Davon sich absetzend soll im Folgenden gezeigt werden, welche sprachstrukturellen Merkmale die herrschende Ideologie zeitigt, an welchen Stellen es ihr gelingt, ihre Subjekte anzurufen und wo sie fehlgeht - und schließlich soll ein bislang unentdeckt gebliebener Zusammenhang von Anrufung und den akustischen Halluzinationen Woyzecks zur Reflexion gebracht werden. Das wird in insgesamt vier Schritten geschehen, die jeweils theoretische Argumente begleiten, die den Arbeiten Louis Althussers und Jaques Lacans entnommen sind. Dieser Weg erlaubt eine Reflexion auf das im Drama angelegte Arsenal der Stimmen, mit dem zugleich eine spezifische Logik der Herrschaft zur Darstellung gebracht ist. Erstens wird die Funktion der Ideologie im Drama unter dem Aspekt der Anrufung untersucht. Zweitens wird das Misslingen der Anrufung an der Figur Woyzecks nachverfolgt, der auf ein davon abseitiges Genießen verfällt. Drittens wird daraus resultierend der Wahn als Installation einer anderen, psychotischen Anrufung erfasst. Und viertens wird anhand des wahnhaften Stimmenhörens eine metaleptische Reflexion im Drama aufgezeigt, welche die Funktion der Ideologie mit der Aufführungspraxis kombiniert.
Angesichts der Kaiserkrönung Napoleons war es möglich, daß mancher anwesende ehemalige Revolutionär gedacht haben könnte: Und die Aufklärung hat doch recht! Condorcet nämlich hatte in "La Vie du M. Turgot" für die Aufklärung beispielhaft das Krönungszeremoniell kritisiert und vor seinen gefährlichen Langzeitfolgen gewarnt. In einer friedlichen Zeit, so schreibt Condorcet, mögen solche Vorurteile, wie Zeremonien es nun einmal sind, bloß kindisch zu nennen sein; in einer Zeit der Krisen können dagegen ihre Folgen schrecklich sein. Condorcet spielt mit der Warnung vor den Folgelasten in Krisenzeiten auf die Möglichkeit an, durch Weihung einen Usurpator zu legitimieren.
In seinem umstrittenen Erstlingswerk, "In Stahlgewittern" (1920), schreibt Ernst Jünger dem Ersten Weltkrieg weniger explizit einen ideologischen Sinn zu, als er ihn indirekt durch eine intensiv metaphorische Sprache mit Bedeutungen auflädt. Jünger codiert den Krieg in 32 bildlichen Sequenzen, die sich in den Feldern der Natur, der menschlichen Praxis, der Kultur und der Anthropomorphie verorten. Diese Sprachbilder lassen sich nach Typen differenzieren und in ihrer Dichte, Relation, Interferenz und Variation beschreiben. Dadurch dass dieselben Bilder auf beide Kriegsparteien angewandt werden, relativieren sie deren Gegensatz. Indem die Metaphern mit ihren realen Entsprechungen, mit sprechenden Namen und mit stereotypen Jargons konfrontiert werden, tritt ihre Künstlichkeit zutage und wird ihre epistemische Funktion deutlich. Die implizite Bedeutungs-Zuschreibung, die diese Metaphoriken erzielen, ist keineswegs einsinnig als Ästhetisierung oder Verherrlichung bzw. als kohärente faschistische Ideologie zu fassen. Die einzelnen Codes sind ungleichmäßig subtil, sie erzeugen verschiedene Bedeutungen, und sie konnotieren abweichende politische Positionen; sie geraten miteinander in Überschneidung und zueinander in Widerspruch. Es entsteht eine widerständige Semantik, die als Symptom einer Verunsicherung lesbar ist.
Hans-Georg Soldat rezensiert für die Berliner Morgenpost den 1998 im Rowohlt-Verlag erschienen Roman "Trivialroman" von Hans Joachim Schädlich. Keine sinistren Helden hängen rum, sondern Gestalten wie Dogge, Biber, Qualle und Clarissa. Manche monologisieren - "Falls ein Feuer ausbricht, so bewahre Ruhe und rufe nicht 'Feuer'", sagt Qualle in die Stille. Ratte, Wanze und Aal sind nicht da, der Chef und die Äbtissin haben sich schon vor Tagen aus dem Staub gemacht. Trivialroman. Endzeitstimmung. Aber Dogge, Qualle, Biber, auch der Ich-Erzähler Feder, waren einmal Berühmtheiten. Was anfangs dem Leser Dunkel scheint, wird im Laufe der Lektüre dieses kokett "Trivialroman" überschrieben Romans zwar nicht heller, aber klarer. In kurzen Rückblenden enthüllt sich die Vergangenheit der Leute, halb Gangsterbande, halb Staatsverwalter, privilegiert und Privilegien gewährend. Allmählich werden ihre Konturen schärfer.