830 Literaturen germanischer Sprachen; Deutsche Literatur
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"In Wahrheit singen, ist ein andrer Hauch." Musik und Verwandlung in Rilkes "Sonetten an Orpheus"
(2014)
Die Nähe der Sonette an Orpheus zur Musik ist kaum zu übersehen. Schon der im Titel genannte Adressat des Zyklus bürgt für eine gewisse Musikalität. In Ovids Metamorphosen, die Rilke als literarische Quelle für den Orpheus-Mythos dienten, ist die Musik bekanntermaßen von zentraler Bedeutung: Tiere, Pflanzen und Steine versammeln sich, um dem orphischen Gesang zuzuhören, Orpheus bewegt durch seinen Gesang Hades und Persephone dazu, seine Frau Eurydike aus der Unterwelt freizugeben, und nachdem er von den Mänaden zerrissen wurde, musizieren Kopf und Leier weiter. Es ist daher nicht verwunderlich, wenn Rilke in sämtlichen Sonetten, die an Orpheus gerichtet sind, also jeweils im Anfangs- und Endsonett beider Teile, die Musik bzw. den Gesang ins Zentrum rückt.
Im Wissen um eine gemeinsame evolutionäre Vergangenheit scheint die Beziehung zwischen Mensch und Tier neu erzählt werden zu müssen. Bis zum 19. Jahrhundert gestanden Autoren Tieren selten eine menschenähnliche Psyche zu […]. Weil Darwin eine materialistische […] Erklärung der Evolution anbot, in der die Menschen nur ein Tier unter vielen waren, begannen die Wissenschaftler, sich mehr mit den Ähnlichkeiten als mit den Unterschieden von Menschen und Tieren zu befassen. Das war, so Sigmund Freud, allerdings keineswegs harmlos, sondern eine "schwere Kränkung der Eigenliebe des modernen Menschen". Dieser zweiten, der biologischen Kränkung fügte er selbst noch eine dritte, psychologische, hinzu, als er behauptete, "dass das Ich nicht Herr sei in seinem eigenen Haus". Eine Reihe von Texten um 1900 wagen sich auf dieses Terrain, wenn sie das menschliche Bewusstsein selbst fremd werden lassen im Erzählen von Mensch-Tier-Verwandlungen. Es wird im Folgenden also nicht um die lange Tradition der Anthropomorphisierung von Tieren oder Zoomorphisierung des Menschen gehen; nicht um das Fortleben der Fabel, der Satire oder der erzieherischen Rollenprosa. Vielmehr geht es um Erkundungen einer Grenzfigur, des (virtuellen) Bewusstseins und der Seele eines 'Anderen'.
Dietmar Dath steht als Autor deutschsprachiger Science Fiction Literatur spätestens seit der Aufnahme von Die Abschaffung der Arten auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises 2008 im Fokus der germanistischen Forschung. Dieser Beitrag widmet sich einer wiederkehrenden Korrelation in Daths Erzählwerk: Der zwischen einer unzuverlässigen Erzählweise und der Thematisierung von Körpern und Identitäten, die einen Transformationsprozess durchlaufen oder durchlaufen haben. In Daths Romanen schaffen diese Identitäten sowohl fiktionsintern als auch für den Rezipienten immer wieder Irritationsmomente. Das vorliegende Sonderheft versammelt eine Reihe von Überlegungen, die Unschärfe bzw. Irritation als typische Kennzeichen von Metamorphosen und Übergangsphänomenen beschreiben. Diesen Ansatz soll der Beitrag weiterverfolgen und im Zuge einer Analyse von Daths Erzählungen "Pulsarnacht" (2012) und "Feldeváye. Roman der letzten Künste" (2014) auf die aktuelle Debatte über technologische Eingriffe bzw. Manipulationen des humanen Körpers beziehen.
Der vorliegende Beitrag knüpft an die lexikale Bedeutung von Metamorphose an und betrachtet den Begriff aus drei Sichtweisen. Erstens wird anhand der wissenschaftlichen Quellen, auf die der Schriftsteller Georg Büchner sich bezieht, die Metamorphose als Naturvorgang untersucht. Zweitens geht es darum, den poetischen Begriff von Metamorphose sowie seine kompositorische Wirkung in den zur Analyse herangezogenen literarischen Texten zu untersuchen. Es wird dabei gezeigt, dass sich die Verwandlung an bestimmten Textstellen ins Monströse verkehrt. Schließlich wird Metamorphose als Art der Verwandlung durch dichterisches Schaffen betrachtet.
Wenn Literatur über biopolitische und technologische Entwicklungen nachdenkt, kommt sie selten ohne wertende Perspektiven aus. Begeisterten Ausblicken auf angeblich erwartbare oder zumindest möglich scheinende Segnungen technologischen Fortschritts in der Zukunft stehen skeptisch-warnende, dystopische Inszenierungen von Machbarkeitsphantasien und menschlicher Hybris gegenüber. Literarische Zukunftsbilder und die in ihnen zum Ausdruck kommenden Ängste oder Hoffnungen lassen sich daher nicht selten als mehr oder weniger geschickt verkappte Kommentare zu gesellschaftspolitischen Tendenzen der jeweiligen Gegenwart verstehen. Insbesondere das Weiterspinnen von bereits existierenden wissenschaftlichen Erfindungen, deren Potentiale kontrovers diskutiert werden, scheint sich hierfür anzubieten.