830 Literaturen germanischer Sprachen; Deutsche Literatur
Alexander Mitscherlich war ein außerordentlich zeitsensibler Mediziner und Akademiker, der kaum eine Gelegenheit ausließ, gesellschaftlich brisanten Themen mit den von der Psychoanalyse bereitgestellten Denkmitteln auf den Grund zu gehen. In den drei Dekaden seiner maßgeblichen Wirkungszeit, den fünfziger, sechziger und siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, hat er der Freud'schen Lehre und der psychosomatischen Medizin in der Öffentlichkeit zu beispielloser Popularität verholfen. Nur wenige Wissenschaftler haben das geistige Profil der Bonner Republik vergleichbar stark geprägt. Dafür spricht etwa seine überragende Radio- und TV-Präsenz. Dabei kam ihm sein schwungvoll assoziierender, essayistischer Schreibstil zugute, der ihm freilich bei der peniblen Theorieentwicklung eher im Wege stand. Mitscherlichs fachwissenschaftliche, im engeren Sinn medizinisch-therapeutische Arbeiten, die deswegen nicht bedeutungslos sind, haben ein deutlich geringeres und weniger nachhaltiges Echo erhalten. Sein Ruhm und Nachruhm – soweit
von Letzterem gesprochen werden kann – verdanken sich in erster Linie seiner schriftstellerisch-sozialpsychologischen Publizistik. Die vorliegende Studie setzt diese Rezeptionslinie fort, indem sie sich einem für sein Denken grundlegenden, bislang aber wenig beachteten Theoriebeitrag Mitscherlichs widmet: seinem Toleranzkonzept. Paradox formuliert könnte man sagen: Toleranz steht bei Mitscherlich im Zentrum seines Gedankensystems, das kein System ist und kein Zentrum hat. Wie ist das zu verstehen?
Siegfried Lenz's novel "Deutschstunde" is analyzed on the basis of work conducted by two American psychologists: Stanley Milgram and Lawrence Kohlberg. The concept of duty and obedience to authority are considered as social phenomena that go beyond personal disposition. The article uses Milgram's famous obedience experiment in order to consider the literary depiction of psychological processes underlying compliance with orders to commit reprehensible acts. A comparison is made between Jens Jepsen, the fictional obedient policeman in "Deutschstunde", and Paul Grueninger, a real policeman in wartime Switzerland, who refused to follow orders and saved many refugees at the Swiss-Austrian border.