Teilverlust der inneren Haarzellen und die Folgen für die neuronale Erregung und Hemmung im auditorischen Mittelhirn des Chinchillas

Alterations in neural response properties in the central nucleus of the inferior colliculus after selective inner hair cell loss in adult chinchillas

  • Eine Einschränkung des Hörvermögens durch Schäden der Sinnesrezeptoren im Innenohr gilt beim Menschen sowie bei allen anderen Säugetieren als irreversibel. Die Hörforschung ist an der Frage interessiert, ob durch Plastizität in zentralen Teilen des auditorischen Systems Kompensationsmechanismen die Folgen mildern können. Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Frage, ob und in welchem Umfang nach peripheren Hörschäden durch zentrale Kompensationsmechanismen eine Erholung des Hörvermögens auftritt auf der Basis von plastischen Änderungen der neuronalen Verarbeitung der Eingangssignale aus dem geschädigten Hörorgan. Schäden des Sinnesepithels im Innenohr, z.B. durch überlaute Beschallung oder ototoxische Substanzen, betreffen in der Regel zunächst die äußeren Haarzellen und führen zu einem Verlust der Empfindlichkeit und Frequenzspezifität des Hörvermögens. Eine primäre selektive Schädigung der inneren Haarzellen (IHZ) tritt im Tiermodell, aus unbekannten Gründen nur bei einer Spezies auf, dem Chinchilla (Chinchilla laniger) und zwar nach Gabe des antineoplastischen Medikament Carboplatin. Das gute Tieffrequenzhören der Chinchillas (0.1-20 kHz) ermöglicht außerdem Aussagen zur akustischen Signalverarbeitung in einem für das menschliche Gehör relevanten Frequenzbereich (0.02-16 kHz). Dieses Tiermodell bietet somit die Gelegenheit, die Veränderungen in zentralen Teilen des auditorischen Systems nach einer definierten sensorischen Schädigung zu untersuchen. Hierfür kommt u.a. das auditorische Mittelhirn, der Colliculus Inferior (IC) in Frage. Der IC wird als Hauptintegrationszentrum der Hörbahn angesehen weil er Eingänge von fast allen vor ihm liegenden auditorischen Kernen (z.B. Nucleus cochlearis, Nucleus olivaris und Leminscus lateralis) bekommt. Ein weiterer Grund für die Wahl des IC als Untersuchungsgebiet der vorliegenden Arbeit ist, die Frage zu beantworten, ob die auf der Ebene des auditorischen Kortex bereits nachgewiesene funktionelle Plastizität auch auf der Ebene des IC schon realisiert oder vorbereitet wird. Die vorliegende Arbeit untersucht das Antwortverhalten der Neurone im ICc an wachen Tieren vor und nach einem selektiven Teilverlust der IHZ bei Erhalt der äußeren Haarzellen. Die Arbeitshypothese ist, dass es nach einem abgeschwächten sensorischen Eingang zu Veränderungen der exzitatorischen und inhibitorischen Antwortfelder kommt, die als funktionelle Plastizität bzw. als Kompensation verstanden werden können. Anhand elektrophysiologischer Ableitungen im ICc von wachen, chronisch implantierten Tieren wurden die exzitatorischen und die inhibitorischen Antwortfelder der Neurone durch Einton- und Zweiton- Stimulation getrennt gemessen und bestimmt. Die Resultate zeigen, dass die exzitatorischen und inhibitorischen Antworteigenschaften im IC bei wachen und narkotisierten Tieren unterschiedlich sind. In wachen Tieren weist die Inhibition generell höhere Variation auf als in narkotisierten Tieren und ist unabhängiger von der Art der Exzitation. Eine Carboplatinbehandlung führte bei allen Tieren nach 3-7 Tagen zu einer Abnahme der Amplituden und einer Erhöhung der Schwellen der akustisch evozierten Hirnstammpotentiale (ABRs). Die histologische Untersuchung des Innenohres (10 Wochen nach Carboplatinbehandlung), zeigte bei allen Tieren Verluste der IHZ (zwischen 20 und 60%) entlang der gesamten Basilarmembran. Es wurden aber keine Verluste von ÄHZ festgestellt. Die Gehirn-Schnitte zeigten, dass die Registrierungen aus dem zentralen Teil des Colliculus Inferior stammen. Die physiologische Untersuchung der Antworteigenschaften der Neurone im IC 4-6 Wochen nach der carboplatinbedingten Schädigung der IHZ zeigte eine Reduktion der Inhibition, die u.a. deutlich an dem Verlauf der Intensitätskennlinien zu beobachten war. Nach dem Teilverlust der IHZ wurden viel weniger nichtmonotone Kennlinien gefunden als vor der Innenohrschädigung. Darüber hinaus beobachteten wir eine Reduzierung der inhibitorischen Regionen und eine signifikante Ausweitung der exzitatorischen Antwortfelder nach dem Teilverlust der IHZ. Die Resultate der vorliegenden Arbeit führen zu der Schlussfolgerung, dass nach einer Teilschädigung der inneren Haarzellen, unter Erhalt der ÄHZ nur ein geringer Sensitivitätsverlust in der zentralen Hörbahn auftritt. Der Verlust von 20-60% der IHZ und der damit einhergehende reduzierte afferente Informationsfluss führt zu physiologischen Veränderungen in der Hörbahn, die im IC von wachen Tieren vor allem durch eine Reduktion der Inhibition hervortritt. Dies deutet daraufhin, dass zentrale Kompensationsmechanismen bei peripheren Hörschäden nicht, wie bisher vermutet, erst in kortikalen sondern zum Teil bereits in subkortikalen Arealen (im Mittelhirn) stattfinden.
  • In unanesthetized chinchillas excitatory and inhibitory response regions of neurons in the central nucleus of the inferior colliculus (ICc) were determined. The responses of 250 multi-units and 47 single-units in the ICc to one- and two-tone stimuli were measured by extracellular recordings. The one-tone excitatory response area of ICc neurons from awake chinchillas was classified as either narrow with a steep high-frequency slope >140 dB/oct (type 1), broad with a high-frequency slope <140 dB/oct (type 2), or complex with a negative high frequency slope (type 3). One-tone inhibition was prominent only in units with a high spontaneous firing rate. As revealed with two-tone stimuli, inhibition in the ICc of awake chinchillas and its relation to excitatory response regions were different from what is reported in anesthetized animals. The two-tone inhibitory responses were classified as follows: (1) Inhibitory regions of equal strength on both sides of the characteristic frequency (CF). (2) Asymmetrical inhibitory regions, more prominent at the high frequency side of the CF. (3) Strong inhibitory regions overlying most of the one-tone excitatory response region. (4) Inhibitory response regions lying only within the one-tone excitatory response region. (5) Neurons without clear two-tone inhibition. One-tone and two-tone inhibitory regions of the same unit were markedly different in 66% of recordings with a high spontaneous rate. The neural response to frequencies within the inhibitory regions often was an onset response followed by inhibition. Excitatory and inhibitory response properties were similar over considerable penetration distances (600-1000 µm) in a particular dorso-ventral recording track. A selective loss of inner hair cells (IHC) can be induced in chinchillas by the treatment with the anticancer drug carboplatin. The present study investigated also the effects of IHC loss on the inhibitory and excitatory response areas and rate-level functions of neurons in the central nucleus of the inferior colliculus (ICc). Stereotaxic extracellular recordings of 233 multiunits (MUs) to one- and two-tone stimuli were carried out in the same animals before and 1 to 3 months after carboplatin treatment. 43 and 49 single unit (SU) responses were isolated of the MU responses before and after carboplatin treatment, respectively. The partial IHC loss led to a significant broadening of the excitatory response areas. Along with this broadening, the proportion of narrow and complex excitatory response areas was decreased while more numerous broad excitatory response areas were observed. Inhibitory response regions were clearly reduced following the IHC loss; MUs with “side band” or “complex” inhibition were absent or rare, respectively. MUs with weak or “no detectable inhibition” were much more numerous. The partial inner hair cell loss caused only a small elevation of response-thresholds but induced a significant increase in the proportion of monotonic and a significant decrease in the proportion of non-monotonic rate-level functions at the characteristic frequency of 210 multiunits. Taken together, the results show that partial IHC loss leads to a reduction of inhibition in the ICc that in turn results in a broadening of excitatory response areas. We could conclude that some of the functional changes reported in the auditory cortex after peripheral deafferentation are already realized at the level of the inferior colliculus.

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Metadaten
Author:Ala Alkhatib
URN:urn:nbn:de:hebis:30-52330
Referee:Jean Smolders, Manfred KösslORCiD
Document Type:Doctoral Thesis
Language:German
Date of Publication (online):2008/03/07
Year of first Publication:2007
Publishing Institution:Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg
Granting Institution:Johann Wolfgang Goethe-Universität
Date of final exam:2008/02/25
Release Date:2008/03/07
Tag:Chinchilla; Cochlea; Excitation; Inhibition; auditory Midbrain; hearing loss
GND Keyword:Cochlea; Chinchilla; Inhibition; Exzitation; Hörschädigung; Mittelhirn
Page Number:130
Source:Neuroreport. 2006 Oct 2;17(14):1493-7. Exp Brain Res. 2006 Sep;174(1):124-43
HeBIS-PPN:19556393X
Institutes:Biowissenschaften / Biowissenschaften
Dewey Decimal Classification:5 Naturwissenschaften und Mathematik / 59 Tiere (Zoologie) / 590 Tiere (Zoologie)
Sammlungen:Sammlung Biologie / Biologische Hochschulschriften (Goethe-Universität)
Licence (German):License LogoDeutsches Urheberrecht