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Was hat 1555 mit Toleranz und Freiheit zu tun? Diese Frage ist sehr berechtigt, denn es gibt keine unmittelbare Beziehung zwischen unserem Verständnis von beiden Phänomenen und den Vorstellungen der Zeitgenossen aus der Mitte des 16. Jahrhunderts, die sich in einer Welt der konfessionellen Spannungen und Zerrissenheit zurecht finden mussten.
Historiker sollten keine Verbindungslinien zwischen Gegenwart und Vergangenheit in dem Sinne ziehen, dass die Gegenwart aus dem Vergangenen lernen könnte. Das ist nicht machbar, denn jeder historische Raum hat einen eigenständigen Wert, nichts wiederholt sich in der Geschichte. Was Historiker aber können, ist Entwicklungen zu identifizieren, Phasen des Wandels zu benennen, in denen merklich oder unmerklich neue Phänomene aus Vorhandenem entstehen. Und unter dieser Perspektive kann nun auch der Augsburger Religionsfriede betrachtet werden, denn in seinem Kontext, in seiner Wirkung sind wesentliche Grundrechte im deutschsprachigen Raum erstmals als Rechtsnorm niedergelegt worden. Dazu gehört zum ersten das Recht auf freie Religionsausübung und zum zweiten das Recht auf Freizügigkeit. Der Blick des Historikers richtet sich bei der Betrachtung des Augsburger Religionsfriedens demnach auf die politischen und religiösen Normen der Zeitgenossen, die sich unter einem großen Neuerungsdruck befanden; damit geht es zugleich um die Untersuchung des Wandels dieser Normen: Handelt es sich um Weiterführung schon vorhandener Ordnungsmuster oder gab es grundsätzlich Neues?