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[I]m "Selbstversuch", der von Christa Wolf in der Anthologie über den "Geschlechtertausch" publizierten Erzählung, tauchen Elemente einer Wiederaneignung des Weiblichen auf, in denen ein gänzliches Anderssein anklingt. [...] Die Struktur der Erzählung nimmt [...] die Form eines Prismas an, das die "Person" in ihre primären Elmente zerlegt: "Maske. Rolle. Wirkliches Selbst." Durch diese sorgfälltige und geduldige Filterung gelingt es [Christa] Wolf nicht nur, die kleinbürgerlichen Schwächen und gefährlichen konformistischen Haltungen der gut bezahlten sozialistischen Intelligenz zu identifizieren, sondern auch die Verheerungen einer als Anpassung an die "blinde" Männerwelt ökonomischer Rationalität verstandenen Emanzipation der Frau zu benennen: die Kritik am eingeschliffenen Verhalten überschneidet sich mit der Negation des Bestehenden, die bewußte Erfahrung des Anderssein der Frau stellt, wie wir sehen werden, die sozialen und politischen Grundlagen der gesamten Gesellschaft in Frage, indem es Abgründe öffnet, die sich zur totalen Dissidenz ausweiten.
Es existieren zahlreiche Gattungsgeschichten zur Autobiographie; es gibt neuerdings in der Literaturwissenschaft endlich auch eine Geschichte der Biographie; es fehlt aber eine Untersuchung zu dem komplexen Verhältnis von Autobiographie und Biographie, diesen beiden Grenzgängern zwischen Geschichtsschreibung, Wissenschaft und Kunst. Und doch liegt hier ein methodisch, gattungstheoretisch und ästhetisch ungemein interessantes Beziehungsnetz vor, das, wenn es ausgelegt werden könnte, Rückwirkungen auf die Gattungsgeschichte der Biographie und Autobiographie haben würde.
Im Zuge des unvermindert andauernden Mittelalter-Rezeptionsbooms hat Dieter Kühn (...) nun einen weiteren mittelalterlichen Autor, Neidhart, in den Mittelpunkt eines Werkes gestellt. Er konfrontiert in diesem „Liederbuch mit Prosakapiteln“ Übersetzungen nach Transkriptionen der Neidhart-Handschriften (...) mit Texten neidhartscher Zeitgenossen (...) und Collagen (...) aus zeitgenössischen Chroniken und wissenschaftlicher Sekundärliteratur.
Dieses Buch ist die leicht überarbeitete und um zwei Kapitel (Kap. 7 und 9) erweiterte Fassung meiner im Sommer 1978 abgeschlossenen Habilitationsschrift. Der Untertitel der früheren Fassung "Grundfragen der Dialoganalyse" sollte, bewußt mehrdeutig, darauf hinweisen, daß der Gegenstand der Untersuchung vor allem dialogische Kommunikationsformen waren und daß eine Besonderheit der Untersuchungsmethode in einem dialogischen Analyseverfahren lag. Im jetzt vorliegenden Text wird das dialogische Verfahren auch auf eine eher monologische Kommunikationsform, das Erzählen, angewendet, so daß noch deutlicher hervortritt, daß die behandelten Probleme allgemein als Grundfragen einer linguistischen Kommunikationsanalyse gelten können.
Vieldeutigkeit und Deutungsvielfalt : oder: das Problem der Beliebigkeit im Umgang mit Literatur
(1982)
In der Literaturtheorie hat sich in den letzten Jahren mehr und mehr die Auffassung ausgebreitet, daß ein spezifisches Merkmal literarischer Texte ihre Mehr- oder Vieldeutigkeit (Polyvalenz) sei. Welche Folgerungen sind daraus für den Literaturunterricht zu ziehen? Kann er überhaupt noch zu einem bestimmten Textverständnis hinführen wollen? Der Beitrag zeigt auf, daß Deutungsdifferenzen verschiedene Ursachen haben und keineswegs alle unauflösbar sind. Er plädiert zugleich dafür, an dem Ziel eines bestimmten Verstehens selbst dort festzuhalten, wo Texte mehrdeutig erscheinen, plädiert also für den Versuch einer Verständigung über sie und gegen das bloße Feststellen von Rezeptionsunterschieden.
Vom Recht des naiven und von der Notwendigkeit des historischen Verstehens literarischer Texte
(1982)
Die Szene ist originell, aber vielleicht nicht ganz unwahrscheinlich: Ein siebzehnjähriger Lehrling, der im finsteren Klo einer Gartenlaube nach Papier sucht, findet dort ein Reclamheft, benutzt einige Deck- und Nachblätter für den ortsüblichen Zweck und beginnt danach aus Langerweile das Buch zu lesen, das nun nichts weiter enthält als einen, als den Text. Es sind die Briefe eines gewissen Werther, die ihm so in die Hände kommen, aber der Name sagt ihm nichts, so daß er weder besondere Erwartungen noch Vorbehalte gegen die Lektüre hat, sondern sich wirklich unvoreingenommen und in seiner Lage auch frei von Ansprüchen auf sie einlassen kann. Für eine Rezeptionsforschung, die herausfinden möchte, was im Akt des Lesens und Verstehens literarischer Texte ,eigentlich' geschieht, ist die Dokumentation eines solchen Falles fraglos ein Beispiel, das dem sonst üblichen testmäßigen Abfragen von Leserreaktionen an Zuverlässigkeit überlegen ist.