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Eine Reihe von nicht in Kodifikationen des Standards aufgenommenen sprachlichen Mustern wird im Blick auf ihre Karrieren in verschiedenen mündlichen und schriftlichen Texten in einer Flut von Veröffentlichungen thematisiert, meist in der Hoffnung hier grammatische Entwicklungen und die Basis für eine Orientierung der Grammatikschreibung an der Pragmatik zu entdecken. Im Folgenden soll Sprache nicht „konzeptuell schriftlich“ gedacht und „sozusagen literal idealisiert“ werden. Es soll argumentiert werden für eine einheitliche, mit Sprachgeschichte, ontogenetischem Spracherwerb und Variantenbildung verträgliche Erklärung nicht-standardisierter sprachlicher Muster im Rahmen einer Grammatikalisierungstheorie.
Die sprachlichen Beispiele [...] sind dem Korpus „Institutionelle Konfliktgespräche“ des Instituts für deutsche Sprache in Mannheim entnommen. Es sind vorgerichtliche Schlichtungen in Nachbarschaftsstreitigkeiten aus dem kurpfälzischen Raum. Die Gespräche liegen dort in einer Transkription vor, die nicht nur deshalb unzureichend ist, weil Nonstandardmuster weitgehend in Standard wiedergegeben werden. Wir haben zwei der Gespräche völlig neu transkribiert. Beide Gespräche werden von demselben Schlichter geführt. Sie sind je etwa 45 Minuten lang, im ersten Gespräch, gekennzeichnet als „Die Mopeds“, verwendet der Schlichter nach IPA-Transkription ca. 12.000 Laute, im zweiten, gekennzeichnet als „Alte Sau“, ca. 14.000. Im folgenden werden die ersten 2.000 Laut aus den Äußerungen des Schlichters analysiert. Zum Vergleich haben wir einen in einer traditionellen Dialekterhebung aufgenommenen, überwiegend monologischen Text analysiert: einen ebenfalls 2000 Laute umfassenden Ausschnitt aus der Aufname einer jungen Mutterstadter Sprecherin aus den 50er Jahren, ediert von Karch. Die Frage der Standarddefinition, des Vergleichsmaßstabes und der Wahl der Einheiten soll hier nicht diskutiert werden: Wir gehen aus von Lauten, wie sie sich mit den Zeichen des IPA darstellen lassen. Als Kodifikation des Standards wurde, um einen vorläufig praktikablen Maßstab zu haben, das Duden-Aussprachewörterbuch zu Grunde gelegt. Dort für ein Morphem nicht verzeichnete Laute wurden Unberücksichtigt blieb die Unterscheidung zwischen stimmhaften und nicht stimmhaften Konsonanten. Stotternde, verzögernde, lachende [..] etc. wurden bisher weder ausgeblendet, noch zu Nonstandard gerechnet. Einer vorgängigen Skalierung und Gewichtung sprachlicher Merkmale bedarf es nicht. Es genügt eine erste Dichotomisierung und alle weiteren Differenzierungen können im Anschluss daran durchgespielt werden.
In der folgenden Darstellung geht es einerseits darum, an Beispielen aufzuzeigen, inwiefern die schweizerdeutschen Mundarten und die deutsche Standardsprache in Lautung, Formenbildung, Satzbau und Wortschatz auseinandergehen können, andererseits aber immer auch um das Aufweisen von Gemeinsamkeiten. Oft werden nämlich bestimmte Erscheinungen des dialektalen Sprachbaus vorschnell als Eigenarten der Mundart verstanden, obwohl dieselben Erscheinungen auch im gesprochenen Hochdeutschen anzutreffen sind. Somit liegen also häufig nicht Unterschiede zwischen Mundart und Standardsprache vor, sondern Unterschiede zwischen gesprochener Sprache und geschriebener Sprache. [vollständige Überarbeitung für eine zweite Auflage]
Im elften Buch seines Adelsspiegels (1591) kommt Cyriacus Spangenberg der Wigalois des Wirnt von Grafenberg in den Sinn, weil darin etlicher Ritter von der Tafelrunde gedacht werde, insbesondere des Herren Gwy von Galois, "sonst Ritter Wiglois vom Rade genandt", und eines "Grauen Hoiers von Manßfeldt des roten". Das alte Buch, das einst Herzog Albrecht von Braunschweig in Auftrag gegeben hatte, habe er von einer adeligen Witwe erhalten, später aber an die Grafen von Mansfeld weitergegeben, die sich sehr für die Rolle ihres Vorfahren in diesem Roman interessiert gezeigt hätten.
Ein Plädoyer für das Stolpern, wie es der Titel dieses Beitrags ankündigt, ist prekär, da es die Gefahr des Stürzens in Kauf nimmt. Die schlimmeren Unfälle allerdings gehen oft auf das Fehlen von Grenzhindernissen zurück. Erinnert sei nur an den hinterlistigen Schwellenabbau, den der amerikanische Physiker Alan Sokal an der Demarkationslinie der two cultures betrieb – und damit die Herausgeber der bis dato hochangesehenen Zeitschrift Social Text tüchtig blamierte, die nicht bemerkten, daß der Artikel Transgressing the Boundaries voller Absurditäten steckte. Sokals offensive Beseitigung der Barrikaden zwischen Geistes- und Naturwissenschaften paßte so gut ins postmoderne editorische Konzept, daß man gar nicht mehr darauf reflektierte, ob die Transgressionen im Einzelnen Sinn machten – etwa die dekonstruktivistische Überwindung der Schwerkraft oder die feministische Liberalisierung der mathematischen Axiomatik. Die transliminalen Verheißungen klangen zu verführerisch, als daß man über sie gestolpert – und damit der kompromittierenden Falle entgangen – wäre. ...
Mit Erstaunen stellen LinguistInnen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz immer wieder fest, dass sich in der "kleinen" Schweiz der geschlechtergerechte Sprachgebrauch in Öffentlichkeit und Alltag weit stärker durchgesetzt hat als in den anderen deutschsprachigen Ländern. Diese Einschätzung gilt es hier zu überprüfen und, falls sie zutrifft, zu belegen. Ausserdem werden - als erster Schritt fur weitere Untersuchungen - Thesen formuliert, die Erklärungen liefern, worauf diese Entwicklung zurückgeführt werden kann. Mit diesem Artikel geben wir anband von ausgewählten, konkreten Beispielen einen Einblick in die Situation, wie sie sich zur Zeit in der Schweiz präsentiert. Wir konzentrieren uns - unter sprachsoziologischer Perspektive - auf eine erste Bestandesaufnahme mit dem Blick auf die Diskussion in den Medien, die Institutionalisierung und die Einstellungen, die die spezifische sprachliche Situation in der Deutschschweiz prägen. Einen Rahmen fur unsere Untersuchung bilden die Überlegungen von Schräpel (SCHRÄPEL 1986), die die Auseinandersetzung um nichtsexistische Sprache als ein besonderes Sprachwandelphänomen untersucht. Sprachwandel im Vollzug ist einerseits einfacher zu erfassen als einer, der weiter zurückliegt, andererseits erschwert die Fülle des greifbaren Materials auch den Durchblick und das klare Erkennen von Tendenzen. Aus diesem Grund werten wir unser Datenmaterial nicht quantitativ aus, sondern konzentrieren uns darauf, für verschiedene Aspekte typische Beispiele zu geben und so den Stand der öffentlichen Diskussion und die Breite der vertretenen Meinungen darzustellen. Es wäre verlockend, das hier vorliegende Material auch allgemeinerer Form unter der Thematik "Sprachkritik" oder "Einstellungen" zu analysieren. Dies ist jedoch nicht im Zentrum unserer Fragestellung, weshalb wir bei einigen Beispielen auf entsprechende Untersuchungen (z.B. BLAUBERGS 1980, SCHOENTHAL 1989) verweisen.
Liebesbriefe von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen : eine Textsorte im lebenszeitlichen Wandel
(2003)
Das Alter als soziolinguistische und – mit Bezug auf die Historizität des sozialen Alltags – als sozialhistorische Grösse ist in seiner Wirkung auf die Gestaltung des Liebesbriefs wenig offensichtlich. Unbestritten dürfte aber wohl sein, dass nicht alterslose Menschen einander Liebesbriefe schreiben. Und – Alter prägt, wie dies die hier vorliegende empirische Analyse zeigen wird, die Textsorte Liebesbrief vielleicht stärker als gemeinhin angenommen. Bereits die Briefstellerliteratur der Jahrhundertwende zeigt deutlich eine Altersspezifik der Sprache des Liebesbriefs. ...
Der Liebesbrief des 20. Jahrhunderts ist Ausdruck einer konkreten lebensweltlichen und historisch zu verortenden Praxis der Liebeskommunikation. Liebesbriefe sind Brautbriefe, Liebesbekenntnisse, Berichte aus dem Alltag, Soldatenbriefe, Vereinbarungen von Treffen, E-Mail-Korrespondenzen, Flirtbriefe und Zettelchen – es gibt eine reiche Palette an Funktionen und Typen. Im Hinblick auf eine Geschichte des Liebesbriefs im 20. Jahrhunderts zeigte sich, dass im Liebesbrief neben der Liebeserklärung auch „Beziehungsarbeit“ und besonders aber die Konstruktion von Intimität eine zentrale Rolle spielt. Die Kritik an der Sprache der Liebe und des Liebesbriefs (des 19. Jahrhunderts) kann bereits in den 1920er Jahren beobachtet werden. Zu einem Codewechsel kommt es in Briefen der 1960er Jahre. Die Schriftlichkeit des Liebesbriefs entfernt sich allmählich von einer ausschließlichen Schreibschriftlichkeit. Der Liebesbrief wird mehr und mehr zu einem Sprache-Bild-Text. Die neuen Medien der Liebesschriftlichkeit zeigen eine Mediatisierung auch im Bereich des Liebesdiskurses: neben neuen Liebesbrieftypen, wie dem Flirtbrief, bilden sich neue Liebesbeziehungstypen heraus. Darüber hinaus fungieren die neuen Medien immer schon selbstreflexiv als Metakommunikatoren der Modernität.