BDSL-Klassifikation: 03.00.00 Literaturwissenschaft > 03.03.00 Studien
Refine
Year of publication
- 2019 (9) (remove)
Document Type
- Article (4)
- Part of a Book (3)
- Book (2)
Language
- German (9)
Has Fulltext
- yes (9)
Is part of the Bibliography
- no (9)
Keywords
- Literatur (7)
- Experiment (5)
- Literarisches Experiment (5)
- Experimentelle Literatur (4)
- Sprache (4)
- Sprachliches Experiment (3)
- Begriff (2)
- Experimentbegriff (2)
- Benjamin, Walter (1)
- Bildersprache (1)
Kein Begriff Walter Benjamins hat der Rezeption so große Schwierigkeiten bereitet wie der des "Messianischen". [...] In diesem Aufsatz schlage ich vor, das Messianische als eine zeitliche Struktur im Rahmen von Benjamins politischer Zeitphilosophie zu betrachten. Diese Struktur, so werde ich argumentieren, bildet einen aktualisierbaren, immanenten zeitlichen Index. Als Zeitstruktur verstanden wird das Messianische zu einem Grenzbegriff, der ontologische Theologie und materialistische Kritik vermittelt. Dieser Zusammenhang lässt sich anhand des Begriffes des Virtuellen, so wie ihn Gilles Deleuze entwickelt hat, verdeutlichen. Mit Deleuze gesprochen stellt das Virtuelle eine Wirklichkeitskategorie des mehr als bloß Möglichen dar, wobei sich die Realität in Virtualität und Aktualität differenziert. Im theoretischen Kontext der Zeitphilosophie charakterisiert der Begriff eine nicht aktualisierte Intensität, die dennoch in ihrer Unaktualität eine reale Wirkung hat. Diese reale Potenzialität, auf die der Begriff des Virtuellen zielt, ermöglicht meines Erachtens eine Entmystifizierung des theologischen Gehalts des Messianischen. Wenn sich das Messianische nicht als soteriologischer Mystizismus, sondern als immanente Virtualität verstehen lässt, so ist dies erstens mit dem Materialismus vereinbar, und zweitens dient es der Klärung des Verhältnisses von Zeitphilosophie und politischer Theorie Benjamins. Ziel des Aufsatzes ist es daher, den esoterischen Begriff des Messianischen anhand des systematischen Begriffs des Virtuellen zu entfalten und in einer Zeitphilosophie der Immanenz zu verorten. Als Zeitstruktur bedingt das Messianische die im Engagement begriffene Stellung der Gegenwart zur und in der Geschichte, welche die Grundlage der Revolutionstheorie Benjamins bildet. Dessen Erhellung soll neues Licht auf das politische Potenzial seines Spätwerks werfen.
Eine konstruktive Facette des Tagebuch- und Notizenschreibens besteht darin, sich und dem Leben eine Gestalt zu geben. Zwar kann diese Form – wie im Falle Kafkas – als Konstrukt angesehen werden, doch gibt sie, wie die "Kante eines Hauses im Nebel", zumindest kurzfristig Orientierung im undurchdringlichen Möglichkeitsraum der Wirklichkeit. Dies gilt auch und gerade für die Moderne, deren Selbstdarstellungen häufig ein Defizit an metaphysischer Verbindlichkeit behauptet haben, mit der auch eine "Krise des Subjekts" einherging. Die damit verbundene Dissoziierung und Öffnung monolithischer Identitäten kann zwar als befreiend empfunden werden, doch löst sie eben auch Angst aus. Diese Unbestimmtheit wiederum muss erzählend beherrschbar gemacht werden, durch Mythen und Konstrukte kompensiert werden,[...]
In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ereignete sich eine historisch besondere, womöglich einzigartige Konstellation zwischen Dichtung und Ethnologie, ermöglicht dadurch, dass sich avantgardistische Dichter wie Robert Müller, Alfred Döblin oder Michel Leiris ethnologischen Erfahrungsbereichen öffneten, andererseits eine "strukturale" Ethnographie entstand, die mit den metaphysischen Traditionen des westlichen Denkens ebenso brach wie mit der eurozentrischen Perspektive und der Geschichtsphilosophie der Aufklärung, lange bevor der
Postcolonial Turn ausgerufen wurde.
Obgleich Bilder sich also offensichtlich von den Dingen der übrigen Welt grundsätzlich unterscheiden, breitet sich in der postmodernen Gegenwart, einem verbreiteten Diskurs zu Folge, ein Erfahrungs- und Handlungsraum aus, in dem Bilder ganz umstandslos das Reale zu ersetzen vermögen. Die Rede von einem "Reich der Bilder", in dem ein perfekter und zudem interaktiver Illusionismus reale Anwesenheit hat obsolet werden lassen, ist fast zu einem Gemeinplatz geworden. Die folgenden Ausführungen handeln von einer Substitution des Realen durch Bilder und sind insofern von einer postmodernen Befindlichkeit und der zu dieser gehörenden Vertrautheit mit einer sich aus Bildern konstruierenden Welt durchstimmt. Aber auch wenn einige der aufgeführten Beispiele der visuellen Kultur der letzten Jahre entnommen sind, hat die Bildinvasion, um die es hier geht, nichts zu tun mit der Aufrüstung der Lebenswelt zur aus perfekten Simulakren bestehenden Hyperrealität, wie sie die digitale Bilderproduktion in vielen Lebensbereichen bewerkstelligt. Thema ist ein eher versponnenes Phänomen, das als eine eigenartige Blüte ganz unabhängig von dem aktuellen "pictorial turn" aus der visuellen Weltaneignung, wie sie das "Augentier" Mensch in allen Epochen betreibt, hin und wieder erwächst. Vorgestellt werden Wahrnehmungen und Repräsentationen, bei denen die Sichtbarkeit, in die das Sehvermögen die Dinge der Welt "entbirgt", einen Überschuss produziert und sich, in einer eigentlich absurden Übertreibung, zu einer vorgeblich den wahrgenommenen Dingen selbst angehörenden Bildhaftigkeit kristallisiert. Das Kulturprodukt Bild – das die Menschen erfunden haben, um der Sichtbarkeit der Dinge eine von deren Materialität abgetrennte und semantische sowie ästhetische Effekte ermöglichende Auftrittsbühne zu eröffnen – scheint in einer paradoxen Wendung das Aussehen der Dinge selbst zu sein. Den gesehenen Dingen wird die Textur eines Bildes unterstellt.
Das Werk der österreichischen Autorin Brigitta Falkner beruht auf einem unerschöpflichen Prozess der Grenzüberschreitung und der Hybridisierung. Daraus folgt u. a. eine Erweiterung der Grenzen des Literarischen: Biologie, Mathematik, Physik und andere Wissenschaften werden überraschende Akteurinnen in der neuen 'Ordnung der Dinge', die Falkner in ihren Produktionen verwirklicht.
Die Rezeption der experimentellen Literatur aus Österreich, die bis in die 1980er Jahre hinein nicht zum Literaturkanon gehört hatte, wurde maßgeblich durch den Wiener Germanistikprofessor und Leiter des Österreichischen Literaturarchivs Wendelin Schmidt-Dengler (1942-2008) geprägt. In seiner Funktion als Mitbegründer und wissenschaftlicher Betreuer des Franz-Werfel-Stipendienprogramms, in dessen Rahmen NachwuchswissenschaftlerInnen nicht nur aus Osteuropa bei ihren Dissertationen zur österreichischen Literatur gefördert beziehungsweise betreut werden, baute er ein internationales Netz von jungen AkademikerInnen auf, unter denen viele seine Vorliebe für das literarische Experiment teilen. Ende Mai 2018 trafen sich im Rahmen der internationalen Konferenz des Tschechischen Germanistenverbandes, die unter dem Titel 'Experimentierräume: Herausforderungen und Tendenzen' an der Westböhmischen Universität in Pilsen stattfand, viele ehemalige SchülerInnen von Prof. Schmidt-Dengler, darunter auch einige ehemalige Franz-Werfel-StipendiatInnen, in einer Sektion, um gemeinsam die experimentelle Literatur aus Österreich zu analysieren. Ihre Beiträge bilden den Kern des vorliegenden Konferenzbandes.
Oswald Wieners sogenannter 'Roman' gilt als Kultbuch. Gleichzeitig ist es ein total 'klugscheißerisches' Buch. Ich möchte dem Gewaltpotential dieses Werkes nachspüren: Mündet dieses in einen destruktiven anti-humanistischen Karneval (M. Bachtin) und trachtet den Menschen (als sprach- und dialogbegabtes Wesen) zu vernichten? Oder sucht es als Kunstwerk doch noch den 'Dialog' mit seinen RezipientInnen?
Die im Band behandelten 'Experimentierräume in der österreichischen Literatur' reichen wie das literarische Experiment als Programmatik bis in die Romantik zurück. Insbesondere in Österreich steht seit Wittgenstein und seiner intensiven Rezeption in der Moderne und dann wieder nach 1945 vor allem die Sprache als Material literarischen Experimentierens im Vordergrund. Die Übertragung des naturwissenschaftlichen Versuchs auf die literarische Produktionsweise wurde in diesem Sinne eingehend diskutiert und auch im speziell österreichischen Kontext reflektiert. In diesem Band soll der Begriff des Experimentellen jedoch nicht nur auf die Sprache selbst, sondern auch auf ihre Inhalte und über die diesbezüglich relativ gut beforschte Lyrik hinaus auf andere Formen der Literatur bezogen werden. Die Erprobung neuer literarischer Strategien und Techniken rückt die experimentelle Literatur in die Nähe der Avantgarde; im vorliegenden Buch sollen die beiden Begriffe, deren kleinster gemeinsamer Nenner das Innovative darstellt, jedoch klar von einander abgegrenzt werden.
Mit der Idee, neue Ansätze und Querverbindungen zwischen verschiedenen Disziplinen und Traditionen zu fördern, rückte die Konferenz des Tschechischen Germanistenverbands an der Westböhmischen Universität Pilsen im Mai 2018 sprachliche, literarische und didaktische Experimente in den Mittelpunkt der Betrachtung. Aus Sicht der Veranstalter sollten dabei die positiven Potenziale betont werden. Das Experimentieren wurde als Lust, Spiel und Herausforderung verstanden. Diese Perspektive haben die Teilnehmer auch mit großem Interesse aufgenommen. Zu den Experimentierräumen in der Literatur haben sich zwei getrennte Sektionen zur deutschen und zur österreichischen Literatur gebildet, die unterschiedliche Dynamiken in Bezug auf die Thematik entwickelt haben. In der Sektion zur deutschen Literatur, die die Grundlage des vorliegenden Bandes bildet, gingen die Ansichten zum literarischen Experiment sehr auseinander. Die meisten Positionen, die in der Zusammensicht eine kleine Auswahl von Wegen quer durch das 20. bis ins 21. Jahrhundert aufzeichnen, unterscheiden sich deutlich von der Affirmation des Experimentierens mit Sprache, wie sie noch vor 100 Jahren nach dem Ersten Weltkrieg die Avantgarden propagiert haben. Dies hängt nicht nur mit dem zeitlichen Abstand und der Wahrnehmung unterschiedlicher kultureller Perspektiven zusammen.