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Die großen Dichter der Römer haben in der abendländischen - und nicht zuletzt in der deutschen - Literatur des 20. Jahrhunderts ein äußerst produktives Nachleben genossen. In seinem 'Tod des Vergil' (1945) befasst sich Hermann Broch einfühlsam mit Leben und Werk des Dichters der Äneis. In Christoph Ransmayrs 'Die letzte Welt' (1988) tritt Ovid als Person nie in Erscheinung, aber die Forschungen des Romanhelden enthüllen das problematische Verhältnis von Fiktion und Wirklichkeit im Leben Ovids während seines Exils im fernen Tomis und in den Erzählungen seiner Metamorphosen. Günter Grass' Roman örtlich betäubt (1969) bietet unter anderem eine einsichtsvolle Analyse der Bedeutung Senecas als Seismograph für jeweils drei Generationen von Deutschen der Bundesrepublik. Und Lukrez?
Titus Lucretius Carus (circa 94-54 v.Chr.), der in der Geschichte der lateinischen Literatur als epischer Dichter neben, ja manchmal sogar über Vergil gestellt wird und vor allem als wichtigster Befürworter des Epikureismus im Rom des ersten Jahrhunderts v.Chr. galt, spielt in der Literatur des 20. Jahrhunderts kaum noch eine Rolle. Wenn auch die atomistischen und vermeintlich antireligiösen Lehren seines 'De Rerum Natura' während des christlichen Mittelalters abgelehnt wurden, schätzten ihn sogar seine Gegner als einen großen Sprachkünstler. Nach seiner Wiederentdeckung in der Renaissance wurde er zunehmend als Philosoph und Naturwissenschaftler geschätzt. Aber nachdem sein Einfluss im 19. Jahrhundert bei vielen Dichtern noch hochstand, wurde sein Name danach immer seltener erwähnt. Seit der wichtigen Vortragsreihe George Santayanas über Lucretius, Dante und Goethe - Three Philosophical Poets (1910) - haben sich zwar immer wieder akademische Philosophen mit seinem Denken befasst; aber die einzige ausführliche Studie über Lukrez und die Moderne kann nur wenige literarische Beispiele heranziehen: neben den Italienern Italo Calvino und Primo Levi und dem Österreicher Raoul Schrott, die im Vorübergehen erwähnt werden, werden nur einige anglo-amerikanische Dichter zitiert, die sich aber nie ausführlich mit Lukrez oder seinem Werk beschäftigen. In einer wichtigen deutschen Forschung zur Antikerezeption wird nach Goethe nur noch Heinrich Mann erwähnt, in dessen Roman 'Die Vollendung des Königs Henri Quatre' (1938) Zitate aus mehreren lateinischen Dichtern, einschließlich Lukrez, vorkommen.
Warum dieses Schweigen?
Komplikationen von Zeitreisen sind nicht unvertraut. Entfaltet werden sie in einem eigenen Genre von Geschichten. Die erste namhafte Erzählung, in der eine Zeitreise mit Hilfe einer Zeitmaschine unternommen wird, ist schon dem Titel nach einschlägig, ja ikonisch: 'The Time Machine', 1895 verfasst von H.G. Wells. Dabei handelt es sich um einen Urtext der Science Fiction, wofür besonders wichtig ist, dass hier die Reise in eine äußerst ferne Zukunft führt. Bevor ich mich diesem Text ausführlicher zuwende, schicke ich einige Bemerkungen zur wissenschaftlichen Denkbarkeit und technischen Machbarkeit von Zeitreisen voraus. Im Anschluss an Wells’ klassisch-modernes Modell der Zukunftsreise werde ich dann zwei Romane aus den 1990er Jahren besprechen, in denen Zeitreisen in die Vergangenheit führen: 'Timeline' von Michael Crichton (1999) und 'Making History' von Stephen Fry (1996). In diesen Geschichten zeigt sich eine für das späte zwanzigste – und auch noch für das beginnende einundzwanzigste – Jahrhundert charakteristische, wohl mit Recht als 'postmodern' zu charakterisierende Fixierung auf Vergangenheit und Historizität. Ähnliches gilt für Robert Zemeckis’ Filmtrilogie 'Back to the Future' (1985–1990), die ich abschließend erörtern werde. Hier wird auf virtuos selbstbezügliche Weise ein zugleich spannendes und komisches Hin und Her zwischen den Zeitformen inszeniert und ins bewegte Bild gesetzt.
Als eines der Hauptprobleme der Rezeption deutscher Kultur in Frankreich kann die Dichotomie von Dekontextualisierung vs. Hyperkontextualisierung bezeichnet werden, wobei man das Bild von den zwei Seiten derselben Münze benutzen könnte. Die damit verbundenen Interpretationsansätze bewirken einerseits, dass bei der Auseinandersetzung mit deutscher Literatur, Philosophie und Kunst der historische, politische und soziale Kontext oft vernachlässigt oder gar ausgeblendet wird. Bereits Heinrich Heine warnte seine französischen Zeitgenossen in seinem Buch 'De l'Allemagne' (1833) vor dieser Gefahr beim Umgang mit der deutschen Romantik. Andererseits kann man ebenso häufig beobachten, wie in Frankreich geistig-künstlerische Werke aus Deutschland auf ihre geschichtlichen Entstehungsbedingungen oder politischen Implikationen bzw. Belastungen heruntergebrochen werden. Dieses Phänomen kann natürlich verstärkt in Zeiten ideologischer und kriegerischer Auseinandersetzungen zwischen beiden Ländern beobachtet werden, vor allem während der Periode 1870–1945. Aber auch heute noch - ein halbes Jahrhundert nach dem deutschfranzösischen Freundschaftsvertrag - prägt die Epoche des Nationalsozialismus den Blick vieler Franzosen auf Deutschland und beeinflusst maßgeblich die Rezeption deutscher Literatur, Philosophie und Kunst.
Die hiermit aufgeworfene Frage ist die nach dem notwendigen bzw. angemessenen Grad von (politikgeschichtlicher) Kontextualisierung im französischen Verhältnis zur deutschen Kultur, wobei eine pauschale Beantwortung sich selbstredend als schwierig oder gar unmöglich erweist.
Bibel und Literatur um 1800
(2014)
Die Geschichte der Philologie war immer auch eine Geschichte des Lesens heiliger Texte. Dass auch die Moderne nicht notwendig mit dieser Herkunft bricht, zeigen die vielfältigen Beziehungen zwischen Literatur, Philologie und Bibelexegese in der epistemologischen Schlüsselepoche um 1800. Wenn Novalis 1798 an Friedrich Schlegel schreibt, eine "Theorie der Bibel" würde eigentlich einer "Theorie der Schriftstellerei oder der Wordbildnerei überhaupt" entsprechen, so ruft das nicht nur einen traditionellen Topos auf, sondern bezieht sich auch auf höchst aktuelle zeitgenössische Debatten. Denn die sich im Laufe des 18. Jahrhunderts ausbildende historische und philologische Kritik der Bibel erlaubt es nicht nur, das Buch der Bücher neu zu lesen, sondern verändert auch das Verständnis des Lesens und der Literatur überhaupt. Immer wenn um 1800 über Semiotik und Übersetzungstheorie, Rhetorik und Philologie, Poetik und Hermeneutik verhandelt wird, geschieht das auch mit Seitenblick auf die Bibel und ihre Lesbarkeit. Weidners Studie untersucht die literarischen und kritischen Diskurse um und über die Bibel, die für die Geschichte der Literaturwissenschaft von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist.
Tagungsbericht: Internationale Tagung, Magdeburg, 20. bis 22. Juni 2013
Dem spezifischen Verhältnis der Romantiker zu Begriffen der Arbeit und der Nicht-Arbeit in seiner historischen wie aktuellen Dimension widmete sich die DFG-geförderte Tagung "Arbeit und Müßiggang in der Romantik", die von Thorsten Unger (Magdeburg) in Kooperation mit Franz-Josef Deiters (Melbourne), Claudia Lillge (Paderborn) und Johanna-Elisabeth Palm (Fritz-Hüser-Institut Dortmund) an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg veranstaltet wurde und internationale wie interdisziplinäre BeiträgerInnen versammelte.
Unter dem Aspekt der universellen Kommodifizierung der modernisierten Herrschafts- und Geschlechterverhältnisse im Fabriksystem beschäftigt sich Mirjana Vukovic in ihrem Beitrag "Ich lasse mich nicht verhandeln gegen schnödes Geld" mit dem emanzipatorischen Lebensentwurf der Protagonistin in Louise Astons Roman "Aus dem Leben einer Frau" (1847). Johanna, Tochter eines verbitterten Pfarrers aus ärmlichen Verhältnissen, wird an den reichen Fabrikanten Oburn verheiratet, erkennt aber schließlich, dass sie lediglich als Handelsobjekt zwischen Vater und Ehemann fungieren solle. Sie verwertet die Schmuckgeschenke ihres Ehemannes, um die entmenschlicht gezeichneten Hungergestalten in Oburns Fabrik zu einem menschenwürdigen Lohn zu verhelfen. Gegen die klassische Autonomie-Ästhetik schreibe Louise Aston sich in ein Literatur- und Kunstkonzept ein, in dem die fragmentarisierte Wirklichkeit in "Form und Inhalt der Fiktion einfließen" solle; ihre Legitimation bezieht diese Auffassung aus den obsessiven Revolten, die nahezu das gesamte 19. Jahrhundert prägen. In dieser Perspektive lässt "Aus dem Leben einer Frau" sich gegen die letztlich erfolgreichen Kanonisierungsbestrebungen Fontanes als politische Geschichte weiblicher Emanzipation aus der Allmacht des Geldes lesen, die größere wissenschaftliche Beachtung verdient hätte.
Architektur und Albtraum : Erkundungen zu Horrorhäusern, Geisterstädten und metaphysischen Türmen
(2014)
Auf seiner Flucht aus dem Schreckenshaus seiner Ahnen träumt Clifford Pincheon (aus Nathaniel Hawthornes Roman The House of the Seven Gables von 1851) in der Eisenbahn von einem modernen Nomadentum, das einen vom Schicksal befreien könne: Statt sich zum "Gefangenen von Mauern, Backstein" zu machen, wird der Mensch der Zukunft "nirgends - oder besser - überall […] wohnen". Die Vision, sich vom konkreten Ort, von Geschichte zu befreien und gleichsam in der Zeit sesshaft zu werden, verwirklichte sich nicht allein in den silbernen, stromlinienförmigen Home-Trailern und Mobile Homes. Sie verwirklichte sich auf höherer Stufenleiter in den glänzend geschlossenen Spiegelglas-Türmen, die in den Machtzentren des Kapitals heute zunehmend dominieren. Die dunkel oder metallisch spiegelnden Türme wirken wie in heiliges Öl getaucht, rituell gesalbt, dabei jedoch nicht erhaben, sondern verführerisch, bezaubernd: Die fugenlos glatte, glitzernde Hülle aus Spiegelglas und Metall macht die Bauwerke zu Fetischen, phallischen Signifikanten, zu unsterblichen Ikonen einer Macht, deren innerstes Prinzip eine Ökonomie der Zeit ist. Das Kapital träumt seit je davon, sich vom irdischen Raum der Menschen zu befreien: Mit den Türmen - einer artifiziellen Raum-Enklave - gewinnt der Traum strahlend Gestalt. Hierin verdichtet sich gesellschaftlich und technologisch höchste Mobilität, erstarrt in reiner Gegenwart, der Zeitform der global players. Diese arbeiten an einem Schicksal, das jede Bindung an konkreten, irdischen Raum, an Familien und Völker, an vergangene Geschichte verloren hat. Das ist zweifellos unheimlich, doch auf ganz andere Art als das klassische Horrorhaus.
The present article analyzes a prominent yet relatively understudied contact space among Native American, New Zealand Maori, and aboriginal Taiwanese literatures: the struggle of indigenous peoples to negotiate optimal relationships between themselves and the natural world, particularly in light of capitalist modernity and globalization. Many indigenous narratives draw sharp distinctions between native peoples and outsiders, predictably portraying the former as protectors and the latter as destroyers of both nature and indigenous local cultures. The Native American Chickasaw writer Linda Hogan's (1947-) novel 'People of the Whale' (2008), the Maori writer Patricia Grace's (1937-) novel 'Patiki' (1986), and the aboriginal Taiwanese writer Topas Tamapima's short story "Zuihou de lieren" are no exception. But these texts also problematize notions of the so-called "ecological native." They do so most conspicuously by revealing the ambiguous relationships those peoples believed closest to nature have with the nonhuman world, that is to say their environmental ambiguity ('ecoambiguity') (Thornber 2012).