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Die frühe Moderne wendet sich gegen das erzählerische Ordnungsprinzip der Kausalität. Als einer ihrer ersten deutschsprachigen Vertreter hat Carl Einstein mit seinem poetischen Werk versucht, das kausal bestimmte Erzählen durch eine neue Form der fiktionalen Prosa zu ersetzen. In vielen seiner literaturkritischen und kunstgeschichtlichen Arbeiten wird der Begriff 'Kausalität' auch erwähnt. Allerdings bleibt es fast immer bei einem flüchtigen Hinweis, ohne daß eine Begründung für die Ablehnung der Kausalität als organisierendes Prinzip erzählender Texte geben würde. Offensichtlich setzte Einstein die Kenntnis des zeitgenössischen Diskussionszusammenhanges voraus – ein ellipitisches Verfahren, das heute, aus historischer Distanz, eine behutsame Rekonstruktion seiner Intentionen erfordert. Ich möchte insbesondere zeigen, daß der Begriff der Form als Gegenbegriff zur Kausalität auftritt, und daß dieser Gegensatz im "Bebuquin" auf aporetische Weise zur Geltung kommt.
Rezension zu Matias Martinez/Michael Scheffel: Einführung in die Erzähltheorie. München (Beck) 1999. (= Reihe Studium). 198 Seiten.
Genettes Erzähltheorie genießt gerade unter jüngeren deutschsprachigen Wissenschaftlern, die sich mit narratologischen Fragestellungen befassen, eine immer größere Popularität. Diese Tendenz dokumentiert nun auch eine 'Einführung in die Erzähltheorie', die gemeinsam von Matias Martinez (wissenschaftlicher Assistent für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität München) und Michael Scheffel (Privatdozent für Neuere Deutsche Literatur an der Universität Göttingen) verfaßt worden ist.
We may consider narratology - the structural study of narratives - in two ways, each of them implying a slightly different 'before' and 'after'. First, this important endeavor in 20th century literary studies may be regarded as the study of a specific narrative 'logic', the formal structures that unite all narratives, fictional and factual, literary and non-literary. Secondly, narratology may be regarded as the study of specific 'texts' with specific cultural functions - storehouses of 'memory' on the one hand and, on the other, 'meaning-generating devices' integrating human action with time and place, ending up in cognition, identity, values, pragmatic norms, etc. In spite of the fact that both trends diminish the role of the specific medium of a given narrative, focusing instead on a general logic or on general functions, both of them refer 'de facto' to literature as a primary field of study; moreover, they are both children, twins one might argue, of the linguistic turn at the turn of the last century, and they both 'de facto' constantly refer to language as a primary field of study. This paradigmatic shift emphasized a specific medium and its specific logic in a general perspective without losing grip of the specificity. A lesson may be learned if we quickly repaint the history and perspective of this turn in a few broad strokes.
Eine Konstante der Diskussion zur Bestimmung von "Narrativität" ist der Versuch, Narrativität als kennzeichnendes Merkmal des erzählenden Textes funktional zu bestimmen: nämlich als eine spezifische Form der symbolischen Ereignisrepräsentation. Dieser Beitrag entwickelt dagegen die These, daß Narrativität keine Frage des Entweder/Oder ist, sondern eine der graduellen Realisation spezifischer logischer Bedingungen, die sich in Form einer sog. "Ereignis-Matrix" definieren lassen. Alles, was die Bedingungen der Ereignis-Matrix erfüllt, taugt zum "Ereignis-Konstrukt" – aber nur jene Ereignis-Konstrukte und damit auch die ihnen zugrundeliegenden Texte sind in sich selbst narrativ, in denen die temporale Ordnung sich nicht auf die reine Sequentialität der symbolischen Zeichen reduziert.
Nach dem Spiel ist vor dem Spiel : erzähltheoretische Bemerkungen zur Fußballberichterstattung
(2002)
Gewiß, ein Spiel dauert 90 Minuten. Aber über ein Fußballspiel zu reden, dauert viel länger. Das Reden beginnt mit Vorberichten und Prognosen, es begleitet das Spiel mit Beschreibungen und Kommentaren, es setzt sich nach Spielende in Zusammenfassungen und Erklärungen fort. Wenige Ereignisse unseres Alltags werden in den Medien so ausführlich besprochen wie Fußballspiele. Allem Anschein nach haben Millionen von Fußballfreunden nicht nur das Bedürfnis, Fußballspiele zu sehen, sondern auch, das Geschehen auf dem Rasen zu erzählen und erzählt zu bekommen. Wer samstagnachmittags ein Bundesligaspiel im Stadion miterlebt, diskutiert in der Regel nach dem Schlußpfiff mit Freunden über das Spiel, sieht sich abends den Fernsehbericht an und liest am Montag auch noch die Reportage im Sportteil seiner Zeitung. Was leistet das schier endlose Reden über Fußball im Freundeskreis und in Fernsehen, Radio, Zeitungen und Illustrierten? Sehr allgemein gesagt, transformiert es das physische Geschehen auf dem Rasen in einen Gegenstand der Kommunikation. Wie lassen sich aber Verfahren und Funktionen dieser Transformation genauer beschreiben? Der folgende Beitrag gibt eine Antwort aus erzähltheoretischer Sicht. Er untersucht, wie Fußballspiele in simultaner Berichterstattung im Radio und retrospektiv in der Zeitung erzählerisch rekonstruiert werden. Zuvor seien einige narratologische Begriffe und Unterscheidungen eingeführt, um mit ihnen Fußball-Erzählungen an einem Fallbeispiel analysieren zu können.
Der wesentliche Grund, aus dem auch die neueren Theorien der Erzählanalyse, genauer: die Konzepte zu Perspektive oder 'Fokus', letztlich und d. h. insbesondere in ihrer Anwendung unbefriedigend bleiben, scheint mir darin zu liegen, dass sie immer noch dem Erzähler Prädikate statt dem Autor Strategien zuschreiben. Es ist hier nicht der Ort, mit einer akribischen Revision der Forschung zu beginnen, ich beschränke mich daher auf einige hoffentlich exemplarische Beobachtungen, um so mehr Zeit für meine eigentliche Aufgabe, nämlich die Präsentation meiner Vorstellungen, zu haben.
I shall take a look at a cluster of problems: the relation between fictional and actual worlds, between fictionality and narration, between action and rationality, between action and agent or subject, and between world, enunciation and subject in light of two important theoretical works, both from 1991. My choice of references is not entirely arbitrary: their basic approach shows certain similarities that underline the shortcomings of both in dealing with literature, in spite of the stimulating arguments they unfold. But they also show marked differences that allow us to develop their argument further. The books are Paisley Livingston's 'Literature and Rationality' and Marie-Laure Ryan's 'Possible Worlds, Artificial Intelligence, and Narrative Theory'.
Narrative Kommunikation
(2004)
"Eine engere Zusammenarbeit von hermeneutischen und stärker empirischexperimentell ausgerichteten Humanwissenschaften scheint endlich möglich geworden zu sein. Liegt ein sprachliches Phänomen vor, das mit rhetorischen Begriffen als Metonymie bezeichnet wird, so kann die Produktion und Verarbeitung eines solchen Textelements mit kognitionswissenschaftlichen Methoden untersucht und können die komplexen Inferenzprozesse rekonstruiert werden, die das Verständnis von den sehr unterschiedlichen Phänomenen, die darunter fallen, erst genauer ermöglichen. Dies führt notgedrungen zu einer immer stärkeren Verlagerung der Aufmerksamkeit vom Text zur Rezipientenseite, ist also Teil eines allgemeineren Trends, der auch die Literaturwissenschaft seit der Rezeptionsästhetik prägt."
Ich möchte beim Versuch einer Redistribution der narratologischen Parameter ausgehen von den Instanzen des Erzähltextes, also dem (implizierten) Autor, dem Erzähler oder den Erzählern, den Figuren und den Adressaten der Erzählung. Mittlerweile liegen zahlreiche Modelle vor, mit denen die Relationen zwischen diesen Instanzen repräsentiert werden. Eine solche Modellierung der Kommunikationssituation ist indessen nicht das, worauf ich im folgenden mein Interesse richten will. Im Blick soll hier vielmehr der Erzähltext selbst sein, an dem vorerst zwei Relationen zwischen seinen Instanzen den Gegenstand einer systematischen Analyse bilden können. Die erste Beziehung wäre die des (implizierten) Autors bzw. seines Erzählers zum Leser, die zweite dann die des Erzählers (oder der Erzähler) zu seiner (bzw. ihrer) fiktiven Welt und zu seinen (bzw. ihren) 'personnages' ('Figuren').
Allwissendes Erzählen
(2004)
›Allwissendes Erzählen‹ und ›allwissender Erzähler‹ gehören zu den literaturwissenschaftlichen Begriffen, die viel gebraucht, aber selten definiert werden. Wer in den einschlägigen erzähltheoretischen Hand- und Einführungsbüchern nach diesen Stichworten sucht, tut es häufig vergebens. [...] Einerseits wird der Begriff des allwissenden Erzählens im literaturwissenschaftlichen Sprachgebrauch offenbar in einem erkenntnistheoretischen Sinne verwendet – es geht um ein durch keine empirischen Bedingungen begrenztes Wissen. Wenn allwissendes Erzählen aber in systematischer Verknüpfung (oder gar synonym) mit auktorialem Erzählen gebraucht wird, dann steht in der Regel ein anderer Aspekt im Vordergrund […]. Der Ausdruck ›auktorialer Erzähler‹ bezeichnet seit Stanzel einen persönlichen heterodiegetischen Erzähler, d.h. 'einen Erzähler, der zwar nicht der erzählten Welt angehört, aber eine individuelle Einschätzung und Bewertung des Erzählten zum Ausdruck bringt und dadurch ein bestimmtes ideologisches oder moralisches Profil gewinnt.' […] Trotz [einer] zeitweisen historischen Koppelung von allwissendem und auktorialem Erzählen handelt es sich jedoch um zwei systematisch voneinander unabhängige Aspekte, die in der Literaturgeschichte keineswegs immer gemeinsam auftreten. Im folgenden gehe ich nicht auf die moralischen Aspekte auktorialer Erzählerfiguren ein, sondern beschränke mich auf die erkenntnistheoretischen Besonderheiten allwissenden Erzählens.