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Das Aussterben durchdenken? : Begegnungen mit verlorenen Spezies im naturhistorischen Diorama
(2020)
Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit der Frage, welche Rolle das naturhistorische Diorama gegenwärtig spielen kann bei dem Versuch, das Aussterben der Spezies im Verlauf des aktuell zu diagnostizierenden sechsten großen Massensterbens der Arten zu zeigen und den damit verbundenen Verlust von Biodiversität vor Augen zu führen. Es geht darum zu erkunden, ob sich Dioramen auch gegenwärtig trotz aller kritischen Vorbehalte gegen illusionistische Inszenierungen als geeignete museale Präsentationsform begreifen lassen, insbesondere inwiefern es gelingt, in den Dioramen ausgestorbene oder bedrohte Spezies zu zeigen und deren jeweilige Bedeutung innerhalb der Mensch-Tier-Beziehung zu beleuchten. Wie wirkt das aus dem 19. Jahrhundert ererbte Habitat-Diorama, so wäre zu eruieren, heutzutage in Kombination mit anderen Dispositiven und Diskursen, wenn es in neuere Ausstellungskonzepte eingebettet ist. Dienten die betreffenden Exponate früher als Objekte der wissenschaftlichen Forschung vor allem einer klassifizierenden wissenschaftlichen Systematik, so übernimmt ihre Zurschaustellung schrittweise neue Aufgaben, insbesondere diejenige einer ökokritischen Erinnerungskultur. Das Diorama kann mitunter im Zeichen einer gestörten und verweigerten, einer dem Betrachter letztlich vorenthaltenen Ganzheit stehen, denn es stimuliert eine unterbrochene Interaktion des Rezipienten mit den vorgestellten taxidermischen Exponaten. Die im Diorama zur Schau gestellten Tiere bzw. Spezies haben sich weitgehend der Verfügbarkeit entzogen. Sie sind nicht mehr lebendiger Teil einer Mensch-Tier-Beziehung in einem ökologischen Akteur-Netzwerk oder einer anderen natürlichen Konstellation. Die ausgestellten Welten des Dioramas oszillieren aufgrund der beschriebenen Konstellation zwischen Wirklichkeit und Illusion, zwischen Präsenz und Abwesenheit.
In der ökokritischen Literatur- und Kulturwissenschaft wird zunehmend der Ruf nach einer intensiveren Methodenreflexion laut. Neben den künstlerischen und literarischen Darstellungsweisen rückt dabei in jüngster Zeit auch der Gesichtspunkt der Medialität verstärkt in den Blick. [...] In dem Maße, in dem der Modus der Darstellung bzw. das Wie der Gestaltung in der ökologischen Kulturwissenschaft gegenüber den jeweiligen politischen, naturwissenschaftlichen oder soziokulturellen Inhalten in den Vordergrund rücken, tritt auch die zentrale Bedeutung der Medien innerhalb einer komparatistischen Ökokritik deutlich zu Tage ebenso wie die Notwendigkeit der betreffenden Forschungsrichtung, die Medialität ihrer Gegenstände vermehrt zu berücksichtigen. Eine solche Medienreflexion kann auf verschiedenen Ebenen ansetzen und eröffnet ein weites Feld von lohnenden Fragerichtungen. Zu dem Spektrum einer derartigen Medienreflexion gehört unter anderem die im Folgenden näher zu diskutierende Frage, inwieweit sich im Blick auf die Mensch-Tier-Beziehung seit dem 19. Jahrhundert ein Medienwandel abzeichnet, insbesondere in Hinblick auf die wissenschaftliche Beobachtung und die Zurschaustellung von Tieren in den eigens dafür geschaffenen Kulturräumen des naturhistorischen Museums und des Zoologischen Gartens. [...] Es ist dabei wichtig, auch die Räume selbst und ihre jeweilige Architektur nicht allein als bloße Umgebungen oder Rahmungen zu betrachten, sondern als Medien sui generis zu begreifen und zu erkennen, dass sie bestimmte soziale und kommunikative Funktionen erfüllen. [...] Es wird daher unter anderem zu zeigen sein, inwiefern die naturhistorischen Museen und die Zoologischen Gärten solche räumlichen und medialen Beziehungsfelder aufweisen und inwieweit sie diese mit spezifischen symbolischen Bedeutungen überlagern.
Am 19. Juni 1787 erhielt der gebürtige Ire Robert Barker in Edinburgh ein Patent auf seine Maltechnik "nature at a glance" bzw. "la nature à coup d’oeil", das ihn in den darauffolgenden Jahren weltberühmt machen sollte. Sein erstes Rundbild, das diesem Konzept entsprechend fertig gestellt worden war, präsentierte er am 31. Januar 1788 in Edinburgh. Damals kannte noch niemand das Wort "Panorama", und kaum jemand ahnte wohl, dass diese Erfindung die Art und Weise der Wahrnehmung im ausgehenden 18. Jahrhundert grundlegend verändern sollte. Die Verleihung des Patents erlaubt eine Datierung - was äußerst wichtig ist im Streit darüber, wer als wirklicher Erfinder des Panoramas angesehen werden kann, denn in Deutschland beanspruchte Johann Adam Breysig diese Innovation für sich. Bemerkenswert dabei ist, wie Stephan Oettermann in seiner Monographie zu diesem Thema hervorhebt, dass die Zeitgenossen hier "eine Kunstform für eine technisch-naturwissenschaftliche Neuerung" hielten. Zwar war Robert Barker der Schöpfer des Malkonzepts, doch fehlte ihm noch der passende Name für seine Erfindung. Der Begriff "Panorama" tauchte dann zum ersten Mal in einer Werbeanzeige der Times vom 10. Januar 1791 aus Anlass von Barkers zweitem Rundbild auf, welches er gemeinsam mit seinem Sohn vollendet hatte. In einer Zeit technischer Neuschöpfungen war dieser Begriff nicht der einzige, der dem Griechischen entlehnt wurde, obwohl das Bezeichnete völlig neuartig war - andere Beispiele sind "Diorama" und "Pleorama", wie später dann "Telephon" und "Telegramm".
Bilder werden zumeist begriffen als erstens zweidimensional, flächig und in der Fläche durch ihren Rahmen begrenzt, und zweitens als ruhend, unveränderlich und unbewegt. [...] Bislang kaum entfaltet dagegen ist die - weder Bergson noch Deleuze besonders interessierende - Raumqualität der Bilder. Bilder werden weithin mit Zweidimensionalität verbunden. Auch räumliche Arrangements - Gegebenheiten oder Artefakte - jedoch können unter Bergsons Bildbegriff fallen, können die Wahrnehmung oder das Wahrgenommensein, unter das sie sich stellen, herbeiführen, ausstellen und operationalisieren. Ein flagrantes Beispiel dafür ist das Diorama, in Sonderheit das in Naturkunde-Museen zu findende Habitat-Diorama. Im folgenden werde ich ein Diorama exemplarisch analysieren, und zwar in Hinsicht auf ein von Deleuze anhand des Bewegungsbildes entwickeltes (doppeltes) Kriterium, nämlich dasjenige der Leere und der Fülle. Dies wird es möglich machen, Film und Diorama zu vergleichen, Eigenschaften des Bewegungs- und des Zeitbildes in verschobener Weise auch im Diorama wiederzufinden und zugleich markante Unterschiede zu beobachten. Zudem werden auch verschiedene Typen des Dioramas in ihrem Verhältnis zueinander und in ihren Übergängen konturierbar. Dabei werden auch in Sonderheit die Phänomene der Atmosphäre, der Indexikalität und der Evidenz relevant.