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Richtete sich das lange unter der Federführung von J.-Ph. Genet un d W. Blockmans betriebene Forschungsunternehmen zur »Entstehung des modernen Staates« vor allem auf die Epoche des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit aus, so nimmt der vorliegende Band einen strukturellen Vergleich ausgewählter Aspekte der Staatlichkeit des antiken Rom und des spätmittelalterlichen Europas in den Blick. Wie D. Nicolet in seiner Zusammenfassung treffend hervorhebt (S. 419–426, hier S. 420), wird dieser Vergleich ganz im Sinne der programmatischen Vorgaben des spiritus rector Genet (S. 3–14) vorrangig als Kontrastierung durchgeführt. Zwar verweisen einige Autoren auf mögliche Resultate einer Zusammenschau, grundsätzlich bleibt die komparative Synthese aber weitgehend dem Leser überlassen. Dieser kann sich zu ausgewählten "Strukturbereichen" – der Zeit(-wahrnehmung/-rechnung), der Raum(-ordnung), der Verwandtschaft, der (schriftlichen) Kommunikation und dem Recht – in jeweils gedrängten Synthesen und zuweilen auch in Fallstudien informieren. ...
So verlockend der Begriff der Grenze angesichts der Aufmerksamkeit sein mag, die er in mediävistischen Publikationen der letzten beiden Jahrzehnte genießt, als Kernvokabel des vorliegenden Bandes darf man ihn nicht allzu stark beim Wort nehmen: Zwar blicken die versammelten 18 Beiträge aus dem Zeitraum von 1919 bis 1993 immer wieder auf Phänomene, die stark durch die Verortung in geographischen und kulturellen Grenzsituationen geprägt sind. Als eigentliches Thema wird aber – der Ausrichtung der ganzen Reihe entsprechend, die auf ambitionierte 14 Bände angelegt ist – die "(latein-)europäische Expansion" zwischen 1000 und 1500 bestimmt, welche die Herausgeber als Vorstufe der modernen Globalisierung ausweisen (S. XII). Eingangs avanciert gleichwohl Frederick Turner mit seiner berühmten "frontier"-These zur Leitfigur, und seine Auftritte ähneln durchaus der Charakteristik, die Robert I. Burns in seiner prägnanten Zusammenfassung der aragonesischen Verhältnisse des 13. Jahrhunderts einleitend präsentiert: "... a kind of vampire, killed on many a day with a stake through his Thesis, yet ever undead and stalking abroad" (S. 53). ...
Eifrig, sorgfältig und beharrlich fügt Jacques Paviot mit seinen Publikationen seit Jahren Stein auf Stein, um so eines Tages das große Gebäude einer Darstellung französischer Kreuzzugspläne und -politik im späten Mittelalter vollenden zu können; wichtige Teile hierzu hat er bereits mit seinen Studien und Editionen zur croisade bourguignonne und da insbesondere zu den spektakulären Projekten und Unternehmen aus der Zeit Philipps d. Guten samt den über dessen Gattin Isabella laufenden Verbindungen mit Portugal geliefert (s. etwa Les ducs de Bourgogne, la croisade et l’Orient: fin XIV e –XV e siècle, 2003; vgl. Francia 32/1 (2005), 287–292 – La politique navale des ducs de Bourgogne 1384–1482, 1995; vgl. Francia 23/1 (1996), 335ff. – Portugal et Bourgogne 1384–1482, 1995; vgl. Zeitschrift für Historische Forschung 22, 1995, 544ff.). ...
In der recht strikt reglementierten Wissenschafts- und Universitätslandschaft Frankreichs gibt es ein Refugium akademischer Freiheit und Exzellenz, eine Art Super-"Institute for Advanced Study" und dies mit einer bis zu Franz I. und Guillaume Budé in das Jahr 1530 reichenden Tradition: das bereits früh an heutiger Stätte im Pariser Quartier latin ansässige Collège de France. Dessen gegenwärtig etwas über 50 Professoren – am Anfang standen lediglich "lecteurs royaux" für die klassischen Sprachen – obliegt eine einzige Aufgabe, ob es sich nun um Mathematiker, Naturwissenschaftler, Informatiker, Philosophen, Soziologen, Historiker und Philologen, um Astrophysiker, Assyrologen oder Psychologen handelt: das Wissen, wie es entsteht, zu lehren ("enseigner le savoir en train de se faire"). Solche Lehre erfolgt gratis et publice, sie führt weder zu Prüfungen noch zu Abschlüssen; im Idealfall eint Lehrende und Lernende reiner amor scientiae. Entscheidend für eine Berufung sind Gewicht und Originalität der wissenschaftlichen Persönlichkeit; deshalb können bei Emeritierung, Weggang oder Tod freigewordene Lehrstühle auf Initiative der kooptierenden Professorenschaft dem Arbeitsgebiet der gewünschten Kandidaten entsprechend umgewidmet werden. ...
Thomas Ott beschäftigt sich in seiner 2006 abgeschlossenen Dissertation mit dem albertinischen Sachsen und seinen politischen Wirkungskreisen im 16. Jahrhundert. Im Zentrum des Interesses steht die Frage, "was das albertinische Sachsen im Reich 'ausmachte', was es 'galt', wodurch seine Beziehungen zu anderen Ständen und zum Kaiser definiert waren" (6). Als zentrale Maßstäbe für die Einordnung Sachsens in das durch Kaiser und Reichsverband markierte Bezugsfeld werden in der Einleitung unter den Schlagworten "Präzedenz" und "Nachbarschaft" einerseits die Teilnahme an Reichsversammlungen und damit die Bedeutung von Session und Zeremoniell und andererseits das Erbeinungswesen herausgestellt. Bei Letzterem liegt der Fokus auf Erbeinungen zwischen Sachsen und Böhmen und der Frage, ob diese "langfristig für Einfluß bei Kaiser und Ständen sorgen konnten und wie sich dieser Einfluß bemaß" (27). ...
Mit "Europe Through Arab Eyes" hat Nabil Matar ein Buch vorgelegt, das nicht nur jeden Maghreb-Spezialisten, sondern auch jeden Westeuropahistoriker der so genannten "Frühen Neuzeit" faszinieren muss. Trotz des weiter gefassten Titels, der eine Beschäftigung mit der gesamten (ja nicht nur islamischen!) arabischen Welt suggeriert, befasst sich diese übersetzte Quellensammlung, die von einem ausführlichen Kommentar von immerhin 138 Seiten eingeführt wird, "nur" mit der Wahrnehmung Westeuropas durch maghrebinische Autoren des 16. bis 18. Jahrhunderts. Für Maghreb-Spezialisten bietet das Werk einen tiefen Einblick in die Konstruktion vielfältiger maghrebinischer Identitäten angesichts der intellektuellen und praktischen Auseinandersetzung mit Europa. Europahistorikern wiederum bietet der Band eine faszinierende Außenperspektive nicht nur auf wichtige Ereignisse der europäischen Geschichte (Niederlage der Armada, Vertreibung der Moriscos), sondern auch auf die europäischen, insbesondere britischen und französischen Beziehungen zum Maghreb dieser Periode (Botschafter in London, europäische Angriffe auf die nordafrikanische Küste), ebenso aber auch der Lebensverhältnisse in europäischen Städten (London, Pisa, Florenz, Neapel) etc. Chronologische Hilfsmittel in Form einer Liste wichtiger Daten und Herrscherdynastien sowie ein Register erleichtern den Umgang mit dem Werk. ...
Wohl kaum ein(e) Mittelalterhistoriker(in) kann umhin, bei der Lektüre des folgenden Satzes die Augen zu verdrehen: "Für alle, ob jung oder alt, gehören die Burgen zum 'schönen' Mittelalter" (S. 36). Eine solche Reaktion erklärt sich aus der Situation, in der wir Mittelalterhistoriker oft stecken: Kommentare wie, "Ich war vor kurzem auf einem Mittelaltermarkt/einer Burg. Das müsste Dich doch interessieren …" gehören wohl zum nichtwissenschaftlichen Alltag jedes Mitglieds unserer Spezies. Das ganze Studium über wurde man von Juristen, Politologen, Zeitgeschichtlern etc. belächelt, die dachten, sie würden die Welt verstehen, weil sie sich etwas intensiver mit den bundesrepublikanischen Gründervätern auseinandergesetzt hatten, einige UN-Abkürzungen mehr konnten und tatsächlich glaubten, mit der pax americana habe die erste Hegemonialmacht das Licht der Welt erblickt. Gerade als Mittelalterhistoriker(in) fällt einem immer wieder auf, wie viele Leute denken, sie hätten Verständnis für das Funktionieren menschlicher Gesellschaften, nur weil sie sich einen oberflächlichen historischen Überblick über das 20. Jahrhundert angeeignet haben. Nur selten sehen solche Leute, dass die Mittelalterwissenschaften – über Burgen und Ritter hinaus – massenhaft Themen zu bieten haben, ohne die unsere heutige Welt nicht verständlich wäre. Auf diesem Hintergrund erklärt sich die oben beschriebene, vorschnelle Reaktion auf Jacques Le Goffs Einführung ins Mittelalter für Kinder, die mit Rittern, edlen Frauen, Burgen, Kathedralen, Kaisern, Päpsten, Königen etc. aufwartet, dem klassischsten aller Mittelalterbilder. Denn gerade dieses Bild ist es, dass Nichtspezialisten über diese ach so archaische und primitive Zeit lächeln lässt, in der man ja tatsächlich noch auf Eseln oder Pferden ritt, noch religiös war und außerdem noch Hungersnöte kannte. Man sieht ja täglich in den Nachrichten, wie wunderbar wir die Probleme der Menschheit – viele schon im Mittelalter bekannt – in den Griff bekommen, wie weit wir uns von unseren "archaischen Wurzeln" entfernt haben …
Mit diesem umfangreichen Werk zur Rolle der bäuerlichen Gesellschaft im Gesellschaftssystem der fränkischen Welt des 6. bis 9. Jahrhunderts ist nicht nur der Versuch gemacht worden, Quellenstellen zu kompilieren, systematisieren und analysieren, sondern eine anthropologisch begründete "vision totale" des Themas zu liefern. Dabei geht es dem Autor darum, das karolingische Gesellschaftssystem in seiner Gesamtheit (S. 9.) unter besonderer Berücksichtigung der Perspektive der bäuerlichen Welt zu behandeln (S. 14). Die Studie umfasst drei große Teile ...
Dieses Überblickswerk über die Geschichte der von Kampers ausdrücklich als Wisigoten bezeichneten Westgoten ist in einen historisch-erzählenden Teil (I–IV) sowie eine strukturelle Analyse des Reiches von Toledo (V) unterteilt, dem Kampers u. a. deswegen besondere Aufmerksamkeit widmet, weil es "im Standardwerk über die Goten von Herwig Wolfram nicht mehr behandelt wird" (S. 15). ...
Agelidis (A.) legt mit dem zu besprechenden Buch die überarbeitete Fassung ihrer Bonner Dissertation von 2004 vor. Berücksichtigt werden Denkmäler aus Athen, Attika, Oropos, dem böotischen Orchomenos, Delos und Thasos. Von anderen Orten bzw. aus anderen Landschaften seien keine von Choregen und Agonotheten errichteten Denkmäler bekannt. Wie A. betont, gab es seit dem Werk von Emil Reisch (Griechische Weihgeschenke, Leipzig 1890) keine zusammenfassende Untersuchung mehr zum Thema. ...