Refine
Document Type
- Article (17)
- Part of Periodical (3)
- Book (1)
Language
- German (21) (remove)
Has Fulltext
- yes (21)
Is part of the Bibliography
- no (21)
Keywords
- Habitus (21) (remove)
Auf den ersten Blick sieht es so aus, als würden die DH eine Nische besetzen. Tatsächlich jedoch dürfen sich die traditionellen Geisteswissenschaften in Bedrängnis fühlen. Nicht nur ist es für digitale Forschungsprojekte offenbar einfacher, an öffentliche Gelder zu kommen, die den tradi-tionellen Geisteswissenschaften dann fehlen. Die DH machen durch ihre wohl noch lange nicht ausgeschöpfte Fülle theoretischer Einsatzmöglichkeiten zudem ein Versprechen auf die Zukunft, das mit Erwartungen verbunden ist, die so vielleicht nicht erfüllt werden können. Untermauert wird dieses Versprechen mit einer rasant wachsenden Anzahl von Veröffentlichungen in diesem Bereich. Und möglicherweise ist es in den DH einfacher, in hoher Frequenz zu publizieren. Daher ist es nicht erstaunlich, dass seit einigen Jahren eine Debatte geführt wird, in der es um Kritik an der jeweils opponierenden Disziplin sowie um Zuschreibungen geht.
In der Medien- und Filmwissenschaft, von deren semiologischen Ansätzen sich Pierre Bourdieu scharf abgrenzt, wird sein Konzept der symbolischen Herrschaft vergleichsweise wenig rezipiert. Darin selbst sind einige blinde Flecken, die von Bourdieu nicht reflektiert wurden. Zu den blinden Flecken gehören zum einen die Nichtberücksichtigung der darstellerischen, ästhetischen wie narrativen Eigenlogiken des Films, zum anderen die Nichtberücksichtigung der Eigensinnigkeit der ZuschauerInnen in der Rezeption und Aneignung filmischer Inhalte, zwei Aspekte, die die symbolische Herrschaft des oder im Film unterlaufen können. Da Bourdieu weder Filme inhaltlich analysiert noch Rezeptionsstudien durchführte, wird fälschlicherweise von der Form auf die Schichten der ZuschauerInnen geschlossen. Im Anschluss an die zentrale Thematik der symbolischen Herrschaft (symbolischen Gewalt, symbolischen Macht) lassen sich diese Konzepte allerdings gewinnbringend auf die verschiedensten Dimensionen und Instanzen der medialen Analyse an der Schnittstelle zwischen Medien- und Filmwissenschaft sowie der Filmsoziologie, im Folgenden insbesondere die Soziologie des Films respektive die Soziologie durch Film, anwenden.
Die symbolische Dimension von Macht- und Herrschaftsverhältnissen galt Pierre Bourdieu als Schlüssel zum Verständnis sozialer Ungleichheit in demokratisch verfassten Gesellschaften. Wenngleich er die Bedeutung materieller Ressourcen nie in Frage stellte, sah er Strukturen sozialer Ungleichheit immer auch als Resultat von alltäglichen Bewertungskämpfen, in denen Klassifikationen und evaluative Praktiken eine zentrale Rolle spielen. Besonders anschaulich beschreibt Bourdieu diese Bewertungskämpfe im Feld der Musik. Denn die vermeintlich harmlosen und trivialen Vorlieben und Aversionen waren für Bourdieu nicht nur Ausdruck klassenspezifisch geprägter Lebensstile, sondern auch ein probates Mittel zur Legitimation und Reproduktion sozialer Herrschaftsverhältnisse.
Zunächst wird kurz in Bourdieus Konzept der symbolischen Herrschaft eingeführt und dessen Stellung im Kontext seiner Theorie der Praxis verdeutlicht. Da Bourdieu sein Verständnis der symbolischen Reproduktion des Sozialen insbesondere in Bezug auf die Sprache entfaltet, wird in einem zweiten Schritt auf seine sprachsoziologischen Arbeiten eingegangen. Dabei wird das Problem der Betonung der statischen Reproduktion sozialer Ordnungen adressiert. Im dritten Abschnitt erfolgt eine Kritik und Erweiterung von Bourdieus Perspektive im Anschluss an Judith Butler, die in "Haß spricht" eine Theorie zur Resignifikation sozialer Klassifikationen entwickelt hat und sich dabei von Bourdieus Sprachsoziologie abgrenzt. Sie betont im Unterschied zu Bourdieu die Möglichkeit der Verschiebung symbolischer Machtverhältnisse. Im Fazit werden die beiden Positionen vergleichend diskutiert und Ansätze einer Theorie sozialer Iterabilität herausgearbeitet.
Innerhalb der Soziologie nimmt die Thematisierung von Makrogewalt, von kollektiven Gewaltphänomenen und Krieg sowie den darin involvierten Akteuren einen marginalen Stellenwert ein. Doch stellen nicht nur detaillierte soziologische Untersuchungen von Makrogewalt sowohl auf der System- als auch auf der Akteursebene ein Forschungsdesiderat dar. Ebenso gibt es im Hinblick auf die neuere Emotionssoziologie – neben einigen gut erforschten Bereichen – verblüffende Leerstellen, wie die Thematisierung von Erfahrungen in militärischen Verbänden sowohl im Krieg als auch im Frieden. In soziologischer Perspektive ist das Militär eine "Organisation zur kontrollierten und effizienten Anwendung von Gewalt", wobei die "militärische Gehorsamsproduktion […] in letzter Instanz darauf ausgerichtet [ist], diese Gewaltanwendung im Krieg, und hier vor allem in der Schlacht, zu gewährleisten". Der stark hierarchisch gegliederten Organisation liegen "zwei unterschiedliche Strukturprinzipien zugrunde: das vertikale Prinzip von Befehl und Gehorsam und das horizontale der Kameradschaft" .
Im Folgenden wird die Hypothese vorgestellt, dass Johann Nestroy (1801–1862) - der populäre Wiener Volksdramatiker, Volksschauspieler und Theaterdirektor - in seinem Unterhaltungstheater das bürgerliche Subjekt und seine Kultur dekonstruiert. Damit einher geht die Entlarvung der ideologisch aufgeladenen bürgerlichen Geschlechterordnung als soziale Konstruktion. Diese Annahmen werden anhand dreier Possen erläutert: 'Eine Wohnung ist zu vermiethen …' (Uraufführung 1837), 'Liebesgeschichten und Heurathssachen' (UA 1843) und 'Das Gewürzkrämer-Kleeblatt' (UA 1845).
Nachdem der erste große Krieg der Moderne Ende Juli 1914 seinen Anfang genommen hatte und innerhalb weniger Monate immer mehr Nationen in ein Kampfgeschehen von bis dahin unerreichtem Ausmaß eingetreten waren, ließ es sich – so wird in ausgewählten Puppenspielen der Zeit berichtet – alsbald auch ein altbekannter Spaßmacher und berühmtberüchtigter Spitzbub nicht nehmen, im weltumspannenden Kriegsgetümmel mitzumischen. Mit dem Kasper(l) unserer Tage, der wohl in vielen Menschen kraft seiner herzerwärmenden Kindlichkeit und seiner schalkhaften Harmlosigkeit Assoziationen an die eigene Kindheit hervorruft, hat der Lustigmacher des Ersten Weltkriegs wenig gemeinsam. Vorausgeschickt sei an dieser Stelle ein wesentlicher Aspekt: beim Kriegskasper(l) der Jahre 1914 bis 1918 handelt es sich nicht um eine für ein Kinderpublikum konzipierte Figur. In weiterer Folge differieren beispielsweise die Inhalte, die Figurenkonzeption oder die Darstellungsmittel in erheblicher, ja mitunter frappierender Weise von dem, was der unbedarfte Rezipient von heute sich vermutlich von einem Kasper(l)theater erwarten würde. Zum Gegenstand wissenschaftlicher Forschungen wurde der Spaßmacher des Ersten Weltkriegs allerdings äußerst selten erklärt: Sowohl die Literatur-, die Theater- und die Sprachwissenschaften als auch die historisch-volkskundlichen Disziplinen schenkten diesem Randphänomen des Literatur- und Kulturbetriebs bisher spärlich Beachtung. [...] Programm und zugleich Ziel dieser Masterarbeit ist eine Annäherung an das Phänomen des Kasper(l)s der Weltkriegszeit auf mehreren Ebenen unter Rückgriff auf ein interdisziplinäres Instrumentarium, wobei der philologische Zugang zu den Primärtexten durch die zusätzliche Einbeziehung sozialhistorischer wie auch soziologischer Theorien und Methoden maßgeblich bereichert werden kann. Diese fächerübergreifende Herangehensweise wurde gewählt, da die Kasper(l)stücke der Weltkriegsjahre 1914 bis 1918 eine Fülle von Anspielungen auf politische Ereignisse und soziale Zustände in sich bergen wie auch auf ihre sehr spezifische Weise die Gesellschaft bzw. die nationale Gemeinschaft der damaligen Zeit samt ihren Charakteristika, Anforderungen und Problemen widerspiegeln.
In Musils essayistischem Erzählstil hat die Erzählinstanz - mehr noch als direkte oder indirekte Figurenrede und Bewusstseinsdarstellung in Form von innerem Monolog oder erlebter Rede - tragenden Anteil an der erzählerischen Figurencharakterisierung. Wie Gunther Martens in seiner narratologisch ausgerichteten Analyse des "Mann ohne Eigenschaften unlängst gezeigt hat", existieren "bei Musil sehr viele erklärende Hinweise auf das Ungewusste und das Unbewusste der Figuren, wobei es sich eher um ein soziales als um ein psychologisches Unbewusstes handelt." Die im Folgenden unternommene Sozioanalyse der in ihrer Relevanz für den gesamten romanesken Handlungsaufbau bisher meist unterschätzten Figur des Generals Stumm von Bordwehr kann über weite Strecken direkt auf die Bemerkungen der Erzählinstanz zurückgreifen und die erhaltenen Informationen durch eine angemessene Berücksichtigung indirekter Charakterisierungsformen sinnvoll ergänzen, denn "Musil charakterisiert seine Nebenfiguren vor allem über ihre unfreiwilligen Tics, Reflexe und Gewohnheiten." [...] Aus den Überlegungen sollte insgesamt Folgendes ersichtlich werden: Die umsichtige literarische Gestaltung eines "zivilen Habitus" sowie das damit einhergehende tölpelhafte Auftreten des "unmilitärischen" Generals, der als Vertreter der "Pastoralmacht" im Romankontext eine figurale Verkörperung des "strukturellen Herrschaftsmodus" der Moderne darstellt, ermöglichen Stumm von Bordwehrs Funktion als "tätiges Werkzeug" des kakanischen Militarismus bzw. als Vertreter der "auf den Krieg hinarbeitenden gesellschaftlichen Kräfte". Mit dieser subtilen literarischen Habitusformung gelingt Musil nicht nur eine erzählerisch überzeugende Motivierung des geplanten romanesken Handlungsverlaufs, sondern zudem eine bestechende Analyse entscheidender sozialer Entwicklungstendenzen des 20. Jahrhunderts.
Aus historischen Analysen geht hervor, dass das Offizierskorps der österreichischen Armee nach der März-Revolution 1848 gesellschaftlich abgekapselt und isoliert war und dabei einen militärisch-aristokratischen Habitus entwickelte, der zu dem bürgerlichen in scharfem Gegensatz stand. Der Korpsgeist orientierte sich am Adel, obwohl gerade der Hochadel sich eher mit den Großbürgern zu arrangieren begann und Heiraten zwischen dem niedrigeren Militäradel und Angehörigen des Hochadels kaum vorkamen. Die Masse der Offiziere wurde bürgerlich und bitterarm, auch zu arm, um heiraten zu können; aber feudale Denkungsart gab den Ton an, ausgenommen in den technischen Waffengattungen der Artillerie und des Pionierwesens, in denen bürgerlicher Wissensdurst vorherrschte. Es entsteht ein in mancher Hinsicht recht paradoxes Bild vom österreichischen Offiziershabitus: das eines Mannes der "Praxis", der eher "grob" ist, für den Exerzieren und Reglement, somit "Disziplin" im engsten Sinne, am wichtigsten sind, der aber trotz aller Tapferkeit auf dem Schlachtfeld zu strategischer Entschlossenheit und schnellem Entscheiden nicht in der Lage ist. Warum das so ist, ist nicht ohne weiteres zu klären. Neben sogenannten "Ego-Dokumenten" ist es vor allem belletristische Literatur, von der man sich einigen Aufschluss erhofft. Insbesondere kann die Literatur helfen, jene Gefühle darstellbar zu machen, die zur Disposition männlicher Todesbereitschaft auch schon im Frieden beitragen, wobei dem Paradoxon des Nebeneinanders von tollkühner "Schneid" und Entscheidungsschwäche wie Passivität im habsburgischen Habitus nachgespürt werden soll.
Bourdieu sah sich vor die Aufgabe gestellt, die Vorstellung einer totalen Freiheit des Individuums, die ihm als eine Projektion der privilegierten Situation der Intellektuellen erschien, zu überwinden, ohne ins Gegenteil zu verfallen, in die Vorstellung einer völligen Determination des Menschen, die freilich nicht mehr biologisch bestimmt wurde wie zu Zeiten des Positivismus im 19. Jahrhundert, sondern eher kulturell als Determination durch Diskurssysteme, ökonomisch durch wirtschaftliche Verhältnisse, sozial durch Klassenstrukturen. Es ging ihm darum, die Erfahrungen der Akteure in ein Erklärungsmodell ihres Handelns zu integrieren. [...] Bourdieu gelangte zu der Erkenntnis, dass Handeln nicht bloß Vollzug einer Regel ist. Auf der Basis seiner Dispositionen kann ein Akteur „Spielzüge“ durchziehen, die nicht vorhergesagt werden können. Es galt, das Paradox zu beschreiben, dass ein Verhalten auf Ziele gerichtet sein kann, ohne bewusst durch sie geleitet zu sein. Der Rekurs auf das Bewusstsein des Akteurs kann hier nicht weiterhelfen, das Prinzip der Regel ebenso wenig. In seinen frühen Arbeiten griff Bourdieu auf Max Weber zurück, der auch die Beziehung zwischen den objektiven Chancen und den subjektiven Erwartungen thematisierte. Er bezog sich zunächst auf den Weberschen Begriff des Ethos, um die Verinnerlichung objektiver Beziehungen zu bezeichnen. [...] Dann aber wird der Begriff des Habitus für ihn zu einer zentralen Kategorie. [...] Bezog Bourdieu den Begriff des Habitus zuerst auf Körpertechniken, so weitete er dieses Konzept später auch auf intellektuelle Wahrnehmungsweisen (in ihrer kollektiven Form) aus.