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Der Mythos des Sklavenführers Toussaint Louverture aus der ehemals reichsten französischen Kolonie Saint-Domingue, der durch sein Wirken während der Haitianischen Revolution (1791-1804) den Weg zur Unabhängigkeit Haitis ebnete, erfuhr in der Zeit der französischen Romantik eine Transformation. Wurde er von aus Frankreich stammenden Zeit- und Augenzeugen noch überwiegend als grausamer und ungebildeter Afrikaner dargestellt, der die Franzosen um ihre schönste Kolonie gebracht hatte, wird Toussaint Louverture von Honoré de Balzac, François-René de Chateaubriand und Germaine de Staël als Widerpart Napoleons in Szene gesetzt. Diese neue Funktionalisierung des haitianischen Revolutionsführers wird im Beitrag herausgearbeitet und es wird mithilfe des historischen Kontexts der Frage nachgegangen, welche Gründe die Schriftsteller zu einer solchen Transformation Toussaints motivierten.
Ist das Schwert, das der Braut vom Mann aus Okinawa überreicht wird, das zentrale Symbol für den Mythos, der in KILL BILL erzählt und zugleich dekonstruiert wird, so lassen sich an der Geschichte des Schwertes auch die wesentlichen Stationen des Handlungszusammenhangs aufzeigen, der Tarantinos vierten Film kennzeichnet. Die folgenden Überlegungen konzentrieren sich - neben Exkursen zu Homer und der ganz anderen Begegnung von fernöstlicher und amerikanischer Tradition im Kino Takeshi Kitanos und nach grundsätzlichen Überlegungen zur Affektpolitik des Films - zunächst auf das vierte Kapitel des Films, um anhand der Leitmetapher des Schwertes den Remythisierungstendenzen des Films nachzugehen und deren Dekonstruktion aufzuzeigen.
Heilige Texte im modernen Japan? : das "Kojiki" im Blick von Ōkura Kunihiko und Tsuda Sōkichi
(2017)
In räumlicher Erweiterung der Frage nach 'heiligen Texten' in der Moderne sei der Blick auf Japan gerichtet. Denn nicht unerheblich sind Überlegungen darüber, ob es sich beim 'heiligen Text' um eine über Europa hinaus anwendbare Denkfigur handelt, die auch Perspektiven für transkulturelle Forschungen eröffnet. Japan bietet durch seine lange, wechselvolle Erfahrung im Umgang mit anderen Kulturen einen idealen Fall für transkulturelle Vergleiche an, mit denen sowohl die Verhältnisse in Japan näher beleuchtet als auch zugleich die eigenen Ausgangsbedingungen hinterfragt werden können. Wie es dazu kam, dass gerade das 'Kojiki' zum exemplarischen 'heiligen Text' in Japan avancierte und welchem geistesgeschichtlichen Kontext diese Wahrnehmung verbunden ist, sei im Folgenden näher erläutert.
Carmens Passion
(2010)
Carmen stirbt in der Stierkampfarena von Sevilla; doch die Geschichte ihrer Passion beginnt früher. Was Prosper Mérimée und Georges Bizet - als Novelle und Oper - gestaltet haben, ist ein Thema des 19. Jahrhunderts, dessen Wurzeln bis auf die Wände paläolithischer Kulthöhlen zurückverfolgt werden können.
Patriotismus ist ein hybrides Phänomen, dessen Elemente eine sehr unterschiedliche Genese haben. Im Folgenden sollen vor allem die beiden gewichtigsten Bestandteile diskutiert werden, indem die semantischen Reihen von "Heim"/"Heimat" und "pater"/"patria" beleuchtet werden. In ihren semantischen Feldern überkreuzen sich mythische und etymologische Spuren.
[W]elche Rolle spielen […] Mythen in der Literatur? D.h. welche Funktionen sind mit der Rezeption von Mythen verknüpft? Diese allgemeine und einfache Fragestellung wird im Rahmen der vorliegenden Arbeit dahingehend präzisiert, dass die Bedeutungsgehalte der Mythenkomplexe in den beiden Nachkriegsromanen 'Hamlet oder Die lange Nacht nimmt ein Ende' (1946) von Alfred Döblin und 'Nekyia. Bericht eines Überlebenden' (1947) von Hans Erich Nossack auf ihre Affinität zum Geschlechteraspekt hin befragt werden. Dieser Ansatz bietet sich ganz besonders an, weil Mythen als Teil des kulturellen Gedächtnisses und somit als kulturelle Repräsentationsformen überhaupt Geschlechterverhältnisse sowie Geschlechterrollen mitprägen und demzufolge bei der Erzeugung der Geschlechterdifferenz mitbestimmend werden. Diese beiden Romane behandeln zunächst zeitgeschichtliche Problemfelder, d.h. sie setzen sich primär mit der Kriegs- bzw. Schuldfrage auseinander. Allerdings erfährt diese Fragestellung eine tiefgreifende Transformation, denn bemerkenswerterweise werden hier mithilfe der Rezeption von bestimmten Mythenkomplexen Geschlechterdiskurse, genauer Weiblichkeitsdiskurse zum Tragen gebracht, die der anfänglichen Thematik von Krieg und Schuld einen gänzlich anderen Akzent verleihen.
Im Folgenden soll es zunächst darum gehen, den Mythos aus kulturwissenschaftlicher sowie mythostheoretischer Perspektive einzuordnen. Anschließend werde ich mich auf die Analyse der genannten Romane konzentrieren.
Die Grimms, Wagner und wir
(1988)
Wenn [Jacob] Grimm in seiner frühen Schrift „Über Mythos, Ethos und Geschichte“ das Verhältnis von Mythos zur Geschichte als das des Schicksals zur Freiheit deutet, so hat gerade in der „Deutschen Mythologie“ die Tür dafür geöffnet, umgekehrt den Mythos als Möglichkeit zur Freiheit zu verstehen, als Spiel und nicht als Terror (...). Jacob Grimm war, wenn nicht der Reflexion, so doch der Sache nach Prästrukturalist, und damit machte er die aktive Mythenkonzeption und -produktion für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts möglich und – vermittelt vor allem durch den Mythenbaumeister Wagner und die permanente Auseinandersetzung mit seinem Werk – auch für unsere Zeit.
Wagners „Ring“ teilt mit dem „Nibelungenlied“ anscheinend eine nahezu unendliche Interpretierbarkeit. Durch seine brüchige literarische Gestalt ist das „Nibelungenlied“ für immer neue aktualisierende Sinngebungen offen, wie sich in seiner Funktionalisierung in unterschiedlichsten Zusammenhängen der kulturellen und politischen Geschichte zeigt. Wagners „Ring“ hingegen erreicht diese Offenheit bewußt durch sein kalkulierte mythische Uneindeutigkeit. Bei aller Verwurzelung im ‚Mythos des 19. Jahrhunderts’ sind doch dessen Vorgaben absichtlich nicht so stringent umgesetzt, daß nicht andere, immer neue Auslegungen möglich wären.
Unter den Fragen zum Themenkomplex Mythos und Moderen gibt es eine, die sich verstärkt in der und die Literatur der Moderen stellt. Die zunächst rhetorisch anmutende Frage nämlich, ob die Dimension der Wahrnehmung der Welt, auf die der Mythos antwortet, mit dem Siegeszug der rationalen Denkform in der abendländische Kulturgeschichte obsolet wurde. In der Literatur der Gegenwart ist der Mythos - das ist evident - nach wie vor präsent, aber er hat eine andere Funktion bekommen: a) er zeigt uns nämlich nicht mehr ein einheitliches Bild der Welt, sondern ein fragmentiertes und widersprüchliches; b) er bleibt dennoch weiter - wenn auch demontiert und remythisiert - eine Basis der Kommunikation zwischen Autor und Zuschauer. Diese natürlich stark reduzierte Zusammenfassung vom Weiterwirken des Mythos in der Gegenwartskultur möchte ich anhand von zwei Texten pointiert belegen: "Philoktet" von Heiner Müller "Phaedra's Love" von Sarah Kane. Beiden Autoren, die der Herkunft und Ideologie nach so unterschiedlich sind, gelingen Visionen, die sich als totale Zergliederung von statuarisch mythischen Firuren konstituieren. In diesem Sinne wohnt beiden Texten eine destruktive Energie inne, die auf die Postmoderne verweist. Die Frage stellt sich, ob diese Kraft zu einer Form der Befreiung oder zu einer Auflösung des Subjekts führt. Ob diese Werke im Nirgendwo bleiben oder als Ankündigung einer neuen Avantgarde die ideologischen Fronten transzendieren.
Mit diesem Roman stellt sich Christa Wolf als starke "Intellektuelle" unter Beweis, dazu fähig, auf der Suche nach einer existenziell berührenden und das Bewußtsein formenden Wahrheit die Geschichte neu zu schreiben. Auf die Transparenz ihres Namens zurückgeführt, bringt diese Medea guten Rat, indem sie die archetypischen Prinzipien einer moralischen Klarheit wiederentdeckt, die sich - in Anlehnung an Rousseau - mit einer Rückkehr zum Natürlichen verbindet. Wie in "Kassandra" liegt der Akzent nicht auf der Praxis der Differenz, sondern auf der Humanisierung der menschlichen Beziehungen. Daraus entsteht eine dem theoretischen Feminismus gut bekannte Poetik binokularer Optik.