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Wissenschaft, so heißt es, sei ein Projekt, das auf Erkenntnis zielt. Damit verbunden ist die Vorstellung, daß wir heute mehr wissen als gestern und morgen mehr wissen werden als heute. Die Frage ist nur, ob sich das zu Erkennende auch in diese Gedankenfigur fügt. Wie müßten wir vorgehen, wenn jene weißen Flecken auf der Landkarte des Wissens, welche zu besetzen und zu füllen ein konsti-tutiver Bestandteil wissenschaftlichen Selbstverständnisses ist, eo ipso als Wirklichkeiten anzuerkennen sind, die unerkannte Möglichkeiten in sich bergen? Wie können wir diesen virtuellen Realitäten (im emphatischen Sinne der Prägung, nicht dem geläufigen, der auf einem technizistischen Mißverständnis beruht) gerecht werden, ohne sie durch den fixierenden Zugriff, das Aussagen und Ausmalen, Aufschreiben und Aufzeichnen ihrer Virtualität zu berauben? ...
Daß es nicht unbedingt die bewegten Bilder sind, die uns bewegen, sondern daß uns oft gerade das bewegt, was sich nicht bewegt, ist eigentlich eine triviale Alltagsbeobachtung. Sie bedürfte keiner weiteren Erörterung, wenn sie nicht in ein medienhistorisches Umfeld fiele, das alles daransetzt, sie zu falsifizieren. So stoßen wir heute häufig auf Bewegungsbilder, die unsere unwillkürliche Aufmerksamkeit affizieren und deshalb als Ursache für innere Bewegungen genommen werden, obwohl es nur Reaktionsmechanismen sind, die sich in der Habituation rasch abschleifen (D 00). ...
Wenn Søren Kierkegaard in den "Schriften über sich selbst" die eigene Gegenwart als "eine Zeit der Auflösung"l bezeichnet, die eine "Radikalkur" bedürfe, so markiert er damit zugleich seinen eigenen philosophischen Entwurf existenz-dialektischen Denkens. als ein Konzept, das im Horizont jener gesellschaftlichen Modernisierungsprozesse zu verorten ist, die im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts eine Neukonzeptualisierung des Denkens von Mensch und Welt unabweisbar fordern. Topisch geworden in diesem Sinne ist Karl Löwiths Rede vom "revolutionären Bruch im Denken des neunzehnten Jahrhunderts". Wie für viele seiner Zeitgenossen bildet dabei für Kierkegaard die Identitätsphilosophie Hegels den negativen Bezugspunkt. Während jedoch Theoretiker wie Marx in dem Sinne der Hegelschen Spur folgen, daß sie den Systemcharakter dieser ersten Theorie der Moderne beerben, ist es im Falle Kierkegaards gerade Hegels Verwissenschaftlichung der Philosophie, die zum Widerspruch herausfordert. Der Begriff der Verwissenschaftlichung bezeichnet dabei den Sachverhalt, daß die Philosophie in Gestalt einer objektivierenden Ontologie der Gegenwart dem Individuum keinerlei Handlungsorientierung mehr zu geben vermag. Kierkegaard problematisiert mit seiner HegelKritik also jene Grundtendenz der modernen Kultur, welche Max Weber als einen Prozeß der Ausdifferenzierung in füreinander gleichgültige Wertsphären und mithin als einen Vorgang der Dezentrierung der symbolischen Ordnung beschrieben hat.