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Nichts zeigt deutlicher als das Märtyrerdrama, wie sehr Theatralität und Darstellung dem Martyrium inhärent sind, wie aber auch die Figur des Märtyrers spezifische Formen von Theatralität generiert. Dem Märtyrer als Zeugen ist immer schon eine bestimmte Art des Zeigens eigen, er muss nicht nur leiden, sondern dieses Leiden auch zur Schau stellen. Im Fall des Schauspieler-Märtyrers gehen dabei Sein und Schein ineinander über, was man sowohl als Kritik der Scheinhaftigkeit und Eitelkeit der Welt lesen kann - wird doch selbst der Mensch hinter der Maske, der Schauspieler Philemon, als neue Maske entlarvt - als auch als Einbruch von Präsenz in diese Welt, der als Konversion dramatisiert wird. Auf diese zielt das Stück denn auch letztlich ab, denn das abschließende Bekenntnis des Arrianus ist über die Rampe hinweg an die Welt gerichtet: So wie der Schauspieler Philemon den Märtyrer Arrianus hervorbrachte, so soll das Schauspiel nun auch sein Publikum zur Konversion überreden, auf die das Jesuitendrama wesentlich abzielt. Das Martyrium wird, gerade wenn es theatral dargestellt wird, noch mehr Zeugen produzieren. Die Doppelfigur des Schauspieler-Märtyrers ist damit zugleich reflexiv und performativ, sie ist weder eine Auflösung des christlichen Ernstes in bloßes Spiel, noch eine bloße Authentifizierungsgeste des Theaters, weil sie sich eben als Doppelfigur einer solchen Profilierung entzieht und gerade in ihrer Doppeldeutigkeit höchst folgenreich für die europäische Theatralität der Neuzeit ist. Denn vermittelt über diese Figur schreiben sich Elemente der christlichen Tradition in das neuzeitliche Theater ein, die auch dort noch wirksam sind, wo sie nicht mehr direkt religiös semantisiert werden. Das gilt, wie im Folgenden zunächst allgemein umrissen werden soll, (1) insbesondere für das dem Märtyrer spezifische Verhältnis von Körper, Person und Wort, für die Beziehung von Theater zu seiner 'Wirklichkeit' und schließlich für den Raum des Theaters selbst oder für das Theater als Medium. Entfaltet werden kann das an einer Reihe von Stücken, die den Schauspieler als Märtyrer und den Märtyrer als Schauspieler behandeln: (2) an Lope de Vegas 'Lo fingido veradero' (gedruckt 1622), (3) an Jean Rotrous 'Le Veritable Saint Genest' (1645) und (4) an Desfontaines 'L’illustre Comedien' aus demselben Jahr. In ihrer motivischen und zeitlichen Nähe entfalten sie nicht nur die verschiedenen Möglichkeiten, die der Doppelfigur des Märtyrer-Schauspielers innewohnen, sondern zeigen auch bereits in nuce, dass die Theatralisierung des Märtyrers dessen religiösen Anspruch keineswegs relativiert, sondern ihn eher in sich einschließt.
Trotz einer kaum noch zu überschauenden Menge ikonographischer Studien zu einzelnen Heiligen und Ansätzen zu einer medienspezifischen Anschauung wie Cynthia Hahns Analyse der illustrierten Heiligenlegenden, fehlt eine nach verschiedenen Bildträgern, ihren Orten, Funktionen und Rezipienten differenzierende Bildgeschichte des Heiligen Leibes, die nach dem Verhältnis von Repräsentationsstrategien, Präsenzinszenierungen und narrativen und argumentativen Bildstrukturen und Rahmungen zu fragen hätte. Stattdessen gerät die Frage nach der Inszenierung von Gewalt bevorzugt und verengend in den Blick. Es sind vor allem Martyrien jungfräulicher Heiliger, die 'pars pro toto' für die Alterität mittelalterlicher visueller Kulturen zu stehen scheinen, in denen die Künste auf die Allgegenwart von Gewalt, Angst, Schmerz und Tod und auf eine schaulustige Betrachtermentalität reagiert hätten, "that did not shrink from blood and gore." Doch ein solches Spiegelverhältnis zwischen tatsächlichen Gewalterfahrungen und Bildproduktionen erscheint zu einfach gedacht, denn dargestellte Gewalt ist immer konstruierte, ästhetisch vermittelte Gewalt. Während die hagiographische Forschung zu einem differenzierteren Verständnis der Ästhetik und rhetorischen Funktion von Gewaltdarstellungen in Märtyrerinnenlegenden gelangt ist, sind die diesbezüglichen Leistungen der mittelalterlichen Bildmedien in der Kunstgeschichte noch nicht in vollem Umfang gewürdigt worden. Um diese formenden und sinnstiftenden Grenzziehungen gegenüber der an sich rohen Gewalt des Martyriums geht es mir auch im wahrsten Sinne des Wortes, denn ich suche sie an einer medialen Schnittstelle auf, dem Übergang eines Kopf- und Büstenreliquiars zu einer dem Körper ganz unähnlichen Sockelzone, in und an der Bilder u. a. darüber berichten können, wie die im Reliquiar geborgene Reliquie 'produziert' wurde.
In der Literatur jüdischer Autoren des letzten Jahrhunderts steht die Darstellung des Martyriums in drei spezifischen, sehr unterschiedlichen Kontexten: in Werken der literarischen Moderne, die die Übernahme der religiösen Traditionen verhandeln - hierzu gehört wohl auch noch Philip Roths Erzählung - im Umkreis der Literatur in und nach Auschwitz und in literarischen Texten zur Geschichte oder Befindlichkeit des Staates Israel. Am Beispiel eines literarischen Bezugs auf die Märtyrertradition aus jedem dieser Umfelder - im Werk Franz Kafkas, Nelly Sachs' und David Grossmans - gilt es nunmehr, jeweils die Korrelation von Verschriftung und interreligiösem Subtext herauszulesen.
Ziel des Beitrags ist es, am Musterfall von Andreas Gryphius' 'Catharina von Georgien' (1657) - einem der bedeutendsten Texte der europäischen Barockliteratur - die politischen Implikationen zu beleuchten, die das Leiden der Märtyrerin im Trauerspiel des 17. Jahrhunderts begleiten. Den Leitfaden bildet dabei das Konzept der politischen Körperschaft, das Ernst H. Kantorowicz als Element der theologischen Herrscherlehre des Spätmittelalters beschrieben hat. Im Trauerspiel von Gryphius ist der Leib der Märtyrerin, so die These, keineswegs nur das Sinnbild einer am Modell der 'passio Christi' ausgerichteten Leidensgeschichte, sondern zugleich ein 'body politic' mit mystischer Bedeutung. Gryphius erzeugt diese Koinzidenz, indem er die Rollen der Königin, die als Interimsherrscherin amtiert und die des Opfers, das für den christlichen Glauben auf dem Scheiterhaufen stirbt, zusammenführt. Catharinas Leidensgeschichte erfüllt eine politische Mission, denn die blutige Zeugenschaft, die sie durch ihre 'passio' ablegt, dient dem Zweck der Sicherung eines übergeordneten Systems der Macht, das sie stellvertretend für ihren Sohn als Thronerben im Interregnum repräsentiert. Den Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen bildet daher die Frage nach dem politisch-theologischen Hintergrund des Martyriums, das Catharina von Georgien bei Gryphius durchleidet.
Die Geschichte der Folter und die der Märtyrer, das zeigt nicht erst Gallonio, gehen Hand in Hand. Bereits im Mittelalter bezeichnete 'cruciatus' auch die Folter und die Pein, ebenso wie das mhd. 'Marter' aus dem Leiden Christi über das Blutzeugnis die Bedeutung Folter entwickelt hat. Rein begrifflich landeten somit die Passion und das Martyrium wieder dort, wo sie ihren Ausgang genommen hatten: in der Geschichte des Rechts und seiner Zeugen. Im Martyrium ist immer schon ein gewisser Juridismus am Werk: Es beginnt mit einer Konfrontation vor Gericht, vollzieht sich in einer spezifischen Verbindung von Zwang und Zeugenschaft und bezeugt zuletzt, in seiner eschatologischen Dimension, die Hoffnung auf eine weltgeschichtliche Wiederherstellung des Rechts. Vergleichbar aber sind Folter und Martyrium auch darin, dass sie beide 'diskursive Praktiken' im strengen Sinn darstellen: Beide bestehen in einem Sprechakt, der durch einen Akt körperlicher Gewalt beglaubigt werden muss. Erst unter der Folter kommt das Bekenntnis oder Geständnis ganz zu sich, und so sehr die Marter und das Martyrium gerade über die sprachlose Evidenz der Schmerzen 'sprechen' machen, so sehr produzieren sie weitere Diskurse: Zuvorderst entstehen Protokolle der peinlichen Befragung oder des Bekenntnisses; und zuletzt wird ein rechtsgültiges Urteil oder aber die kanonische Beurteilung darüber zu den Akten genommen, ob es sich um einen Pseudomärtyrer, um ein gescheitertes Martyrium oder um einen wahren Blutzeugen gehandelt hat. In beiden Fällen sind es Schmerzen oder Leiden, die positiviert und - nach Maßgabe einer weltlichen oder geistlichen Macht - in einer Wahrheit aufgehoben werden. Somit ist selbst jene Selbstautorisierung, die die 'confessores' der ersten Stunde auszeichnet, nur von Gnaden einer Diskursgewalt, welche rechtsgültige Verbrecher 'ex post' in Leidende ('pathontes') und diese in Zeugen ('martyres') verwandelt. Im Archiv der Märtyrer lässt sich dieses Zusammenwirken unterschiedlicher Diskurspraktiken schon am Grundstock der frühchristlichen Märtyrerakten studieren: Zuweilen als Briefe verfasst und als solche an die gesamte expandierende Christenheit adressiert, vermischen sie Augenzeugenberichte und Dokumente, Urkunden und Fälschungen, Glaubensunterweisungen und Erzählungen, Protokolle und authentische Textzeugen. Stets präsentieren sie eine juristische Fallgeschichte und statuieren aus ihr ein heilsgeschichtliches Exempel. Als Gallonios Kollegen an der Wende zum 17. Jahrhundert die Märtyrerakten historisch-kritisch bearbeiteten, vereinigten sie die verstreuten Textzeugnisse und brachten die diskursive Ordnung der Blutzeugnisse auf den neuesten Stand. Martyrologie ist so gesehen immer auch eine fortlaufend aktualisierte Ableitung der Heils- aus der Rechtsgeschichte.
Bilder von Gewalt, Krieg und Zerstörung steigen auf, wenn der Blick sich auf die arabische Welt richtet. Auch die arabische Literatur des 20. und 21. Jahrhunderts ist von diesen Themen geprägt. Nicht nur viele arabische Gegenwartsromane handeln von körperlicher und politischer Gewalt, von Zensur, Krieg, Verletzung der Menschenrechte und staatlichen Repressionen, auch in der zeitgenössischen arabischen Dichtung spielen diese Themen eine wichtige Rolle. Was hier auffällt, ist eine oft provokante Aufarbeitung von Krieg, Gewalt und Tod, in der das poetische Ich als pathetisch überhöhte Leidensfigur auftritt. "Leidend die Welt zu überwinden", dem erfahrenen Unrecht mit leidenschaftlichem "Gegenleiden" zu begegnen, diese von Erich Auerbach christlicher Weltfeindschaft zugeschriebene Lebenshaltung scheint auch das Motto vieler Gedichte arabischer Autoren zu sein. Die Qualen an sich und der Welt werden nicht selten apokalyptisch dramatisiert, das eigene tragische Ende erscheint als Selbstopfer und so letztlich als moralischer oder auch transzendentaler Sieg, bei dem der Autor sich als Christus am Kreuz, als Zarathustra oder Prophet und damit als Erlöserfigur imaginiert, umgeben von blutigen Horrorszenarien der Gewalt und Angst. Warum zeugen so viele zeitgenössische Gedichte, Romane und Dramen mit derart drastischen Bildern von Krieg, Gewalt und Tod, und welche Funktion haben diese Themen in der Literatur und in der Gesellschaft? Handelt es sich bei den oft pathetischen Selbststilisierungen um narzisstischen Manierismus und maßlose Selbstüberschätzung, oder sind sie vielleicht eine erschütternde, aber schlicht angemessene literarische Antwort auf eine kaum mehr zu ertragende, rücksichtslose und grausame Realität in der arabischen Welt? Um diesen heiklen Fragen auf den Grund zu gehen, sollen in diesem Beitrag einige Gedichte und einige literarische Grenzfiguren untersucht werden.
Angesichts des Schicksals ihrer Imame ist es kaum überraschend, dass die Schia den frühesten und expressivsten Märtyrerkult im Islam entwickelte: Die mutmaßlichen Gräber des zum Herrn der Märtyrer ('sayyid al-schuhada') verklärten Husain und seiner Gefährten bei Karbala entwickelten sich schon bald zu Anlaufstätten für Trauer- und Gedächtnisrituale ihrer Anhänger. Gemeinsam mit den Grabstätten der nachfolgenden Imame sowie denen vieler weiterer, männlicher und weiblicher, Nachkommen der Familie Alis wuchs hier im Lauf der Jahrhunderte ein regional weit verzweigter Märtyrer- und Heiligenkult heran, der an den schon in vorislamischer Zeit im Nahen Osten weit verbreiteten Totenkult anknüpfen konnte und maßgeblich dazu beitrug, die Oppositionsbewegungen der Schia in der lokalen 'Volkskultur' zu verankern. Die Tatsache, dass 'Frauen', vor allem durch rituelles Weinen, gerade beim Trauerkult eine herausgehobene öffentliche Rolle spielen konnten, scheint die Breitenwirkung dieser Bewegungen ebenso begünstigt zu haben wie die bedeutende Rolle Fatimas in der Legitimitätsstruktur der Schia. Obwohl die Figur Alis der zentrale politisch-theologische Angelpunkt der Schia ist und obwohl auch sein Tod alle Ingredienzien eines Märtyrertods enthält und mehrere schiitische Feiertage das Andenken des Herrschers der Gläubigen ('amir al-mu’minin') pflegen, sind die wichtigsten Rituale der Schia dennoch auf seinen jüngeren Sohn Husain ausgerichtet, dessen heroischer Untergang bei Karbala im Irak mit 72 seiner Verwandten und Gefährten gegen eine Übermacht von mehreren tausend Soldaten des Kalifen Yazid I. (reg. 680–683) bis heute mit ausgedehnten Gedächtnis- und Trauerfeiern begangen wird. Nicht zufällig wurden die religiösen Versammlungsräume der Schia unter dem Namen "Husainiya" bekannt.