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"Weiblichkeit im Werden" möchte die "Mädchengedichte" Rilkes, die hautpsächlich 1898 während seines Aufenthalts in Italien entstanden sind, mit der "Geburt der Venus" in Verbindung bringen und diskutieren. Letztere gehört zum Zyklus der "Neuen Gedichte" (1907) und reiht sich, 1903 in Rom geschrieben, in die Erzählgedichte "Hetärengräber", "Alkestis" und "Orpheus. Eurydike. Hermes" ein. Welchen Status, welchen Stellenwert haben die Mädchengedichte im poetischen Werdegang Rilkes, welche Thematik und "Topoi" lassen sich darin ausmachen? Und welcher qualitative Sprung trennt die "Mädchengedichte" der Frühzeit von der "Geburt der Venus"?
Rosen in Florenz
(2016)
Die zahlreichen Bezüge auf die Rosen bezeugen, dass die Rose eine entscheidende Figur für Rilkes Dichtung und Poetik ist und dass sich diese Thematik mit Kernpunkten bereits im Florenzer Tagebuch wiederfinden lässt. Auch in den in Florenz verfassten Gedichten lässt sie sich finden, zunächst noch im Anfangsstadium und erhält dann Eingang in seine späte Dichtung. Jedoch ist zu berücksichtigen, dass die Schaffensphase der Florentiner Dichtung noch im Schatten der monistischen Vision einer klaren romantisch-idealistischen Aszendenz steht und mit einer Betrachtung der Kunst verbunden ist, die noch von der "Ideologie eines künstlerischen Übermenschentums" geprägt ist. Eine Auseinandersetzung mit dem Thema der Rose in der Florentiner Zeit kann so nur unter Berücksichtigung der Aporien, Schwankungen und Zweifel in Rilkes Dichtung aus diesen Jahren gelingen.
Als Rilke am 5. April 1898 in Florenz ankam, war er bestens vorbereitet, um die Renaissance vor Ort zu studieren und ein Buch darüber zu schreiben. Belegt ist, dass er sich laut "Testierbuch" für das WS 96/97 in München eingeschrieben und bereits bei dem Kunsthistoriker Berthold Riehl eine Vorlesung zum Thema "Geschichte der bildenden Künste im Zeitalter der Renaissance" teilweise oder ganz gehört hat.
Es fing mit Erstaunen an. Fast noch bevor unser Lastwagen der amerikanischen Armee die Stadt erreichte, war alles vorbei. Alles war dagewesen, das uns an Rilke erinnerte: die Ponte Santa Trinità war da – oder sie war nicht mehr da. Alle Brücken waren im Krieg gesprengt worden – außer der Ponte Vecchio, der es, wenn auch auf beiden Seiten zerschlagen, erlaubt war zu leben. Der Arno – Rilkes Arno – floss nicht mehr voll und tief. Es war Hochsommer, und er floss enttäuschend flach.
Rilkes sogenanntes Florenzer Tagebuch ist kein in Florenz geschriebenes Tagebuch. Zum einen entstand der Text nur zum kleineren Teil in Florenz, zum größeren in Viareggio, weshalb schon Ernst Zinn vorgeschlagen hat, ihn in "Toskanisches
Tagebuch" umzubenennen. Zum anderen erinnert er nur rudimentär an ein Tagebuch. Anders als Rilkes Schmargendorfer oder Worpsweder Tagebücher enthalten die im Frühjahr 1898 verfassten Aufzeichnungen kaum Datumsangaben, sind nicht nach Schreibtagen strukturiert und verraten nur anfangs etwas über den Tagesablauf ihres Autors. Rilke nutzt das "in weißes Kunstleder mit eingeprägten Florentiner Lilien gebundene" Buch hauptsächlich – so lautet die Grundthese dieses Beitrags – als Schreiblabor.
Florenz spielte eine merkwürdige Rolle in Jens Peter Jacobsens Leben; die Stadt ist zugleich eine frühe, bedeutende Etappe in Rilkes Verhältnis zum dänischen Dichter. Ende des neunzehnten Jahrhunderts wurde und war Jacobsen berühmt, gerade als der junge Rilke sein Werk entdeckte, dem er wahrscheinlich auch nicht hätte entgehen können: In einigen der wichtigsten deutschsprachigen Zeitschriften ("Wiener Rundschau", "Ver Sacrum" und "Simplicissimus") erschienen Gedichte und Beiträge Rilkes neben Schriften von und über Jacobsen.
Von den drei Aufenthalten Rilkes in der toskanischen Hauptstadt ist der erste von 1898 umfangreich dokumentiert durch das Florenzer Tagebuch, das in der Vision vom einsamen Schöpfer, vom alleinstehenden Künstler-Übermenschen kulminiert. Diese Vision stellt gleichsam ein Lebensprogramm für den jungen, angehenden Dichter dar, der sich auch vor der Geliebten, Lou Andreas Salome, als Poet ausweisen will. Der viel kürzere zweite Aufenthalt von 1903 erfolgt zusammen mit Clara Westhoff auf der Reise nach Rom, wo Rilke dann bis Juni 1904 bleiben wird. Nur am Rande erwähnt werden soll der dritte Aufenthalt im Jahre 1909 – mit nur wenigen Stunden Fahrtunterbrechung in der Stadt handelt es sich eher um eine Durchfahrt.
Als Rilke beginnt, seine ersten Eindrücke über die toskanische Bildungsreise vom Frühling 1898 zu schreiben, scheint er sich bereits bewusst zu sein, was ihn dazu bewegt, die florentinische Renaissance kennenzulernen. Der Dichter – wie man beim Lesen im Florenzer Tagebuch erfährt – ist nicht auf der Suche nach einer typischen Landschaft für gelehrte Reisende. Was er entdecken will, und tatsächlich findet, ist ein "Stück" seiner "selbst".
Das Thema "Rilke und Dante" hat im Programm der Florenzer Rilke-Tagung keine Rolle gespielt; ganz im Sinne von Eva Siebels, die schon 1941 aus den Quellen geschlussfolgert hatte, dass Rilke die Stadt "nicht im Zeichen Dantes erlebt" habe. War aber Rilke nicht, als er am 5. April 1898 "Glücklich in florenz" angekommen
war, erstmals in der Stadt des Dichters, den er einen Monat zuvor als den Ahnherrn moderner Dichtung schlechthin gefeiert hatte?