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Ähnlich wie in "Beton" (1982), aber auch in früheren Texten, bildet das Scheitern eines Schreibversuchs den Brennpunkt des Romans "Das Kalkwerk" (1970). In beiden Romanen Thomas Bernhards kann man die wiederkehrende Grundkonstellation finden, in der es der Protagonist nicht schafft, das Werk seines Lebens zu verwirklichen. Der Grundgedanke in "Das Kalkwerk" ist bekannt: der Versuch, eine definitive Studie zu verfassen, die der Protagonist seit langer Zeit angeblich fertig und vollständig im Kopf hat, und die Unfähigkeit, ihren ersten Satz niederschreiben zu können. Seit zwanzig Jahren beschäftigt sich Konrad mit einer wissenschaftlichen und "durch und durch philosophischen Studie" mit dem Titel "Das Gehör" (TBW 3, 19), die von ihm die größte, ja fast unmenschliche Energie fordert. Wie häufig bei Bernhard endet eine solche Anstrengung mit einem Fiasko. In der Unfähigkeit und Unmöglichkeit, das vollkommene Werk zu verwirklichen, fängt Konrad seine Studie immer wieder von Neuem an, in einem unaufhörlichen Experiment bis zum definitiven Scheitern: "Obwohl er die Studie fertig im Kopf habe, denke er, er experimentiere immer weiter, um die Studie […] immer noch weiter zu komplettieren, zu vervollkommnen" (ebd., 100).
Es ist aber gerade ein solches 'Perfektionswollen', das die Niederschrift unmöglich macht. Als typischer Anti-Held Bernhards widmet Konrad seine Existenz sowie die seiner verkrüppelten und seit Jahren an den Rollstuhl gefesselten Frau, die paradoxerweise zugleich seine Halbschwester ist, dem Erstreben eines Sinnes, einer ihn "gänzlich ausfüllende[n] Aufgabe" (ebd., 66), die, gerade weil sie sich als 'die' Aufgabe ausgibt, zum Scheitern verurteilt ist. Die Niederschrift dieser wissenschaftlichen Studie wird von Konrad als eine Lebensnotwendigkeit und als existenzielles Bedürfnis erlebt. Wie er selbst gesteht, erfordert die Schrift über "Das Gehör" seine äußerste Aufopferung, sowie auch die seiner Frau (vgl. ebd., 17; Dusini 1986).
Ich möchte im Folgenden Flauberts gattungslosen Text der Tentation de saint Antoine – das 'Werk seines Lebens' ("oeuvre de ma vie") – als jenen metatextuellen Ort vorstellen, an dem Flaubert über Jahrzehnte hinweg den Status poetischauktorialen Sprechens experimentiert hat. Flauberts Antonius ist ein Wüsteneremit, der eine Nacht lang standhaft die seltsamsten dämonischen Erscheinungen abwehrt. Dabei nimmt der biblische Text insofern eine herausragende Funktion ein, als Antonius' Versuchungen durch die Lektüre der Heiligen Schrift allererst ausgelöst werden. Entscheidend ist aber, dass die anonyme Erzählstimme, die den Text präsentiert, Antonius nicht als jemanden darstellt, der vom Glauben (an die Heilige Schrift) abgefallen wäre, sondern als einen Eremiten, der temporär einer Halluzination erliegt. Damit bleibt der Antonius der Tentation ein christlicher Asket, der an die Heilige Schrift glaubt, womit er sich – und das macht die metapoetische Relevanz des Textes aus – der Modellierung desjenigen Romanciers widersetzt, der für seine Literatur das Göttliche beansprucht. Anders als Emma Bovary, die sich wegen ihres sentimentalischen Glaubens an die Schrift umbringt, und anders als Bouvard und Pécuchet, die dumm an den gleichen Wert aller Literatur glauben und die Schrift nur noch kopieren, legt Antonius eine absolute Resilienz im Glauben an die einzige Heilige Schrift an den Tag. Die Tentation de saint Antoine wirft damit ein neues Licht auf das moderne Erzählen im Zwischenraum von Religion und Literatur: Sie markiert – weder Heiligenvita noch Roman – einen theatralischen Ort an den Rändern der Literatur, an dem Erzähler und Figur sich ihre Positionen in einem agonalen Spiegelverhältnis abringen. Bezogen auf Flauberts paradoxes Autorkonzept des deus absconditus zeigt sie weniger dessen starke als dessen schwache Seite: Der Schreiber der Tentation ist ein Zweifler, der ganze Bibliotheken ins Spiel bringt, der der Heiligen Schrift ihr Heiliges entzieht und der seine Souveränität als narrateur von einer starken, widerständigen Figur immer wieder infrage gestellt sieht. Als narrativer deus absconditus ist er so unsichtbar, dass er von einer Rezeption, die die Antoniusfigur umstandslos als Maske des 'Eremiten von Croisset' auffasst, nicht einmal wahrgenommen wurde.
Die Schreib-Szene als Editions-Szene : Handschrift und Buchdruck in Jean Pauls "Leben Fibels"
(2004)
"Das Aussetzen der Eingebung fülle aus mit der sauberen Abschrift des Geleisteten", rät Walter Benjamin in der achten These zur "Technik des Schriftstellers". Die Konsequenzen einer radikalisierten Variante dieser These werden bereits rund 100 Jahre früher in Jean Pauls Roman "Leben Fibels" ausgeführt. Dort setzt die Eingebung nicht nur zeitweise aus, sondern sie setzt gar nicht erst ein. Umso wichtiger wird das Ausfüllen dieser beklagenswerten Leerstelle durch sauberes Abschreiben. Dabei erweist sich "Leben Fibels" zugleich als ein Buch, das die perforrnativen und parergonalen Rahmenbedingungen des Schreibens, Druckens und Edierens ostentativ vorführt. "Leben Fibels" wirft also nicht nur die Frage nach der Schreib-Szene, sondern auch nach der Druck- und Editions-Szene auf.