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In der Wissenschaftsgeschichte des öffentlichen Rechts hat man den Glauben verloren, in scheinbar ewigen Begriffen zeitlose objektive Wahrheiten gespeichert zu finden. Die Bedeutung von Begriffen wie von Worten überhaupt ergibt sich aus wandelbaren Regeln ihrer Verwendung in konkreten Kontexten, die ihrerseits sprachlich erfasst und verstanden sein wollen. Die hiermit betonte Kontextbindung unterstreicht die kantische Erkenntnis, dass wir durch "sehr abstrakte" Begriffe "an vielen Dingen wenig" und durch "sehr konkrete" Begriffe "an wenigen Dingen viel" erkennen. Dabei hängt für Kant nicht nur das "Maximum der Erkenntnis" an der richtigen Austarierung der Abstraktionshöhe, sondern besteht hierin zugleich die "Kunst der Popularität". Die Wahl des Abstraktionsgrades und der Vergleichsebenen stellt Anforderungen auch an die Geschichtsschreibung, namentlich an die Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus, der nicht einfach "Der Faschismus in seiner Epoche" gewesen ist. In Besonderheit zeigt der Holocaust, dass sich transnationale Vergleichsbildungen geradezu verbieten können. Sofern sich die Wissenschaftsgeschichte mit dem Nationalsozialismus auseinandersetzt, ist sie gut beraten, mit Michael Stolleis bei den zeitgenössischen Wortverwendungen ihren Ausgangspunkt zu nehmen. Da die zentralen Wörter, traditionell die "Grundbegriffe" der Wissenschaft des öffentlichen Rechts, immer wieder die Aufmerksamkeit auch anderer Disziplinen gefunden haben, insbesondere der politischen Theorie, Philosophie, Geschichtswissenschaft und später zudem der Sozialwissenschaften, geben bereits die zu gewärtigenden gegenseitigen Beeinflussungen zu entsprechenden Seitenblicken in der Geschichte des öffentlichen Rechts Anlass. ...
Beinahe hätte die sachlich begrüßenswerte Entscheidung, den Michael Stolleis gewidmeten Band nur Beiträgen zur Wissenschaftsgeschichte des Öffentlichen Rechts vorzubehalten, mich um die Freude gebracht, mich daran beteiligen zu können, denn die Wissenschaftsgeschichte des Öffentlichen Rechts war niemals mein Thema, sondern immer nur die Rechtspraxis.
Aber die theoretische Beschäftigung mit dem Recht diente und dient sowohl der Erfassung des Rechts zu seinem besseren Verständnis als auch der Verbesserung der Rechtspraxis. Insofern gibt es Berührungspunkte zwischen Rechtswissenschaftsgeschichte und der Geschichte der Rechtspraxis, nämlich dort, wo Rechtspraktiker theoretische Argumentationen und Topoi aufgreifen, um sie im rechtlichen Diskurs der pragmatischen Handlungsebene zu verwenden. Am deutlichsten wird dies, wenn Gerichte ihren Entscheidungen neue rechtswissenschaftliche Überlegungen zugrunde legen. In diesem Sinne hat Jürgen Weitzel in Relationen von Reichskammergerichtsassessoren seit der Mitte des 18. Jahrhunderts freiheitsrechtliche Argumentationen ermittelt. Ob und wie weit dies mit dem Wirken des Illuminatenordens in Wetzlar zusammenhängt, ist umstritten. Aber auch Anwaltsschriftsätze können solche Argumentationsmuster aus der Wissenschaft übernehmen. Da der Anwalt das Gericht überzeugen wollte, sind Formulierungen von Anwaltsprozessschriften als Teil des rechtspragmatischen Diskurses ebenso ernst zu nehmen wie entsprechende Wendungen in Relationen von Richtern. Man kann an ihnen erkennen, wie schnell theoretische Überlegungen in der Rechtspraxis akzeptiert wurden. Wolfgang Schmale hat in diesem Sinne diese Quellengattung intensiv für seine Analyse genutzt, indem er Prozessakten burgundischer wie kursächsischer Provenienz aus der Mitte des 17. Jahrhunderts im Vergleich ausgewertet hat. Ich hoffe, dass dieser rezeptionsgeschichtliche Aspekt auch das Interesse des Adressaten dieses Bandes finden wird. ...
Seit den 1990er Jahren erlebt das brasilianische Zivilrecht eine Erneuerung, deren entscheidende Impulse auf Auseinandersetzungen über Prinzipien, Struktur und rechtspolitische Bedeutung einer neuen Zivilrechtskodifikation zurückgehen. Die Diskrepanz zwischen der demokratischen Verfassung von 1988 und einem aus der Zeit der Militärdiktatur stammenden Kodifikationsentwurf löste bei seiner Inkraftsetzung 2003 eine Reihe von historischen und methodischen Fragen aus, die die Diskussion in Brasilien noch heute beherrschen. Nicht zufällig bilden Fragen zum Verhältnis von Privatrecht und Verfassung, zu Zielen und Grenzen privatrechtlicher Systembildung durch Kodifikation sowie zum funktionalistischen Zugriff auf Eigentum und Vertrag Schwerpunkte der brasilianischen Literatur. ...
"A landmark series" – ein Meilenstein also, nicht weniger, soll die neue dreizehnbändige Oxford History of the Laws of England sein, will man den Worten der Oxford University Press Glauben schenken. Was wie vollmundige Verlagswerbung klingt, mag indes mehr Wahrheit in sich bergen als erwartet. Schon der erste erschienene, von Sir John Baker verfasste Band zur frühen Tudorzeit war eine meisterhafte Synthese der rechtshistorischen Forschung der letzten vierzig Jahre, die umfassende Darstellung, die man sich von dem Doyen der englischen Rechtsgeschichte seit langem erhofft hatte. Angesichts dessen schien es allerdings eher unwahrscheinlich, dass die nachfolgenden Bände diesen hohen Standard würden halten können, vor allem diejenigen, die das 19. Jahrhundert zum Gegenstand hatten: Während sich die Anstrengungen der Disziplin in den letzten Jahrzehnten darauf konzentriert hatten, nach der traditionell gut erforschten mittelalterlichen Rechtsgeschichte auch die frühe Neuzeit in den Blick zu nehmen, stellte die Geschichte des englischen Rechts in der Moderne im Großen und Ganzen eine terra incognita dar. Nicht nur, dass die Lehrbücher die Entwicklungen nach der Glorious Revolution weitgehend aussparten, auch waren sie weitgehend auf eine Dogmen- und Institutionengeschichte des englischen Rechts fixiert und blendeten soziale und ökonomische Aspekte gänzlich aus. ...
Ende letzter Woche hat das Bundesverfassungsgericht den BGH in punkto nachehelicher Unterhalt in die Schranken gewiesen. Die Entscheidung dürfte aber nicht nur Familienrechtlerinnen und Familienrechtlern Spaß machen. Denn im Grunde handelt es sich um eine Methoden-Entscheidung, die an uralte Fragen rührt und die teilweise zu überraschenden Einsichten führt. ...
Das sog. "Policeyrecht" gilt als Ausgangspunkt bei der Entstehungsgeschichte des modernen Verwaltungsrechts. Es wird daher von Michael Stolleis in der "Geschichte des öffentlichen Rechts" eingehend behandelt. Im Jahre 2000 ist außerdem die von ihm betreute Dissertation von Johann Christian Pauly zur "Entstehung des Polizeirechts als wissenschaftliche Disziplin" erschienen; sie gibt einen Überblick über die ersten Autoren und deren Publikationen, die unter dem im 18. Jahrhundert noch neuen Titel des "Policeyrechts" bzw. "Ius Politiae" veröffentlicht wurden. Erst seit der Mitte des 18. Jahrhunderts lässt sich in der Literatur die Unterscheidung zwischen einem genuin "policeywissenschaftlichen" und einem spezifisch "policeyrechtlichen" Ansatz beobachten; seitdem gibt es überhaupt erst das Wort "Policeyrecht". Damals erschienen die ersten Abhandlungen zu diesem Thema; soweit ersichtlich war die in Latein verfasste Arbeit von Johann Heumann die erste, die das "Ius Politiae" im Titel führte. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts hat es sich dann zwar als Rechtsgebiet etabliert, wenn auch damals immer noch die Berechtigung einer Bezeichnung "Policeyrecht" nachdrücklich in Zweifel gezogen wurde. ...
Große Rohstoffvorräte lagern in den Entwicklungsländern, doch ihre Ausbeutung führt in diesen
Ländern oft weder zu steigendem Wirtschaftswachstum noch zu verbesserten Lebensverhältnissen
der Bevölkerung. Von der Milliarde der ärmsten Menschen lebt fast ein Drittel in
den rohstoffreichen Ländern. Kann das transnationale Rohstoffrecht dazu beitragen, dass die
Verteilung gerechter abläuft und nicht nur die Investoren und Konsumenten der Nordhemisphäre
und der Schwellenländer von den Rohstoffen der Welt profitieren? Die Juniorprofessorin
Isabel Feichtner untersucht die Verteilungsgerechtigkeit im Rohstoffrecht.
In der postmodernen globalen Welt erweist sich gerade die Weiterentwicklung der normativen Ordnung im Bereich des transnationalen Strafrechts als problembehaftet. Das internationale Strafrecht im engeren Sinn supranationaler Kodifikationen und Institutionen ist noch immer auf wenige Tatbestände und internationale Gerichte beschränkt. Eine umfassendere, alle Elemente der grenzübergreifenden Interaktion von Strafrechtsregimen normierende internationale Strafrechtskodifikation scheint kaum realisierbar; bereits partielle Harmonisierungsbemühungen in der Europäischen Union stoßen an enge Grenzen und wurden – wie der europäische Haftbefehl oder das Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen – nach 2002 nur unter dem Druck terroristischer Sicherheitsbedrohungen realisiert. Die normativen Grundlagen wie die staatliche Praxis des internationalen Strafrechts lassen zahlreiche Ambivalenzen, Regime-Kollisionen und Konflikte erkennen, vertragliche Vereinbarungen gehen dem Gesetzesrecht vor, polizeilich-politische Erfordernisse dominieren vor rechtsstaatlicher Einhegung und Individualrechten und insgesamt erweisen sich transnationale Strafrechtsregime als rechtlich eher gering normiert. ...
Die Kommunikation der Verwaltung mit dem Bürger ist nach heutigem Verständnis der Verwaltungsrechtswissenschaft eines ihrer zentralen Themen. Aus verschiedenen Gründen – u. a. der Entwicklung der Grundrechtsauslegung in Schrifttum und Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, der Zunahme komplexer Verwaltungsentscheidungen, der Entdeckung bzw. Förderung von Kommunikation als Steuerungsfaktor, wachsender gesellschaftlicher, aber auch staatlicher Sensibilität für die Bedeutung von Informationen – haben die deutschen Gesetzgeber ein Verwaltungskommunikationsrecht herausgebildet. Die Entwicklung eines eigenen Fachrechts im Fächer des Besonderen Verwaltungsrechts ist bemerkenswert, da die Kommunikationsformen (Anhörung, Akteneinsicht, Auskunft, Begründung, Kontakte aufgrund Amtsermittlung) zum Verwaltungsverfahren ressortieren und dem Verfahren im deutschen Recht traditionell ein nur geringer Eigenwert zugeschrieben wird. Man denke nur an die §§ 45, 46 VwVfG. ...