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Humboldt hat von früh an in unmißverständlicher Klarheit gesagt, was er wollte. Nämlich die Mannigfaltigkeit, die unabsehbaren Ketten, die ungeheure Verstreutheit, die überwältigende Heterogenität der Naturerscheinungen zu einer qualitativen Totalität, zu einer Idee und zu einem Ganzen zusammenzufassen, das auch noch anschaulich sein soll. Dieses Konzept liegt schon den "Ansichten der Natur" von 1808 zugrunde, ist aber viel älter und geht auf die 90er Jahre zurück. Es hat sich auch im letzten Werk, dem "Kosmos", nicht geändert. Im Konzeptuellen herrscht bei Humboldt eine eigentümliche Entwicklungslosigkeit. Dieser 'Wille zum Ganzen' ist das nunc stans in dem sonst so überaus bewegten Leben Humboldts, in dessen Verlauf er häufig genug die realen Ziele zu ändern gezwungen war, ohne doch seine Grund-Idee aus dem Auge zu verlieren. ...
Die Moderne ist durch die Intensität ihrer Auseinandersetzung mit dem Schweigen charakterisiert. Aber auch frühere Zeiten interessierten sich für das Schweigen, man sprach und erzählte von ihm, setzte es rhetorisch ein, verstand es (oder meinte es zu verstehen), kommentierte es, bediente sich sogar einer elaborierten Topik des Schweigens […].Doch mit der Moderne kommt es zu tiefgreifenden Verschiebungen in der Konstellation von Sprache und Schweigen. […] Zum einen gewinnt das Schweigen selbst neue Bedeutungsdimensionen, […] vor allem in seiner Eigenschaft als Hinweis auf all das, was jenseits der Grenzen der Wörter und des Sagbaren liegt. Zum anderen modifizieren und erweitern sich die Formen, in denen das Schweigen in die literarischen Werke einbezogen wird. Neben vielfältigen Thematisierungen, expliziten Beschreibungen und Interpretationen des Schweigens stehen Formen der Evokation und der Inszenierung des Schweigens durch die Strukturen der Texte selbst - Experimente, welche es darauf anlegen, das Schweigen gleichsam gestisch in literarische Prozesse einzubeziehen und durch Strategien der Textgestaltung zu konkretisieren. Auf dem weiten Feld solcher Experimente mit ästhetischen Manifestationsmöglichkeiten der Stille, der Lautlosigkeit, der Nicht-Artikulation berühren sich die Interessen moderner Literatur und Musik. Aber auch die bildende Kunst beteiligt sich am Großprojekt einer Evokation, Reflexion und Semantisierung des Schweigens.
Saiyid Ahmad Khan (1817−1898) gilt bis heute in Indien und Pakistan als einer der großen Reformer, der sein ganzes Lebenswerk darauf gerichtet hat, die Muslime in die Moderne zu führen, vor allem nach dem verheerenden Aufstand von 1857. [...] Saiyid Ahmad Khan sah seine Aufgabe als eine doppelte: zum einen galt es, das verlorene Vertrauen der Kolonialmacht zurück zu gewinnen, denn eine Modernisierung, so meinte er, sei nur mit der Kolonialmacht, nicht gegen sie zu erreichen. Zum zweiten strebte er danach, das muslimische Bildungssystem zu reformieren - strukturell und inhaltlich - um die Muslime in die Lage zu setzen, ihren Bildungs- und Zivilisationsrückstand, oder was er dafür hielt, zu überwinden. Damit wollte er den Weg freimachen für eine Erforschung der Natur, die sich von den theologischen Vorgaben löste. Dies beinhaltete keine Abwendung von den religiösen Wahrheiten, sondern sollte vielmehr den von ihm zeitlebens festgehaltenen Anspruch untermauern, dass Gottes Wort in der Offenbarung und Gottes Werk in der Schöpfung nicht im Widerspruch zueinander stehen könnten. Vor allem aber ging es darum, die Muslime mit dem westlichen Wissenskanon vertraut zu machen und ihnen den Zugang zu moderner, d. h. englischer Bildung zu ermöglichen. [...] Umso mehr erstaunt es, dass 'modern' und 'die Moderne' als Begriffe in seinen Schriften überhaupt nicht auftauchen. 'Modern' im Unterschied zu 'neu' ist im Urdu des späten 19. Jahrhunderts nicht übersetzbar, es fehlt schlichtweg das Wort. Es kommt auch nicht, wie es vielleicht zu erwarten gewesen wäre, zu einem Neologismus oder zu einer Transkription des englischen Begriffs in die Urdu-Schrift, sondern Saiyid Ahmad Khan und seine Mitstreiter, aber auch seine Gegner, behelfen sich weiterhin mit verschiedenen Varianten des Wortes 'neu'.
Der Beitrag enthält eine Analyse des 1927 erschienenen Romans Der Sprung ins Ungewisse von Paul Zifferer, einem wenig bekannten, aus Mähren stammenden österreichischen Schriftsteller. Dieses Prosawerk bietet eine bemerkenswerte Auffassung des Phänomens Zentrum und Peripherie aus territorialer, sozialer, psychologischer, kultureller und politischer Sicht. Überdies stellt es ein wenig erforschtes Kapitel der literarischen Moderne dar.
Der Titel des vorliegenden Beitrags verbindet drei Leitbegriffe - einen Autornamen: Musil, die Bezeichnung einer religiösen Denk- und Erfahrungsrichtung: Mystik, und eine Epochenbezeichnung: Moderne. Die sich hinter diesen Leitwörtern verbergenden phänomenologischen Strukturen werden zunächst gesondert betrachtet, um sie in einem nächsten Schritt systematisch aufeinander beziehen zu können. Die auf diese Weise sichtbar werdenden Zusammenhänge werden abschließend am Beispiel einer konkreten Textlektüre einer differenzierten Analyse unterzogen.
Im russischen Denken vollziehen sich um 1900 Transpositionen des Synergiebegriffs aus dem theologischen Diskurs, der sich durch seine Herkunft für eine universalistische Verwendung eignet. Dabei werden die Implikationen der gottmenschlichen 'cooperatio' und des anthropologischen Transformationspotentials auf andere Relationen in Natur und Gesellschaft übertragen. Zudem haben zu Beginn des 20. Jahrhunderts holistische Modelle des Zusammenwirkens Konjunktur. Entsprechende synergetische Figurationen in Religionsphilosophie, Kunst und Wissenschaft der russischen Moderne, ihre ambivalente Rezeption in frühsowjetischen Werken und das Wiederaufleben von Synergieparadigmen in der postsowjetischen Ära sind Gegenstand der folgenden Darstellung.
Unter den Fragen zum Themenkomplex Mythos und Moderen gibt es eine, die sich verstärkt in der und die Literatur der Moderen stellt. Die zunächst rhetorisch anmutende Frage nämlich, ob die Dimension der Wahrnehmung der Welt, auf die der Mythos antwortet, mit dem Siegeszug der rationalen Denkform in der abendländische Kulturgeschichte obsolet wurde. In der Literatur der Gegenwart ist der Mythos - das ist evident - nach wie vor präsent, aber er hat eine andere Funktion bekommen: a) er zeigt uns nämlich nicht mehr ein einheitliches Bild der Welt, sondern ein fragmentiertes und widersprüchliches; b) er bleibt dennoch weiter - wenn auch demontiert und remythisiert - eine Basis der Kommunikation zwischen Autor und Zuschauer. Diese natürlich stark reduzierte Zusammenfassung vom Weiterwirken des Mythos in der Gegenwartskultur möchte ich anhand von zwei Texten pointiert belegen: "Philoktet" von Heiner Müller "Phaedra's Love" von Sarah Kane. Beiden Autoren, die der Herkunft und Ideologie nach so unterschiedlich sind, gelingen Visionen, die sich als totale Zergliederung von statuarisch mythischen Firuren konstituieren. In diesem Sinne wohnt beiden Texten eine destruktive Energie inne, die auf die Postmoderne verweist. Die Frage stellt sich, ob diese Kraft zu einer Form der Befreiung oder zu einer Auflösung des Subjekts führt. Ob diese Werke im Nirgendwo bleiben oder als Ankündigung einer neuen Avantgarde die ideologischen Fronten transzendieren.
Franz Carl Weiskopf wurde in der sozialistischen Literaturwissenschaft als politischer Autor interpretiert. Schaut man sich seine literarischen Anfänge im Prag der 1920er Jahre an, wird ein weiterer Aspekt seines Schaffens sichtbar: die Arbeit als Mittler zwischen deutscher und tschechischer Literatur. In diesem Beitrag wird sein Frühwerk in die Experimentierräume der Avantgarde und urbanen und kulturellen Zwischenräume Prags eingeordnet.
Seit Beginn der 1990er Jahre rückt der Begriff des 'Autors' und der 'Autorschaft' wieder verstärkt in den Fokus literaturwissenschaftlicher Theoriebildung. Im Unterschied zu den subjektkritischen Konzepten der Postmoderne, insbesondere denjenigen des Poststrukturalismus, die in Roland Barthes' These vom Tod des Autors (1967) wohl am prominentesten widerhallen, gewinnt die Autorfunktion als legitime Bezugsgröße im interpretatorischen Zugriff auf den literarischen Text wieder an Bedeutung. Auch der Werkbegriff erhält infolge dieser Aufwertung des textgenerierenden Subjekts in Praxis und Theorie neue Aufmerksamkeit. Im Falle von Felicitas Hoppe wird über diesen Kontext hinaus die Betrachtung eines einzelnen Autorenwerks auch intrinsisch durch ihre Texte nahegelegt. Die inhaltliche und sprachliche Kontinuität zwischen fiktionalen und nicht-fiktionalen Texten, die enge auto-intertextuelle Verknüpfung sowie Hoppes ästhetischer Autonomieanspruch verlangen in besonderer Weise nach einer Fokussierung des autorspezifischen Werkzusammenhangs.
War die "Vernichtung der Sinnlichkeit" durch die "Civilisation" genannte dritte Stufe (nach "Wildheit" und "Barbarei") in der Kulturgeschichte der Menschheit der eine Impuls von Fouriers Sozialutopie, so stellte die Trennung von Körper und Geist, von 'sciences incertaines' und 'sciences fixes' den anderen, mathematisch und musikalisch imprägnierten Impuls dar. Demgegenüber bilden sowohl eine Theorie der Leidenschaften, der 'association passionnelle', als auch eine pädagogische Haus- und Lebensordnung für die Phalanstères - die idealen Wohn- und Produktionsgenossenschaften - in Fouriers Utopie die 'pivots', so der von ihm erfundene Begriff, das heißt die Grundpfeiler und Leitlinien.