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Frage und Untertitel dieses Aufsatzes gehen auf eine Warnung zurück, die Sigmund Freud in der Schrift Zur Einführung des Narzissmus (1914) formuliert hat. Dort heißt es: "Die Ichidealbildung wird oft zum Schaden des Verständnisses mit der Triebsublimierung verwechselt." [...] Es liegt nahe, von hier aus Idealisierung fälschlich als eine Art Sublimierung aufzufassen, denn was ist erhabener, sublimer, als ein hohes Ideal? Bei Freud bezeichnet Sublimierung im Unterschied zur Idealisierung aber durchweg ein Verfahren, mit dem Trieb umzugehen, ihn umzulenken. Der Einsicht Freuds zufolge ist das Objekt "das variabelste am Triebe", und Sublimierung ist daher nicht der Versuch, den Trieb selbst zu 'veredeln' oder zu 'vergeistigen', sondern sie ist das Unternehmen, den Trieb auf andere, zunehmend nicht-sexuelle, 'höhere' Objekte zu richten. Dem hydraulischen Modell der Triebe zufolge gibt es 'Vergeistigung' oder eben: 'Idealisierung' der Triebe selbst nicht, die nach Freud allenfalls abflauen mit dem Verlust "feuriger Jugendkraft". So ist indirekt eine weitere Klärung erbracht: Da Freud Idealisierung und Sublimierung scharf voneinander sondert, wird auch aus dieser Perspektive klar, dass mit der Sublimierung nicht der Trieb verfeinert bzw. idealisiert wird, sondern Objekte ersetzt werden.
Im Jahre 1548 erschien in Frankfurt am Main eine Schrift, die den merkwürdig modern anmutenden Titel „Psychopharmakon hoc est: medicina animae“ trug. Doch dieses, von einem Hadamarer Geistlichen herausgegebene, Werkchen illustriert[…] lediglich im Nach hinein einen Einbruch des Realen in die reinen Ordnungen des Wortes. Natürlich enthält es noch »nur« eine Sammlung von Gebeten und Trostsprüchen und keine chemischen Rezepte, doch sein Titel schlägt historisch eine Brücke von der vormaligen Macht der Geistlichkeit zu der Mach t, die in eben diesem Namen Psychopharmakon der Psychiatrie einmal zugekommen sein wird. Die heilsame institutionelle Macht, die Wörter über Seelen haben können und sollen, verwandelt sich mit der Geschichte eines griechischen Wortes in eine Macht, die auch eben jene organischen Zentren und Werkzeuge biochemisch affiziert, die Wörter allererst ausdenken und -sprechen; dass dies historisch in Gang gesetzt wird durch ein Psycholytikum, eine Droge, die dem Medikamentierten seine Seele lösen soll wie die Segensformel des Beichtigers einst die Zunge des reuigen Sünders, dies ist in der Tat eine Verschiebung im Feld eines Wissens vom Mensch en, die Macht und Mächte in diesem umstrittenen Geviert zwischen Geist und Seele, Physis und Logos historisch präzise umreißt.
In diesem Zusammenhang scheint vielleicht eine kurze Geschichte der Auffassungen von Sprache als Gegenstand von Psychiatrie und Neurologie von Philippe Pinel bis zu Sigmund Freud zunächst einen Seitenweg beschreiten zu wollen; doch wird sich im Verlauf meiner Ausführungen zeigen, dass weder die Entstehung der modernen Sprachwissenschaft oder Linguistik, noch die Abenteuer einer modernen Ästhetik sich davon unbeeinflusst darstellen lassen.
Zeitmaschinen regulierten den Verkehr zwischen Gegenwarten und Vergangenheiten – und nichts anderes als eine Zeitmaschine war es auch, was Freud im Angesicht der Ruinen unter dem Titel Psychoanalyse entwickelte. Unter dem Eindruck wissenschaftlich vertiefter Ruinenfreuden wird der freie Verkehr zwischen beiden Domänen wissens- und sichtbestimmend: Die phantastische Topographie Roms hing in Gestalt einiger Piranesis in Freuds Arbeitszimmer; ein Gipsabdruck der Gradiva hing zwischen Couch und Kachelofen. Weil Freuds Blicke beständig an der Antike hingen, musste er eine Theorie entwickeln, in der sich Vergangenheit und Gegenwart ebenso wechselseitig durch drangen wie in seiner Lieblingsstadt. Ebenso wie er auf seinen Reisen Orte sah, an denen sich Vergangenheit und Gegenwart, Häuser und Ruinen "nicht deutlich unterscheiden lassen", wird die Überlagerung, Überblendung und Verkeilung von Gegenwart und Vergangenheit zum Merkmal einer avantgardistisch en Wissenschaft namens Psychoanalyse. Angesichts der Piranesis war es nur noch ein kleiner Schritt zu der "phantastischen Annahme", die nicht nur dem Unbehagen in der Kultur von 1930, sondern der gesamten Psychoanalyse zugrunde lag: nämlich der, "Rom sei nicht eine menschliche Wohnstätte, sondern ein psychisch es Wesen von ähnlich langer und reichhaltiger Vergangenheit, in dem also nichts, was einmal zustande gekommen war, untergegangen ist, in dem neben der letzten Entwicklungsphase auch alle früheren noch fortbestehen."
Die Zukunft der Psychoanalyse scheint [...] von ihrer naturwissenschaftlichen Begründung abhängig zu sein. Ist dies das, was Freud sich für die Psychoanalyse erhofft hatte? Oder sollte man angesichts dieses Unterfangens nicht vielmehr erneut die Frage nach dem stellen, was weggelassen wurde?
Zur Beantwortung dieser Fragen werde ich zuerst exemplarisch zwei Passagen aus Freuds Werk, die als Beleg dafür dienen, dass Freud seine Hoffnung darin setzte, dass die Psychoanalyse einmal neurowissenschaftlich begründet werden könnte, einer genauen Lektüre unterziehen. In einem zweiten Schritt werde ich untersuchen, inwiefern die Psychoanalyse Freuds ein anderes Verhältnis zur Hoffnung auf Erfüllung von Wünschen unterhält, als die oben vorgestellte Argumentationsfigur impliziert. Dabei gehe ich auf die Funktion des Aufschubs in den Anfängen des Psychischen ein, sowie auf das Konzept der Kastration und auf die Figur der Reihenbildung. Vor diesem Hintergrund werde ich abschließend erneut nach der Bedeutung der Neurowissenschaften für Freud und für die Psychoanalyse fragen.
Der vorliegende Band trägt den Titel "Freuds Referenzen", da wir das Spannungsfeld, das die Bedeutung von Referenz ausmacht, geeignet fanden, um Freuds Bezüge, wie die Bezüge auf Freud zu thematisieren: Referenz lässt sich mit "Bericht" oder "Auskunft "übersetzen. Der Bedeutungsumfang des lateinischen Verbs "referre", von dem Referenz abgeleitet ist, ist hingegen breiter: von "berichten" über "sich auf etwas beziehen", "auf etwas zurück führen" bis "etwas zurück tragen" reicht das Spektrum der Bedeutung. Damit scheint mit dem Sprechen von der Referenz und mit dem damit aufgerufenen Bedeutungsfeld die Dynamik der Bezüge Freuds und der Bezüge auf die Psychoanalyse auf.
Der "Ödipuskomplex", eine Wortprägung Freuds, ist eine seelische Dynamik, die in kindlicher Liebe zu den Eltern und in Hass auf die Eltern wurzelt und Einfluss auf die mentale Verfassung des Erwachsenen hat. Ödipus ist eine prominente Figur der griechischen Mythologie und Tragödiendichtung. Freud nimmt in seinem Gesamtwerk weit über zwanzig Mal, besonders ausführlich in der "Traumdeutung", einerseits auf die Sage vom König Ödipus, andererseits auf die Tragödie des Sophokles Bezug. Die Figur des König Ödipus, der mythologische Stoff und die Handlung des Dramas fanden Freuds Interesse, weil die dargestellte Konfliktdynamik ausgeprägte emotionale Beteiligung beim Betrachter mobilisiere. Freud nimmt eine rezeptionstheoretische Perspektive ein. Im Mittelpunkt des Interesses steht für Freud seit der ersten Erwähnung der griechischen Sage am 15.10.1897 in einem Brief an seinen Freund Wilhelm Fliess die emotionale Antwort des Publikums. Das literarische Muster der Ödipus-Geschichte schaffe ein Modell psychischer Organisation, das den Höhepunkt und die entscheidende psychosoziale Herausforderung frühkindlicher Entwicklung bildet. Da es ihm um dieses modellschaffende literarische Muster geht, nicht aber in erster Linie um das individuelle Werk des Sophokles, behandelt er die griechischen Vorbilder in eher lockerer Weise.
In der entscheidenden Phase der Schöpfungsgeschichte der Psychoanalyse machte Sigmund Freud seine eigenen Krankheitssymptome, Träume und Fehlleistungen zum Gegenstand seiner wissenschaftlichen Arbeit. Diese »Selbstanalyse«, wie er sie nannte, erreichte ihren Höhepunkt in den Jahren vor der Jahrhundertwende und gipfelte in der Publikation der »Traumdeutung«. Sie ist bis heute ein irritierender, neuralgischer und faszinierender Punkt in der Geschichte der Psychoanalyse, gewissermaßen das aktuelle Rätsel einer modernen Sphinx, die den Zugang zum Freudschen Königreich bewacht. Doch anders als im Altertum, wo nur Ödipus das Rätsel lösen konnte, werden heute in Bezug auf die Selbstanalyse Freuds verschiedene Lösungen für richtig gehalten. Für den Interpreten, den professionellen Freud-Deuter, verspricht auch kaum etwas einen größeren Lustgewinn, als ausgerechnet ihn, den Schöpfer der Psychoanalyse, nachträglich auf die eigene Couch zu legen und zu analysieren, ja, womöglich in noch tiefere Tiefen vorzustoßen, als es dem Meister selber beschieden war, der bekanntlich die Couch der Kollegen mied und vermutlich das Sitzen am Schreibtisch der horizontalen Lage vorzog.
Wie ein Voyeur habe, so Lynn Margulis, der Harvard-Biologe Lemuel Roscoe Cleveland seit den 30er Jahren die Einzeller und ihr Sexualleben mikroskopiert und auch gefilmt. [...] Da sah er das Sensationelle: Diese Einzeller fressen sich gegenseitig auf. Aber nicht nur das: "Die verschluckte Hypermastigiden-Zelle wurde [...] nicht bis zu Ende verdaut. Vom Hunger ganz benommen, hielt der gierig schluckende Protist die noch halb lebendige Nahrung in seinem Innern offenbar für einen Teil seiner selbst. Nach kurzer Zeit nämlich verschmolzen die beiden kämpfenden Protisten: ihre Zellkerne fusionierten." Der Vorfall habe Cleveland zeitlebens nicht mehr losgelassen. Denn er vermutete, dass, was er soeben das gesehen habe, genau das sei, was "vor einer Milliarde Jahren zur ersten Befruchtung geführt hatte". Der schlichte Grund: Nahrungsmangel und vor allem Mangel an Feuchtigkeit, Austrocknung treibt die Einzeller, sich gegenseitig aufzufressen.
Clevelands Szenerie aus, so Margulis, "Komödie und Terror" spricht also nur von einem: Es gab eine Zeit, in der "Fressen und Paaren" das gleiche waren. "Unterlassene mikrobielle Verdauung als Quelle menschlichen Sexualtriebs: Das ist wohl ziemlich unromantisch."
Was nicht hindert, dass auch die große Bakterienforscherin ihre Frage nach Sex und Ritual, nach täusch enden Körpern und tanzenden Chromosomen meist genau vor diesem Hintergrund inszeniert: der sogenannten "Verschmelzung" von Einzellern, sei es als Auffressen, sei es dann als Symbiose.
Sie ist nicht die einzige. (Nur ist sie vielleicht besonders interessant, weil wohl kaum eine andere amerikanische Biologin mit Wissen und ohne Scheu auch aus Lacan, Derrida, Bataille heraus argumentiert.) Die Verschmelzung der Einzeller ist der biologische Diskurs schlechthin über die Sexualität und nicht nur über sie. Der Tag könnte kommen, an dem wir unsere Stellung in der Evolution, unsere Stellung im Wissen von der Evolution in den Augen der Biologie nicht mehr über Zellen bestimmen werden, sondern über Einzeller: die ohne Kern, alias Bakterien, und die mit Zellkern alias "Protoctisten" (von griech isch ktísis: Schöpfung oder Stadt-Gründung). Haeckel sprach sie als "Protisten" an und manche noch heute als "Protozoa".
Das Folgende stellt eben darum der Szene aus Harvard zwei andere, alteuropäische gegenüber.
Gilles Deleuze und Félix Guattari haben ein polemisches Buch geschrieben, das seinen Gegner im Titel benennt: Anti-Ödipus. Kapitalismus und Schizophrenie. Man fände kein Ende, wenn man allen seinen Bezügen zur Psychoanalyse nachgehen wollte. Als es 1972 herauskommt, wird es als Rück fall hinter deren Errungenschaften kritisiert. André Green zieht einen Vergleich mit Sigmunds Freuds voranalytischen Schriften: [...] Worauf der Vergleich aus ist, ist ein Tertium comparationis, das in der Rolle der Naturwissenschaften für die Theorie des Unbewussten liegt. Obwohl der Anti-Ödipus keinen unmittelbaren Verweis auf die voranalytischen Schriften enthält, scheint der Vergleich gerechtfertigt, weil Deleuze und Guattari in Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Biochemie und Molekularbiologie eine neuartige Konzeption des Unbewussten vorschlagen. Green sieht in der Attacke gegen den Ödipus-Komplex einen Angriff auf das Kernstück der Psychoanalyse: Ohne Ödipus gibt es nur mehr einen diffusen Nexus zwischen biologischem und psychischem Geschehen. Während Green oder Leopold Szondi versuchen, neuere biologische Forschungen in die Psychoanalyse zu integrieren, aber hierbei am Ödipus-Komplex festhalten, verfolgen Deleuze und Guattari einen »vagen Monismus«, indem an die Stelle eines durch den ödipalen Konflikt gebildeten Unbewussten ein molekulares Unbewusstes tritt.
In dem vorliegenden Artikel untersuche ich [den] besonderen Fall von Wechselseitigkeit zwischen dem Körperlichen und dem Sprachlichen in Freuds "Zur Auffassung der Aphasien"; ich unternehme den Versuch zu zeigen, dass gerade in diesem frühen Text einerseits Freuds am äußersten Anfang stehendes und zuweilen noch unausgefeiltes Verhältnis zu Sprache, andererseits seine grundlegende Darstellung des Körpers und dessen Beziehung zum Sprachlichen zu finden sind.
"Zur Auffassung der Aphasien" dient dabei als mein Ausgangspunkt, von dem aus ich für eine entscheidende Verknüpfung zwischen diesem frühen Text und Freuds späterer psychoanalytischer Theorie, insbesondere seinen Arbeiten zum Gegenstand Trauma, argumentiere. Ich glaube, dass die Motivation für Freuds Übergang von seiner frühen neurologisch-physiologischen Phase zur späteren psychoanalytischen Arbeit an eben dieser besonderen Schnittstelle zwischen dem Sprachlichen und dem Körperlichen gefunden werden kann, so wie es sich in seiner Arbeit zur Aphasie niederschlägt.