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Auch wenn in der Nachfolge der Aufklärung sowie mit dem Siegeszug der modernen Naturwissenschaften eine Verlustgeschichte des Transzendenzwunders geschrieben wurde und Max Weber in seinem vielzitierten Diktum von 1917 die moderne Welt als 'entzaubert' deklarierte, entpuppte sich das vermeintlich vormoderne Phänomen des Wunders in der literarischen Moderne als Reflexionsgegenstand verschiedener Fachdisziplinen. Gleichzeitig erlebte das Wunder im Drama und Theater der Moderne eine Renaissance: Jener "clamor for miracles", so George Bernard Shaw in seinem Vorwort zu 'Androcles and the Lion', wird im zweiten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts in England nicht nur diskursiv verhandelt, sondern für das Publikum durchaus bühnenwirksam eingesetzt, wie ich im Folgenden erläutern möchte.
Trotz einiger vorliegender Arbeiten zu Hofmannsthals Kunstrezeption ist die Frage nach der spezifischen Art seiner Wahrnehmung von "Bildern" und deren Bedeutung für sein Werk noch weitgehend unbeantwortet. Hier setzen die folgenden Überlungungen ein. Hoffmannsthals Interesse an bildender Kunst zeigt sich schon zu Beginn seines literarischen Schaffens: in seinem Prosagedicht "Bilder" von 1891, den Ausstellungsbesprechungen und Rezensionen [...]; später dann in seinen Einleitungen zu Mappenwerken wie Ludwig von Hofmanns "Tänzen" (1905) oder den Handzeichnungen aus der Sammlung seines Rodauner Nachbarn Benno Geiger (1920). Auch in seine Versen zu "lebenden Bildern", in den lyrischen Dramen und den Libretti, sogar in einzelnen Gedichten ist eine besondere "ikonographische" Komponente erkennbar; sie gilt im besonderen Maße für die Balette, etwa den "Triumph der Zeit", was bislang noch kaum gesehen wurde. Schließlich spiegelt sich das vitale Interesse an Kunst in den Reiseaufsätzen, in Vorträgen, Briefen und Notizen. In vielen seiner persönlichen Beziehungen (von den deutschen Zeitgenossen insbesondere zu Harry Graf Kessler, Eberhard von Bodenhausen, Alfred Walter Heymel, Julius Meier-Graefe) ist die bildende Kunst ein wichtiges kommunikativ-verbindendes Element.
Polen als Niemandsland? Deutschland als Wunderland? In der zweisprachigen Anthologie Kindheit in Polen - Kindheit in Deutschland erzählen deutsche und polnische AutorInnen - aufgewachsen in Polen, in der DDR, in Westdeutschland - aus ihrer Kindheit. In ihren Texten spiegeln sich gesellschaftliche Umbrüche, Familie und Liebe, Flucht und Vertreibung, Religion und Ideologie, inter- und transkulturelle Erfahrungen sowie die Heimatsuche der Flüchtlingskinder. Die Erzählungen, Gedichte und Erinnerungen zeigen Unterschiedliches und Gemeinsames, sie fördern den Austausch über Grenzen hinweg. Die Auseinandersetzung mit Zentrum und Peripherie bezieht sich nicht nur auf Grenzregionen, sondern betrifft auch kulturelles und literarisches Erbe. Die gegenwärtige deutsche und polnische Literatur bewegt sich in Richtung unterschiedlicher Zentren, und ihre Autoren scheinen irgendwie 'zwischen' zwei oder sogar mehreren Sprachen und Kulturen zu leben. Die im vorliegenden Beitrag analysierte Anthologie scheint ein Buch der deutsch-polnischen Begegnungen zu sein. Sie baut eine Brücke für ein gegenseitiges Verstehen unserer Vergangenheit und Gegenwart.
Klein, schwach, mit einem deformierten Rücken und einer aus heteronormativer Perspektive devianten Sexualität - auf den ersten Blick verkörpert die literarische Figur Kuno Kohn gängige antisemitische Stereotype zu Beginn des 20. Jahrhunderts. In den frühen 1910er-Jahren entworfen und in einer Vielzahl von Texten unterschiedlicher Gattungen ausgebildet, ist Kuno Kohn die Schlüsselfigur in Alfred Lichtensteins (1889–1914) Werk und zugleich Projektionsfläche für die wirkmächtigen Differenzkategorien Jewishness, Sexualität, Disability und Gender. Dichotome Kategorisierungen können die Komplexität der Figur nicht erfassen: Von Lichtenstein als grotesk überzeichnete Figur angelegt, laufen in ihr Binäroppositionen wie jüdisch/nicht jüdisch, homosexuell/heterosexuell und behindert/nicht behindert ins Leere. Statt zu versuchen, die Ambivalenzen, Vielschichtigkeiten und scheinbaren Widersprüche der Figur aufzulösen, rückt der Beitrag sie in einer intersektionalen Figurenanalyse in den Mittelpunkt. Dies lenkt den Blick auf die diskursive Co-Konstruktion der Differenzkategorien auf der Folie des Figurenkörpers und offenbart das subversive, queere Potenzial, das der Figur eingeschrieben ist.
"Übersetzt", "eingeleitet", "herausgegeben von Marie Herzfeld" - so oder ähnlich steht es auf zahlreichen Titelblättern der Jahrhundertwende. Was sich dahinter verbirgt, ist eine kleine Bibliothek literarischer und kulturhistorischer Texte aus verschiedenen Sprachen, welche die Schriftstellerin Marie Herzfeld (1855-1940) einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat; vornehmlich skandinavische Literatur und Texte der italienischen Renaissance. Wenn der Name Jacob Burckhardts für eine "große Erzählung" der Renaissance steht, so betreibt Herzfeld mit ihren "Quellentexten zur Geschichte der italienischen Kultur", zwischen 1910 und 1927 im Eugen Diederichs Verlag erschienen, eine Art kleine kulturgeschichtliche Archäologie. Sie präsentiert frühneuzeitliche Originale und bietet den Lesern einen unverstellten Blick auf deren Fremdheit; andererseits gibt sie Verständnishilfen, holt das Vergangene gleichsam zoomartig heran und "verlebendigt" es durch ihren Kommentar. Ihr Focus ist ein kulturwissenschaftlicher - auch im heutigen Sprachgebrauch. Die Spurensicherung dieser Imellektuellen ohne akademische Ausbildung im engeren Sinn und ohne institutionellen Status wirft die Frage auf, wie kulturwissenschaftliche Gegenstände von Positionen der Randständigkeit entstehen können. So gefragt, ist es weder naiv noch vermessen, Marie Herzfeld für die Anfänge der Kulturwissenschaften in den Dienst zu nehmen. Allerdings bleibt das Problem, mit einem Begriff hantieren zu müssen, der nicht nur unscharf ist, sondern auch oder gerade deswegen gegenwärtig beinahe inflationär gebraucht wird – ein Schicksal, das er mit dem der "Cultur" im "fin de siècle" teilt.
So wie man sich bei der Laterna magica der Illusion einer Geistererscheinung hingeben und gleichzeitig wissen kann, daß es sich 'lediglich' um eine Darstellung handelt, so kann man auch in der Kunst zwei Ebenen des Rezipienten "separat" ansprechen: seine Sinne und seinen Verstand. Für die Literatur, in die man diese medialen Effekte nicht "tatsächlich" integrieren kann, wird die Magia naturalis zum "metaphorischen" Modell. Einer der Literaten, der diesen Transformationsproze theoretisch und praktisch durchführt, ist Jean Paul.
In Ulrichs von Liechtenstein Frauendienst tauchen zahlreiche Motive auf, welche von einem weitgehenden Kulturtransfer zeugen dürften. Das deutlichste Beispiel dafür ist die Venusfahrt des Erzählers, wobei der bislang abgewiesene Ritter den Einsatz deutlich erhöht, und eine im Ganzen vollkommen inszenierte Liebesfahrt unternimmt. Dabei schafft er nicht nur zwischen seiner eigenen ritterlichen Kultur und der weit entfernten Antike eine plakative Verbindung, sondern versucht, dank der Instrumentalisierung der Liebestradition, von der verachteten Peripherie her ins ersehnte Zentrum zu gelangen.
Paul Celans Beziehung zur Avantgarde, genauer zur experimentellen Poesie, war ambivalent. Sie gehörte einerseits deutlich zu seiner dichterischen Entwicklung und Herausbildung seiner eigenen poetischen Sprache bis hin zu seiner Spätdichtung; andererseits genügte ihr reiner Ausdruck nicht seinen hohen ethisch-humanistischen Ansprüchen. Doch das, was oft auch in Celans Gelegenheitsdichtung als bloßes, harmloses, ja humorvolles Sprachspiel aussah, wird in seiner 'gültigen' Dichtung zu einem ernsten Instrument der Provokation und Warnung, das eine komplexe poetische Narrenmaske entstehen lässt. Der Beitrag versucht Celans Beziehung zur experimentellen Lyrik aufgrund der Vielschichtigkeit eben dieser dichterischen Narrenmaske zu durchleuchten.
»Der Kanon regelt Zuordnung und Ausgrenzung, Ja und Nein zu einem Text, es ergibt sich eine Serie von Opposition[spaar]en.« Diese Grundannahme ist, wie ich meine, die Voraussetzung jeder Auseinandersetzung mit der Frage »A Canon of Our Own?« und betrifft den literarischen Kanon in gleicher Weise wie den (literatur-)theoretischen Kanon, obwohl die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Letzterem seltener und wenn doch, so interessengeleiteter stattzufinden scheint und sich zudem häufig in Polemiken erschöpft. Auch der Titel meines Aufsatzes enthält ein Paar, wenngleich das »&« zwischen den Theorien den Anschein von Symmetrie, von Zusammengehörigkeit, nicht von Gegensätzlichkeit erweckt. In der Folge meiner Bestandsaufnahme dieser Theorien innerhalb der germanistischen Literaturwissenschaft und meines Versuchs einer weiteren Perspektivierung und Verschränkung derselben wird deutlich, dass definitiv ein hierarchisches Gefälle hinsichtlich deren Rezeption existiert. Es zeigt sich, dass die Kanonisierungsprozesse unterschiedlich und v.a. zeitversetzt verlaufen – ungeachtet dessen, wie Kanones bzw. »das ihnen anhaftende Phantasma von überzeitlicher und überregionaler Gültigkeit« per se zu bewerten sind.
Oswald Wieners sogenannter 'Roman' gilt als Kultbuch. Gleichzeitig ist es ein total 'klugscheißerisches' Buch. Ich möchte dem Gewaltpotential dieses Werkes nachspüren: Mündet dieses in einen destruktiven anti-humanistischen Karneval (M. Bachtin) und trachtet den Menschen (als sprach- und dialogbegabtes Wesen) zu vernichten? Oder sucht es als Kunstwerk doch noch den 'Dialog' mit seinen RezipientInnen?