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[Erhard Schütz skizziert vier Phasen:] 1. Das Doppel von sozialdemokratischer Selbstbildproduktion und bildungsbürgerlicher Einhegungsbeschwörung (ca. 1850–1917) 2. Das Doppel von Hegemonial-Konkurrenz in der Arbeiterbewegung und neusachlicher Funktionalitätsfaszination (ca. 1917–1933) 3. Das Doppel von Produktionsverherrlichung als politischer Systemfeier und industriepopularisierender Sachliteratur (ca. 1933–1961) 4. Das Doppel von industrieweltlichem Sozialrealismus und politischer Systemagitation. (ca. 1961–1987) Arbeiterliteratur im engeren Sinne fundiert sich zunächst entscheidend in einer vom Industrieproletariat ausgehenden, gesellschaftlichen Zukunftsperspektive. Sie ist in diesem strikteren Sinne Teil von Arbeiterkultur. Arbeiterkultur war – zugespitzt – geprägt durch Arbeitsplatz, Familie und Verein. Als solches ist sie natürlich auch Gegenstand von Arbeiterliteratur gewesen. Aber Arbeiterliteratur ist darüber hinaus durch die Arbeiterkultur formbestimmt. Sie ist in diesem Sinne weder ein Ausdruck der sozialen Lage der Arbeiter noch der Reflex eines Klassenbewußtseins. Ihre Spezifik besteht zunächst vielmehr darin, den, wie Klaus-Michael Bogdal es ausdrückt, "Prozeß der Subjektkonstituierung der Arbeiter" zu verstärken und zu sichern, "indem sie einen wirksamen Code der Ich-Rede zur Verfügung stellt". Arbeiter-Schriftsteller bedienten sich mit der Literatur eines Bereichs, der traditionell als besonders intensi-ver und höchster Ausdruck von Subjektivität galt, um darin ein "kollektives Arbeiter-Subjekt" zu imaginieren. Oder anders gesagt: In der historischen Arbeiterliteratur konstituierte sich in Literatur, im Medium emphatischer Subjektivität, ein Schreiben in transindividuell-sozietärer Perspektive. Das prägt vor allem die frühe Phase der Arbeiterliteratur im 19. Jahrhundert.
Literatur gilt trotz vielfältiger neuer Medienangebote als bedeutende kulturelle Praxis. Diese wurde und wird wissenschaftlich erforscht, wobei in den letzten Jahrzehnten gendertheoretischen Ansätzen wachsende Bedeutsamkeit zugemessen wurde. Gendertheoretisch orientierte Forschung kann und soll die Literaturwissenschaften unterstützen und begleiten. Sie kann zum Beispiel darüber nachdenken, wie literarische Texte funktionieren und wie geschlechtliche Identitäten in diesen konstruiert werden bzw. organisiert sind. Diese Untersuchung erfolgt theoriegeleitet, wobei Theorie und Praxis nicht als starre Oppositionen gefasst werden, sondern als in Wechselwirkung stehende verwobene dynamische Konzepte.
Queertheorie bestimmt sich über Vorläufigkeit, die sich nicht als fixiertes System versteht, sondern als eines, das lediglich ein Instrumentarium zur Verfügung stellt, um die Logik der Spezifität von Machtbeziehungen und Machtkämpfen, etwa in literarischen Texten, zu analysieren. Insofern jeder kritischen Theorie die Verpflichtung aufgegeben ist, kritisch gegen sich selbst gewendet, auch die Möglichkeit zu denken, dass sie nicht immer da sein wird, gilt es, sich nicht im eigenen Moment einzurichten. So möchte ich im Sinne einer vorläufigen und zugleich einer strategischen Kanonisierung vorschlagen: Die germanistische Literaturwissenschaft sowohl mit postkolonialen Theorien als auch mit Gender- und Queertheorien momenthaft und gleichsam verschränkt zu perspektivieren, um dadurch neue Realisationen von Texten zum Entstehen zu bringen.
Es gibt viele Möglichkeiten der Beschreibung und Analyse von Literaturverfilmungen. Die meisten jedoch, so Hickethier, werden als Verlusterfahrung des Literarischen gewertet, da im Allgemeinen die Literatur als die eigentliche künstlerische Disziplin, der Film hingegen lediglich als moderne, technisch vermittelte Kunstform angesehen wird. Hickethier stellt in seinem Aufsatz zunächst diverse Konzepte möglicher Filmanalysen vor (der Film als Literaturverwertung, Rezeptionsergebnis, semiotischer Prozeß u.a.), wobei für ihn die Betrachtung des Mediums Film vor allem als ebenbürtige Erzähl- und Darstellungsform im Vordergrund steht. Anhand von Axel Cortis´ Film "Eine blaßblaue Frauenschrift" setzt sich Hickethier exemplarisch mit Filmgeschichte, Verschiebungen, Akzentuierungen, Rhythmisierungen des Erzählens und anderen Kriterien auseinander, wobei zahlreiche Detailanalysen den Text sehr anschaulich werden lassen. Hickethiers Analyse eignet sich besonders für den Deutschunterricht, der nicht nur durch literarische Werke, sondern auch durch deren Verfilmungen lebendig gestalten möchte.
Hans-Georg Soldat (Berlin) arbeitete als Literatur-Redakteur beim RIAS in West-Berlin und referierte "Zur Rolle von Westpresse und Rundfunk". Er berichtete, dass DDR-Autoren im RIAS-Literaturprogramm stark vertreten waren. In der DDR unzugängliche Bücher wurden in den RIAS-Besprechungen ausgiebig zitiert, um auf diese Weise die Literatursperre zu unterlaufen. Ein Indiz für die Wirkung dieser Vorgehensweise lieferte die Vorstellung einer DDR-Ausgabe einer sowjetischen Anthologie. Kurz nach der RIAS-Sendung avancierte das Buch vom Ladenhüter zur Bückware. Insgesamt sank jedoch der Stellenwert des Radios. Zitiert nach: Tagungsbericht "Der heimliche Leser in der DDR". 26.09.2007-28.09.2007, Leipzig, in: H-Soz-u-Kult, 14.11.2007, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=1747>.
Annes Interesse richtete sich, wie wir dem Tagebuch entnehmen können, besonders auf die zeitgenössische niederländische Literatur. Der Wille des Vaters, den Kindern die Dramen Goethes und Schillers näher zu bringen, ist zwar durch den zitierten Eintrag belegt, welche Bedeutung diese Lektüre für Anne selbst hatte, darüber lässt sich jedoch nur spekulieren. Wir wissen aber aus anderen Quellen, dass viele der von den Nationalsozialisten Verfolgten, Vertriebenen, Eingesperrten und Gequälten aus den Werken der „Klassiker“ und ihrer humanistischen Botschaft Hoffnung schöpften und darin Trost fanden. Gleichzeitig jedoch vereinnahmten die Machthaber dieses kulturelle Erbe propagandistisch für ihre nationalistischen und rassistischen Zwecke. Dass die Ausstellung „Anne Frank – Eine Geschichte für heute“ jetzt in der „Klassikerstadt“ Weimar gezeigt wird, in deren unmittelbarer Umgebung sich mit dem Konzentrationslager Buchenwald ein Ort befindet, dessen Name zu einem Synonym für den nationalsozialistischen Terror geworden ist, kann daher durchaus auch zum Anlass genommen werden, diesen beiden so gegensätzlichen Strängen der Rezeptionsgeschichte der „Weimarer Klassik“ und insbesondere der Werke Goethes und Schillers in den Jahren von 1933 bis 1945 einmal etwas genauer nachzugehen. Das vorliegende Arbeitsmaterial stellt dafür in kommentierter Form exemplarische Texte zur Verfügung.
Daß es nicht unbedingt die bewegten Bilder sind, die uns bewegen, sondern daß uns oft gerade das bewegt, was sich nicht bewegt, ist eigentlich eine triviale Alltagsbeobachtung. Sie bedürfte keiner weiteren Erörterung, wenn sie nicht in ein medienhistorisches Umfeld fiele, das alles daransetzt, sie zu falsifizieren. So stoßen wir heute häufig auf Bewegungsbilder, die unsere unwillkürliche Aufmerksamkeit affizieren und deshalb als Ursache für innere Bewegungen genommen werden, obwohl es nur Reaktionsmechanismen sind, die sich in der Habituation rasch abschleifen (D 00). ...
Raymond Radiguet starb 1923 an Typhus, gerade zwanzigjährig. Er hinterließ zwei furiose Romane, "Le Diable au corps" und "Le bal du Comte d'Orgel", und ein paar Dutzend Gedichte. Jean Cocteau, selbst jugendverliebt und älter werdend, schreibt später im Nachwort zum ersten Roman: "Radiguet verabscheute die Oscar Wildesche Vorstellung von der Jugend. Er wäre so gern alt geworden. Heute wäre er fünfzig. Doch mit seinen unerbittlichen Händen hat der Tod ihn in der Gestalt eines Zwanzigjährigen festgebannt, ein für allemal." ...
Der Schluss vom Bekannten auf das weniger Bekannte ist ein zentrales Grundprinzip der Didaxe. Ein mittelalterlicher Texttyp, der dieses Prinzip nicht nur beherzigt, sondern es durch seine Bauform regelrecht ausstellt, ist das spätestens seit 1230 literaturfähig gewordene Reimpaarbîspel, das zwei unterschiedliche Bereiche oder Sphären so aufeinander bezieht, dass der erste Teil des Textes, die eigentliche Beispielerzählung, ein allgemein akzeptiertes Modell einführt, das dann im zweiten Teil, in der Auslegung, auf eine andere Lebenssphäre übertragen wird, um mit diesem Akt der Analogisierung das zu Erklärende im Rückgriff auf bereits Etabliertes zu verdeutlichen. […] Hinzu kommt, dass gerade Texte dieser Art interessante Rückschlüsse auf die Etablierung, Durchsetzung und Veränderung von Diskursen ermöglichen, zeigt doch schon die Zweiteiligkeit der Bauform, die eine Redeordnung A mit einer Redeordnung B vergleicht, auf das deutlichste an, dass diese Texte gewissermaßen auf der Schwelle zwischen zwei argumentativen Kontexten angesiedelt sind, wobei das im ersten Teil Präsentierte stets als das bereits Eingeführte, Abgesicherte, Evidente erscheint, während das im zweiten Teil Vorgeführte immer als das relativ gesehen Neue wahrgenommen wird, das in seiner Geltung und in seiner Evidenz vom vorher Entwickelten abhängt.
Was Wende ist, hat in der Literatur eine enorme Spanne. Wende als Aufhebung geographischer Trennungen (bei Christa Schmidt in "Rauhnächten") und noch mehr örtlicher Einschränkungen (Irina Liebmann in ihrem Roman "In Berlin"). Wende weiter als gewissermaßen "Vorher-Nacherher"-Betrachtungen, als Räsonnement, als verbale Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle im gesellschaftlichen Geflecht der früheren DDR. Volker Braun hat diese Form in der >Unterhaltung< (wie er es selbst nennt) "Der Wendehals" vielleicht am reinsten dargestellt. Daniela Dahn wählt in ihren Essays eine Mischform aus beiden. Auch Marion Titze wäre zu nennen, die mit "Unbekannter Verlust" ebenfalls in diese Kategorie gehört. Natürlich ist es völlig unmöglich, die Fülle jener Bücher auch nur andeutungsweise zu behandeln, die sich unterdessen zum Thema Wende angehäuft haben. Hier kann es eigentlich nur darum gehen, ein paar Schneisen zu schlagen, ein paar Autoren zu Wort kommen zu lassen, die sich mit unterschiedlichsten Intentionen dem Thema genähert haben.