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Beirut und Berlin, die libanesische und die deutsche Hauptstadt, weisen – neben zahlreichen evidenten Unterschieden – eine Reihe von Parallelen auf, die im Zusammenhang mit Krieg und Teilung, Zerstörung und Wiederaufbau ihres Stadtzentrums stehen. Ähnlich wie die Gegend um den Potsdamer Platz in Berlin nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und in den Jahrzehnten der deutschen Teilung war das Beiruter Stadtzentrum im Laufe des Bürgerkriegs (1975−1990) zu einer Art Niemandsland geworden. Als Schauplatz heftiger Kämpfe war es bereits zu Beginn des Krieges weitgehend zerstört und in der Folge von Bewohnern wie Geschäftsleuten verlassen worden. [...] Im Anschluss an einen kurzen Exkurs zur Geschichte des Beiruter Stadtzentrums werden im Folgenden einige Ausschnitte aus der Debatte vorgestellt. Auf der einen Seite wird es um die Wiederaufbaupläne gehen, um die mit hohem Aufwand betriebene Medien-Kampagne und das Vorgehen der mit dem Wiederaufbau betrauten Immobilienfirma sowie um den Widerstand, den dies hervorrief. Auf der anderen Seite werden künstlerische Positionen, Einwände und Gegenentwürfe vorgestellt: Am Beispiel zweier in den 1990er Jahren erschienener Romane wird illustriert, wie das Beiruter Stadtzentrum als Schauplatz für Debatten dient, in denen Fragen von Identität, Erinnerung und Verantwortung verhandelt werden.
Im Folgenden werden zunächst punktuell symbolische und literarische Codierungen des Schwarzmeerraumes aus russischer bzw. sowjetischer Perspektive skizziert, um dann erneut auf Brodskys Entwurf einer mentalen Topographie in "Flucht aus Byzanz" zurückzukommen. Die (sowjet-)russischen Erfahrungen und Einschreibungen konnotieren den gesamten Essay. Brodskys antiöstliches Pathos erweist sich vor dem autobiographischen Hintergrund als eine antiimperiale Geste, als Abrechnung mit der Unfreiheit des Sowjetimperiums.
Das im Norden Ägyptens an der Küste des Mittelmeers gelegene Alexandria gehört zu denjenigen Städten, deren Name auch literaturhistorisch einschlägig ist. Der von gegenwärtigen Besuchern meist als schäbig und heruntergekommen erlebten modernen Großstadt steht dabei das literarisch überhöhte Bild einer levantinisch-kosmopolitischen Gesellschaft gegenüber, die von Mitte des 19. bis Mitte des 20. Jahrhunderts in voller Blüte stand.
Die offizielle Rhetorik der "unverbrüchlichen Freundschaft" ("nerušimaja družba") und der Brüderlichkeit zwischen den Völkern der Sowjetunion vermochte bereits zu Sowjetzeiten nur schwer zu verbergen, dass Konzept und Praxis der sowjetischen "Völkerfreundschaft" keineswegs identisch waren. Die angestauten Spannungen entluden sich nach dem Zerfall der Sowjetunion in Spannungen, die sogar den Charakter bewaffneter Auseinandersetzungen annehmen konnten. (Davon war im Beitrag von Giorgi Maisuradze die Rede.) Zur Ambivalenz der sowjetischen Nationalitätenpolitik gehörte, dass die nationalen Kulturen durchaus eine Förderung erfuhren, ihre Entfaltung jedoch den machtpolitischen Interessen und dem ideologischen Rahmen untergeordnet wurde. Und schließlich gab es eine reale Praxis des Zusammenlebens im Raum des Sowjetimperiums, die von vielen Menschen in ihrem Alltag als reale Freundschaft erlebt wurde. Der Zerfall der Sowjetunion wurde daher von vielen Sowjetmenschen als ein dramatischer Verlust erlebt. Es geht mir nachfolgend aber nicht darum, die Nachwirkungen des Konzepts der sowjetischen (in ihrem Kern stalinschen) "Völkerfreundschaft" oder Nationalitätenpolitik bis heute zu untersuchen. Vielmehr will ich an einem Text aus der russischen Literatur der 1970er - 80er Jahre und des vom gleichen Autor aus der postsowjetischen Perspektive und somit gleichsam als Postscriptum zu lesenden Textes untersuchen, auf welche Weise in beiden der traditionelle russisch (bzw. sowjetisch)-georgische literarische Freundschaftsdiskurs fortgeschrieben oder aber, im Gegenteil, unterlaufen wird. Bei dem Beispieltext handelt es sich um Andrej Bitovs "Georgisches Album" ("Gruzinskij al’bom") und den von ihm 2003 ursprünglich als Vorwort zur deutschen Ausgabe geschriebenen Essay "Wofür wir die Georgier geliebt haben" ("Za čto my ljubili gruzin").
Der in Pamuks Memoiren zentrale Begriff 'hüzün' lässt sich nicht einfach mit Melancholie übersetzen. Im Gegensatz zu dem individuell erlebten Gefühl der Melancholie – im Türkischen verwendet Pamuk hier den dem Französischen entlehnten Begriff 'melankoli' – beschreibt 'hüzün' ein kollektives Gefühl, das die Stadt in ihren Bewohnern auslöst. 'Hüzün' ist die Reaktion auf die Schwarzweißatmosphäre der Stadt an einem grauen Wintertag, Ausdruck der Schicksalsergebenheit ihrer Bewohner und gleichzeitig ein Gefühl, das der Anblick der Ruinen der einstmaligen osmanischen Hauptstadt im Betrachter hervorruft. Pamuks Werk zeichnet das Bild der Istanbuler als eine affektive, durch 'hüzün' verbundene Gemeinschaft. [...] Die Memoiren veranschaulichen die Faszination, die für Pamuk mit den melancholischen Porträts der Stadt in der westeuropäischen wie der türkischen Literatur, Kunst und Fotografie verbunden ist. Sie verfolgen, wie der Autor sich 'hüzün' als Quelle literarischen Schaffens zu eigen macht. Ob und zu welchem Zweck Pamuk, wie Kemal und Tanpınar vor ihm, 'hüzün' zu einem kollektiven, nationalen Affekt stilisiert, soll im Folgenden untersucht werden.
Alles, was einen Sauer-, Nadler-, Kafka-, Schnitzler-Forscher, einen Romantik-, einen Methodologie- und Germanistik-Historiker, einen Kenner der Prager deutschen Literatur an Körner interessieren könnte, ist bereits – in früherer und neuester Zeit – von Eisner, Fischer, Wellek, Klausnitzer, Eichner, Krolop, Fliegl, Härtl, Sauder, Fohrmann gesagt worden. Freilich nicht in zusammenfassender Art etwa eines würdigenden Sammelbandes: Eine selbständige Körner-Tagung und ein Körner-Sammelband würden sich lohnen, denn auf einem solch zeitlich wie räumlich breiter abgesteckten Feld könnte man die (in den genannten Schriften manchmal nur angedeuteten) Thesen und Themen des Körnerschen Werkes breiter ausführen, die methodologischen und weltanschaulichen Kämpfe innerhalb der germanistischen Kreise seit Scherer beleuchten, die Positionen der Prager germanistischen Ordinarien innerhalb dieser Kreise absteckten, das komplizierte Knäuel der deutsch-tschechisch-jüdischen Beziehungen im Prag der Zwischenkriegszeit ansatzweise entwirren. Außerdem verdient Josef Körner, ein großer Kenner der deutschen Romantik, glücklicher Entdecker und verlässlicher Herausgeber verschollen geglaubter romantischer Texte, bissiger, brillianter Rezensent, schonungsloser Kritiker aller Verstöße seiner germanistischen Zeitgenossen gegen wissenschaftliche Sauberkeit, fleißiger Begleiter neuester Literatur und Literaturwissenschaft, Josef Körner, ein bezugsreicher Mann, der am Ende sein Leben und Werk trotzdem nicht anders bewerten konnte als einen Scherbenhaufen, verdient unsere Aufmerksamkeit und Erinnerung.
Was ist „deutschmährische Literatur“? Versuch der Definition eines unselbstverständlichen Objektes
(2011)
Trotz geringem gesellschaftlichem Auftrag beschäftigt sich die „Olmützer Arbeitsstelle für deutschmährische Literatur “ seit 1998 mit dieser Literatur und ist seit ihrer Gründung einem Rechtfertigungszwang ausgesetzt, der durch bloßes heuristisches Forschen nicht befriedigt werden kann. Alle in der Arbeitsstelle entstandenen Aufsätze, Studien, Dissertationen, Sammelbände gehen – mehr oder weniger dezidiert, mehr oder weniger polemisch – auf den Legitimierungszwang ein und versuchen ihr Objekt zu definieren, dem etwaigen Publikum plausibel zu machen und die Beschäftigung mit ihm zu rechtfertigen. Abhängig vom Thema einzelner Studien werden verschiedene Akzente gesetzt, doch manche Punkte wiederholen sich leitmotivisch. Diese neuralgischen Stellen müssen erst bedacht und beschrieben werden, bevor ein definitionstüchtiges Fazit formuliert werden kann.
An talentierten Literaten hat es im klassischen Weimar sicherlich nicht gemangelt - aber auch an streitbaren Männern (und Frauen) nicht. Mag der Literatur- und Bildungskanon des 19. Jahrhunderts hierüber einige zeit hinweggetäuscht haben, es wurden - spätestens mit Anbruch der Sozialgeschichte - auch andere Karten aufgedeckt, womit nicht lediglich die auf beiden Seiten der deutsch-deutschen Grenze verlaufende literaturhistorische Entdeckung des Klassenkamfes gemeint ist, vielmehr dessen spätere, macht- und institutionspolitische Aspekte berücksichtigende Version der beachtung 'feiner Unterschiede'. [...] Es ist klar geworden, dass es sich im wirkmächtigsten Dichterbund der deutschsprachigen Literaturgeschichte um ein Tun "nicht füreinander, sondern sehr viel mehr gegen die anderen" handelte; dass sich hinter der Nachbarschaft „die Front Schillers und Goethes gegen den Rest der dichtenden Welt, besonders gegen Weimaraner und jene in Jena“ - Berlin, Halle etc. - verbarg. [...] Die nachfolgenden Überlegungen sind einer der literarischen Episoden dieses Konflikts gewidmet.
Das Spannungsverhältnis zwischen poetischer Einbildungskraft und positivistischer Wissenschaft, zwischen Imagination und Evidenz, wird wohl an keinem anderen literarischen Genre des 19. Jahrhunderts so augenfällig wie am historischen Roman. Schon in der Gattungsbezeichnung verbinden sich die Lizenzen der Fiktionalität, die der Roman gewährt, mit einem wie auch immer gearteten Anspruch auf historische Faktizität. Die unüberschaubare Menge der historischen Romane, die im 19. Jahrhundert entstand, spiegelt in den vielfältigen Sujets und Figuren nicht nur die Interessen- und Problemlagen ihrer Entstehungszeit wider, sondern liefert im Zeitalter des ästhetischen Historismus ganz unterschiedliche Beispiele von textuellen Verfahren, die das Verhältnis von Imagination und Evidenz sichtbar machen.
Der Beitrag streift einige in der Forschung um die Prager deutsche Literatur feststehende Erklärungsmuster und Klischees (die Prager deutsche Literatur sei im Ganzen eine „jüdische Literatur“ gewesen, die radikal akkulturierende Haltung der älteren Prager Generation, der scharfe Umbruch um 1910, die „Rückkehr zu jüdischen Wurzeln“, die Prager deutsche Literatur als Erbin der „menschenschöpferischen“ und kabbalistischen Mystik der Renaissance, Max Brod und den Prager Zionismus, die typisch jüdischen Komponenten im Werk Prager deutscher Autoren) und erwägt bei jeder der genannten rezeptiven Behauptungen deren empirisch-faktografische Messbarkeit bzw. deren – auf den Texten der Prager deutschen Literatur selbst fußende – „Mythen-Trächtigkeit“.