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'Grimms Wörter', Günter Grass’ „Liebeserklärung“ an die deutsche Sprache und die Verfasser des 'Deutschen Wörterbuchs' (2010), erlaubt sich zahlreiche ernste Scherze – erotischer wie auch erkenntniskritischer Art – mit den Elementarteilchen der Sprache, dem Alphabet. Als Kollege und Freund antwortet er auf den Parzivâl-Roman Adolf Muschgs 'Der Rote Ritter' (1993) mit Buchstabengedichten und Menschenalphabeten, weil für beide nur über die Sprache, das Lesen und das Schreiben eine Identität entwickelt werden kann. Ohne diese Elementarschule, an deren Anfang der Fall Adams in die Erkenntnis und an deren Ziel der Zweifel an allen Ideologien zwischen Rechts und Links steht, würde Parzivâl der reine Tor bleiben, als der er angetreten ist und als der er in seiner Narrheit Gewalt ausgeübt hat. Um von der anfänglichen Sünde Adams zum Ziel des Zweifels zu gelangen, muss der dumme Junge einen Lernprozess durchlaufen, in dessen Zentrum das Fragen steht: die Frage des Mitleidens und die der Schuld. – Ein anderer Parzivâl, erlebt auch Oskar Matzerath seine Blutstropfenszene, teilt mit dem Roten Ritter dessen Mutterkomplex, findet aber im Gegensatz zu diesem keine Erlösung, schon gar nicht durch die Vergewaltigung der Krankenschwester Dorothea, die die Jeschutes durch den törichten Parzivâl „imitiert“. Schuldig bekennt sich schließlich in aller Deutlichkeit Günter Grass selbst: als Tor, der nicht gefragt hat, als Juden deportiert wurden, und der unter der Narrenkappe des Simplicissimus in den Weltkrieg gezogen ist.
Adolf Muschgs "Kinderhochzeit" liegt wie ein unübersichtliches Gebirgsmassiv im literarischen Gelände. Der Roman ist ein Alterswerk und zugleich die Eröffnung eines völlig neuen Kapitels; die Summe einer vieljährigen Autorschaft, und doch ungleich mehr als die verbreiterte Strömung seiner erprobten Erzählkunst. Sie bewährt sich auch hier, aber indem sie sich abarbeitet an einem widerständigen, in seinen Elementen auseinanderstrebenden, hoch brisanten und aktuellen Stoff. Muschg schmilzt Geschichte und Geistesgeschichte längst vergangener Jahrhunderte in Biographien und Erfahrungswelten ein, die sich zwischen Hitlerherrschaft und globalisierter Gegenwart erstrecken. Ein dichtes, zuweilen angestrengtes Spiel der Verweisungen bis in entlegene Bildungsstoffe und ins eigene frühere Werk durchzieht den Text, der sich einer Fülle epischer Darstellungsmöglichkeiten bedient.