Refine
Year of publication
- 2013 (2) (remove)
Document Type
- Article (2)
Language
- German (2) (remove)
Has Fulltext
- yes (2)
Is part of the Bibliography
- no (2)
Keywords
- Stifter, Adalbert (2) (remove)
1857 veröffentlicht Adalbert Stifter im Verlag von Gustav Heckenast eine umfangreiche literarische "Erzählung" in drei Bänden: "Der Nachsommer. Eine Erzählung". Bemerkenswert an dem Text ist der nahezu ausschließliche Verzicht auf psychologische Erzählweisen bei einer recht spärlichen Handlung. Obschon der Ich-Erzähler den eigenen Bildungsweg schildert, übt er sich in Verschwiegenheit, was sein 'Inneres' betrifft: Individuelle Gefühle und Gedanken gibt er kaum preis - weder innerhalb der erzählten Welt noch als Erzähler. Plausibel sind seine Maßnahmen zur Selbstzensur insofern, als er rückblickend erzählt; "[s]eine Geschichte ist ihm selbst bereits Geschichte."
Er "werde keine Unordnung machen" (NS 114),1 versichert in Stifters Nachsommer dessen Protagonist und Ich-Erzähler Heinrich Drendorf während seines ersten Besuchs am Asperhof. Bei aller vermeintlichen Beiläufigkeit, die dieser Bemerkung anhaften mag, kommt in ihr doch eine latente, dadurch aber nicht weniger nachdrückliche Notwendigkeit zur Beschwichtigung und Entschuldigung für das Eindringen in ein System zum Ausdruck, das von dem Bedürfnis nach gerade dem Gegenteil solcher "Unordnung" durchdrungen scheint. Mehr noch: der Vorsorglichkeit dieser Beschwichtigung Heinrichs und der vorauseilend zur Schau gestellten Bereitschaft zu unbedingter Kooperation und Zurückhaltung eignet etwas Überraschendes, da Unerfragtes, und vielleicht spricht sich gerade in dieser merkwürdigen Aufdringlichkeit die Relevanz dessen aus, was die Vermeidung von Unordnung unbedingt und nachdrücklich erhalten will: nämlich die "musterhafteste Ordnung" (NS 150).
Es ist kein Geheimnis, dass Stifters Nachsommer die Dinge der Lebenswelt im Verhältnis zu ökonomischen, moralischen, theologischen, juridischen, ästhetischen, politischen, sozialen, ökologischen und zuletzt wohl auch literarischen Ordnungen in sich aufnimmt und ihnen Gestalt verleiht. Gerade im Wissen um seine eigene Gestalt als Roman, dessen formales Prinzip es ist, dass er all diese Ordnungen als Einheit zu begreifen und bedingungslos vor den Gefahren einer Unordnung zu bewahren hofft, versucht er ihnen je einen angemessenen, 'rechten' Platz im System eines gefahrlosen Ganzen zuzuweisen. Dabei ist, wie vielfach bemerkt, die je in neuer Gestalt variierte Rede von solcher "Ordnung" zweifelsohne als unabdingbarer Baustein des Programms von Stifters Prosa überhaupt zu verstehen, derweil im Programm dieser Ordnung verschwiegen ein altes, scholastisches Erbe von der Idee eines geschlossenen und einheitlichen mundus nach göttlichem Vorbild nachschwingt.