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Die Leerstelle Walter Benjamin : zur Verfehlung einer kulturwissenschaftlichen Wahlverwandtschaft
(2023)
Unter den 53 Namen der Autoren, deren Beiträge in dem Jahrzehnt zwischen 1921 und 1931 in den neun Bänden der Vorträge der Bibliothek Warburg erschienen sind, springt eine signifikante Lücke ins Auge; es fehlt darin der Name Walter Benjamins. Die Tatsache, dass keine seiner Arbeiten den Weg in die Vorträge fand, ist mehr als bemerkenswert - dies nicht nur wegen der zahlreichen Korrespondenzen seiner Schriften zu den Forschungen der KBW und der deutlichen Nähe zwischen den Interessen Benjamins und Warburgs, die gegenwärtig zu den bekanntesten Köpfen der 'ersten Kulturwissenschaft' gezählt werden. Ihre Namen werden nicht selten zusammen diskutiert. Die Abwesenheit Walter Benjamins in den Publikationen der KBW wie überhaupt in deren gesamtem Netzwerk ist besonders irritierend, weil er sich seinerseits intensiv und ausdauernd darum bemüht hat, mit der Forschergruppe um Warburg in Kontakt zu treten, und seine Wertschätzung für Aby Warburg und dessen Bibliothek mehrfach in seinen Veröffentlichungen zum Ausdruck brachte. Die latente Wahlverwandtschaft der beiden herausragenden Kulturwissenschaftler aber konnte nicht manifest werden, weil ihre Formulierung einseitig blieb und eine Resonanz von der anderen Seite ausblieb.
Through various cases and instances, this essay opens with the question of biography and the demands of its form: that is, biography's attempt to reduce historical totalities to the page in moments of sudden condensation. It then introduces the figure of Charlotte Wolff (1897–1986), a doctor and later hand reader and sexologist, who appears on a diagram, constructed by Walter Benjamin in 1932, to map his life through his 'Urbekanntschaften' (primal acquaintances). It then seeks to transpose Benjamin's diagram into other linear forms, such as a family tree, a diagram of chemical affinity, and an astral chart, to add one: the diagram as a map of the hand. This opens up a number of temporal, historical, and epistemic reductions, or cases of reduction, in Wolff's work and beyond. It concludes with a particular moment in Wolff's biography - her arrest in 1933 and her escape to Paris - as a final instance of the line, as border.
Resistance
(2019)
The term 'resistance', as it appears in the writings of Walter Benjamin, marks the attempt to think a politics that emerges out of a certain experience of history and time. This entry shows that 'Widerstand' is conceived here principally as a resistance against the course of a catastrophic history - a desire for time to cease its flow and come to a standstill.
Walter Benjamin spricht von 'wolkigen Stellen' in Kafkas Texten, die - stark vereinfacht gesagt - die Abkehr von 'unserer' bekannten, sinnlichen erfassbaren Welt und den Übergang in eine (wieder nach Benjamin) 'obrige' anzeigen. Diese 'wolkigen Stellen', an denen oft Kafkas 'Verwandlungen' stattfinden, sind sprachlich markiert: Hier endet der nach Kafka 'vergleichsweise' Gebrauch der Sprache, die ,empirische‘ Ebene wird verlassen und eine 'parabolische' (nach Fülleborn) erreicht.
Walter Benjamin fordert, die "undialektische Trennung zu überprüfen, die man zwischen Natur- und Geisteswissenschaft zu etablieren suchte". Damit beabsichtigt er, die Geisteswissenschaften zu modernisieren, deren wahre Bestimmung er in der Auseinandersetzung mit den aktuellen Phänomenen der Gegenwart sieht. Im Aufsatz wird gezeigt, dass Benjamin die Trennung von Natur- und Geisteswissenschaft mithilfe der dialektischen Methode, die er dem historischen Materialismus entlehnt, zu überwinden beabsichtigt. Anstatt eines unversöhnlichen Gegensatzes geht er von einer Dialektik von Natur- und Geisteswissenschaften aus.
Indem Benjamin die "Umkehr" als zentrales Element herausgreift – also das Verwandeln von Leben in Schrift und nicht von Schrift in Leben -, löst er Kafka aus einer nur auf das Judentum beschränkten Bedeutung und zeigt dessen Relevanz für das Verständnis von Geschichte überhaupt. Die Form des Kafka’schen Werks enthalte "Hinweise auf einen Weltzustand". Insofern tut sich in der Auseinandersetzung zwischen Benjamin und Scholem bezüglich der Frage von Heiligkeit und Schrift etwas Neues auf: Wie wahre Hoffnung nur für die Hoffnungslosen ist, so erscheint das Verständnis echter Heiligkeit als rein theologischer Kategorie durch die Erkenntnis der nicht mehr heiligen Schrift bedingt.
Caroline Sauter beschäftigt sich am Beispiel der Theorie und Praxis des Kommentierens bei Walter Benjamin damit, wie traditionelle religiöse Kommentarformen in Kommentare zu moderner Literatur übertragen werden und vice versa. Dabei wird die strikte Grenzziehung zwischen Theologie und Säkularisierung unterlaufen, die gerade in der Benjaminforschung gerne bemüht und auf die Formel einer vermeintlichen Alternative von "Messianismus vs. Materialismus" gebracht wird. So zeigen zwei konkrete Beispiele aus Benjamins Einbahnstraße (1928) und seinen Brecht-Kommentaren (1938), dass Theologie und Philologie - laut Benjamin die beiden "Grundwissenschaften" des Kommentars - in seinem Kommentarwerk ineinander übergehen. Die Alternative von 'Theologie' einerseits und 'Säkularisierung' andererseits ist also für Benjamin nicht ohne weitere Differenzierung haltbar; vielmehr durchdringen die beiden Dimensionen einander gerade in seinem Umgang mit der Gattung des Kommentars, der ein kritisches Verständnis der Theologie selber anschaulich macht.
Der Literatur- und Medienwissenschaftler Michael W. Jennings stellt in seinem Aufsatz die Bedeutung des theologischen Konzepts der 'apokatastasis' in Benjamins Texten heraus, das sich auf Origines' Lehre von der Wiederherstellung der Dinge am Ende der Zeiten bezieht. Nach Jennings basiert Benjamins Vorstellung, dass es in der Gegenwart noch keine Religion geben kann, auf der Überzeugung, dass die Bedingungen für die Möglichkeit von Religion erst nach dem Ende der Geschichte gegeben sind. In einem zweiten Schritt geht er den verborgenen Spuren des Konzepts der 'apokastastasis' in Benjamins medientheoretischen Schriften nach. Er zeigt, wie die im Kunstwerk-Aufsatz artikulierte Hoffnung, dass die vom Kapitalismus deformierten Wahrnehmungsformen durch eine revolutionäre Veränderung der Wahrnehmung zerstört und durch eine neue Sicht auf die Welt ersetzt wird, auf die Idee der 'apokastasis' zurückgeführt werden kann.
Der Philosoph Hent de Vries untersucht das Verhältnis von Technik und Religion in Benjamins Text "Rastelli erzählt". Im Zentrum der Interpretation steht die Erfahrung des Wunders, die Benjamin häufig in einen Zusammenhang mit technischen Apparaturen bringt. "Rastelli erzählt" behandelt das Verhältnis von Religion und Materialismus mit erzählerischen Mitteln. Die Unmöglichkeit, die Entstehung des Wunders und das Wunder selbst zu erklären, steht ihm zufolge im Zentrum von Benjamins Überzeugung, dass Religion und Materialismus sich nicht ausschließen müssen. Im Gegenteil. Vielmehr steht die Unauflösbarkeit des Wunders bei Benjamin paradigmatisch für die moderne Erfahrung von Religion, die keine Antworten mehr gibt, sondern neue Fragen aufwirft.
Die Wissenschaftshistorikerin Jimena Canales setzt Benjamins Kunstwerk-Aufsatz und die "Kleine Geschichte der Photographie" in ihren wissenschaftshistorischen Kontext. Seine Reflexionen zur Fotografie stehen, so Canales, paradigmatisch für eine veränderte Wahrnehmung der Fotografie, die von den Zeitgenossen nicht länger als originalgetreue, sondern künstliche Abbildung der Wirklichkeit angesehen wird. Benjamins Analogie von Fotografie und Psychoanalyse nimmt Canales zum Anlass, die Trennung von Natur- und Geisteswissenschaft und die damit verbundene strikte Abgrenzung von hermeneutischen und experimentellen Methoden in Frage zu stellen.