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Als Hinführung zum Phänomen der Gesichtsauflösungen sollen schlagwortartig zwei hinlänglich bekannte Diskurse gegenübergestellt werden, die einander mehr als 200 Jahre trennen und konträre epistemische sowie ästhetische Programme repräsentieren. Dieser kurze Rekurs wird unternommen, weil beide Aussagewelten symptomatisch für zwei Haltungen zum Gesicht sind, aus denen Fragen zur Darstellbarkeit bzw. Wahrnehmbarkeit und schlussendlich zu Konzepten des Subjekts folgen. Auch wenn beide Diskurse die Male ihrer historischen Entstehungskontexte aufweisen, so sprechen sie in gleichem Maße von Gegebenheiten, die noch heute die mediale und ästhetische Wirklichkeit betreffen. Das Ziel dieses Vorgehens ist es, in der Zusammenfassung beider Haltungen eine Blindstelle aufscheinen zu lassen, die die Frage der Interpretation von Gesichtsrepräsentationen berührt. Die Gegenstände der Untersuchung entstammen der Performance- und Medienkunst.
In den letzten Jahren gab es verstärkt Versuche, die komparatistische Literaturwissenschaft an kulturwissenschaftliche Methodiken anzuschließen. Ob es die Diskussionen um die so genannte Postmoderne waren, ob es das Aufkommen bestimmter methodischer Zugriffe war, die unter den Stichworten Poststrukturalismus, Cultural Studies, Historische Anthropologie usw. subsumiert werden, ob medientechnische Entwicklungen (globale Kommunikationsformen und -netzwerke) daran beteiligt waren oder ob es der selbstlegitimatorische Versuch war, literaturwissenschaftliche Kernbestände im Zeichen einer spätkapitalistischen Ökonomie an die so genannte Informationsgesellschaft anschließbar zu machen - wem diese Erweiterung letztlich zu verdanken ist, werden wohl erst die Historiker der Zukunft entscheiden. Was man auch immer von diesen Annäherungen halten mag, sie haben zu einer enormen Ausdehnung des komparatistischen Fachgebietes geführt. Und nicht nur das: Es dürfte schon jetzt klar sein, dass es keinen Weg zurück gibt, auch wenn die altehrwürdigen literaturwissenschaftlichen Disziplingrenzen der Komparatistik weiterhin Bestand haben. Allerdings ist die Adaption neuerer Methodiken relativ selektiv geschehen. Kann etwa für die Diskursanalyse, Systemtheorie, Dekonstruktion oder Medientheorie gesagt werden, dass sie nach mehr als zwanzig Jahren Diskussion für manche Bereiche literaturwissenschaftlicher Forschung, auch und gerade komparatistischer Provenienz, fast kanonischen Charakter haben, so gibt es zahlreiche andere Ansätze, die, zumal in Deutschland, bislang kaum gewürdigt wurden (vgl. Ernst 2000, 160). Einen dieser 'vergessenen' Ansätze hat der französische Philosoph Gilles Deleuze geliefert.
Das Zentrum und den Ausgangspunkt von Katja Diefenbachs Beitrag "'Conatus' versus 'cogito'" bildet, wie der Untertitel anzeigt, "der Streit um Spinozas spekulativen Materialismus in der postmarxistischen Philosophie". Sie stellt die kritischen Positionen Badious und Žižeks vor und diskutiert die unterschiedlichen Anknüpfungen an Spinoza in der postmarxistischen Philosophie bei Negri und Agamben, macht aber zugleich deutlich, dass sich ihre eigene Auslegung der Philosophie von Spinoza und des Conatusprinzips an Deleuze orientiert. So geht sie mit Deleuze davon aus, dass Spinoza das Sein als unendliche Potentialitätsdifferenz begreift, in dem der Mensch nichts anderes ist als "Handelnd-Werden, Vermögend-Werden, Verursachend-Werden, das eine Reihe kritischer Wendepunkte umfasst." Sie betont, dass die Struktur des Conatusprinzips anarchisch und nichtvorschreibend ist und genau deswegen einen Primat der Politik begründe, in dem es nicht um den Sprung in die Freuden des Denkens gehe, sondern um die Ungarantiertheit dieses Sprungs.
das gleiche dasselbe bestimmt nicht … : Thomas Bernhards "Stimmenimitator" trifft Gilles Deleuze
(2016)
Es mag erstaunen, gerade den Stimmenimitator heranzuziehen, um Thomas Bernhard vor dem Hintergrund der Philosophie von Gilles Deleuze zu lesen, scheint dieses Werk doch zunächst herauszufallen aus dem Bernhard-Kosmos. 104 in sich geschlossene Kürzestgeschichten, die eine Druckseite selten überschreiten, geschrieben vom Meister der endlosen Suadas - als der Text 1978 erschien, war die Irritation groß. Obwohl man, wie Siegfried Unseld bei der Lektüre des Manuskripts urteilte, "gewissermaßen auf jeder Seite oder mit jedem Stück ein[en] Bernhard-Roman" liest, konnte Franz Eybl in einem Sammelband mit dem Titel 'Kontinent Bernhard' noch 1995, also knapp 20 Jahre nach Erscheinen der Erzählungen, schreiben, dass es "über kaum ein Werk Bernhards so wenig zu lesen [gibt]", ja dass 'Der Stimmenimitator' im Vergleich mit dem restlichen OEuvre gar als "peripheres Nebenwerk" gelte. Genau dieses periphere Dasein aber, der Blickwinkel aus der Nische, macht den Text für eine deleuzianische Lektüre interessant. Mit Kafka – 'Für eine kleine Literatur' schrieb Deleuze zusammen mit Félix Guattari 1975 einen Text, der sich dezidiert dem Kleinen widmet, dem, was man kleine Formen nennen könnte, also kurze, nicht etablierte, nicht oder noch nicht standardisierte Formen. Es ist bezeichnend, dass in den letzten Jahren zwei Forschungsbeiträge zum Stimmenimitator in Sammelbänden veröffentlicht wurden, die sich dem Thema der "kleinen Formen" bzw. der "Kleinen Prosa" widmen.
Gilles Deleuze und Félix Guattari haben ein polemisches Buch geschrieben, das seinen Gegner im Titel benennt: Anti-Ödipus. Kapitalismus und Schizophrenie. Man fände kein Ende, wenn man allen seinen Bezügen zur Psychoanalyse nachgehen wollte. Als es 1972 herauskommt, wird es als Rück fall hinter deren Errungenschaften kritisiert. André Green zieht einen Vergleich mit Sigmunds Freuds voranalytischen Schriften: [...] Worauf der Vergleich aus ist, ist ein Tertium comparationis, das in der Rolle der Naturwissenschaften für die Theorie des Unbewussten liegt. Obwohl der Anti-Ödipus keinen unmittelbaren Verweis auf die voranalytischen Schriften enthält, scheint der Vergleich gerechtfertigt, weil Deleuze und Guattari in Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Biochemie und Molekularbiologie eine neuartige Konzeption des Unbewussten vorschlagen. Green sieht in der Attacke gegen den Ödipus-Komplex einen Angriff auf das Kernstück der Psychoanalyse: Ohne Ödipus gibt es nur mehr einen diffusen Nexus zwischen biologischem und psychischem Geschehen. Während Green oder Leopold Szondi versuchen, neuere biologische Forschungen in die Psychoanalyse zu integrieren, aber hierbei am Ödipus-Komplex festhalten, verfolgen Deleuze und Guattari einen »vagen Monismus«, indem an die Stelle eines durch den ödipalen Konflikt gebildeten Unbewussten ein molekulares Unbewusstes tritt.
Utopisch-dystopische Romane der deutschen Gegenwartsliteratur widmen sich vermehrt dem Thema Digitalisierung und damit verbundenen Themenkomplexe, Fragestellungen, Hoffnungen und Befürchtungen. Besondere Relevanz kommt dabei der Bewertung und Kategorisierung von Individuen auf Basis von Datenanalysen zu, welche das Leben der Figuren bis ins kleinste Detail lenken und prägen. Die vorliegende Arbeit widmet sich zunächst der Frage, wie die Texte soziale Kategorisierungs- und Bewertungsmechanismen innerhalb digitalisierter Gesellschaften darstellen und inwiefern sich hier grundlegende kritische Kommentierungen herauslesen lassen. Zudem soll analysiert werden,inwiefern die Texte diese sozialen Positionierungen auch räumlich realisieren, ausgehend von der These, dass die Texte raumsemantische Strukturen nutzen, um Gefahrenpotenziale für die Freiheit und Entfaltungsmöglichkeiten des Einzelnen herauszustellen. Als theoretische Basis fungieren dabei Michel Foucaults Theorie der Gouvernementalität, sowie die von Gilles Deleuze und Felix Guattari entwickelte Theorie des glatten und gekerbten Raumes. Literarische Beispiele sind den Romanen "Qualityland" (2017) von Marc-Uwe Kling, "Die Hochhausspringerin" (2018) von Julia von Lucadou und "Technophoria" (2020) von Niklas Maak entnommen.
Die vorliegende Magisterarbeit untersucht verschiedene Formen der Darstellung von Geschichte im Film mit Hilfe der Filmphilosophie von Gilles Deleuze. Ausgangspunkt der Betrachtung sind zunächst die vielfältigen Ansätze der Regisseure des Neuen Deutschen Films, auch und gerade bei der Thematisierung von (deutscher) Geschichte die klassische Unterscheidung zwischen dokumentarischen und fiktionalen filmästhetischen Strategien aufzubrechen. Inwiefern sich diese Vorgehensweise und die dabei entstehenden neuen “Deutschlandbilder” (Anton Kaes) mit Deleuze’ Konzept des Zeit-Bildes (l‘image-temps) in Beziehung setzen lassen, wird hier am Beispiel der Filmtheorie Alexander Kluges und dem unter dessen maßgeblichen Einfluss kollektiv produzierten Film “Deutschland im Herbst” von 1978 diskutiert. Knapp zwanzig Jahre später beschäftigte sich Heinrich Breloers als Fernseh-Großereignis konzipierter Zweiteiler “Todesspiel” erneut mit den Ereignissen des Deutschen Herbstes. Auch hier mischen sich dokumentarische und fiktionale Elemente im Rahmen des “Doku-Fiktion”-Formates, das in seinen Erzählstrategien jedoch umso stärker auf das klassische Modell des Bewegungs-Bildes zurückgreift. Andres Veiels “Black Box BRD” von 2001 und Christopher Roths “Baader” von 2002 knüpfen dagegen - nicht zuletzt in expliziter Ablehnung einer konventionalisierten Fernsehästhetik - erneut an das von Deleuze vor allem für das europäische Nachkriegskino mit dem Begriff des Zeit-Bildes beschriebene Modell einer aufgebrochenen Narration und einer Sinn-Resistenz der visuellen Bilder an: Kontraste und Widersprüche fordern den Zuschauer zur Reflexion über das Dargestellte auf; “Wahrheit” wird hier entweder als von subjektiven Interessen geleitete Sichtweise (“Black Box BRD“) oder als gesellschaftlich konstruierter Mythos (“Baader“) gezeigt. Mit Hilfe der von Nietzsche inspirierten Thesen Deleuze’ zum Wahrheitsmodell des Bewegungs-Bildes einerseits, den “Mächten des Falschen” im Zeit-Bild andererseits versucht die vorliegende Arbeit so zugleich zu zeigen, inwiefern den verschiedenen Bildarten im Hinblick auf die Darstellung von Geschichte notwendig eine politische Komponente innewohnt: Während die verschiedenen Formen des Bewegungsbildes eine bereits konstituierte Gemeinschaft vorgeben, der sich anzuschließen die Filme durch Identifikation ermöglichen, scheint das Zeit-Bild eine wesentlich demokratischere Form des “Wir” zu eröffnen: Es emanzipiert den Zuschauer durch das Miteinander des Aufzeigens der in einer bestimmten Sichtweise versteckten Interessen und der im gleichen Atemzug vorgenommenen, als solche jedoch stets kenntlich gemachten "Parteiergreifung" der Filme zu einem an deren Herausbildung und steten Neuerschaffung gleichberechtigt beteiligten Mitglied dieser Gemeinschaft.
Eine besondere Affinität zwischen dem Gesicht als Eindrucks- und Ausdrucksfläche für Emotionen und dem Film ist in filmtheorischen Schriften häufig festgestellt worden. Namentlich Béla Balázs hat sich in seiner 1924 erschienenen Abhandlung ‚Der sichtbare Mensch oder die Kultur des Films‘ ausgiebig mit der filmischen Gestaltung der natürlichen Physiognomie von Menschen und Dingen beschäftigt. Sein besonderes Interesse galt dabei den Affektpotentialen des menschlichen Gesichts. Wie bereits Hugo Münsterberg in seiner 1916 erschienenen Schrift ‚The Photoplay‘ bemerkt hat, rückt der Film vor allem durch die Technik der Großaufnahme Gesichter wie Dinge ins Zentrum der Aufmerksamkeit von Zuschauern. Die Vergrößerung stellt sie nicht nur von ihrer räumlichen Umgebung frei, sondern hebt auch mimische Details hervor, die sonst meist übersehen werden. Deshalb spielt die Großaufnahme eine wichtige Rolle in der filmischen Montage.
Wenn Yvan Goll 1920 programmatisch feststellen konnte, die Basis für alle neue kommende Kunst sei das Kino, um einen ästhetischen Avantgardismus in der Annäherung von Künsten und Film zu begründen, dann beginnt Deleuze mit der Frage: "Was offenbart der Film, was die anderen Künste uns nicht offenbaren?" Anstatt Resonanzen oder Affinitäten im ästhetischen Feld herauszustellen, müssen die "Begriffe, die von der Philosophie für den Film vorgeschlagen werden,[…] spezifisch, das heißt nur dem Film angemessen sein." Der Film als Gegenstand der Untersuchung ist eine Singularität, und dementsprechend haben auch seine Begriffe den Charakter von Singularitäten, die von keinen Universalien, Transzendentalien oder Allgemeinheiten eingeholt werden können. Begriffe, zum Beispiel aus der Psychoanalyse, von außen an den Film heranzutragen, würde die Singularität des Films verfehlen, weil sie nicht mehr vom Film sprechen, sondern etwa vom Imaginären, von Kastrationsangst oder Partialobjekten. Übertragungen dieser Art würden die Bewegung des Denkens auf der Ebene der Immanenz, um die es Deleuze zu tun ist, außer Kraft setzen.
Deleuzes Philosophie des Kinos versteht man besser, wenn man den Abstand sieht, den er von den Filmtheorien der klassischen Moderne nimmt, die für lange Zeit die Diskussionen und Untersuchungen in der Kulturwissenschaft der Medien orientiert haben: Walter Benjamin und Siegfried Kracauer. Beide haben sich durchaus auch auf die Besonderheit des Mediums Film konzentriert, aber sie bewegen sich - wie sich zeigen wird - allein im Horizont des Denkens der Moderne, den Deleuze überschreitet.
Der US-amerikanische Architekturdiskurs der 1990er Jahre ist entscheidend von den Theorien Gilles Deleuzes geprägt. Die Aneignung seiner philosophischen Konzepte und jener, die er gemeinsam mit Félix Guattari entwickelt hat, findet vor allem innerhalb des architekturtheoretischen Netzwerks der »Anyone Corporation« statt: In ihren Diskursen wimmelt es von glatten Räumen, organlosen Körpern, Rhizomen, Falten, abstrakten Maschinen und Diagrammen. Frederike Lausch zeigt auf, wie sich die »Anyone Corporation« durch die Bezugnahme auf Deleuze als intellektuelle Elite der Architekturdisziplin inszeniert und wie im Zuge der Entpolitisierung seiner Theorien die »Post-Criticality«-Bewegungen entstehen.