Refine
Document Type
- Article (5) (remove)
Language
- German (5) (remove)
Has Fulltext
- yes (5)
Is part of the Bibliography
- no (5) (remove)
Keywords
- Marx, Karl (5) (remove)
In "Von der Religionskritik zur Ökonomiekritik. Der Weg von Marx und Engels bis 1846" rekonstruiert Tobias Reichardt die Anfänge der Ausarbeitung einer Kritik der bürgerlichen Ökonomie bei Marx und Engels. Eine besondere Rolle spiele dabei die junghegelianische Religionskritik, deren Aufklärungspotenzial nicht zuletzt durch die Rezeption der frühen Ökonomie-Schriften von Friedrich Engels schließlich in eine andere Richtung gelenkt werde. Trotz eines noch philosophisch und nicht ökonomisch bestimmten Begriffs von bürgerlicher Gesellschaft liege den "Deutsch-Französischen Jahrbüchern" ein klares Bekenntnis zur Überwindung der bürgerlichen Gesellschaft und des bürgerlichen Staates vor. Dies habe sich auch in den Ökonomisch-philosophischen Manuskripten noch nicht grundlegend geändert; Marx behelfe sich hier mit der religionskritischen Figur der Entfremdung und dem damit verbundenen Begriff des menschlichen Wesens. Der Bruch mit dem kontemplativen Weltverhältnis der Philosophie und darin die Begründung eines zunächst eher plakativ formulierten "historischen Materialismus" erfolge in der "Deutschen Ideologie", doch da die Kritik der klassischen Ökonomie erst im anbrechenden Jahrzehnt beginnt, müsse der historische Materialismus naturgemäß noch im Rahmen "vager programmatischer Absichtserklärungen" verbleiben.
Mit dem Stichwort "Materialanalyse" tritt ins Blickfeld, was Walter Benjamin als ein "zentrales Problem des historischen Materialismus" bezeichnet hat: "auf welchem Wege es möglich ist, gesteigerte Anschaulichkeit mit der Durchführung der marxistischen Methode zu verbinden". Die Frage betrifft die Beziehungen von Philologie, geschichtlicher Erfahrung und materialistischer Dialektik im Zusammenhang einer Geschichtsschreibung, der es nicht, wie der konservativen Hermeneutik, um das "Einrücken in ein Überlieferungsgeschehen" geht, sondern darum, das "Kontinuum der Geschichte aufzusprengen. Dass die marxistische Methode auf jene 'Beschaulichkeit' verzichten muss, die 'für' Benjamin das Verfahren des Historismus kennzeichnet, gründet in der von Friedrich Engels ausgegebenen Maxime, wonach die dialektische Darstellung den "Schein einer selbständigen Geschichte [...] der ideologischen Vorstellungen " aufzulösen habe, indem sie den "vom Denken unabhängigen Ursprung" zu ihrem Ausgangspunkt macht. Für Benjamin ist ihr Prinzip kein 'episches', sondern das der Montage. Sie ermöglicht, "die großen Konstruktionen aus kleinsten, scharf und schneidend konfektionierten Baugliedern zu errichten", um "durch Analyse des kleinen Einzelmoments" den "Kristall des Totalgeschehens" sichtbar werden zu lassen. Das Verfahren, das auch im apokryphen Materialgesellschaftliche Einsichten zu gewinnen sucht, verlangt nach einer aktiven Lektüre, die weniger 'auslegt' als 'übersetzt' und also den Text nicht unverändert lässt. Die Materialanalyse geht nicht aus von einem abstrakten Allgemeinbegriff, unter dem die Einzeldinge zum 'Spezialfall' herabsinken. Sie verlangt vielmehr, wie Theodor W. Adorno von der Dialektik fordert, die "Einlösung des Anspruchs der besonderen spezifischen Erkenntnis auf ihre Allgemeinheit". Ihren Namen, der in Studienprojekten des Argument-Verlags Ende der 1970er Jahre programmatisch wird, rechtfertigt die Materialanalyse da, wo das geschichtliche Material und eine am Begriff des Gegenstands selbst gebildete Reflexion sich zusammenschließen. Gefordert ist daher eine philosophische Arbeit, wie sie in marxistischer Tradition vor allem von Walter Benjamin und Antonio Gramsci ins Werk gesetzt worden ist. Die Materialanalyse setzt kein 'System' oder einen 'Entwurf' voraus, sondern schöpft aus der Kritik und dem Kommentar von Texten, prototypisch durchgeführt in der marxschen Kritik der politischen Ökonomie. Sie verlangt eine Kunst des Zitierens, wie sie sich im 'Passagen-Werk' von Benjamin ähnlich wie in den 'Gefängnisheften' Gramscis vorgebildet findet. Ihre Verfasser "haben vorgemacht, wie aus Zitaten ein Text aufgebaut werden kann, der den Ursprungstexten nie in den Sinn gekommen wäre". Das Feststellen der "Einzeltatsachen in ihrer unverwechselbaren 'Individualität'" gilt dabei als eine unhintergehbare Voraussetzung 'für die Schaffung einer' "lebendigen Philologie", die ihr Material analytisch zu durchdringen versteht.
Junghegelianer in Paris
(2003)
Angesichts der fortgeschrittenen sozialen, politischen und theoretischen Verhältnisse in Paris mußte die gedankenschwere nach-hegelsche deutsche Philosophie, die in Ruges und Marx' Person zum Zwecke einer Allianz nach Paris gekommen war, in einem für sie ungewohnten Tempo eine welthistorische Entscheidung treffen. Das haben die beiden Herausgeber auch getan. Arnold Ruge entschied sich für das bürgerliche Lager, für gesetzliche Opposition, für den Idealismus, Karl Marx für die Arbeiterklasse, für die Revolution, für den
Materialismus. Diese Begriffe sind jedoch damals zwischen den beiden Beteiligten mit Gewißheit nicht gefallen, ja es ist nicht einmal sicher, ob der von der Grunddifferenz abgeleitete Streit über den Charakter der junghegelianischen Bewegung und ihrer Erneuerung thematisiert worden ist. Wir kennen Marx' Absagebrief an Ruge vom 26. März 1844 nicht, aber daß er, in welchen Worten auch immer, den grundsätzlichen Bruch
aussprach, ist sicher. Nachdem dies geschehen war, konnte man nicht mehr gemeinsam eine Zeitschrift redigieren. Gescheitert ist nicht eine persönliche Freundschaft (oder ein Zweckbündnis), sondern der (vielleicht schon unrealistische) Versuch einer gemeinsamen zeitgemäßen Erneuerung des Junghegelianismus. Während aber nun die Entscheidung von Marx in einer unübersehbaren Literatur seit Jahrzehnten kommentiert wird und sein erster Aufenthalt in Paris bis ins einzelne erforscht ist, kam Ruge weit stiefmütterlicher davon. Geht man jedoch auch seinen einzelnen Schritten nach, werden die Umstände und Hintergründe des Geschehens von Herbst
1843 bis Frühjahr 1844 mit seinen welthistorischen Folgen deutlicher. Dabei spielen Briefe, die bisher oft zu wenig herangezogen bzw. noch nicht publiziert wurden, eine große Rolle. In vielen Fällen sind sie die einzige Quelle.
Ruges Aufenthalt in Paris ist auch deshalb für die geistesgeschichtliche Forschung relevant, weil er die Peripetie in der Entwicklungskurve seiner politischer Radikalität bildet. Schon nach einem halben Jahr der Zusammenarbeit fand er Marx' Redaktion der Deutsch-Französischen Jahrbücher unpassend und überwarf sich mit allen seinen "kommunistischen" Freunden.
Mit der Einsicht in eine Gespensthaftigkeit von Marx präsentiert Jacques Derrida eine treffende Metapher für das bis heute übliche Muster, Marx als Projektionsfläche in politisch hochaufgeladenen Diskursen zu instrumentalisieren. Auch eine Auseinandersetzung mit Walter Benjamins Marx-Verständnis muss kritisch auf diese Tendenzen reflektieren. Um dieser Problematik gerecht zu werden, erfolgt in der vorliegenden Untersuchung eine strikte Konzentration auf das Bild, das Benjamin sich von Marx gemacht hat. Die in der Forschung etablierte Auffassung, nach der Benjamin Marx verfehlt oder missverstanden habe, erscheint bei dieser Vorgehensweise nicht relevant. Anstatt Benjamins Marx-Verständnis an objektivierten (oder dogmatisierten) Forschungsstandards zu messen, wird nur die Frage behandelt, was Benjamin an und bei Marx verstanden hat.
Der Beitrag von Ernst Müller wendet sich 'Kristallisation' und 'Verflüssigung' zu, zwei Metaphern zu, die ungeachtet ihrer Gegenläufigkeit in den soziologischen Theorien von Arnold Gehlen und Zygmunt Bauman zum Einsatz gelangt sind, um die These eines Endes der Geschichte zu entfalten. Eine problemgeschichtliche Betrachtung der Vorgeschichte beider Metaphern führt mit Marx auf einen Referenzpunkt, der zugleich geeignet ist, Inkonsistenzen und ideologische Dimensionen der späteren Theorien und der sie grundierenden Metaphern zu beleuchten. Auch die Diskussion um 'Kristallisation' und 'Verflüssigung' ist mit der Frage verbunden, ob es sich um Metaphern oder um Begriffe handelt.