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Nicht selten waren es im Übrigen dieselben Autoren, die zunächst mit heftig-expressiven Worten den Krieg herbeigeredet hatten; die ihn als existenzielles, ästhetisches und erotisches Überwältigungserlebnis feierten und die – zumal nach den blutigen Ernüchterungen von Langemarck und anderen Schlachterlebnissen in der Frühphase des Ersten Weltkriegs – sein Zerstörungswerk und die mit ihm verbundenen materiellen und ideellen Katastrophen entsetzt und erschüttert, leidenschaftlich und in messianisch-erlösungsgieriger Manier zu verbannen versuchten. Die sog. expressionistische Generation ist für diese "Ambivalenz" das immer wieder zitierte Beispiel; auch wenn der Terminus "Ambivalenz" in meiner Sicht für einen solchen Wandel vom Kriegstaumel zum Pazifismus eigentümlich euphemistisch klingt. Ich möchte im Folgenden an einigen Beispielen den rhetorischen und thematischen, den stilistischen und den analytischen Überschwang veranschaulichen, mit dem Autoren und Autorinnen vor, während und nach dem Ersten Weltkrieg die Gewalt der Zerstörung entweder ersehnten oder beklagten, bejubelten oder betrauerten (vgl. Buelens 2014). Das Spektrum von hierfür möglichen Autoren und Texten, Positionen und Publikationen ist viel zu groß, als dass die folgenden Überlegungen Anspruch auf Repräsentativität erheben könnten; mit der getroffenen Auswahl soll gleichwohl der hier interessierende Konnex zwischen Wortgewalt und Kriegserfahrung möglichst aussagekräftig vergegenwärtigt werden.
Gewaltige Freude : Robert Walsers "Genreszenen" des Ersten Weltkriegs in der "Neuen Zürcher Zeitung"
(2017)
"Beim Militär ist manches ohne Frage riesig nett und hübsch, wie z. B. mit Musik durch friedliche, freundliche Dörfer marschieren" –so beginnt ein Prosastück Robert Walsers in der Neuen Zürcher Zeitung(NZZ) vom 5. September 1915 – da befindet sich Europa seit gut einem Jahr im Krieg. Der Erzähler plaudert munter drauflos, dass er nicht nur den Frieden, sondern auch "das Militär hübsch" finde und gar nicht so recht wisse, wie er mit diesem sonderbaren Widerspruch zurechtkommen könne. Der Text steht "unter dem Strich", der in den Tageszeitungen das Feuilleton vom politischen Teil trennte, und gehört in eine Reihe von weiteren idyllisierenden, humoristisch anmutenden Prosastücken Walsers in der NZZ dieser Kriegsjahre: "Denke dran!" (November 1914), "Haarschneiden" (April 1916), "Das Kind" (Mai 1916) und "Nervös" (Juni 1916) wurden in der Bieler Zeit des Autors publiziert, der 1913 Berlin verlassen hatte und in seinen Geburtsort an der deutsch-französischen Sprachgrenze Biel/Bienne –in die Schweiz also – zurückgekehrt war.
Steffen Kopetzkys im Jahre 2015 erschienener Roman "Risiko" kann in der Tat als ein historischer Abenteuerroman gesehen werden. Bei genauerer Betrachtung seines Erzählgegenstandes wird deutlich, dass der Roman eine am Anfang des Ersten Weltkriegs angesiedelte deutsche Expedition nach Afghanistan behandelt, bei der das Osmanische Reich ebenfalls mitgewirkt hat. Das Ziel der Deutschen bestand hierbei darin, die Muslime in dieser Region und vor allem in Indien zu einem Aufstand zu bewegen, um auf diese Weise eine Überlegenheit gegenüber den Briten zu begründen. Entlang der Thematisierung einer in Vergessenheit geratenen historischen Facette der deutschen Kolonialpolitik legt Kopetzkys Roman, so die These der vorliegenden Arbeit, unterschiedliche Facetten des deutschen Kolonialismus frei und bietet vor allem anhand der Darstellung dieser exzentrischen Expedition in den Orient eine dezidiert kritische Perspektive auf die kolonialen Machtdiskurse des Westens. Vor allem die kuriose Verfasstheit des erzählten Gegenstandes, den der Roman fiktional bearbeitet, stellt eine produktive Grundlage für einen Perspektivenwechsel im Sinne einer postkolonial orientierten Literaturwissenschaft dar. Nach einer kurzen Skizzierung der theoretisch-methodischen Grundannahmen der postkolonialen Literaturwissenschaft sowie der Erläuterung des Begriffs 'postkolonial' fokussiert die vorliegende Arbeit zunächst die Fiktionalisierung der Diskurse des Kolonialismus und Orientalismus und nimmt dabei auf die Ansätze von Edward W. Said, Homi K. Bhabha und Gayatri Ch. Spivak Bezug. Anschließend konzentriert sich die Arbeit auf die 'subalternen' bzw. postkolonialen Blicköffnungen, die mit der Darstellung der Niedermayer-Expedition verknüpft sind.