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Rezensionen [2018]
(2018)
Verzeichnis
Einzelrezensionen
154 Beauvais, Clémentine: The Mighty Child. Time and Power in Children’s Literature (Thomas Kullmann)
155 Dean-Ruzicka, Rachel: Tolerance Discourse and Young Adult Holocaust Literature. Engaging Difference and Identity (Susanne Blumesberger)
157 Dolle-Weinkauff, Bernd (Hrsg.): Geschichte im Comic. Befunde – Theorien – Erzählweisen (Caroline Wittig)
159 Ewers, Hans-Heino (Hrsg.): Erster Weltkrieg: Kindheit, Jugend und Literatur. Deutschland, Österreich, Osteuropa, England, Belgien und Frankreich (Kurt Franz)
161 Franz, Kurt / Lange, Günter (Hrsg.): Der Stoff, aus dem Geschichten sind. Intertextualität im Werk Otfried Preußlers (sabine fuchs)
163 Glasenapp, Gabriele von/Kagelmann, Andre/Giesa, Felix (Hrsg.): Die Zeitalter werden besichtigt. Aktuelle Tendenzen der Kinder- und Jugendliteraturforschung. Festschrift für Otto Brunken (Karin Richter)
165 Josting, Petra/Schmideler, Sebastian (Hrsg.): Bonsels’ Tierleben. Insekten und Kriechtiere in Kinder- und Jugendmedien (Kurt Franz)
167 Kriegleder, Wynfrid/ Lexe, Heidi / Loidl, Sonja/ Seibert, Ernst (Hrsg.): Jugendliteratur im Kontext von Jugendkultur (Lena Hoffmann)
169 Kurwinkel, Tobias: Bilderbuchanalyse. Narrativik – Ästhetik – Didaktik (Annette Kliewer)
171 Langenhorst, Georg/Naurath, Elisabeth (Hrsg.): Kindertora – Kinderbibel – Kinderkoran. Neue Chancen für (inter-)religiöses Lernen (Renate Grubert)
172 Lathey, Gillian: Translating Children’s Literature (heike Elisabeth Jüngst)
174 Mairbäurl, Gunda/Seibert, Ernst (Hrsg.): Kulturelle Austauschprozesse in der Kinder- und Jugendliteratur. Zur genrespezifischen Transformation von Themen, Stoffen und Motiven im medialen Kontext (Sarah Terhorst)
176 Maiwald, Klaus /Meyer, Anna-Maria/Pecher, Claudia Maria (Hrsg.): »Klassiker« des Kinderund Jugendfilms (Michael Stierstorfer)
177 Mills, Claudia (Hrsg.): Ethics in Children’s Literature (Thomas Kullmann)
179 Nast, Mirjam: »Perry Rhodan« lesen. Zur Serialität der Lektürepraktiken einer Heftromanserie (Wolfgang Biesterfeld)
181 O’Sullivan, Emer / Immel, Andrea (Hrsg.): Imagining Sameness and Difference in Children’s Literature. From the Enlightenment to the Present Day (Iris Schäfer)
182 Oetken, Mareile: Wie Bilderbücher erzählen. Analysen multimodaler Strukturen und bimedialen Erzählens im Bilderbuch (Katharina Egerer)
184 Schmideler, Sebastian (Hrsg.): Wissensvermittlung in der Kinder- und Jugendliteratur der DDR. Themen, Formen, Strukturen, Illustrationen (Sabine Planka)
186 Standke, Jan (Hrsg.): Wolfgang Herrndorf lesen. Beiträge zur Didaktik der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur (Sabine Planka)
187 Viel, Bernhard: Der Honigsammler. Waldemar Bonsels, Vater der Biene Maja. Eine Biografie (Renate Grubert)
189 Zellerhoff, Rita: Komplexe sprachliche Strukturen in der Jugendliteratur. Aufgezeigt an Beispielen preisgekrönter Werke der Jugendjury des Deutschen Jugendliteraturpreises (Susanne Riegler)
Sammelrezensionen
191 Anker, Martin u.a. (Hrsg.): Grimms Märchenwelten im Bilderbuch. Beiträge zur Entwicklung des Märchenbilderbuches seit Mitte des 20. Jahrhunderts. – Brinker-von der Heyde, Claudia u. a. (Hrsg.): Märchen, Mythen und Moderne. 200 Jahre Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm. – Joosen, Vanessa/ Lathey, Gillian (Hrsg.): Grimms’ Tales around the Globe. The Dynamics of their International Reception (Thomas Bitterlich)
194 Böhm, Kerstin: Archaisierung und Pinkifizierung. Mythen von Weiblichkeit und Männlichkeit in der Kinder- und Jugendliteratur. – Dangendorf, Sarah: Kleine Mädchen in High Heels. Über die visuelle Sexualisierung frühadoleszenter Mädchen (Annette Kliewer)
197 Gordon, Ian: Kid Comic Strips. A Genre Across Four Countries. – Kupczynska, Kalina/Renata Makarska (Hrsg.): Comic in Polen. Polen im Comic. – Kutch, Lynn Marie (Hrsg.): Novel Perspectives on German-Language Comics Studies. History, Pedagogy, Theory. – Reddition. Zeitschrift für Graphische Literatur (66) 2017: Ein halbes Jahrhundert Carlsen Comics. – Rosenfeldt, Reginald: ComicPioniere. Die deutschen Comic-Künstler der 1950er Jahre (Felix Giesa)
Es ist die erste Poetikdozentur, die der Schweizer Schriftsteller übernimmt. Mit großer Spannung werden daher Christian Krachts Vorlesungen an der Goethe-Universität erwartet. Er wird vom 15. – 22. Mai in drei Vorträgen über die Entstehungsgrundlagen, die Einflüsse und die Fluchtpunkte seiner literarischen Arbeit sprechen.
Klaus Reichert : Geburtstag
(2018)
Mir fällt in dieser Woche, in der nicht nur im Netz darüber diskutiert wurde, was eigentlich gefährlich sei, Menschen in Schlauchbooten oder die Lifeline, und in der darüber diskutiert wurde, ob man nicht lieber ein paar absaufen lässt, damit die anderen gewarnt seien, nicht viel mehr ein, als in die Gründe und Abgründe Europas zu schauen.
Diese Arbeit untersucht die Perzeption der Vokale /a/, /ɐ/ und /ɐ̃/ durch deutsche erwachsene Portugiesischlerner. Ziel war herauszufinden, ob deutsche L1-Sprecher in der Lage sind, die genannten Laute zu unterscheiden, unter anderem in Abhängigkeit von ihrem Fremdsprachenniveau im EP.
Die Teilnehmer der Studie waren 27 deutsche Muttersprachler, die EP im Erwachsenenalter und zumeist an der Universität erlernen oder erlernt haben. Die Kontrollgruppe bildeten 33 portugiesische Muttersprachler. Beide Gruppen nahmen an einem Online-Perzeptionstest teil, dessen Aufbau sich an der Studie von Darcy und Krüger (2012) orientiert. Während des Tests mussten die Probanden aus einer Lautsequenz von drei einsilbigen Kunstwörtern mit der Silbenstruktur CVC dasjenige Kunstwort identifizieren, das einen anderen Vokal beinhaltete als die anderen zwei. Neben dem Perzeptionstest nahmen alle Teilnehmer an einem Einstufungstest für das EP teil, der aus einem C-Test und einem Vokabeltest bestand.
Ausgangspunkt der Studie ist die These, dass sprachlich und kulturell heterogene Lerngruppen, an denen Studierende mit und ohne spanischsprachigen Familienhintergrund gemeinsam teilnehmen, als eine günstige Lernsituation betrachtet werden können. Voraussetzung dafür ist, dass die unterschiedlichen sprachlichen und kulturellen Gegebenheiten als Ressourcen für den Unterricht verstanden werden.
Mit dem Fokus auf Sprachveranstaltungen in Spanisch, die von Studierenden an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main besucht werden, und die im Rahmen ihres Lehramtsstudiums im Fach Spanisch stattfinden, wurden in dieser Studie folgende Forschungsfragen verfolgt:
1. Wie entstehen und entwickeln sich Sprachlernprozesse in sprachlich und kulturell vielfältigen Lernkontexten?
2. Wie zeichnet sich das Lernen in sprachlich und kulturell vielfältigen Lernkontexten aus?
3. Welche sprachlichen und kulturellen Ressourcen können für die sprachliche und kulturelle Förderung genutzt und bewusst eingesetzt werden?
Wichtigste Forschungsergebnisse:
Es wurde festgestellt, dass Sprachlernprozesse bei Studierenden mit und ohne spanischsprachigen Familienhintergrund sowohl im kognitiven als auch im emotionalen Bereich qualitativ unterschiedlich verlaufen und, dass in sprachlich und kulturell vielfältigen Lernkontexten individuelle und überindividuelle Sprachlern-prozesse stattfinden, die einander bedingen.
Was das gemeinsame Lernen angeht, konnte festgestellt werden, dass Studierende ohne spanischsprachigen Familienhintergrund widersprüchliche Erwartungen an die Studierenden mit spanischsprachigem Familienhintergrund haben: Einerseits schätzen sie die Präsenz ihrer Kommilitonen und sehen sie als Mittler zwischen dem Unterricht und der Realität außerhalb des Unterrichts, weil sie die „echte“ Sprache und Kultur in den Klassenraum bringen. Anderseits fühlen sie sich durch ihre Anwesenheit im Unterricht verunsichert, was ihre sprachliche Entwicklung zum Teil hemmt. Bei den Studierenden mit spanischsprachigem Familienhintergrund konnten unterschiedliche Phasen in ihrem Sprachlernprozess beobachtet werden, die ihre Lernattitüde und ihre Haltung zu den Kommilitoninnen und Kommilitonen konditionieren.
Entscheidend für die Konstruktion gemeinsamer Sprachlernprozessen ist, dass die Studierenden ihre Positionierung als peer ihrer Kommilitoninnen und Kommilitonen bewusst wahrnehmen, was nicht immer der Fall ist. Auch die Bewusstwerdung der eigenen Funktion als Mittler zwischen Sprachen und Kulturen insbesondere (aber nicht nur) bei Studierenden mit spanischsprachigem Familienhintergrund soll im Unterricht durch die Reflexion über die eigene sprachliche und kulturelle Identität gefördert werden.
Im Umgang mit solchen Lerngruppen haben Dozentinnen und Dozenten unterschiedliche Erwartungen. In der Regel werden aber Lerninhalte vermittelt, die die sprachliche und kulturelle Vielfalt im Unterricht nicht berücksichtigen. Für die Leistungsbewertung beider Studierendengruppen werden oft unterschiedliche Kriterien angewendet, woraus Konflikte zwischen den Veranstaltungsteilnehmerinnen und -teilnehmern entstehen.
Die Rolle der Dozentinnen und Dozenten selbst ist in der Gestaltung gemeinsamer Lernkontexte, in denen die Interaktion der Studierenden gefördert werden, grundlegend. Damit dies gelingt, sollen sie einerseits für Mehrsprachigkeit als Phänomen der Gesellschaft, das den Sprachunterricht im besonderen Maße betrifft, sensibilisiert sein. Andererseits soll ihnen bewusst werden, dass das Sprachenlernen aus einer kognitiven und einer emotionalen Seite besteht, die in engem Zusammenhang mit mehrsprachigen und mehrkulturellen Identitätskonstruktionen stehen. Beide Seiten sollen im Unterricht gefördert werden.
Die Jahrestagung 2015 der Gesellschaft für Comicforschung (ComFor) stand unter dem Thema »Geschichte im Comic – Geschichte des Comics«. Ein Blick in das damalige Programm (als LINK: http://www.comicgesellschaft.de/2015/ 07/23/programm-der-10-comfor-jahrestagungin-frankfurtm/) oder den mittlerweile erschienen Tagungsband (als LINK: http://www.christianbachmann.de/b_comfor7.html) offenbart, dass der zweite titelgebende Teil deutlich unterrepräsentiert war. Geplant war die Tagung auch als Gegengewicht zu den Theoriediskursen in der Comicforschung, d.h. zur Stärkung diachroner Arbeiten. Das Desiderat historischer Comicforschung blieb damit bestehen. Ein um weitere Beiträge ergänzter Band basierend auf den wenigen gehaltenen Vorträgen ist für 2018 angekündigt; bereits 2016 ist jedoch eine erfreulich große Anzahl an Publikationen mit teilweise historischen Fragestellungen erschienen. ...
Archaisierung und Pinkifizierung, das sind für Kerstin Böhm Schlagworte, mit denen die geschlechtergetrennte Literatur für Jungen einerseits und für Mädchen andererseits beschrieben werden kann. Während Jungen über einen Heldenmythos erreicht werden könnten, sei für Mädchen eine »emphasized femininity« über bestimmte Mythen der »schwärmerisch-romantischen, emotionalen Liebe« und damit einhergehend den Mythos der »Ästhetisierung der Demut« ausschlaggebend. [...] Auch die Kultur-, Musik- und Kunstwissenschaftlerin Sarah Dangendorf setzt sich mit der Rückkehr von Stereotypen in der Populärkultur auseinander. Sie stellt sich in ihrer Dissertation Kleine Mädchen in High Heels die Frage: Wie autonom handeln kleine Lolitas? Lassen sie sich von der Popkultur und der Ökonomie dazu drängen, sich schon in ihrer prä-adoleszenten Phase zu kleinen geschminkten und gestylten Kindfrauen herauszuputzen? Oder verdeutlichen sie »das Prinzip der Eigenverantwortung, in einer Kultur, die das auch von Kindern schon erwartet?« (318) Also eigentlich: Sind sie Opfer des Systems oder aktive Teilhaberinnen an ihm? Anders als die Diskurse der Erwachsenen es erwarten lassen, antworten 33 junge Mädchen zwischen neun und vierzehn Jahren in qualitativen Interviews mit einer durchdachten Identitätsbildung, die sie nicht als sexualisierte Opfer erscheinen lassen. ...
Ich lernte Perry Rhodan 1961 kennen, als ich an einem Zeitungskiosk das erste Heft der Serie kaufte, das mittlerweile antiquarisch hoch gehandelt wird. Ich blieb der Serie ein paar Jahre treu, erwarb später auch die Schallplatte Count down (1969) des Sängers Norman Space (d. i. Uwe Reuss) sowie das Perry Rhodan Lexikon (1971) von H. G. Ewers und H. Scheer. In den Jahren, die uns Studenten kreativ politisierten, stellten wir Kauf und Lektüre der Serie ein und sprachen von Perry Rhodan nur noch als »Space Adolf«. Nicht als naiver Rezipient, sondern als Forschender, nahm ich später die Analyse eines Hefts der Serie in meine Habilitationsschrift Aspekte der literarischen Utopie (1976) auf. Soweit der persönliche Beitrag zur Rezeption. ...
Diskussionen um Kinderliteratur haben in vielfältiger Weise mit Ethik zu tun: In vielen kinderliterarischen Texten geht es um den Gegensatz zwischen ›gut‹ und ›böse‹; viele Bücher für Kinder dienen der moralischen Unterweisung, das heißt dem Zweck, Kindern das ›richtige‹ Verständnis von Gut und Böse zu vermitteln, und schließlich verspüren manche Kinderliteratur-Kritiker eine ethische Verpflichtung, kinderliterarische Texte auf ihre moralische (und politische) Korrektheit zu überprüfen. ...
Der Sammelband ist in drei Abschnitte unterteilt und enthält 12 Beiträge. In ihrem einführenden Beitrag gehen die Herausgeberinnen Emer O’Sullivan und Andrea Immel unter anderem auf die historisch verankerte Funktion der Kinder- und Jugendliteratur als Sozialisationsinstanz ein, auf ihre gemeinschaftskonstituierende Funktion sowie das Potenzial, einen Eindruck davon zu vermitteln, wie sich ein »uns« gegenüber einem wie auch immer gearteten »Anderen« und »Fremden« verhält. Dass die Perspektive, aus der das literarische Geschehen geschildert und betrachtet wird, für die Rezeptionslenkung und die (Be-)Wertung der Dichotomie von »eigen« und »fremd« bzw. »vertraut« und »unbekannt« ausschlaggebend ist, veranschaulichen sie am Beispiel der Imagologie. ...
Der Sammelband gibt einen breit gefächerten, diachronen Überblick über potenzielle Klassiker des Kinder- und Jugendfilms. Dieser setzt im Jahr 1901 mit dem nahezu vergessenen Science-Fiction-Film Die Reise zum Mond ein und endet im Jahr 2014 mit dem Film Rico, Oskar und die Tieferschatten nach dem gleichnamigen Roman von Andreas Steinhöfel aus dem Jahr 2008. Die Beiträge schließen stringent an den von Anita Schilcher und Claudia Pecher herausgegebenen zweiteiligen Sammelband Klassiker der internationalen Kinder- und Jugendliteratur (2012) an und basieren auf Vorträgen einer Ringvorlesung der Universität Augsburg im Jahr 2015. Als zentral für die Begriffsbestimmung erweist sich der erste Beitrag von Ulf Abraham, der den viel diskutierten und strapazierten Klassikerbegriff auf den Film zuschneidet. So wählt er einen deskriptiven Ansatz bei der Bestimmung des Klassikerstatus und unterscheidet zwischen innertextuellen (Inhalt und Form) und außertextuellen (Rezeption und Tradierung) Kriterien. ...
Mareile Oetken widmet sich in ihrer Habilitationsschrift dem Bilderbuch als einem sich in Entgrenzungs-, Erweiterungs- und Durchlässigkeitsprozessen befindlichen Medium. Die ausschließlich im Netz verfügbare Veröffentlichung (http://oops.uni-oldenburg.de/3204/1/oetken_ bilderbuecher_habil_2017.pdf) lehnt sich an etablierte Positionen von Jens Thiele und Michael | Jahrbuch der GKJF 2018 | rezensionen 183 Staiger an und erweitert mittels Anschluss an den Diskurs um Narratologie das vorrangig von Didaktik und Praxisbezügen geprägte Forschungsinteresse am Gegenstand Bilderbuch (vgl. 16). Die Arbeit geht Fragen zu »dynamischen bildästhetischen und literarischen Entwicklungen« (17) nach und bietet unter Berücksichtigung medienkonvergenter Prozesse und künstlerischer Anlehnungen einen analytischen Blick auf Strukturen, die narrative und ästhetische Kategorien sowie die Interdependenz von Bild- und Sprachtext bedingen. ...
Nicht erst seit den scheinbar nicht enden wollenden Grimm-Publikationsjubiläen: 2012 Erstausgabe der Kinder- und Hausmärchen (KHM), 2016 Deutsche Sagen, 2019 Deutsche Grammatik erfährt die ›Gattung Grimm‹ eine erhöhte kulturelle und wissenschaftliche Aufmerksamkeit. Sie ist quasi ein ›Dauerbrenner‹, Jahr für Jahr, allerdings unter wechselnden Perspektiven. Die Fülle kann hier nur in einer fokussierten Auswahl vorgestellt werden. Ein gemeinsames Thema der drei vorliegenden Publikationen ist das Verhältnis der Gattung zu ganz unterschiedlichen Bildwelten. Erst die Verschränkung von Text und Bild hat, so eine Sicht, ein philologisches Editionsprojekt in einen kinderliterarischen Klassiker von Weltbedeutung transformiert. ...
Die großen Wanderungsbewegungen unserer Zeit bringen nicht nur politische Integrationsfragen in stärkerem Maß als je zuvor mit sich. Auch die damit verbundene Durchmischung der Kulturen und Religionen fordert intensivere Aufmerksamkeit sowohl im tagesaktuellen wie im akademischen Bereich. So trifft das vorliegende Werk Kindertora – Kinderbibel – Kinderkoran. Neue Chancen für (inter-)religiöses Lernen genau ins Herz der aktuellen Fragestellungen zur Thematik des religiösen Miteinanders – und zwar sowohl das Genre als solches betreffend wie auch die diversen praxisorientierten Ansätze einbeziehend. In seiner Herangehensweise an das Thema stellt sich das Werk tatsächlich als Novum dar. Denn: »Erstmals in der Geschichte der drei monotheistischen Weltreligionen liegen speziell für Kinder und Jugendliche konzipierte Ausgaben von Tora, Bibel und Koran vor« (Rückseitentext). ...
Gillian Lathey ist eine ausgewiesene Expertin, was Forschung zur Übersetzung von Kinderliteratur angeht. Davon zeugen ihre Untersuchung The Role of Translators in Children’s Literature (2010) und der von ihr herausgegebene Sammelband The Translation of Children’s Literature: A Reader (2006). Außerdem genießt die Reihe Translation Practices Explained, in der die neue Arbeit der Autorin erschienen ist, unter DozentInnen und PraktikerInnen in der Translatologie einen sehr guten Ruf. Das Buch weckt also Erwartungen, und es enttäuscht sie nicht: Es bietet eine vorzügliche Mischung aus Fachkenntnis, Belesenheit und wissenschaftlich-didaktischer Kreativität. ...
J ugendliteratur entsteht und besteht im Kontext von Jugendkultur, bildet diese ab, formt sie, um über sie zu reflektieren, und prägt sie dabei wechselwirkend mit. Das Programm des Bandes, jugendliterarische Texte mit Fokus auf ihre Bezüge zu den sich wandelnden Jugendkulturen im 21. Jahrhundert zu untersuchen, ist deshalb durchaus sinnvoll und bietet fruchtbare Anschlussmöglichkeiten für wissenschaftliche Fachdiskussionen. Der interdisziplinäre Zugriff nimmt dabei nicht nur die beschriebenen Wechselwirkungen in den Blick, sondern widmet sich der Jugend auch als literatur- und medienübergreifendem Darstellungsgegenstand. ...
UTB-Bände können unterschiedlich gut geeignet sein für den Einsatz in Universitäts-Seminaren. Ein vorbildliches Werk war der Band Kinderund Jugendliteratur (2010) von Gina Weinkauff und Gabriele von Glasenapp. Der Band Bilderbuchanalyse von Tobias Kurwinkel lässt sich an diesem Vorbild messen, auch er tritt mit dem Anspruch an, ein »Grundlagenwerk« für »Lehrveranstaltungen« für »Lehramtsstudierende der Fächer Deutsch und Kunst« (11) zum Thema Bilderbuch anzubieten. Der in der Szene auch als Chefredakteur des Internetportals KinderundJugendmedien.de bekannte Verfasser leitet als Universitätslektor für Germanistische Literaturwissenschaft den Arbeitsbereich Kinder- und Jugendliteratur sowie Kinder- und Jugendmedien am Fachbereich 10 der Universität Bremen und ist Ko-Leiter des Bremer Instituts für Bilderbuchforschung (BIBF). ...
Der mit 120 Abbildungen reich illustrierte Sammelband greift ein Themengebiet auf, das von der Forschung bisher etwas nachlässig behandelt wurde. Die Kinder- und Jugendliteratur der DDR ist bereits seit langer Zeit in den Fokus der Forschung gerückt (z. B. Richter, Karin: Die erzählende Kinder- und Jugendliteratur der DDR, 2016; Roeder, Caroline: Phantastisches Leseland. Die Entwicklung phantastischer Kinderliteratur der DDR [...], 2006; Havekost, Hermann/Langenhahn, Sandra/ Wicklein, Anne (Hrsg.): Helden nach Plan? Kinderund Jugendliteratur der DDR zwischen Wagnis und Zensur, 1993; Thiel, Bernd-Jürgen: Die realistische Kindergeschichte in der Bundesrepublik Deutschland und in der Deutschen Demokratischen Republik, 1979). Mit Schmidelers Buch offenbart sich jedoch ein Bereich, der noch viel Raum für sich anschließende Forschungen beinhaltet. Dementsprechend deckt der Band auch ein breites Themenspektrum ab, das in fünf Teilen sowie einer vorgeschalteten Einführung des Herausgebers achtzehn Beiträge präsentiert, die sich dem Thema aus unterschiedlichen Perspektiven annähern. ...
Mit subtilen Analysen literarischer Texte bietet die Aufsatzsammlung einen fulminanten Einblick in verschiedene Gegenstände der Kinderund Jugendliteraturforschung. Im Nachhinein wurde die Publikation, die anlässlich der Emeritierung von Otto Brunken sein Wirken würdigen sollte, zu einem Nachruf. Am 30. März 2017 starb der ausgewiesene Forscher. Nun ist diese Festschrift auch Anlass, über die wissenschaftlichen Gegenstände nachzudenken, die Otto Brunken mit Weitblick und Akribie ins Zentrum seiner Forschungen gerückt hat und damit einen wesentlichen Impuls vermittelte, unübersehbare Einseitigkeiten der literaturwissenschaftlichen und literaturdidaktischen Zuwendungen zur Kinder- und Jugendliteratur und ihrer medialen Kontexte zu erkennen und neue Zugänge zu wagen. ...
Tiere haben als Gegenstand gerade der Kinderund Jugendliteratur ihre eigene Geschichte, und so verwundert es nicht, wenn dies gegenwärtig, in einer Zeit des Klimawandel- und Umweltdiskurses, in hohem Maße und unter ganz spezifischen Gesichtspunkten der Fall ist. Der Fokus liegt dabei offensichtlich auf Insekten als relevanten Indikatoren für die Veränderungen in der Natur, und hier wiederum sind es die Bienen, deren Präsenz in Meldungen, Berichten, literarischen Darstellungen und Medien auffällt. Umweltaktionen und Ausstellungen wie »Summende Staatenbauer und pikende Plagegeister« in der Internationalen Jugendbibliothek 2018, in der ebenfalls die Bienen einen Schwerpunkt bilden, komplettieren dieses Szenarium. Bernhard Viels Biographie über Waldemar Bonsels trägt sinnigerweise den metaphorischen Obertitel Der Honigsammler (2015; siehe dazu die Rezension auf S. 187). ...
»Als Erstes ist da der Geruch von Blut und Kaffee.« Versierte Leser – und vermutlich ganze Schülergenerationen – wissen bei der Lektüre dieses ersten Satzes, dass so Wolfgang Herrndorfs Jugendroman Tschick (2010) beginnt, der inzwischen in über 60 Auflagen erschienen ist und zahlreiche Preise, darunter 2011 den Deutschen Jugendliteraturpreis, gewonnen hat. ...
Das Jahr 1914, das den Beginn des Ersten Weltkriegs markiert, spielt – vergleichbar 1789 – selbst in onomastischer Definition eine symbolträchtige Rolle. Da verwundert es nicht, dass im Umkreis des hundertjährigen Gedenkjahres 2014 nicht nur in Deutschland etliche wissenschaftliche Tagungen stattfanden und es zu einer Fülle an Publikationen kam. Der vorliegende Band ist die gedruckte Summe der internationalen Konferenz »1914/2014 – Erster Weltkrieg. Kriegskindheit und Kriegsjugend, Literatur, Erinnerungskultur«, die im September 2014 in Frankfurt am Main stattfand. Er enthält neben den Tagungsbeiträgen auch einige überarbeitete Aufsätze, die bereits anderweitig erschienen waren, was durchaus angebracht ist, da somit ein umfassenderer Zugang zu einem wichtigen Thema geschaffen wurde. ...
Mit dem vorliegenden Sammelband gedenkt die Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendliteratur ihres berühmten Gründungsmitglieds und Initiators sowie langjährigen Redakteurs des Volkacher Boten Otfried Preußler. Darin versammeln die Herausgeber die Beiträge der im Frühjahr 2014 stattgefundenen Tagung, bei der besonders die intertextuellen Bezüge im Werk Preußlers im Fokus standen. Eröffnet wird der Band jedoch mit einem Überblick zu Leben und Werk von Preußler, den Günter Lange mit seinem überarbeiteten Lexikonartikel (von 2008) liefert. ...
»Welche sprachlichen Formen sollten Kinder kennen, um gewinnbringend aktuelle Kinder-und Jugendliteratur lesen und verstehen zu können?« (11) Diese Frage stellt die frühere Grund- und Hauptschullehrerin und Lehrerin für Sonderpädagogik Rita Zellerhoff an den Beginn des von ihr vorgelegten schmalen Bändchens, das in der kleinformatigen Reihe »ZOOM – Kultur und Kunst« des Peter Lang Verlages erschienen ist. ...
Beim Stichwort Biene Maja gibt es kaum jemanden, der nicht sofort ein Bild von der ›kleinen frechen Biene‹ vor Augen hätte. Man kennt den Begriff – zumindest gefühlt – seit Generationen. Nicht wenige werden parallel auch gleich den Beginn der Melodie im Ohr haben, die über Jahre im Fernsehen die namensgleiche Zeichentrickserie begleitet hat. Ja, Die Biene Maja hat sich zu einem ausgesprochen bekannten Markenzeichen entwickelt und ist damit weit bekannter als ihr Erfinder, der Schriftsteller Waldemar Bonsels. Ihm widmet Bernhard Viel seine nicht nur an Seitenzahlen umfangreiche, sondern auch zeitgeschichtlich weit umspannende Biografie. ...
Ausgehend von der 10. Wissenschaftstagung für Comicforschung versammelt Bernd DolleWeinkauff mit Geschichte im Comic 20 Beiträge, die das Thema interdisziplinär beleuchten. Die AutorInnen kommen aus Medien-, Kultur-, Literatur- und Geschichtswissenschaften. Die Beiträge sind in vier Bereiche aufgeteilt: Zuerst werden theoretische Annäherungen an Begriff und spezifische Qualitäten von Geschichtscomics vorgestellt, anschließend deren Erzählweisen. Das dritte Kapitel beschäftigt sich mit Comics, die Geschichte von der Antike bis ins 20. Jahrhundert thematisieren, das vierte mit Comicerzählungen über Krieg und Frieden im 20. Jahrhundert. ...
Die Autorin hat über vierzig Bücher über den Holocaust, die sich an junge Erwachsene richten, untersucht. Zusätzlich ist es ihr gelungen, durch die Einbeziehung aktueller Diskussionen über Neonazis, multikulturelle Erziehung, Rechte für Schwule und Lesben sowie über Toleranz den Bezug zur Gegenwart herzustellen. ...
Ausgangspunkt der hier vorliegenden Darstellung sind die seit den 1960er und 1970er Jahren geführten Debatten um Literatur und Sprache als Instrumente von Machtausübung und ideologischer Vereinnahmung, die durch Jacqueline Rose, The Case of Peter Pan, or, The Impossibility of Children’s Fiction (London 1984), und John Stephens, Language and Ideology in Children’s Fiction (London 1992), auch Eingang in die Kinderliteraturkritik gefunden haben. ...
Twilight, Tintenherz, The Hunger Games und – auch 20 Jahre nach Erstpublikation des ersten Bandes ist an ihm kein Vorbeikommen – Harry Potter: Wir kennen sie alle, die großen kommerziellen Erfolge der Literaturbranche der Gegenwart. Seit dem durchschlagenden Erfolg von J.K. Rowlings Romanserie um den Zauberlehrling ist der Markt geradezu überschwemmt von seriellen Erzählungen, die im öffentlichen Diskurs als Fantasyerzählungen wahrgenommen beziehungsweise beschrieben werden. Deren Popularität dokumentieren seit nunmehr 20 Jahren in Deutschland die Jahresbestsellerlisten des Spiegel: Während im Jahr 2000 die deutschen Übersetzungen der ersten drei Harry Potter-Bände die Plätze 1 bis 3 belegen (vgl. Der Spiegel 2000, S. 206), ist auch das postHarry Potter-Deutschland diese Art von Romanserien nicht leid. Im Jahr 2008 finden sich unter den meistverkauften Romanen unter anderem Cornelia Funkes TintenherzTrilogie (2003–2007), Stephenie Meyers Bis(s)-Romane (2005–2009), Bände von Christopher Paolinis Eragon (2004–2011), der Romanserie House of Night (2009–2014) des Mutter-und-Tochter-Teams Casts, Kerstin Giers Liebe geht durch alle Zeiten- (2009–2010) und Silber-Serien (2013–2015) und Suzanne Collins’ Die Tribute von Panem (2008–2010) (vgl. Der Spiegel 2009, S. 131). Die ehemals der Allgemeinliteratur vorbehaltene Belletristik-Bestsellerliste des Spiegel kann sich Romanen nicht länger erwehren, die LeserInnen in den Kinder- und Jugendbuchabteilungen ihrer Buchhandlungen finden können. ...
Bilderbücher verfügen über einen Körper im Raum. Sie haben ein bestimmtes Format und Gewicht, bestehen aus Papier, einem Rücken, Vorsatzblättern und Knickkanten. Wie Druckmedien generell sind sie jeweils auf eine bestimmte Art gemacht und konstituieren sich durch eine Form, Gestalt und Oberfläche. BüchermacherInnen weisen in ästhetischen Reflexionen auf die verwandte Struktur der Architektur mit ihrem Metier und Medium hin. Der Typograph Jan Tschichold etwa versteht Druckwerke als eigene architektonische Ausdrucksform von Linie, Fläche und Raum und fasst seine Rolle bei der Reform der Penguin Books »als verantwortlicher Architekt der Bücher« auf (zitiert in Fleischmann 2013, S. 49). Dass Ideen nicht einfach in der Luft liegen und Künstlerisches der Konstruktion bedarf, hebt der Autor Hermann Burger in Die allmähliche Verfertigung der Idee beim Schreiben hervor. In seiner Poetik-Vorlesung geht Burger darauf ein, wie der Autor eine Situation entwirft, einen Gegenstand mit Wörtern anpackt, dreht und wendet, und schreibt, dass er während seines abgebrochenen Architekturstudiums, »im architektonischen Entwerfen[,] mehr für das spätere Schreiben gelernt habe als während der ganzen Germanistikausbildung« (Burger 1986, S. 12). ...
In der Theatergeschichte wurde von Aristoteles bis Brecht immer wieder angenommen, dass ein Bühnengeschehen das Publikum beeinflussen kann. Entsprechend nahe liegt der Gedanke, das Theater als Erziehungsinstrument einzusetzen, wie es z. B. im Jesuitentheater der Renaissance oder den didaktischen Dramen der Aufklärung der Fall war. Stand bei Ersteren die Vermittlung der christlichen Heilslehre im Mittelpunkt, können Letztere als »Einübung in gesellschaftliche Verhaltensnormen« (Schedler 1974, S. 23) verstanden werden. Auch das emanzipatorische Kindertheater der 1960er Jahre verfolgt erzieherische Ziele, obgleich diese sich signifikant von den oben genannten unterscheiden. Hier sollen Kinder nicht lernen, indem neue Ängste erzeugt, »sondern alte benannt [und] sprachlich faßbar« gemacht werden (Reisner 1983, S. 116). ...
Setzt man bei der Darstellung revolutionärer Prozesse im Kindertheater in den 1960/70er Jahren an, so liegt der Fokus auf einer Zeit gesellschaftlicher Umbrüche und politisch-sozialer Bewegungen, die für die Geschichte des Kinder- und Jugendtheaters von besonderer Bedeutung ist (vgl. Schneider 1984). Wie andere Intellektuelle und KünstlerInnen auch wurden Theaterschaffende von den Protesten und dem Klima der Veränderung und des Aufbruchs vielfältig angeregt. Auch im Theater wurden Autoritäten hinterfragt, traditionelle Repertoirestücke einer kritischen Revision unterzogen und neue Spielformen erprobt. Das Revolutionäre erscheint hier zunächst als eine Hinwendung zum Politischen, die auch bestehende und neu gegründete Kindertheater erfasste. Erkennbar wird eine gesellschaftlich engagierte Theaterarbeit, die Formen der Unterdrückung (z. B. von Kindern) dokumentierte und mit großem Engagement bekämpfte. Mit den Mitteln des Theaters sollten kulturelle und gesellschaftliche Veränderungen durchgesetzt werden und die Theaterbühne sollte ein Ort der Revolution gegen gesellschaftliche Missstände sein. Theaterarbeit war politische Arbeit und Kindertheater ein »Mittel, auf gesellschaftliche Zustände einzuwirken« (Ludwig 1994, S. 24). ...
Kaum eine Zeit steht so sehr für die sexuelle Befreiung und Sprengung familialer Strukturen wie die 1968er (vgl. Herzog 2005). Kaum ein Märchen steht in der psychoanalytischen Deutung so sehr für den sexuellen Reifungsprozess und das Unabhängigwerden eines Kindes wie Der Froschkönig. Der vorliegende Artikel greift diese Verbindung auf, da gerade während der 68er-Bewegung verschiedene Wasser- und Amphibienfiguren in der Kinder- und Jugendliteratur (KJL) vorkommen, die stark an die Motive des Märchens erinnern. Besonders prominente Beispiele hierfür sind: Christine Nöstlingers Wir pfeifen auf den Gurkenkönig von 1972 sowie Mirjam Presslers Erzählung Goethe in der Kiste, die zwar erst 1987 erschienen ist, jedoch deutliche Züge des anti-autoritären Gedankenguts der Protestkultur aufweist. Diesen Texten ist gemein, dass ihre Motive augenscheinlich von einem Märchen geprägt sind, das von der Psychoanalyse als Sinnbild für den Reifungsvorgang eines Kindes bewertet wird, welches sich aus seiner inzestuösen Verstricktheit mit dem Vater lösen muss. Während Presslers Buch den Froschkönig explizit anzitiert, kann Nöstlingers Gurkenkönig als eine Schwell- und Schwellenfigur gelesen werden, die ähnliche Prozesse in Gang setzt wie die Märchengestalt. ...
Fünfzig Jahre nach 1968. Fünfzig Jahre nach der Studentenrevolte.
Was hat sie in Deutschland bewirkt? Was ist geblieben? Wo haben sich die 68er geirrt? Fragen, mit denen man seit Beginn des Jahres konfrontiert wird. Namen und Fakten, die erinnert werden: Benno Ohnesorg, Rudi Dutschke, Alice Schwarzer, Rainer Langhans, Kommune 1. – Die Jugend, aber nicht nur die, ging auf die Straße, protestierte gegen Alt-Nazis in Führungspositionen oder juristischen und öffentlichen Institutionen, forderte Gleichberechtigung für die Frauen und vieles mehr. Der Protest richtete sich gegen verkrustete Strukturen und falsche Selbstverständlichkeiten. ...
Editorial
(2018)
»Unter dem Pflaster liegt der Strand« oder »Die Phantasie an die Macht« – diese Slogans charakterisieren die ’68er-Bewegung, die kreativ, programmatisch und parolenreich ihre (gesamt)gesellschaftlichen Forderungen in die Öffentlichkeit trug. Nicht nur für die bundesrepublikanische Gesellschaft stellt das Jahr 1968 einen bedeutsamen Umbruch dar; vielmehr hat ’68 ebenso eine ost- wie westeuropäische und darüber hinausführende internationale Dimension. ’68 kann als Chiffre für Protestbewegungen (Kraushaar) verstanden werden, die in sehr unterschiedliche gesellschaftliche Bereiche ausgestrahlt haben. Die damit einhergehende Politisierung führte zur kritischen Bestandsaufnahme und Infragestellung bestehender staatlicher und institutioneller Ordnungen, revolutionierte die Geschlechter- und Generationsverhältnisse und reichte weit hinein in den Alltag, das Familienleben und die individuellen Lebensstile. Auch Literatur und Medien wurden einer kritischen Revision unterzogen und neue Themen, Schreibweisen und Genres etabliert, Traditionslinien wurden aufgebrochen bzw. unter neuen Vorzeichen weitergeführt.
Diese Entwicklungen bestimmten auch die Kinder- und Jugendliteratur und ihre Medien in entscheidender Weise: inhaltlich beeinflusst durch die antiautoritären Diskurse, wie sie im Bildungs- und Erziehungswesen geführt wurden, und die Forderungen der Emanzipationsbewegung(en), thematisch und ästhetisch orientiert an den politischen und gesellschaftskritischen Fragestellungen, einem neuen Realitätsbezug verpflichtet. Die Kinder- und Jugendliteraturforschung hat diese Reformen als Paradigmenwechsel benannt und erforscht; neuere Untersuchungen beziehen aber erkennbar auch die Entwicklungen der späten 1950er und frühen 1960er Jahre mit ein und weisen darauf hin, dass die Veränderungen literarästhetisch, aber auch inhaltlich bereits sehr viel früher einsetzten.
50 Jahre nach dieser ›paradigmatischen‹ Zäsur nimmt der zweite Jahrgang des Jahrbuchs der Gesellschaft für Kinder- und Jugendliteraturforschung 2018 die Chiffre ’68 in den Blick, um historische wie gegenwärtige Dimensionen dieser Schnittstelle zu diskutieren. Die Aufsätze greifen die vielfältigen Implikationen dieses Themenkomplexes sowohl aus theoretischer wie gegenstandsorientierter Perspektive in seinen unterschiedlichen medialen Gestaltungsformen auf, stellen sie, dank der internationalen Beiträge, in europäische Kontexte und reflektieren ihre Bedeutung für die heutige Kinder- und Jugendkultur. Dabei wird erforschtes Terrain weiter ausgeleuchtet, werden neue Fragestellungen entwickelt sowie bekannte Positionen und Texte einer kritischen Re-Lektüre unterzogen.
Entsprechend der Konzeption des Jahrbuchs stehen über das Schwerpunktthema ’68 hinaus grundlegende kinder- und jugendmediale Fragestellungen aus historischer wie theoretischer Perspektive im Fokus. Zwei Beiträge stellen aktuelle Forschungszugänge und -perspektiven vor.
Rezensionen zur Fachliteratur schließen sich den zehn Beiträgen an. Insgesamt konnten, dank der großen Beteiligung der Mitglieder der GKJF, über 30 Titel gesichtet und besprochen werden.
Heißt es "er buk" oder "er backte", "staubgesaugt" oder "gestaubsaugt", "den Pilot" oder "den Piloten"? Derlei Zweifelsfragen bringen einen immer wieder ins Grübeln. Sie sind jedoch kein Beleg des Unwissens – im Gegenteil. Das Nachdenken darüber bringt Licht in die Natur von Sprache und Sprachwandel.
Nach Jakobson (1941) lassen sich in der frühen phonologischen Entwicklung zwei diskrete Phasen unterscheiden. Eine erste Phase, in der vorsprachliche Lalllaute produziert werden und keine phonologischen Kontraste gegeben sind, und eine zweite Phase, die eigentliche Sprachstufe, in der eben diese sprachsystematischen Kontrastbildungen sukzessive ausgebaut werden. Ausgehend von diesem strukturalistischen Paradigma wurden Protowörter, die im Übergang von der Lallphase zur Zielwortproduktion realisiert werden und bei einer relativ stabilen Bedeutungszuweisung keine overte Ähnlichkeit zu Zielwörtern zeigen, entweder als artikulatorische Muster analysiert oder unter der Perspektive der Generativen Grammatik als nicht-phonologische Wortformen gänzlich ignoriert. Im Gegensatz zu diesen tradierten Ansätzen wird in dieser Arbeit ein neuer Ansatz vertreten, nach dem dreidimensionale (mit segmentaler, silbischer und metrischer Ebene) phonologische Repräsentationen ab ovo in der Sprachverarbeitung aktiv sind und sich gemäß der klassischen Kompetenz-Performanz-Unterscheidung in frühen Wortproduktionen auch linguistisch analysieren lassen. Das adäquate Instrumentarium für diese Analyse können gerade nicht zielsprachliche Merkmalskontraste mit bedeutungsunterscheidender Funktion sein, sondern genuin phonologische Kontraste. Zielführend ist hier die Anwendung der Demisilbentheorie von Clements (1990), mit deren Hilfe die phonologische Komplexität von Demisilben nach Maßgabe von Sonorität berechnet werden. Wurde diese Theorie bisher erfolgreich in der Aphasiologie angewendet, wird sie hier erstmals in der Untersuchung der Protowortproduktion, appliziert. Die Daten stammen aus der im Rahmen dieser Arbeit durchgeführten Einzelfallstudie, in der die Spontansprachproduktionen von Kind J., 1;4 Jahre, jeweils einmal wöchentlich für 30 Minuten aufgezeichnet wurden. Die Aufnahmen endeten zu dem Zeitpunkt, als Kind J. keine Protowörter mehr produzierte. Wesentliche Ergebnisse einer linguistisch-qualitativen wie auch einer statistisch-quantitativen Analyse dieser Daten waren, dass Proto- und Zielwortproduktion korrelierten, d.h., bei Abnahme der Protowortproduktion die Zielwortproduktion zunahm; beide Wortklassen tendenziell aus nicht-komplexen Demisilben aufgebaut waren und Protowörter in dem Sinne als Vorläufer von Zielwörtern angesehen werden können, als dass bei ihnen nicht die zielsprachliche Bedeutungszuweisung, sondern die Etablierung phonologischer Repräsentationen maßgeblich ist. Ausgehend von diesen Ergebnissen wird ein differenziertes Schalenmodell der frühen phonologischen Entwicklung vorgestellt, nach welchem der segmentale Merkmalsausbau und seine Integration in die Silbe mittels Sonorität noch vor der metrischen Betonungszuweisung stattfindet. Unter Hinzunahme der Parallelen Architektur von Jackendoff (2002) wird abschließend eine kognitiv-linguistische Definition von Protowörtern gegeben, die nicht zuletzt auch zu diagnostischen Zwecken in der sprachtherapeutischen Praxis gebraucht werden kann.
Mit "Sit-in" und "Teach-in" zur Weltrevolution : Erinnerungen an den Sprachgebrauch der "68er"
(2018)
"Sit-in" und "Teach-in"? – Wer 1968 noch kein Zeitgenosse war, wird beides nur für zwei der im 20. Jahrhundert immer beliebter werdenden, aber oft unverstandenen Fremdwörter aus dem Englischen halten. Heute sind beide weitgehend vergessen, so brandaktuell sie auch einmal waren. Mit ihnen wurde nicht weniger gemeint als eine Sitzblockade vor Hörsälen und die Verhinderung einer regulären Lehrveranstaltung, indem man sie in ein Agitationsforum "umfunktionierte". Die traditionellen Vorlesungen wurden ohnehin als "säkularisierte Predigten" verhöhnt. Als ersten Frankfurter Hochschullehrer traf es ausgerechnet den Staatsrechtler Carlo Schmid, immerhin einen der Väter des Grundgesetzes, der seine Vorlesung abbrechen musste. ...
Ziel der Arbeit ist es, den frühen Zweitspracherwerb bei Kinder mit einer Spezifischen Sprachentwicklungsstörung (specific language impairment, SLI) zu charakterisieren. Im Vergleich zwischen sprachunauffälligen Kindern mit Deutsch als Zweitsprache (DaZ-TD) und und sprachauffälligen Kindern (DaZ-SLI) wird für die morpho-syntaktischen Bereiche Finitheit und Verbstellung sowie Kasus untersucht, anhand welcher Entwicklungsmuster sich zwischen einem unauffälligen und einem auffälligen DaZ-Erwerb unterscheiden lässt. Dabei werden die folgenden übergeordneten Fragen (F) beantwortet. (F1) Gibt es Unterschiede in Bezug auf Fehlerarten und -häufigkeiten zwischen DaZ-TD und DaZ-SLI Kindern? (F2) Gibt es persistierende Defizite bei DaZ-SLI Kindern verglichen mit DaZ-TD Kindern?
Untersucht wurden über einen Zeitraum von zwei Jahren 33 DaZ-Kinder, elf davon mit einer SLI. Zu Beginn der Erhebungen waren die DaZ-TD Kinder im Durchschnitt 3;8 Jahre alt und hatten 11 KM zum Deutschen. Die DaZ-SLI waren zu MZP 1 durchschnittlich 7;1 Jahre alt (45 KM). Zu insgesamt vier MZP wurden elizitierte Produktionsdaten mittels des standardisierten Verfahrens LiSe-DaZ (Schulz & Tracy 2011) erhoben. Sowohl die Methode der elizitierten Produktion als auch die längsschnittlichen Analysen einer großen Gruppe von Kindern mit DaZ erlaubten es, Aussagen über das Erwerbsalter bzw. persistierende Defizite und Entwicklungsmuster, insbesondere bei SLI, zu treffen. Entwicklungsverzögerungen (delay) und ggf. vom DaZ-TD Erwerb abweichende Entwicklungsmuster (deviance) wurden abgebildet.
Mit der Beantwortung der Fragen leistet die Arbeit in zweierlei Hinsicht einen Beitrag. Erstens wird mit Blick auf die Spracherwerbsforschung gezeigt, dass DaZ-SLI Kinder entwicklungsverzögert sind und sowohl ø-Stämme in V2 als auch Schwierigkeiten im Erwerb von Dativ in Präpositionalphrasen auf eine SLI bei Kindern mit DaZ hinweisen. Zweitens wird aus Sicht der Linguistik dafür argumentiert, dass zum einen ø-Stämme in V2 kovert finit sind und zum anderen in Modellen der Kasuszuweisung von einer dreigliedrigen Struktur, also einer Unterscheidung zwischen strukturellem, lexikalischem und inhärentem Kasus, ausgegangen werden muss.
Die Arbeit knüpft an damit an verschiedene Erwerbsstudien an. Hinsichtlich des Erwerbs von Finitheit und Verbstellung war bisher ungeklärt, ob auch die DaZ-SLI Kinder zwischen en-Infinitiven und ø-Stämmen hinsichtlich der jeweiligen Position im Satz unterscheiden, wie bereits für den DaZ-TD Erwerb nachgewiesen. Die vorliegende Studie wies dieses Erwerbsmuster auch für den DaZ-SLI Erwerb nach und schließt sich damit bisherigen Studien hinsichtlich kovert finiter ø-Stämme in V2 an. Studien zum Kasuserwerb bei DaZ, die auf den linguistisch relevanten Unterschied in der Kasuszuweisung, d.h. strukturell vs. nicht-strukturell (inhärent und lexikalisch), eingehen, gab es nur wenige. Die Frage, ob in der Kasustheorie von einem zwei- oder dreigliedrigen Modell ausgegangen werden muss, war neben der Frage nach möglicherweise abweichenden Erwerbsmustern und persistierenden Erwerbsschwierigkeiten bei DaZ-SLI bislang ungeklärt. In der vorliegenden Studie wurde gezeigt, dass DaZ-SLI Kinder verglichen mit DaZ-TD Kindern ähnliche Fehlermuster zeigen, aber insbesondere der Dativ in PPs stark verzögert erworben wird. Die Studie schließt den Ergebnissen zum simultan bilingualen Erwerb an und postuliert ein dreigliedriges Kasussystem.
Insgesamt zeigt die vorliegende Studie erstmals anhand elizitierter Längsschnittdaten, dass DaZ-SLI Kinder bis ins Schulalter persistierende Probleme im Erwerb von Finitheit und Verbstellung sowie Kasus haben. Verglichen mit DaZ-TD Kindern erwerben sie diese Bereiche - wenn überhaupt - deutlich verzögert (delay). In den Fehlertypen unterscheiden sich die beiden Erwerbstypen hingegen nicht (deviance).