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Entwurf der Lyrik
(1994)
Die Frage, auf die dieses Buch eine Antwort zu geben versucht, lautet: Was weiß die Lyrik? Die Frage richtet sich an die europäische Tradition, soweit sie dafür in Betracht kommt, also an die Neuerfindung der Poesie in der Renaissance und die prägnanten Momente im achtzehnten und zwanzigsten Jahrhundert, in denen das Projekt der Dichtung als einer eigenen Wissensinstanz im analytischen Zusammenspiel mit den Wissensmodellen der Zeit wieder aufgenommen und weiter getrieben wurde. Die Untersuchungen zu Celtis, Shaftesbury, Klopstock und Valéry (mit einem kurzen Ausblick auf Stefan George) haben modellhaften Charakter, sie gelten den Grundvorstellungen, die in Werk und Theorie der genannten Autoren ihre Stunde hatten.
Bloßes Interesse, über die DDR, ihre Literatur und ihre bedeutendste Autorin etwas zu wissen, ist gewiß nicht der alleinige Grund dafür, daß kein anderer DDR-Autor eine so breite Leserschaft bei uns gefunden hat wie Christa Wolf. Sehr unmittelbar scheinen ihre Werke zu uns zu sprechen, unsere Lebensprobleme zu artikulieren, Schwierigkeiten der Selbstverwirklichung in modernen Industriegesellschaften, leidvolle Konflikte von Gefühl und Rationalität, Aufrichtigkeit und Klugheit, Hoffnung und Resignation, die recht verstandene Emanzipation der Frau nicht zuletzt. Junge Leute sind es, die sich angezogen fühlen von dem eben so seriösen wie unironischen Gestus ihrer Texte und ihrer öffentlichen Lesungen. […] Gewiß, DDR-Texte erscheinen uns in aller Regel, wenn nicht leicht genießbar, so doch leicht verständlich. "Popularität" gehört ja zu jenen gesellschaftlichen Anforderungen, denen sie genügen sollen. Zugleich aber erscheinen sie uns fremd und ein bißchen exotisch, sind sie doch eingebettet in einen gesellschaftlichen Kontext und ein Kommunikationssystem, deren Eigenarten uns nicht durchweg vertraut sind. Literaturproduktion hat ja in der DDR nicht nur Tabus zu achten und Zensur zu gewärtigen, sie ist vielmehr bis in ihre Themen und Formen hinein Gegenstand planvoller Politik. Noch ihre Rezeption wird durch entsprechende Kritiken und vorsorgliche Interpretationen angeleitet, die man in manchen Fallen schon vor dem Erscheinen der Texte lesen kann. [...] Es bleibt daher eine der verblüffendsten Paradoxien der deutsch-deutschen Literaturbeziehungen, daß gerade die Autorin, die in so eminenter Weise mit ihrem Werk auf Probleme der DDR antwortet, zugleich eine so herausragende Bedeutung bei uns erlangt hat. Das Interesse, auf das ihr Werk stößt, besteht jedenfalls nicht, obgleich, sondern insofern sie eine DDR-Autorin ist.