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Vögel und Freileitungen
(1998)
In Deutschland mit einer kaum mehr überschaubaren Vielfalt an ornithologischen Fachzeitschriften erobern sich themenbezogene Sonderhefte zunehmend erfolgreich eine Nische. Menschen, die in Behörden, Verbänden und anderswo praktischen Naturschutz betreiben, erhalten dadurch erst wieder eine reale Chance, neueste Forschungsergebnisse der wissenschaftlichen Vogelkunde mit Praxisbezug kennenzulernen und umzusetzen. Den Herausgebern dieses Sonderheftes ist das bereits seit längerem bewusst.
Das taxonomische Wissen über Webspinnen ist in einzigartiger Weise aufbereitet. Der ersten Übersicht der Arten und Zitate von taxonomischer Bedeutung von 1758 (1757) bis 1940 bzw. ca. 1954 ("Lycosaeformia", Dionycha, "Cribellata") von ROEWER (1942, 1955) waren bisher drei Kataloge gefolgt, dank der souveränen Beherrschung und bibliographischen Bewältigung dieses Wissensgebietes durch P.M. Brignoli (L'Aquila, +1986) und N.I. Platnick (New York). BRIGNOLl (1983) fasste zunächst die Neubeschreibungen und Gattungs-Transfers für die Jahre 1940-1980 zusammen, mit einem Addendum für 1979-1982. PLATNICK (1989, 1993) hat diese Übersichten für die Perioden 1981-87 bzw. 1988-91 fortgesetzt, unter Berücksichtigung auch der erst nach Roewer erkannten und zunächst unerfasst gebliebenen Synonymien und Transfers bei den schon von Roewer aufgenommenen Arten. Nach nur vier Jahren liegt nun ein weiterer voluminöser Band von nahezu tausend Seiten für den Zeitraum 1992-95 vor!
Agrarlandschaften können von vielen Tierarten nur besiedelt werden, wenn ausreichend Raine und Brachflächen als Lebensraum zur Verfügung stehen. Am Beispiel von krautschichtbewohnenden Spinnen wird in der Arbeit gezeigt, dass nur wenige dieser Arten in Äckern und Wirtschaftsgrünland leben können, aber ein großer Artenreichtum in Rainen und Brachflächen vorkommen kann. Dies ist jedoch abhängig von Umweltvariablen wie Rainbreite, Deckung der Kräuter und Mahd auf diesen Flächen. Für eine erfolgreiche Besiedlung von Ackerbrachen nach der Nutzungsaufgabe benötigen die meisten Spinnen jedoch mindestens drei Jahre. Durch den Vergleich von sieben Landschaftsausschnitten im Naturraum "Westliches Tertiäres Hügelland zwischen Donau und Isar" wird der Versuch unternommen, den Einfluss der Landschaftsstruktur auf die Spinnenfauna zu quantifizieren. Aus den Ergebnissen entwickelt die Autorin ein Indikationsverfahren, dass durch seine methodisch einfache Anwendbarkeit bei entsprechender Sach- und Artenkenntnis des Bearbeiters für die Bewertung der Habitatqualität von Rainen in einem größeren räumlichen Maßstab geeignet ist.
Hans-Georg Soldat rezensiert für die Berliner Morgenpost den 1998 im Berlin-Verlag erschienen Roman "Simple storys. Ein Roman aus der ostdeutschen Provinz" von Ingo Schulze. Ingo Schulze versteht es, scheinbare DDR-Besonderheiten in einen Kontext allgemeiner spießbürgerlicher Biederkeit derart einzubetten, daß man nicht umhin kommt, die gemeinsamen Wurzeln zu erkennen. Ein eigentümlicher Sog geht von diesen Geschichten aus, die fast durchgängig in der Ich-Form erzählt werden - wobei freilich dieses Ich von Geschichte zu Geschichte wechselt. Ihre Langwierigkeit ist beabsichtigt, ebenso kalkuliert wie die gesetzten Mystifizierungen der darauffolgenden Situationsbeschreibungen und Dialoge.
Hans-Georg Soldat rezensiert für die Berliner Morgenpost den 1998 im Rowohlt-Verlag erschienen Roman "Trivialroman" von Hans Joachim Schädlich. Keine sinistren Helden hängen rum, sondern Gestalten wie Dogge, Biber, Qualle und Clarissa. Manche monologisieren - "Falls ein Feuer ausbricht, so bewahre Ruhe und rufe nicht 'Feuer'", sagt Qualle in die Stille. Ratte, Wanze und Aal sind nicht da, der Chef und die Äbtissin haben sich schon vor Tagen aus dem Staub gemacht. Trivialroman. Endzeitstimmung. Aber Dogge, Qualle, Biber, auch der Ich-Erzähler Feder, waren einmal Berühmtheiten. Was anfangs dem Leser Dunkel scheint, wird im Laufe der Lektüre dieses kokett "Trivialroman" überschrieben Romans zwar nicht heller, aber klarer. In kurzen Rückblenden enthüllt sich die Vergangenheit der Leute, halb Gangsterbande, halb Staatsverwalter, privilegiert und Privilegien gewährend. Allmählich werden ihre Konturen schärfer.
Hans-Georg Soldat rezensiert für die Berliner Morgenpost den 1998 bei Kiepenheuer & Witsch erschienen Debütroman "Die Gunnar-Lennefsen-Expedition" von Kathrin Schmidt. Wie hier die Phantasie Purzelbäume schlägt, purer literarischer Übermut, reine Lust am Fabulieren einhergehen mit inhaltlichem Ernst, die Groteske nahtlos hinübergleitet in die Tragödie (oder umgekehrt), wie bitterböse Attacken auf Männerwahn verbunden sind mit scharfsichtigen Beobachtungen DDR-eigener Piefigkeit - das hat es in der Folgerichtigkeit bisher nicht gegeben. Doch es birgt auch Gefahren. Während Kathrin Schmidt anfangs relativ streng zwischen Alltagleben und den phantastischen Expeditionen ins Unbewußte unterscheidet, verwischen sich später die Grenzen. Die Folge sind Beliebigkeit und ein Abrutschen ins unverbindlich Märchenhafte. Burleske und barocke Fülle sind nicht mehr von der Substanz her strukturiert, sondern nur noch Accessoires. Doch trotz aller Einwände ist das Buch ein Glücksfall. Es verkörpert eine selten gewordene Erzählkunst, einen im wahren Wortsinne fabelhaften Stoff aus genau jenen Träumen, aus denen das Leben besteht. Kathrin Schmidt hat sich damit in die Geschichte der deutschen Nachwendeliteratur eingetragen.
Hans-Georg Soldat rezensiert für die Berliner Morgenpost den 1998 im Münchner Luchterhand Literaturverlag und postum von Rudolf Bussmann veröffentlichten Roman "Das heroische Testament. Roman in Fragmenten" von Irmtraud Morgner. Rudolf Bussmann, der Freund aus Basel, der bereits 1992 aus dem Nachlaß Irmtraud Morgners den 1966 verbotenen Roman "Rumba auf einen Herbst" rekonstruierte, hat in jahrelanger Arbeit unternommen, das Material zu sichten und Teile davon in einer Art Zettelkasten der Öffentlichkeit zu präsentieren.
Hans-Georg Soldat rezensiert für die Berliner Morgenpost die 1998 im Rostocker Hinstorff-Verlag erschiene und von Barbara Heinze, der Bearbeiterin des Fühmann-Archivs in der Akademie der Künste, herausgegebene Biographie "Franz Fühmann. Eine Biographie in Bildern, Dokumenten und Briefen". Das Ergebnis ist erstaunlich und auf seine Art wohl ziemlich einzigartig in der neueren deutschen Literaturgeschichte. Barbara Heinze läßt ausschließlich Dokumente und Bilder sprechen, liefert also im wahren Wortsinne eine Collage: Zitate aus den Werken Fühmanns, vor allem natürlich mit autobiographischem Bezug, Protokolle aus Sitzungen des NDPD-Vorstandes, dem Fühmann nach Gründung der DDR eine Zeitlang angehörte, Stasi-Einschätzungen, Interview-Äußerungen, Stellungnahmen von Zeitgenossen und Schriftstellerkollegen - und immer wieder Fotos und Faksimiles. Aus Kindheit und Jugend, aus der Kriegsgefangenschaft, aus der Familie und dem offiziellen Leben, mit Freunden und späteren Feinden.
"Es soll ein Lexikon sein und nur ein Lexikon." Als Wolfgang Schadewaldt 1946 diese Maxime für das Goethe-Wörterbuch ausgab, galt ideologische Abstinenz als Gebot der sogenannten Stunde Null. Man wollte nicht durch ein Exempel deuterischer Freiheit zur Wiederholung des Klassikermißbrauchs ermutigen. So wurde ein homöopathisches Mittel gegen weltanschauliche Virulenz wiederentdeckt: die "Interpretation Goethes aus Goethe". ...