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Was bei Schrott aus seiner künstlerischen Bearbeitung der Wissens-'Tradition' geworden ist, ist nicht einfach zu sagen. Jedenfalls keine Naturreligion und keine Experimentaltheologie, sondern eine Dichtung, sehr groß dimensioniert, gewiss, aber doch stets nur "Stücke eines Epos: nicht in hehrem Anspruch, sondern als Poesie, die Welt enthält". Von Freuds Epostheorie her gesehen ist der befremdliche Titel "Erste Erde. Epos" gewissenhafte Leseanleitung: Achtung, Kunst! - Nicht beantwortet ist damit die Frage, warum Schrott die 'Tradition' von Wissenschaft und Wissenschaftsgeschichte literarisch bearbeitet hat.
Unter dem Label "Digital Humanities" (DH) werden unterschiedliche Themen, Gegenstände und Erkenntnisansprüche subsumiert. Vielen gelten die DH als Erweiterung des klassischen Methodenkanons, da sie computergestützte Verfahren für die Geisteswissenschaften in Aussicht stellen. Gleichzeitig verstärken die DH, indem sie unter anderem neue Werkzeuge anbieten, auch praxeologische Tendenzen innerhalb der Geisteswissenschaften. Infolgedessen haben sich die Rede von der Theorielosigkeit der DH sowie Erzählungen vom "Ende der Theorie" in den Diskussionen über digitale Methoden, Praktiken und Forschungsinfrastrukturen als Hauptnarrative etabliert. Dem Status der Theorie in den DH widmete sich die Tagung "Theorytellings: Wissenschaftsnarrative in den Digital Humanities", die am 8. und 9. Oktober 2020 in Leipzig stattfand und von der Arbeitsgruppe "Digital Humanities Theorie" des Verbandes "Digital Humanities im deutschsprachigen Raum" und dem "Forum für Digital Humanities Leipzig" organisiert wurde.
Der Einsicht, dass die Zeitschrift kein simpler "cargo truck" für intellektuelles Frachtgut ist, wird inzwischen auch in der Forschung Rechnung getragen. Damit wird nachgeholt, was für die 'history of books' schon längst selbstverständlich ist: Zeitschriften weisen Eigenlogiken auf, die kultur- und wissensgeschichtlich untersucht werden können und sollten. Nicht zuletzt sind sie immer auch Interventionen in eine spezifische historische Situation. [...] Periodika sind in der Geschichte der Ideen und Theorien, der Künste und der Wissenschaften der Neuzeit allgegenwärtig, und gerade deshalb sind sie theoriebedürftig. Der Arbeitskreis Kulturwissenschaftliche Zeitschriftenforschung hat sich 2017 als Initiative von und für Nachwuchsforscher*innen gegründet, die über Perspektiven auf diesen selbstverständlich-unselbstverständlichen Gegenstand nachdenken.
Like identical twins, philosophy and history seem to be tied together in an uneasy way. On the one hand, philosophy is very concerned to engage with the history of philosophy. There are not many other branches of knowledge so preoccupied with continually referring back to their own 'classics'. On the other hand, quite a few of these classical authors did not hold history in high esteem. Aristotle, as is well known, even preferred drama to history, arguing that the latter merely concerned contingent issues. The marriage between history and philosophy quite often results in monsters like Hegelian philosophy of history: grand narratives that are all too easy to criticize and to debunk. If we want to better understand this complex relationship between philosophy and history, it might be worth turning to the German philosopher Hans Blumenberg.
Théorie de la décadence = Theorie der Dekadenz / herausgegeben und übersetzt von Rudolf Brandmeyer
(2015)
Der hier edierte und übersetzte Text ist das vierte Kapitel einer Baudelaire-Studie, die Bourget 1881 in einer französischen Zeitschrift veröffentlichte:
Psychologie contemporaine. Notes et Portraits: Charles Baudelaire. In: La Nouvelle Revue, Bd. 13, 1881, Jg. 3 (5. November), S. 398-416, hier S. 412-416: IV. Théorie de la décadence.
Die "Théorie de la décadence" bildet das Ende der Studie, aber nicht deren Resümee. "Décadence" ist vielmehr der Leitbegriff einer Stilanalyse und einer kulturkritischen, von Baudelaire ausgehenden Diagnose von Bourgets eigener Zeit. Mit diesen beiden Themen wurde der kleine, relativ selbstständige Textabschnitt zu einem der wichtigen Stichwortgeber des europäischen Dekadenz-Diskurses am Ende des 19. Jahrhunderts. Die Baudelaire-Studie bildet das erste Stück einer Serie von insgesamt zehn Aufsätzen zur "psychologie contemporaine", die in der "Nouvelle Revue" von November 1881 bis Oktober 1885 erschienen. In zwei textkritisch relevanten Ausgaben erschienen sie gesammelt in Buchform:
Paul Bourget, Essais de psychologie contemporaine. 2 Bde. Paris: Lemerre 1883 u. 1886, unser Text: 1883, S. 23-31.
Paul Bourget, OEuvres complètes. Critique I: Essais de psychologie contemporaine. Paris: Plon 1899, unser Text: S. 14-19.
In the retrospect of almost a decade, the year 2015 seems to offer at least two openings which can help us better understand and localize the "end of theory" narratives that began to take hold sometime around the end of the millennium. Rita Felski's much-discussed and much-maligned 2015 book, "The Limits of Critique", construed the long history of "critique" as largely continuous with the more recent (postwar) idea of "theory," which allowed her to question the presupposed progressivity and utility of the dominant critical-theoretical discourses of late 20th-century North American academia. In the same year, Philipp Felsch's "Der lange Sommer der Theorie" (which was recently published in English as "The Summer of Theory") went so far as to assign specific dates, 1960–1990, and tended to define theory not as a purely academic product, but as a much wider cultural movement. Between the two books, questions of the difference between theory and critique, their specific institutional locus within and beyond academia, became objects of acute concern.
In present-day Germany, research on postwar academia, up through the 1960s and beyond, requires no special justification. But from the North American side, the point of this scholarly activity - including the many new editions and a flood of archive-based publications - is much less obvious. For the most well-established figures of the period, the primary international canonizations were already part of the first waves of the reception, the theoretical tectonics established themselves accordingly, and the theories were established as theories - which are in many quarters presumed to be just as reliable today as they were decades ago. One might say that the international and North American reception of European theory has manifested an overall tendency toward sedimentation, while the dynamic of scholarly research about theory, including the archival unearthing of new sources, tends to complicate and undermine the established corpus of "primary texts."
A trio of themes recur across prominent Western theories of laughter: violence, the human/nonhuman, and error. The paper traces this trio through a series of frequently cited paradigms for understanding laughter, including superiority, incongruity and relief theories, Henri Bergson's theory of laughter and V. S. Ramachandran's false alarm theory; and argues that it reflects a shared, if partially submerged concern with the instability and demise of a particular figure of the human, one that is circumscribed by the culturally specific (if globally influential) values of Eurocentric/Western thought, largely corresponding to Sylvia Wynter's 'Man'. This suggests that laughter has an ambiguous immanent potential for both undermining and/or reasserting, de- and/or restabilising the illusion of Man's universalizing drive to identify itself with the human per se.
Wir haben das Feld der sozialen Situationen sondiert und die spektatorische Situation als eine spezifische Zeichensituation und Verkehrsform erörtert. Darüber hinaus sind problemgeschichtliche Aspekte der Figur des Zuschauers zur Sprache gekommen; gleichsam als Bestandteil konzeptioneller Vorarbeiten zur konkreten kultursemiotischen Untersuchung historischer Modelle von Spectatorship in ihrer funktionellen Typenvielfalt.
Streit und Spiel
(2017)
Von den vielen Vorwürfen an die Adresse der Geisteswissenschaften trifft derjenige ins Herz unserer Fächer, der behauptet, dass wir das Streiten verlernt haben und diskussionsmüde den Konsens suchen. Wenn die Diagnose wirklich zutreffen sollte, dass wir uns nicht mehr streiten können oder wollen, dann wäre das in der Tat ein Armutszeugnis. Denn wir sind es doch, die sich Kritik und Dissens auf die Fahnen geschrieben haben. Deshalb und weil es in unseren Kontexten zwar gute und weniger gute Argumente gibt, aber keinen letzten Beweis, ist der Streit so etwas wie unser Lebenselixier.
Spiele und ihre Räume
(2023)
Beim Spielen kommt es offenbar aufs Maß an und auf die Umstände. Nicht oder nur schlecht spielen zu können gilt als Schwäche; umgekehrt erscheint es als riskant oder gefährlich, zu viel zu spielen, sich in Spielereien zu verlieren oder sogar ein falsches Spiel zu treiben. In der positiven Vorstellung des maßvollen, regelbewussten Spielens wirken bis heute Grundzüge anthropologischer Selbstbeschreibungen des 18. Jahrhunderts nach. In dieser Zeit rückte der Spielbegriff in den Fokus neuer ästhetischer Theorien, bevor er sich im 19. Jahrhundert als Gegenkonzept zu Ernst und Arbeit weiterentwickelte. Das Spiel wurde zum Aushandlungsort bürgerlichen Selbstverständnisses und gesellschaftlicher Regeln, zum Gegenstand von Theorie und Literatur.
Im Oktober war in der FAZ ein Mahnruf an das Fach Politikwissenschaft zu lesen: Zentrale Fragen der Politikwissenschaft und der politischen Theorie nach den normativen Grundlagen menschlichen Zusammenlebens würden zugunsten ökonomisch verwertbarer Ergebnisse verdrängt. Mit zunehmender Ökonomisierung und Mathematisierung verliere die Politikwissenschaft die Theorieentwicklung aus dem Blick, so der Vorwurf. Empirisch unterfütterte, gehaltvolle Theorien sind aber Voraussetzung für fundierte Politikberatung. Daher geht mit dieser Ökonomisierung der Politikwissenschaft auch ein Verlust zur normativen Bewertung des Erforschten einher. Haben wir der Gesellschaft also noch etwas Substantielles mitzuteilen, oder beschränken wir uns auf die empirische Analyse dessen was ist, ohne zu fragen was sein sollte?...
Seuchenjahr
(2021)
"Theorie" spricht gerne im Präsens. Allein, es handelt sich um ein unechtes Präsens, das über der Zeit zu stehen beansprucht. Die Ausnahmesituation der Pandemie lädt dazu ein, dieses Präsens zu überdenken und die unvermeidlichen Bindungen der Theorie an gegenwärtiges Geschehen sichtbar zu machen. Durch die klaustrophobische Situation des Lockdown ist eine unheimliche Korrelation von Theorie und Phobie kenntlich geworden. Beide suchen nachträgliche Bestätigung durch die Wirklichkeit. Durch diese Parallele wird auch der Lockdown, in dem das kulturtheoretische Denken ohnehin feststeckte, für sich selbst sichtbar wie in einem Spiegel. Unter dem Stichwort einer "Geschehensethik" erstellen Henning Trüpers Betrachtungen eine Inventur der Probleme und Lektionen, denen sich insbesondere die Theorie der Moral und verwandter Gebiete in der Schule der Pandemie ausgesetzt sehen.
Der Begriff des 'körnigen Stils' steht in der Sprach- und Literaturkritik des 18. Jahrhunderts für eine kurze und gehaltvolle, oft auch als 'nachdrücklich' beschriebene Schreibart. Im Literaturstreit zwischen Johann Christoph Gottsched und den 'Schweizern' erlangte er zugleich programmatische und polemische Bedeutung. Im Zentrum des Aufsatzes steht die für das 'Körnige' konstitutive Konstellation von Kürze, Kraft und Konkretion. Ausgehend von Theodor W. Adornos stilsoziologischer Beobachtung, dass der lakonische Stil in Briefen des 18. Jahrhunderts Ausdruck bürgerlicher Notdurft sei, zeige ich an Texten von Johann Christoph Adelung, Johann Jacob Breitinger, Gottfried Wilhelm Leibniz und Johann Gottfried Herder, dass das Stilideal des Körnigen im 18. Jahrhundert mit dem Streben nach einer Erneuerung und Bereicherung der deutschen Schriftsprache einherging. Zum Kapital, aus dem diese neue Sprache sich speisen sollte, gehörte das ausdifferenzierte Vokabular des Handwerks und des Handels. Der zeitgenössischen Theorie zufolge stellte der körnige Stil also weniger die Notdurft als den Reichtum und die Sprachmächtigkeit des Bürgertums zur Schau.
Am 31. Januar fand am ZfL die Verleihung des Carlo-Barck-Preises an Kevin Liggieri statt. Liggieri erhielt den Preis für seine Dissertation "Zur Kultur- und Begriffsgeschichte der 'Anthropotechnik'. Eine Untersuchung programmatischer Diskurse zwischen 'Menschenzucht' und 'Menschenbehandlung'". Wir dokumentieren hier die beiden Reden von Eva Geulen und Ernst Müller anlässlich der Preisverleihung.