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Mit dem Namen Fouqués verbindet sich seit dem frühen 19. Jahrhundert die Zuschreibung eines märkischen Windmühlenstreiters, der unverdrossen für eine Welt kämpft, deren Untergang als längst besiegelt gilt. So schreibt Eichendorff im zweiten Teil seiner 'Geschichte der poetischen Literatur': "[...] bei Fouqué überwältigte die reiche, auf einen Punkt gespannte Phantasie, verbunden mit einer ehrlich ritterlichen Intention, alle anderen Geisteskräfte und machte ihn so zum Don Quichotte der Romantik." Der Eindruck, Fouqué gehöre eigentlich in die Reihe der Phantasten, auch wenn er aufrichtig für das Weiterleben mittelalterlicher Minne und Ehre kämpfe, scheint sich zu bestätigen, schaut man auf sein Gesamtwerk. Neben hehren Rittern und keuschen Damen finden sich Schlachten und große Sangesfahrten gleich im Dutzend.
Indigene Kulturen und indigene Kunst unterliegen in der Betrachtung von "Weltkunst" vielen Klischees. Vor allem die Bezeichnungen "primitiv" als Attribut für Werke außerhalb der europäischen Kunstgeschichte und "naiv" (wie das englische Wort native vom Lateinischen nativus, 'angeboren, natürlich, ungekünstelt' abgeleitet) erschweren unvoreingenommene Denkweisen. Faszination gegenüber der Ästhetik des "exotischen" Objekts überlagerte oft die Wahrnehmung der Komplexität indigener Kunst, Künstlerpersönlichkeiten verschwanden in einer anonymen Vergangenheit. Mit dem politischen Umbruch nach dem zweiten Weltkrieg und den nachfolgenden gesellschaftlichen Veränderungen in vielen Kontinenten erfolgte auch im indigenen Nordamerika ein Wandel im Bewusstsein gegenüber der eigenen Kultur (R. Hill, Gesprächsprotokoll 2002). Nicht länger waren es nur Wissenschaftler euroamerikanischer Herkunft, die forschende Betrachtungen von außen vornahmen. Indigene Positionierungen entwickelten sich im internen Diskurs mit stammeseigenen Medien und Kultureinrichtungen. Identitätsstiftende Traditionen wurden reanimiert oder neu gebildet, um kulturelle Kontinuität zu wahren; künstlerische und wissenschaftliche Ausbildung erweiterte die Lebensperspektiven der jungen Generationen. Im Kontakt mit Studenten anderer Nationen und Kulturen entwickelte sich so eine eigenständige indigene Kunst, die mit verschiedenen Genres, Formen und Inhalten westlicher Kunstauffassung korreliert und im soziokulturellen Umfeld der spezifischen Bevölkerungsgruppen zu betrachten ist. ...
Für die Kunst um 1970 lässt sich ein Bedürfnis nach der Konstruktion und Darstellung von Identitäten am Körperbild des Künstlers feststellen. Unter verschiedenen Gesichtspunkten greifen Künstler Themen der Zeit auf, indem sie selbst in die Rolle des Anderen schlüpfen. Sie verwenden hierfür Masken als verfremdende Mittel, die nicht unbedingt auch als solche zu erkennen sein müssen. Wesentlich ist nur, dass eine nachvollziehbare Differenz zwischen der persönlichen Identität des Künstlers und der von ihm thematisierten fremden Identität besteht. Mit Hilfe solcher Verfremdungen gelingt eine Verknüpfung von Gezeigtem – dem veränderten Körperbild des Künstlers – und Gemeintem – der neu angenommenen Identität, die sich aus der Konstruktion ergibt. Unterstützt wird diese offene Auffassung von Rollenspiel durch die eingesetzten Bildmedien, die den Blick auf den Körper des Künstlers für die (spätere) Rezeption zugänglich machen. Performance, Fotografie und (Video)Film verfolgen nicht allein dokumentarische Ziele, sondern greifen in die Maskerade selbst mit ein und unterstützen den performativen Akt der Identitätshinterfragung. Selbst noch so unterschiedlich scheinende künstlerische Ansätze in der Reflexion der Identitätsproblematik innerhalb des untersuchten Spektrums können dennoch auf eine Gemeinsamkeit zusammengeführt werden. Die Beschäftigung mit dem Körperbild als Trägermedium einer Identität geht im untersuchten Bereich über die Reflexion der eigenen Identität des Künstlers und der Beschäftigung mit persönlichen Krisen hinaus. Die eingebrachte Verfremdung der äußeren Erscheinung ermöglicht nicht nur dem Betrachter, zwischen Künstler und Darstellung zu differenzieren. Auch der Künstler selbst wird durch das Tragen der Maske in seiner Selbstwahrnehmung beeinträchtigt und kann deshalb sein Äußeres als etwas von ihm zu Unterscheidendes betrachten. Die Auswahlkriterien Verkleidung und Identitätsreflexion einer bestimmten Zeit grenzen die Vielfalt an Beschäftigungen mit dem Körperbild stark ein. Sie ermöglichen eine klare Trennung zwischen verschiedenen Formen von Darstellungen, anhand derer die Identitätsfrage gestellt werden kann. Für die Bestimmung der Kategorien, in welche sich die künstlerischen Ansätze einordnen, ist die durch die Maskerade gewählte Identität von Bedeutung. Die gewählten Beispiele zeigen unterschiedliche Darstellungen, die sich mit unter auch in ihrer Prägnanz voneinander unterscheiden. Nicht immer fällt die Wahl auf eine Form des medialisierten Körperbildes in die Zeit um 1970. In einigen Fällen ist eine Abweichung vom Schema sinnvoll, sobald ein Rückblick auf die Tradition durch ein prominentes Bild aufmerksam macht, oder ein Blick in die Kunst der Gegenwart die weiterhin bestehende Notwendigkeit mit der Auseinandersetzung thematisiert. Ein Seitenblick auf andere Sparten wie Literatur und Kinofilme zeigt, dass diese Problematik nicht nur für die bildende Kunst relevant ist, sondern auch in anderen Bereichen ihren Niederschlag findet. Innerhalb der unterschiedlichen Kategorien bestimmen nicht nur künstlerische Reflexionen die Frage nach der Identität von Selbst und Körperbild, sondern auch wissenschaftliche Analysen auf den Gebieten der Soziologie, Psychologie und Philosophie. Medientheoretische Ansätze verweisen zusätzlich auf den veränderten Blick auf das Menschenbild in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Im Kontext der Auseinandersetzung mit dem Stereotypen spielen Überlegungen im Bereich der Individualisierung und der Sozialisation hinein. Fragen nach der Kategorisierung von Mitmenschen anhand der äußeren Erscheinung in der gewählten Kleidung und der spezifischen Körperhaltung geben einen Einblick in den alltäglichen Umgang mit Klischees. Dagegen beschäftigt sich die Nachahmung eines Idols stärker mit der Entwicklungspsychologie und der Vor-Bildfunktion von Idealen. Über die Generalisierung des Vor-Bildes auf wieder erkennbare Merkmale, die einen Bezug zwischen Nachahmer und Objekt der Nachahmung herstellen, und die Aneignung eben dieser Merkmale entsteht ein Konstrukt der Identität, das trotz der Nachahmung individuelle Züge aufweist. Bei der Erörterung der eigenständigen Identität, die sich mit der darstellenden Identität den Körper teilt, spielt dagegen das Phänomen der dissoziativen Identitätsstörung eine zentrale Rolle. Zeitgeschichtliche Bezüge in der Entwicklung der Gesellschaft und die Reaktion und Reflexion in Film und bildender Kunst lassen erkennen, dass die Veränderung der Persönlichkeitsstruktur keine Seltenheit ist. Die Reflexion der Geschlechterproblematik greift Fragen nach den verschiedenen Darstellungsmöglichkeiten auf, anhand derer ein gesellschaftliches Konstrukt über die Zuordnung in die Geschlechtskategorien entscheidet. Mit der Darstellung der eigenen Geschlechtszugehörigkeit und der Aneignung antipodischer Merkmale analysieren Künstler bestehende Rollenklischees und vermeintliche Ideale. Das Ausweichen auf die Androgynie spielt mit der Uneindeutigkeit der Geschlechtsdarstellung und dem Wunsch, eine neue Ordnung zu schaffen. Sämtliche Darstellungsformen der Identitätsfragen neigen dazu, das Körperbild in einen ironisierenden, subversiven Kontext zu bringen, in welchem die Tabus der Zeit gebrochen werden. Mit Hilfe der Überspitzung und Übertreibung können diese Inszenierungen den zeitgenössischen Betrachter provozieren. Nicht alle künstlerischen Ansätze finden Berücksichtigung. So bleibt beispielsweise die spezifische Verkleidung des Künstlerpaares Gilbert & George ausgespart. Sie verfolgen mit der Inszenierung des Körperbildes das Ziel, den Disput um die Trennung von Kunst und Leben zu veranschaulichen. Durch das demonstrative Tragen von Maßanzügen verhelfen sie sich selbst zu einer Unverwechselbarkeit und sorgen gleichzeitig für die subversive Konstruktion eines „Markenzeichens“ in der Kunst. Einen weiteren künstlerischen Ansatz, der zwar sämtliche Kriterien erfüllt, aber dennoch keine Berücksichtigung findet, bietet Adrian Piper in ihrer Maskerade als Mann, mit welcher sie sich im öffentlichen Raum bewegt und die Reaktionen der Mitmenschen auf die von ihr dargestellten Identität dokumentieren lässt. Sie bringt zusätzlich zur Annahme des anderen Geschlechts die Reflexion der ethnischen Identität in die Darstellung mit ein. Als Vertreterin einer Minorität bleibt in der Inszenierung jedoch die Auseinandersetzung mit ihrer persönlichen Identität im Vordergrund. Im Blick auf die Kunst der Gegenwart treten neue Herangehensweisen an die Problematik der Inszenierung von Identitätsfragen auf. Eva & Adele legen zwar noch immer die Maskerade am Körper an, indem sie ihr Äußeres auffällig verändern. Doch greift die sichtbare Veränderung des Körperbildes auch auf die Konstruktion der Biographie über. Sie erteilen keinerlei Auskunft über die sich unter der Maskerade befindende Identität und erscheinen deshalb als vollkommene Kunstfiguren. Mit dieser Form der Inszenierung sind sowohl die Differenzierung zwischen persönlicher und konstruierter Identität als auch die Reflexion von Identitätskrisen nicht mehr möglich. Eine Veränderung des am Körper entstehenden Bildes kann auch durch gezielte und dauerhafte Eingriffe in den Körper vorgenommen werden. Orlan führt dies an ihrem Körper vor, indem sie die Mittel der plastischen Chirurgie nicht zur vordergründigen Ästhetisierung ihrer Erscheinung nutzt, sondern mit deren Hilfe eine neue, hybride Identität schafft. Diese wendet sich zunächst der Idealisierung anhand verschiedener Vorbilder zu, um sich im späteren Verlauf einem neuen Prototypen anzunähern. Der Körper wird dabei zu etwas Künstlichem und unter künstlerischen Gesichtspunkten Formbarem, gleich einer Skulptur. Selbst die Identität verliert ihre Eindeutigkeit, wenn die Aktion der Transformation im Ausstellen neuer Ausweispapiere mit einem neuen Künstlernamen enden soll. Eine Steigerung in der Veränderung von Körperbildern ist – jedenfalls für den Augenblick – nicht mehr denkbar. Nur in der vollständig hybriden Welt der Cyborgs im virtuellen Raum können Körper das an ihnen hergestellte Bild und gleichzeitig die Identitätszuschreibung durch eine entsprechende Umprogrammierung ändern, wobei das vorangegangene Körperbild keinerlei Spuren hinterlässt. Doch dies ist ein anderes Thema.
Biographisch gehört Hofmannsthal zu jenen Autoren [...] der Jahrhundertwende, für die bildende Kunst selbstverständlicher Teil ihrer Umwelt und Erziehung war. [...] Hofmannsthal sucht, könnte man verallgemeinernd sagen, ästhetische Erfahrung nicht an die Wissensdiskurse seiner Zeit anzuschließen, sondern sie für eine Kommunikation über sinnliches Erleben fruchtbar zu machen. Es geht ihm nicht um eine Opsis, die neue Dinge sehen will, wie in den Naturwissenschaften des 19. Jahrhunderts, sondern um ein Schauen, das Dinge neu sieht. Die bildende Kunst ist für Hofmannsthal das Medium, in dem er, mehr noch als im eigenen der Literatur, Bedingungen der Kreativität, der kulturellen Transformation mentaler Bilder und der Semiose bedenkt. Sie ist ein Lebensthema Hofmannsthals, das Freundschaften und Beziehungen, etwa zu dem Maler und späteren Schwager Hans Schlesinger, zu Richard Beer-Hofmann und Hermann Bahr, später zu Sammlern wie Harry Graf Kessler, Eberhard von Bodenhausen, Alfred Walter Heymel, Julius Meier-Graefe oder eben zu Ludwig von Hofmann, prägt.
Im Folgendem werden (I.) die Handlungsspielräume und Gestaltungsmöglichkeiten der weiblichen Obervormünderin und Landesadministratorin Anna Amalia umrissen. Dann wird (II.) diskutiert, welche Formen und Handlungsspielräume sie während dieser Zeit für ihre Ambitionen als Kunstliebhaberin und dilettierende Künstlerin fand. Abschließend wird (III.) die Ausgangsfrage aufgenommen - "höfische Musenpflege als weiblicher Rückzugsraum?" Es handelt sich ausdrücklich um eine Fallstudie, um den Zusammenhang zwischen Hofkultur und aufklärerischen Reformen zu thematisieren. Vergleiche müssen mangels Raum und ähnlicher Studien außen vor bleiben.
Die zentralen Begriffe "Kunstliebhaberei", "Geselligkeit" und "Mäzenatentum" vorab verbindlich zu klären, ist im Hinblick auf die unterschiedlichen Fragen, Methoden und Erkenntnisinteressen der Einzeldisziplinen, die sich mit Anna Amalias "Musenhof" beschäftigen, nur bedingt möglich. Die Studien dieses Bandes [- hervorgegangen aus einer Tagung des Jenaer Sonderforschungsbereichs 482 "Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800" im Jahre 1999 -] sollen jedoch Wege weisen, ihre gegenseitige Bedingtheit, aber auch ihre Eigenständigkeit stärker deutlich zu machen. [Die Studienergebnisse sowie die daraus resultierenden neuen Fragestellungen innerhalb der Forschung präsentiert Justus H. Ulbricht überblicksartig im Einleitungstext zum 2001 erschienen Tagungsband.]
Auch wenn es in der Regel eilt: bevor man ein Kunstwerk erhalten kann, muss man es angemessen zu beschreiben wissen, sonst läuft man Gefahr, grobe Fehler zu begehen. Dies gilt für ein Werk auf Basis "alter" Materialien wie Stein, Holz, Leinwand, Fasern, Bindemittel und Pigmente, dies gilt in nicht geringerem Masse für ein Werk, das moderne Materialien enthält: Kunststoffe, synthetische Farben, Halbleiter und elektromagnetische Felder. Die Definition dessen, was eigentlich das elektronische Kunstwerk ausmacht, führt mitten in die Thematik, was zu berücksichtigen und was zu unternehmen ist, wenn das Werk vom Neuzustand in die Alterungsphase eintritt. ...
"Christus vor Pontius Pilatus und vor Herodes Antipas", der Prozeß Jesu vor der römischen Behörde, der, dem Evangelisten Lukas zufolge, die Vorführung des Angeklagten vor den Tetrarchen mit einschließt, hat in der Kunst zur Ausbildung verschiedener Bildtypen geführt. In Anlehnung an die recht ausführlichen Schilderungen der Evangelien, die lediglich in einzelnen Episoden voneinander abweichen, hat das biblische Geschehen in Form verschiedener zeitlich aufeinander folgender Momente oder Szenen Eingang in die Kunst Italiens gefunden: Die Vorführung Christi vor Pilatus, die Anklagen der Hohenpriester, das erste Verhör vor dem römischen Richter, die Vorführung des Angeklagten vor den Tetrarchen Herodes Antipas, eine weitere Vorführung beziehungsweise ein Verhör vor Pilatus und schließlich dessen Handwaschung, durch welche er seine Unschuld an Jesu Blut nach seinem Urteil vor der versammelten Menge bezeugen möchte. Da die Handwaschung die Entscheidung des römischen Statthalters besiegelt, Jesus zur Kreuzigung zu übergeben, steht dieser auf einen alten jüdischen Brauch zurückgehende Reinigungsritus für das Ende der Gerichtsverhandlung und das Urteil über Jesus Christus, zumal dieses in der Bibel nicht ausdrücklich erwähnt wird. Aufgrund der weittragenden Bedeutung des Urteiles für die Erfüllung des Heilsgeschehens und dessen symbolischen Ausdruckes in der Handwaschung, werden die Ereignisse vor Pilatus in der Kunst vorwiegend durch das Bild des sich die Hände waschenden Statthalters wiedergegeben. Als eine der ersten in frühchristlicher Zeit auftretenden Passionsszenen wird das Thema auf römischen Sarkophagreliefs durch einen Bildtypus bestimmt, der einen Augenblick vor der Urteilsfällung wiedergibt, denn der Statthalter zeigt sich noch zögernd, während sein Diener bereits die Gefäße bereithält, mit denen sich Pilatus bald schon die Hände waschen wird. Somit bildet sich auf diesen Denkmälern ein Darstellungstypus heraus, welcher sich erstmals am Ende des Jahrhunderts zur eigentlichen Handwaschung herausbildet, ein Bildtypus, der im Verlaufe der Zeit bestimmend für die künstlerische Umsetzung der Verhandlung Jesu vor Pilatus bleibt. Die Handwaschung selbst erfährt jedoch im Verlaufe der Jahrhunderte durch mit ihr in einem Bilde wiedergegebene Episoden oder durch die gemeinsame Darstellung mit anderen Momenten aus dem Prozeßgeschehen sowie weiteren Szenen aus der Leidensgeschichte die Ausbildung verschiedenster Bildtypen. So hat sich gezeigt, daß zwei Auffassungen der Geschehnisse nebeneinander zur Darstellung gelangen: Auf der einen Seite wird die Handwaschung mit der Vorführung Jesu durch einen oder mehrere römische Soldaten in einem Bilde wiedergegeben, welche im 6. Jahrhundert durch die oftmals ihre Anklagen vortragenden Mitglieder des Hohen Rates abgelöst wird. Gleichzeitig läßt sich anhand verschiedener Denkmäler auch das Anliegen belegen, den Ausgang der Ereignisse, das heißt die Entscheidung des Richters mit Verweis auf Jesu Kreuzestod zu unterstreichen, indem der Verurteilte neben dem sich die Hände waschenden Statthalter gerade abgeführt, gegeißelt wird oder bereits den Weg nach Golgatha unter der Last des Kreuzes angetreten hat. Weitaus seltener gelangt dagegen das Verhör Jesu durch Pilatus zur Darstellung, das ebenfalls schon im 4. Jahrhundert wiedergegeben und oftmals mit der Handwaschung in einem Bild zusammengezogen wird. Als eigenständige Szene und Station des Prozesses vor dem römischen Statthalter tritt sie erst später im 12. Jahrhundert und dann zumeist im Rahmen von mehreren szenischen Darstellungen zum Prozeß Jesu auf, wie beispielsweise auf der Rückseite der 1308 1311 geschaffenen Maestà des Duccio di Buoninsegna, welche neben der Vorführung Jesu vor Pilatus durch die Hohenpriester, der überaus selten dargestellten Vorführung vor Herodes Antipas, der die Ereignisse abschließenden und das Urteil besiegelnden Handwaschung sogar die beiden, von Johannes geschilderten Verhöre im Rahmen seines ausführlichen Passionszyklus wiedergibt. Eine weitere bedeutende Episode, die nur von Matthäus und dem apokryphen Nikodemusevangelium geschilderte und in der italienischen Kunst erstmals im 6. Jahrhundert künstlerisch umgesetzte Warnung des Statthalters durch seine Frau, die von Seiten der Kirchenväter eine positive Auslegung erfahren hat, bleibt dagegen immer Bestandteil entweder der Handwaschung oder des Verhöres und entwickelt sich nicht zu einer eigenständigen Szene. Durch die Deutung der diese Szenen darstellenden Kunstwerke vor dem Hintergrund der theologischen Quellen war es möglich, die Textgrundlage der Denkmäler herauszustellen und vor diesem Hintergrund verschiedene Elemente im Bilde zu erklären. So hat sich beispielsweise gezeigt, daß das seit dem späten Mittelalter während des Verhöres besonders hervorgehobene Schweigen Jesu auf den Einfluß der 1264 verfaßten Legenda aurea des Jacobus de Voragine zurückzuführen ist, welche diesen Aspekt auf besondere Weise hervorhebt. Während sich ferner zwei auf der Ziboriumssäule in San Marco zu Venedig wiedergegebene Episoden mit den Überlieferungen der apopkryphen Acta Pilati erklären lassen, bildet dieser Text außerdem einen Ansatz, um Details, wie den selten im Bilde wiedergegebenen Vorhang auf der sogenannten Lipsanothek von Brescia, zu deuten. Darüber hinaus ließ sich auch ein Einfluß der szenischen Aufführung des Geschehens auf die Bilddarstellungen erkennen. So mag der Handlungsablauf eines Stückes, wie der Text des damals in Italien weit verbreiteten Passions und Auferstehungsspieles der Confraternità del Gonfalone in Rom, der Szenenauswahl des auf der Maestà geschilderten Prozeßgeschehens als Vorlage gedient haben. Im Anschluß an die eingehende Untersuchung der ikonographischen Entwicklung der verschiedenen Bildtypen konnte der Wandel des Themas auch an der Darstellungsform der handelnden Personen und des Gerichtsortes sowie seiner Ausstattung nachvollzogen werden. In der ausführlichen Studie dieser einzelnen Bildelemente konnten im Zusammenhang mit den Quellen Erkenntnisse gewonnen werden, die einerseits die Ausformung eines Bildtypus erklären, andererseits auch zur Interpretation des Bildsinns sowie zur Verdeutlichung zeithistorischer Strömungen beitragen. So war es beispielsweise möglich, auf der Grundlage in der Literatur zum Teil noch recht allgemein gehaltener Ansätze die Einflüsse einzelner Elemente aus der römischantiken Kunst auf die Darstellung des Themas im 4. Jahrhundert verdeutlichen können: In diesem Zusammenhang sei auf die aus Tunika und Chlamys bestehende Tracht des Pilatus hingewiesen, die ihn von den ersten Umsetzungen des Themas auf frühchristlichen Sarkophagreliefs auf fast allen Denkmälern als römischen Statthalter auszeichnet. Schon die römischantike Sepulkralkunst charakterisierte durch diese beiden Gewänder Beamte in Ausübung ihrer verschiedensten Funktionen, zu denen auch die Rechtsprechung gehörte. Der Sitz des Pilatus auf den Reliefs frühchristlicher Sarkophage wird als Sella curulis bzw. Sella castrensis wiedergegeben, die nicht nur der Amtsstuhl höherer Beamter war, die das Richteramt ausübten, sondern darüber hinaus die Bedeutung einer Insignie besaß. Ferner sprechen kompositionelle Übereinstimmungen der PilatusSzene mit antiken Audienzszenen, welche im allgemeinen den Kaiser oder einen Beamten in Ausübung einer offiziellen Handlung zeigen, für den Einfluß römischantiker Vorbilder auf die Ausformulierung des Bildtypus der Verhandlung vor Pilatus, obgleich nicht übersehen werden darf, daß Ähnlichkeiten hinsichtlich des Bildaufbaus auch in der inhaltlichen Verwandtschaft dieser Themen begründet sein könnten. Die Auseinandersetzung mit dem Ritus des Händewaschens wie auch der dafür verwendeten Gefäße hat dann gezeigt, daß römischantike Denkmäler, die diesen Reinigungsvorgang sowohl im Rahmen von Opferzeremonien als auch von Mahlzeiten wiedergeben, nicht ohne Belang für die künstlerische Umsetzung der Handwaschung des Pilatus gewesen sind, zumal diese Denkmäler als Vorlage für die Darstellung des Dieners des Statthalters gedient haben mögen, der in den theologischen Quellen keine Erwähnung findet. Einen nicht unwesentlichen Beitrag für die Interpretation der einzelnen, das biblische Geschehen wiedergebenden Szenen liefert die Deutung der architektonischen Beschreibung des Ortes, welche dessen Darstellungsform im Vergleich mit den schriftlichen Überlieferungen des Prätoriums sowie realen Gerichtslokalen aufzeigt. Erst im 6. Jahrhundert findet sich in einigen Denkmälern des öfteren die architektonische Umschreibung des Ortes, an welchem Pilatus über Jesus zu Gericht sitzt. Jedoch wird die Residenz des Statthalters ausschließlich im Zusammenhang mit der Warnung durch seine Frau wiedergegeben, welche aus dem Fenster eines im Hintergrund erscheinenden Gebäudes blickt. Da sich die Architektur in diesem Motiv erschöpfend, lediglich dazu dient, die Episode dem Betrachter vor Augen zu führen, spielt sie hier keine wesentliche Rolle. Ein grundsätzlicher Wandel dieser Auffassung läßt sich in Ansätzen erst im 13. Jahrhundert beobachten, der sich in der Folgezeit in der weitgehend einheitlichen Gestaltung des Prätoriums als ein durch Säulenstellungen nach außen geöffneter Raum oder eine Halle zeigt. Der Vergleich mit zeitgenössischen Gerichtslokalen ließ die Vermutung zu, daß deren Architekturformen die Wiedergabe des Prätoriums des Pilatus in der italienischen Kunst seit dem 14. Jahrhundert entscheidend beeinflußt haben, denn die Rechtsprechung wurde seit dieser Zeit im großen Saal oder unter den Arkaden der Erdgeschoßhallen der Kommunalpaläste durch die Vertreter der Stadtregierung als oberste Richter ausgeübt. Auf diese Weise wird die Funktion der Gerichtsstätte des Pilatus durch die Analogie zu realen zeitgenössischen Gerichtslokalen veranschaulicht. Dies läßt sich dann auch auf der äußerst geringen Anzahl der Darstellungen der Vorführung Jesu vor Herodes Antipas beobachten, die in einer gesonderten, jedoch weitaus weniger umfangreich ausfallenden ikonographischen Studie unter den verschiedensten Aspekten untersucht wurde. Indem die vorliegende Arbeit erstmals die ikonographische Entwicklung der Geschehnisse um Christus vor Pontius Pilatus und vor Herodes Antipas in der italienischen Kunst von den Anfängen bis ins Cinquecento vor dem Hintergrund der schriftlichen Überlieferung in einer umfassenden Untersuchung vorstellt, wird eine Lücke geschlossen, die bisher in der kunsthistorischen Forschung bestanden hat. Nur aus der Kenntnis dieses Themas heraus kann aber ein umfassendes Verständnis der gesamten Passion Jesu Christi in der Bildtradition Italiens erfolgen.
Heines Naturästhetik
(2001)
1828 verkündet Heinrich Heine das Ende der Kunstperiode, die er durch Goethes Klassizismus formal und inhaltlich geprägt sieht. Die autonome Kunstauffassung des Weimarers schürt den von Heine erkannten Konflikt zwischen Kunst und Lebenswirklichkeit, der nur gelöst werden kann, wenn sich ein Dichter mit den politischen und sozialen Problemen seiner Gegenwart auseinandersetzt und sich einem harmonischen, ganzheitlichen Weltbild verweigert. Mit seiner Naturästhetik zielt er auf eine Überwindung der traditionellen ästhetischen Normen der Klassik und Romantik, die er als formalistischen Zwang empfindet, verlangt Anschaulichkeit und Natürlichkeit der Sprache, einer Sprache, die sich am Menschen orientiert und nicht an Poetiken, einer Sprache, die Subjektivität und Erfahrungen zuläßt und die auch im sozialen Interesse die Kunst dem Leben, der Wirklichkeit öffnet. Diese Natürlichkeitsideale tiefergehend zu untersuchen - so Heines Auseinandersetzung mit der Naturphilosophie, seine kulturkritischen Reflexionen im Rahmen einer Kulturgeschichte der Natur und im Rahmen der Natürlichkeitsvorstellungen anderer Schriftsteller, z.B. die der Aufklärer wie Albrecht von Haller -, vielleicht kann dazu die vorliegende Skizze einladen.
Heine artikuliert seine kunsttheoretischen Reflexionen in publizistischen Texten in Form von Korrespondenzartikeln und Briefen, Tagesberichten und Notizen. Diese Kleingattungen besitzen die typischen Kennzeichen des literarischen Genres der Moderne: Sie sind offen und temporär und damit Bewegungsliteratur per se. Die Negierung der traditionellen Gattungsgrenzen und die Favorisierung von literarisch-journalistischen Kleinformen, durch welche die Umbruchssituation der Epoche ihren formalen Niederschlag in der Literatur finden soll, verbindet Heine mit den anderen jungdeutschen Autoren. Der Aufschwung der prosaischen Textsorten beruht auf der von ihren Verfassern postulierten Eigenschaft, authentische Dokumente einer verschriftlichten Gegenwart zu sein. Mittelpunkt der revolutionären Gegenwart ist für viele engagierte Autoren die Revolutionsstadt Paris, deren Urbanität und charakteristische Atmosphäre der Beschleunigung eine große Faszination ausüben und den Diskurs über das Phänomen Großstadt definieren. Heine nimmt dabei die Wahrnehmungsperspektive des flanierenden Betrachters ein, der kaleidoskopartig die vielschichtigen Aspekte des großstädtischen Lebens erfasst und reflektiert, um darin die Signatur der Zeit zu entziffern. Diese vor allem visuelle Perzeption in einzelnen Partikeln und Fragmenten sowie die Diskontinuitt der wahrgenommenen Eindrücke determinieren die Kompositionsweise der publizistischen Schriften: Die Flanerie wird zum narrativen Prinzip. Eine solche kompositorische Struktur, in der Einzelelemente selbständige Bedeutung erlangen, lässt sich nicht mehr mit den Parametern der idealistischen Ästhetik und dem Prinzip der geschlossenen Ganzheit erfassen.
In diesem Beitrag sollen die Differenzen zwischen der Praxis und den zeitgenössischen Idealen von Geselligkeit, Mäzenatentum und Kunstliebhaberei an Anna Amalias Hof zwischen 1775 und 1807 aufgezeigt werden. Als Voraussetzung dafür wäre es wünschenswert, alle Behauptungen der ,Musenhof‘-Legende, wie sie in den Biographien und sonstigen Publikationen über Anna Amalia und ihrem Hof kursieren, ausführlich und systematisch zu widerlegen. Dies ist im Rahmen dieses Aufsatzes nicht möglich. In den ersten Abschnitten werden daher drei Elemente der historiographischen Überhöhung, die bereits für die zeitgenössische Stilisierung des Hofs zentral waren, thesenhaft bzw. anhand von einschlägigen Gegenbeispielen zurechtgerückt. Es soll gezeigt werden, daß sich (I.) Geselligkeit und Kunstliebhaberei am ,Musen-hof‘ Anna Amalias in wesentlichen Phasen nicht im politikfreien Raum bewegten, und daß (II.) die Intentionen und Wirkungen ihres Mäzenatentums sowie damit verbundene Geselligkeitskonzepte in der Forschung überschätzt wurden. Anschließend wird (III.) genauer darauf eingegangen, wie sich die Freiräume der Herzogin als kunstliebhabender Gesellschafterin in den Jahren 1790 bis 1807 verengten. Diese verengten Freiräume werden (IV.) mit den Sinnkonstruktionen kontrastiert, die Anna Amalia und ihre Zeitgenossen ihrer Tätigkeit als Gesellschafterin, Kunstliebhaberin und Mäzenin verliehen, d.h. als Fürstin, die die Rahmenbedingungen der Geselligkeit und der künstlerischen Betätigung an ihrem Hof mitgestaltete. Mit diesen Sinnkonstruktionen wurde die Praxis von Geselligkeit, Kunstliebhaberei und Kunstförderung am Hof Anna Amalias überhöht. Dabei klafften Idealisierung und Realität phasenweise beträchtlich auseinander. Die ,Musensitz‘-Vision wurde zur ,Ideologie‘, womit hier vulgärmarxistisch ein "falsches Bewußtsein" der Realität bezeichnet wird. Am Ende ihres Lebens wurde der Herzogin diese Diskrepanz selbst bewußt. Abschließend soll (V.) gefragt werden, inwieweit die spätere historiographische ,Musenhof‘-Legende an die zeitgenössischen Stilisierungen des ,Musensitzes‘ anknüpfte, die von der Herzogin und ihrem engeren Hofstaat selbst ausgingen.
Über Schillers kunsttheoretische Schriften noch etwas Neues sagen zu wollen, könnte nach allem, was im Verlauf von 200 Jahren über sie schon geschrieben worden ist, vermessen erscheinen - und wirklich kann für die Neuheit des hier Gesagten im einzelnen die Hand nicht ins Feuer gelegt werden. Hoffentlich aber doch für seine Neuheit im ganzen. Denn was an den Ausführungen zu diesem Thema seit langem unbefriedigt läßt, das ist die völlige Isoliertheit, mit der es in aller Regel behandelt wird, d.h. ist seine Erörterung lediglich auf der theoretisch-philosophischen Ebene und nicht auch im Hinblick auf seine Bedeutung für Schillers dichterische Praxis. Gewiß, Schiller selbst hat sich um diese Bedeutung auch kaum gekümmert. Als er sich nach dem Don Carlos erst der Geschichtsschreibung, dann der philosophischen Ästhetik widmete, geschah es ohne Bezug zu dichterischen Plänen, und als er fast ein Jahrzehnt später mit dem Wallenstein ernstlich einen solchen Plan wieder aufnahm, wollte er an seine theoretischen Schriften nicht mehr erinnert werden. Und nicht nur das, auch in diesen Schriften selbst kommen Bezüge zu praktisch-poetischen Fragen nur selten vor. Es sei überhaupt ein Fehler, so erklärt er in der Abhandlung Ueber die notwendigen Grenzen bei Gebrauch schöner Formen, in Fällen, wo es "um strenge Konsequenz im Denken zu tun" sei, nach praktischen Beispielen und sinnlich-konkreter Ausfüllung Ausschau zu halten. Der Verstand werde dadurch nur verführt, sich statt auf das zu erschließende Ganze nur auf das stets schon vorhandene Einzelne auszurichten und, indem er es mit seinen bloß zufälligen Erfahrungen verbinde, das Ganze womöglich verfehlen. Nur wer zum Volk und im besonderen, wer zu Frauen spreche, tue gut, "die Erkenntnisse der Wissenschaft wieder in lebendige Anschauung umzuwandeln". Denn ihm, dem weiblichen Geschlecht, sei es nun einmal nicht gegeben, die Wahrheit anders denn als materiell, d.h. im Beispiel zu begreifen, und so müsse man es wenigstens empfinden lassen, "wo es nicht gedacht und genießen, wo es nicht gearbeitet" hätte.
Während Fausts letzte Worte seit je den Kommentierungswillen der Interpreten herausfordern, macht sie die anschließende, das Drama erst abschließende Szene Bergschluchten vergleichsweise sprachlos. Schon das opernhafte Arrangement und die überschwenglichen Reime entziehen sich dem zugreifenden Gedanken, mit dem das Gemüt sich sonst wappnen mag. Zweifellos handelt es sich hier, wo es aus schwer erfindlichen Gründen mit Fausts Unsterblichem himmelan geht, um die abgründigste Szene der ganzen Dichtung. Scheu befiel schon ihren Autor bei der Abfassung vor jenen "übersinnlichen, kaum zu ahnenden Dingen", denen gegenüber man sich "sehr leicht im Vagen hätte verlieren können". Daß er diese Scheu überwunden und die Gefahr der Verschwommenheit "durch die scharf umrissenenen christlich-kirchlichen Figuren und Vorstellungen" zu bannen gesucht hat, wurde von den Interpreten jedoch erst recht als Verständnisbarriere erlebt. ...
Im Frühjahr 1998 lief in New York eine Retrospektive des 47jährigen, amerikanischen Videokünstlers Bill Viola. Die Ausstellung wurde zuvor in Los Angeles gezeigt. 1999 ist sei in Europa zu sehen (Amsterdam, Frankfurt/M.), sodann in San Francisco und Chicago: ein Programm bis zum Jahr 2000. Bill Viola soll zum Klassiker werden. In New York hatte das Whitney Museum of American Art seine beiden oberen Stockwerke freigeräumt, um siebzehn Videoinstallationen Raum zu schaffen. Man betrat vollständig abgedunkelte Stockwerke, in welche die Installationsräume labyrinthisch eingebaut waren. Es gab kein anderes Licht als dasjenige, das von den Installationen selbst ausging. Man konnte sich auch von den Tönen der Installationen leiten lassen. Das Aufsichtspersonal war von Viola geschult worden, mit etwaigen Verirrten und Verwirrten im Dunkel helfend umzugehen. Die Irritationen des Orientierungssinnes waren beabsichtigt. Man sollte in eine andere Welt eintreten. Der Gang durch die siebzehn Zellen sollte zu einer Initiation in die Welt Violas, einer Reise in die kunstvollen Phantasmen eines Gehirns. Durchaus drängte sich der Eindruck auf, daß der Gang durch die labyrinthischen Installationsräumen als eine Reise durch die inneren Kammern der Imagination Violas selbst inszeniert war. Zwar richten alle Kameras ihr Objektiv immer auf irgendein Ensemble der Außenwelt und insofern ist ihnen Referenzialität technisch eingebaut. Die Ausstellungsfolge der 'Bildkammern' Violas jedoch schien so arrangiert, daß man diese Referenz zunehmend verlor. Man tauchte in eine Bilderwelt, welche nicht die Außenwelt wiedergab, sondern direkt aus dem Bildgedächtnis und der Einbildungskraft des Gehirns zu erwachsen schien. Das machte den Besuch der Ausstellung zu einem Abenteuer, aber auch zu einer Art Intimität: es war eine Art visueller Beiwohnung der Innenwelt eines anderen Menschen, ebenso aufregend wie gelegentlich auch Scham oder das Gefühl wachrufend, man sei jemandem zu nahe getreten. Beides, Abenteuer wie Intimität, hat mit Grenzen und ihrer Überschreitung zu tun. Tatsächlich sollten die Besucher diesen Eindruck gewinnen: daß sie Grenzen überschritten, die gewöhnlich von Tabus und Verboten, von Scham oder Angst besetzt sind. Das einer Initiation ähnliche Arrangement diente einer solchen Grenzüberschreitung und Passage. ...
In welchem Sinn haben Texte […] eine räumliche Dimension - in welchem Sinn können Texte Räume sein oder die »Durchsehung« (Dürer) in ein Dahinter erschließen? […] Die Frage, was die Rede von einer Räumlichkeit der Texte bedeuten könnte, scheint sinnvoller gestellt, wo und insofern es um das geht, wovon Texte sprechen, was sie »darstellen«, wovon sie »erzählen«, »berichten«, »handeln«, also in Bezug auf die (vom Leser imaginativ zu rekonstruierende) »Referenz« des Textes. Literarische Texte sprechen oft und ausführlich von Räumen. Vielfach handeln sie von deren Erkundung und Erschließung; vielfach beschreiben sie Räumliches. Die Eroberung von Räumen ist ein klassisches literarisches Thema. Manche Texte konzentrieren sich - zumindest streckenweise - sogar auf die Schilderung von Räumlichkeiten, von Interieurs, von Landschaftlichem, von städtischen oder ländlichen Topographien, von besonderen Orten und Schau-Plätzen. Die Protagonisten durchschreiten Gebäude, durchstreifen Landschaften, treiben sich in Räumlichkeiten aller Art herum - bis hinein in den Weltraum. Mit dem Befund, daß Räume in Texten »vorkommen«, ist allerdings die Frage nach der Räumlichkeit von Texten keineswegs schon abschließend beantwortet.
Die langanhaltende Faszination des Vorschlags von Leonardo da Vinci durch "verworrene und unbestimmte Dinge", als da sind "Mauerflecken, Asche im Feuer, Wolken oder Schlamm", den "Geist zu neuen Erfindungen" anzuregen, dürfte mit der Tatsache zusammenhängen, daß wir es hier mit einer Übergänglichkeit zwischen 'reiner' Projektion (bzw. Halluzination) ohne einen äußeren Stimulus und äußere, wenn auch noch so marginale Anreize zur Imagination zu tun haben. […] Auch kann man sagen, daß die Kräfte der Identifizierung und die der Entfremdung simultan ins Spiel treten[.]
This essay shows how Goethe and Johann Gottlieb Fichte converge in a common supranational cultural ideal, in spite of their divergences in relation to their poetic and scientific approaches. Goethe's idea of style as the supreme principle of art and Fichte's philosophical conception, which emphasizes philosophical activity as the art of thinking independently, constitute the thematic focus of the present article which also tries to make the point of coincidence of art and science evident.
Kontroverspredigt der Berge
(1997)
Für unser Körpergefühl stehen nicht viele Richtungen zur Verfügung: vor und hinter, rechts und links von uns, unter und über uns. Es sind dies die horizontalen und vertikalen Orientierungen im Raum, aber auch im Haus der sprachlichen Symbole. Da der Mensch ein Landtier ist und seine Geschichte mit der Besiedlung flacher Gebiete anhob, scheinen ihm die Tiefen und Höhen weniger natürlich als die horizontalen Erstreckungen. Von den letzteren ist diejenige 'hinter uns' immer ein wenig unheimlich: was sich hinter unserem Rücken abspielt, außerhalb unseres Sehfeldes, weckt die Angst vor unbestimmten Gefahren. Das Ohr muß dann ersetzen, was dem Auge entgeht. Die Sprache bewahrt alte Gefahren im Gedächtnis: jemanden zu hintergehen, in einen Hinterhalt zu locken, gar hinterrücks zu überfallen, oder wie Hagen den Siegfried meuchlings von hinten an seiner einzig verwundbaren Stelle zu treffen - dies sind Spuren dessen, was als hintertriebene Heimtücke gilt, während es dem Feldherrn als strategische Schläue angerechnet wird, wenn er die feindlichen Reihen umgangen hat und diese vom Rücken her angreift. Von Cannae über den Schlieffen-Plan bis zu den Kesselschlachten des II. Weltkriegs reicht der martiale Mythos der listigen Überwindung des von hinten überraschten Gegners. Wer souverän bleiben will, hält sich den Rücken frei. Hinten, noch immer, ist unsere Siegfrieds-Stelle, das Alpha Privativum, das in seiner Geheimnishaftigkeit ebenso sehr das Privatissime unseres Selbst wie dessen tiefste Verletzlichkeit verbirgt. Man geht nicht fehl, den Schrecken und die Plötzlichkeit mit dem hinterrücks überfallenden Bann der Glieder und ihrer Motilität zu verbinden. Der Partisan muß dies nutzen als seinen einzigen Vorteil dem überlegenen Feind gegenüber. ...
Meier-Graefes Weg zur Kunst
(1996)
Die "Entwicklungsgeschichte der modernen Kunst", die im Frühjahr 1904 in drei großforrmatigen Bänden bei dem Stuttgarter Verleger Julius Hoffmann erschien, hat Meier-Graefes Ruhm begründet. Sie ist das Ergebnis einer komplexen Entwicklung. Das außerordentlich Lebendige, aber auch Verwirrende an dem Buch, das Meier-Graefe sein "besseres Ich" genannt hat, ergibt sich aus der Tatsache, daß der Autor zwischen zwei Standpunkten schwankt, zwischen seinem Wunsch nach einer tiefgreifenden Stilbewegung, die alle Künste erfassen und der gesamten Lebenswelt ein harmonisches Gesicht geben würde, und seiner Neigung zur reinen Malerei und Plastik, die er "abstrakte" Kunst nennt. Mutatis mutandis könnte man von Meier-Graefes opus magnum das sagen, was Muther von seiner eigenen "Geschichte der Malerei im XIX. Jahrhundert" - einen Meilenstein der modernen Kunstgeschichtsschreibung zehn Jahre vor der "Entwicklungsgeschichte " - schreibt: der Fehler "bestand darin, daß ich Unvereinbares zu verschmelzen, ein Geschichtswerk und ein Kampfbuch zu schreiben suchte".