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As editor of the next iteration of the Köchel Catalogue, I have to deal with the current (sixth) edition’s Appendix C, devoted to "Doubtful and Misattributed Works." My goal is to reduce the potentially vast dimensions of that appendix to only those works for which some connection to Mozart cannot be ruled out. In the decades since 1964, when the current edition of Köchel was published, many of the works listed in Appendix C have been convincingly attributed to other composers. Other works therein can confidently be dismissed as never having had any meaningful connection to Mozart. Yet even after removing the reattributed and trivially misattributed works from the appendix, we are left with a handful of works that may possibly have had something to do with Mozart, even if clear evidence one way or the other remains elusive. One must, of course, be cautious in removing questionable and doubtful works from the catalogue, as the present case-study will illustrate. The work under consideration, catalogued as K6 Anh. C 9.07, is an unaccompanied piece for three or four voices with the text "Venerabilis barba capucinorum." ...
Der Liebesbrief des 20. Jahrhunderts ist Ausdruck einer konkreten lebensweltlichen und historisch zu verortenden Praxis der Liebeskommunikation. Liebesbriefe sind Brautbriefe, Liebesbekenntnisse, Berichte aus dem Alltag, Soldatenbriefe, Vereinbarungen von Treffen, E-Mail-Korrespondenzen, Flirtbriefe und Zettelchen – es gibt eine reiche Palette an Funktionen und Typen. Im Hinblick auf eine Geschichte des Liebesbriefs im 20. Jahrhunderts zeigte sich, dass im Liebesbrief neben der Liebeserklärung auch „Beziehungsarbeit“ und besonders aber die Konstruktion von Intimität eine zentrale Rolle spielt. Die Kritik an der Sprache der Liebe und des Liebesbriefs (des 19. Jahrhunderts) kann bereits in den 1920er Jahren beobachtet werden. Zu einem Codewechsel kommt es in Briefen der 1960er Jahre. Die Schriftlichkeit des Liebesbriefs entfernt sich allmählich von einer ausschließlichen Schreibschriftlichkeit. Der Liebesbrief wird mehr und mehr zu einem Sprache-Bild-Text. Die neuen Medien der Liebesschriftlichkeit zeigen eine Mediatisierung auch im Bereich des Liebesdiskurses: neben neuen Liebesbrieftypen, wie dem Flirtbrief, bilden sich neue Liebesbeziehungstypen heraus. Darüber hinaus fungieren die neuen Medien immer schon selbstreflexiv als Metakommunikatoren der Modernität.
Steht ein neues Medium zur Verfügung, kommt es bei denjenigen, die einen Zugang zu diesem Medium haben oder finden, zu einer Umverteilung ihrer eigenen privaten und geschäftlichen Kommunikationen; das neue Medium wird im Rahmen der sich damit bietenden Möglichkeiten – wenn die soziokulturellen Kontexte dies unterstützen – auch genutzt, so dass es zu einer Ausdifferenzierung von Kommunikationsformen und bei längerem Gebrauch zu einer Änderung der Kommunikationsgewohnheiten führen kann. Ein neues Medium verändert in diesem Fall die alten Wertigkeiten der Medien, es entsteht eine Umverteilung der Funktionen und der Mediennutzung. (Vgl. Krotz 1998 und Krotz in diesem Band) Damit ist in der Regel ein gewisser Sprachwandel, sicher aber ein Sprachgebrauchswandel und nicht zuletzt ein Wandel der Spracheinstellungen zu erwarten, wie dies für die E-Mail-Kommunikation der Fall war und ist. Gerade für den Medienwechsel der Textsorte Liebesbrief und die damit etablierte Intermedialität mag gelten, was generell bei einem Medienwechsel beobachtet wird: der Medienwechsel wird von zwei fundamentalen leitenden Prinzipien geprägt, das konservative stilistische Trägheitsprinzip (Bausinger 1972, 81) auf der einen Seite, die medienspezifische Innovation auf der anderen Seite. So lautet die Frage: welche Aspekte des Alten lassen sich in das neue Mediumintegrieren und welche neuen Formen, Funktionen und Textkonstellationen sind zu beobachten? Welche Aspekte des Liebesbriefs werden im Medienwechsel verändert? Ob sich dabei eine weitere bereits für das 20. Jahrhundert konstatierte Tendenz hin zu einer Verstärkung der Mündlichkeit in schriftlichen Texten und ob sich dabei eine weitere Ausdifferenzierung von Textsorten in diesem Spannungsfeld zeigt, soll hier für den Liebesbrief als ein Beispiel einer zwar stark verbreiteten, jedoch noch wenig untersuchten Textsorte geklärt werden. (Vgl. von Polenz 1999, 37ff.) Dazu wird in einem ersten Schritt (Abschnitt 2) der Frage nach der Bestimmung des Liebesbriefs nachgegangen; in Abschnitt 3 wird zu diesem Zweck die dem Liebesbrief eigene Schriftlichkeit beschrieben und in Abschnitt 4 der Schriftlichkeit der E-Mail gegenübergestellt. In Abschnitt 5 und 6 werden zwei neue schriftliche Kommunikationsformen vorgestellt, die als Metamorphosen des Liebesbriefs im Internet entstanden sind.
Klugheit wird gemeinhin als das Gegenteil von Torheit aufgefasst. Auf diese Weise erfährt sie eine sprachlich vorstrukturierte positive Bewertung und erhält einen ausgezeichneten gesellschaftlichen Status. "Positiv" bedeutet eine Verknüpfung mit spezifischen je gesellschaftlich richtigen Wertmassstäben, die aber in unterschiedlichen Milieus und Regionen durchaus verschieden ausfallen. Diese bilden den impliziten Subtext für die alltägliche Zuschreibung von "Klugheit". Klugheit fokussiert das Verhalten der Menschen, die Handlungen, die Performanz. Klugheit wird denjenigen Personen zugeschrieben, die "das Richtige" tun, und nachdem sie das Richtige getan haben, etabliert sich erst das Kriterium für die Richtigkeit dieser Beurteilung: der Ausgang der Geschichte. Klugheit wird zwar im vornhinein behauptet, stellt sich aber erst im Nachhinein heraus: denn sie misst sich nicht an der vorgeführten Handlung selbst, sondern am Ausgang der "Geschichte". Eine Bauerntochter handelt dann klug, wenn ihre Handlungen zu einem – im Sinne des Erzählers – guten Ende führen, zu einem Happy-End sozusagen. ...
Während der Brief in Zeiten von persönlichen Krisen und Konflikten mancherlei Unannehmlichkeiten aus dem Kommunikationsweg räumt, stellt der Kontext Krieg für das Briefeschreiben in vielerlei Hinsicht eine Herausforderung dar. Der Privatbrief (Epistula familiaris) ist in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Westeuropa – das heisst auch zur Zeit des 2. Weltkriegs – das wichtigste Medium informeller Distanzkommunikation, welche im Allgemeinen durch Inoffizialität und Spontaneität, durch Individualität und Vertraulichkeit gekennzeichnet ist. In der Regel ist der Privatbrief im juristischen Sinne nicht verfügbar. Ein Kennzeichen ist somit auch seine Nichtreproduzierbarkeit. Neben der thematischen Offenheit macht sich meist eine stärkere stilistische Freiheit bemerkbar. Zeichen von Flüchtigkeit oder Sorgfalt sind ausser den Formalia des Datums, der Anrede, des Textkörpers und der Unterschrift, über das geschriebene Wort hinaus nonverbale Informationen wie die Lesbarkeit der Schrift, die Wahl des Papiers, Schreibwerkzeug sowie die Länge eines Briefes (vgl. Ermert 1979, Nickisch 1991, Beyer/ Täubrich 1996, Zott 2003). Der Privatbrief wird zwar im graphischen Medium der Schrift realisiert, steht aber stilistisch der konzeptionellen "Mündlichkeit" näher. (Koch/ Oesterreicher 1994, 587) Der private Briefwechsel wird spontan aufgenommen und kann in der Regel ohne Zwang abgebrochen werden (vgl. Zott 2003). ...
German dialects vary in which of the possible orders of the verbs in a 3-verb cluster they allow. In a still ongoing empirical investigation that I am undertaking together with Tanja Schmid, University of Stuttgart (Schmid and Vogel (2004)) we already found that each of the six logically possible permutations of the 3-verb cluster in (1) can be found in German dialects.
The aim of this paper is the exploration of an optimality theoretic architecture for syntax that is guided by the concept of "correspondence": syntax is understood as the mechanism of "translating" underlying representations into a surface form. In minimalism, this surface form is called "Phonological Form" (PF). Both semantic and abstract syntactic information are reflected by the surface form. The empirical domain where this architecture is tested are minimal link effects, especially in the case of "wh"-movement. The OT constraints require the surface form to reflect the underlying semantic and syntactic representations as maximally as possible. The means by which underlying relations and properties are encoded are precedence, adjacency, surface morphology and prosodic structure. Information that is not encoded in one of these ways remains unexpressed, and gets lost unless it is recoverable via the context. Different kinds of information are often expressed by the same means. The resulting conflicts are resolved by the relative ranking of the relevant correspondence constraints.
Als Friedrich Nietzsche vom Tod Gottes sprach, von der Umwertung aller Werte, habe er über eine Überschreitung der selbst gesetzten Grenzen gesprochen. Gott zu töten bedeute bei ihm letztlich, einen Gott zu töten, der bereits tot ist, bzw. den Gott nur zu beschwören, um ihn in einem Akt der Grenzüberschreitung immer wieder töten zu können: "Der Tod Gottes schenkt uns nicht einer begrenzten und positiven Welt wieder, sondern einer Welt, die sich in der Grenzerfahrung entfaltet, die sich im Exzeß, der die Grenze übertritt, bildet und auflöst." Das ist Michel Foucaults nietzscheanischer Kommentar zum Werk des französischen Sexualphilosophen Georges Batailles, der den Akt der exzessiven Grenzüberschreitung bereits in den fünfziger Jahren zur Utopie erhoben hatte. Er definierte diese Grenze jedoch nicht als eine allseits feststellbare moralische Demarkationslinie, sondern als ein flüchtiges Phänomen, das sich im Grunde erst im Moment der Transgression offenbahre.
Oliver Stone als politisches Phänomen ist eine vertrackte Sache, da seine Position sich klaren Definitionen entzieht - sich angesichts der Ambivalenz seiner Themen vermutlich auch entziehen muß. Stone fühlt sich nicht wohl mit jenen, die in ihm einen "liberalen Linken" sehen wollen: Im Gespräch mit dem Historiker Harry Kreisler 1997 äußerte er sich sehr konkret dazu: "Ich denke, die Erfahrung lehrt einen die Kombination aus Liberalismus und Konservativismus. Wir müssen progressiv sein und gleichzeitig die bestehenden Werte achten. Wie müssen die Vergangenheit bewahren wie wir die Zukunft entdecken müssen. Das ist eine schwierige Balance. Die Natur der Existenz. Ich glaube nicht an rechts oder links. Ich glaube nicht an liberal und konservativ. Ich glaube an beides."
Hans-Georg Soldat rezensiert Günter de Bruyns Aufsatzsammlung "Deutsche Zustände. Über Erinnerungen und Tatsachen, Heimat und Literatur" aus dem Jahre 1999. Fast unversehens für den Leser weitet sich die Betrachtung jüngster Gegenwart zu einer subtilen Analyse ihrer Wurzeln, wird zu einer deutschen Geschichtsschreibung allgemein, zur Darstellung der Verdrängungsprozesse, die dabei in Ost und West gleichermaßen eine Rolle spielen. Das Überzeugende daran ist, dass dies ohne jeden Eifer geschieht, unaufgeregt, überlegen und dennoch unglaublich engagiert.
Hans-Georg Soldat rezensiert für NDR 3 / Radio 3 die im Jahr 2001 im Aufbau Taschenbuchverlag Berlin erschiene Aufsatzsammlung feuilletonistischer Arbeit "Ich bin ein Narr und weiß es" von Rolf Schneider. "Liebesaffären deutscher Literaten" ist der Untertitel des schmalen Bandes, hervorgegangen aus einer Serie für eine Berliner Tageszeitung - wobei der Begriff "Literaten" sehr weit gefasst wird. Zwanzig Geschichten um Liebe, erotische Verirrung, Abhängigkeit und oft schmerzhafte Trennung, einige etwas bekannter, manche ziemlich unbekannt, viele jedoch auch nur vergessen, weil die zugehörigen Schriftsteller bzw. Schriftstellerinnen nicht mehr präsent sind. Zur Berechtigung seines Feuilletons meint Rolf Schneider, sie seien "mehr als bloß eine Sammlung biographischer Pikanterien. Sie sind ein Stück Kultur- und Sittengeschichte." Was ebenso wahr wie banal ist, weil es auf jedes Schicksal zutrifft.
Mit 457 Codices zählt Gießen zu den Standorten, die einen mittelgroßen Bestand an mittelalterlichen Handschriften vorweisen können. Es gibt allerdings zwei Besonderheiten, die die Handschriftenabteilung der Gießener Universitätsbibliothek gegenüber vergleichbaren Sammlungen auszeichnen: Das ist zum einen die so gut wie geschlossen überlieferte spätmittelalterliche Bibliothek der Fraterherren oder Brüder vom Gemeinsamen Leben zu Butzbach, die 1771 auf Befehl Landgraf Ludwigs IX. von Hessen-Darmstadt der Universitätsbibliothek Gießen übergeben wurde. Die intensivere Beschäftigung mit und die sorgfältige Arbeit an den Texten wird erst jetzt umfassend möglich. Die 221 Handschriften (von den ebenfalls an die Universitätsbibliothek gelangten Wiegendrucken soll hier nicht die Rede sein) sind durch moderne Kataloge (verfasst von Wolfgang Georg Bayerer und Joachim Ott) seit 2004 in Gänze erschlossen. Zum anderen ist es der hohe Anteil von fast einem Drittel (genauer 137) volkssprachiger Handschriften, die das weltweite Interesse der germanistischen Mediävistik, Rechtsgeschichte und Spätmittelalter-Geschichtsschreibung am Standort Gießen geweckt haben.
"Die Kritik der Politik", schreibt Johannes Agnoli, "stellt [...] die Frage nach dem herrschaftssichernden Charakter aller Reformen und vergißt also die Frage nach dem cui bono nicht und nach der Zweckrationalität irrationalen Verhaltens der politischen Macht. Im Mittelpunkt steht nicht die Klage und das Klagen über die Unrichtigkeit der Protagonisten und die Lügenhaftigkeit des legitimatorischen Verfahrens [...]; sondern die Anklage gegen das Prinzip, daß Herrschaft naturnotwendig und höchstens zu bändigen sei; und als Schlußerkenntnis [...], daß Herrschen, daß das autokratische oder oligarchische oder parlamentarische Bestimmen über Gesellschaft allemal zu negieren sei - möge "die Form des Staates sein wie sie wolle" (Hölderlin)." Doch dies, so fügt Agnoli hinzu, "wäre immer noch Gesinnung, kein Bewußtsein." Es genüge nicht festzustellen, "daß sich die Form Staat inzwischen als falsches Projekt erwiesen, als gescheiterter Versuch in die Geschichte eingegangen ist [...] Alle Kritik - will sie mehr sein als Gesinnung - hat ein Kriterium auszuweisen, an dessen Kategorie die Übersetzung des richtigen Denkens in die Anleitung zum Handeln möglich wird." Es gehe "weder um die Wiederherstellung der Identität von Norm und Wirklichkeit noch um die Lobpreisung des Gemeinwohls als Ziels allen politischen Handelns. Will man [...] andere Verhältnisse schaffen und nicht bloß verbesserte Herrschaft, so wird die Kategorie von vornherein selbst keine formale (bonum commune) noch eine normativ-moralische (gute Verfassung gegen schlechte Politik) sein können, sondern eine materielle." Aus der Frühzeit der Form Staat stammen die ersten großen Klagen über die Unrichtigkeit der Protagonisten der Politik und die Lügenhaftigkeit des legitimatorischen Verfahrens der Demokratie. Im Unterschied jedoch zum späteren demokratischen Gejammer verschleiern sie die Frage nach dem cui bono und nach der Zweckrationalität des Verhaltens der politischen Macht noch kaum. So wenig sie auch das Prinzip, daß Herrschaft naturnotwendig und höchstens zu bändigen sei, in Frage stellen und sosehr sie im Grunde nur die Wiederherstellung der Identität von Norm und Wirklichkeit einklagen, sie beschränken sich keineswegs auf formale oder normativ-moralische Kategorien - und was damit unmittelbar zusammenhängt: sie gewähren ästhetischen Genuß. In der Frühzeit des Staats konnte dessen Kritik eben noch tragische oder komische Form annehmen.
Mit Erstaunen stellen LinguistInnen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz immer wieder fest, dass sich in der "kleinen" Schweiz der geschlechtergerechte Sprachgebrauch in Öffentlichkeit und Alltag weit stärker durchgesetzt hat als in den anderen deutschsprachigen Ländern. Diese Einschätzung gilt es hier zu überprüfen und, falls sie zutrifft, zu belegen. Ausserdem werden - als erster Schritt fur weitere Untersuchungen - Thesen formuliert, die Erklärungen liefern, worauf diese Entwicklung zurückgeführt werden kann. Mit diesem Artikel geben wir anband von ausgewählten, konkreten Beispielen einen Einblick in die Situation, wie sie sich zur Zeit in der Schweiz präsentiert. Wir konzentrieren uns - unter sprachsoziologischer Perspektive - auf eine erste Bestandesaufnahme mit dem Blick auf die Diskussion in den Medien, die Institutionalisierung und die Einstellungen, die die spezifische sprachliche Situation in der Deutschschweiz prägen. Einen Rahmen fur unsere Untersuchung bilden die Überlegungen von Schräpel (SCHRÄPEL 1986), die die Auseinandersetzung um nichtsexistische Sprache als ein besonderes Sprachwandelphänomen untersucht. Sprachwandel im Vollzug ist einerseits einfacher zu erfassen als einer, der weiter zurückliegt, andererseits erschwert die Fülle des greifbaren Materials auch den Durchblick und das klare Erkennen von Tendenzen. Aus diesem Grund werten wir unser Datenmaterial nicht quantitativ aus, sondern konzentrieren uns darauf, für verschiedene Aspekte typische Beispiele zu geben und so den Stand der öffentlichen Diskussion und die Breite der vertretenen Meinungen darzustellen. Es wäre verlockend, das hier vorliegende Material auch allgemeinerer Form unter der Thematik "Sprachkritik" oder "Einstellungen" zu analysieren. Dies ist jedoch nicht im Zentrum unserer Fragestellung, weshalb wir bei einigen Beispielen auf entsprechende Untersuchungen (z.B. BLAUBERGS 1980, SCHOENTHAL 1989) verweisen.
Goethes Medientheorie
(2007)
Medientheoretische Zugänge zu Goethe sind bis heute eher die Ausnahme. Denn Goethe gilt uns als letzter Vertreter der sogenannten "Kunstperiode", die mit seinem Tod ihr Ende gefunden habe – so urteilten schon seine Zeitgenossen Hegel, Heine und Gervinus. Und wenn Goethe heute in ein Verhältnis zu unserer sogenannten "Mediengesellschaft" gebracht wird, so geschieht das vorwiegend in negativer Abgrenzung der Literatur gegen die audiovisuellen Medien. ...
Als ich meinen achtjährigen Sohn wieder einmal in televisionärer Trance versunken fand und mir aus seinem verglasten Blick das ganze Elend unserer Infotainment-Kultur zu starren schien, verfiel ich auf eine fragwürdige pädagogische Maßnahme. Ich streute in den nächsten Werbeblock die Information, zu meinem bevorstehenden Geburtstag könne ich mir nichts Schöneres vorstellen, als daß er mir ein Gedicht aufsage. Freilich sind Gedächtnisaufgaben Routinesache für ihn. Tapfer schluckt er seine Schulspeisung an dem, was man für kindgerechte Lyrik hält und als Stärkungsmittel gegen den heutigen Bildungsverfall durch Bildkonsum verabreicht. Und auch mich hat er schon durch eine Rezitation von Goethes Gefunden beglückt, da sie die Anschaffung eines größeren Gameboy begünstigte. Mit meinem Geburtstagwunsch aber hatte ich den Ehrenpunkt berührt. Nun mußte er zeigen, was er aus intrinsischen Motiven zu memorieren bereit war. ...
Goethes Lebens-Erinnerungen
(1996)
Wenige Wochen nach seinem sechzigsten Geburtstag entwirft Goethe ein Schema seiner Biographie. Offenbar hält er die Zeit für gekommen, Rückschau zu halten. Das erscheint verfrüht, wenn man bedenkt, daß er seine Hauptwerke, den Diwan, die Wanderjahre, den Faust II noch vor sich hat. Doch das eine hängt mit dem anderen zusammen: Goethe schreibt seine Lebenserinnerungen nicht obwohl, sondern weil er große Projekte vor sich hat. Er vollzieht die Retrospektive nicht im Interesse einer abschließenden Bilanz, sondern des Aufspürens kreativer Impulse. Im folgenden soll gezeigt werden, daß Goethe dieses Aufspüren schöpferischer Quellen durch eine Erinnerungstechnik vollzieht, die den faktischen Gang des äußeren Lebens in bestimmter Weise transzendiert. Erinnerung der eigenen "Vita" heißt bei ihm: Innewerden der lebendigen Naturproduktivität – nicht im abstrakten Zugriff auf das "große Ganze", sondern durch Bewußtmachung der Bedingtheit des kulturellen Gedächtnisses. ...