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Die Arbeit widmet sich der im Jahr 2017 verstorbenen Frankfurter Künstlerin Martina Kügler und der Darstellung von Geschlechtlichkeit in ihren Zeichnungen. Der erste Teil der Arbeit beschreibt ihre Ausbildung an der Städelschule und ihre künstlerische Entwicklung. Schon früh entwickelte Kügler einen eigenen, radikal reduktionistischen, aber dennoch figürlichen Stil in ihren Zeichnungen. Vor dem Hintergrund gesellschaftlicher und künstlerischer Strömungen, die sich der sexuellen Liberalisierung verschrieben hatten, experimentierte Kügler in ihren Arbeiten mit sexuell konnotierten Motiven und geschlechtlichen Zuschreibungen, verarbeitete und zitierte dabei Vorbilder der klassischen und modernen Kunstgeschichte und spielte nicht ohne Ironie mit hergebrachten Bildtraditionen. Der zweite Teil der Arbeit analysiert die Geschlechtlichkeit in Küglers Zeichnungen vor dem Hintergrund von Erkenntnissen der feministischen Kunstgeschichte und der Genderstudies. Dabei zeigt sich, dass Erotik und Sexualität in den Zeichnungen allgegenwärtig sind, ohne dass nackte Körper einem antizipierten Begehren der Betrachtenden zur Schau gegeben werden. Die Künstlerin löst sich von Bildtraditionen, die mit ästhetisierendem Framing oder aufreizenden Posen auf männliche Triebhaftigkeit Bezug nehmen. Sexualität und Erotik erscheinen als lustvolles anarchisches Geschehen, frei von objektifizierenden Blick-Perspektiven. Dies zeigt sich insbesondere im Vergleich mit erotischen Zeichnungen von Surrealisten wie Hans Bellmer und André Masson. Auch bezüglich des Geschlechts der Figuren wird erkennbar, dass Kügler heteronormative Traditionen hinter sich lässt. Viele ihrer Figuren passen nicht in eine binäre Ordnung von männlich/weiblich. Die Geschlechter vermischen sich und durchdringen einander zu einem allgemein menschlichen Bild von Lust und Begehren. Damit scheinen in Küglers Zeichnungen bereits in den 1970er und 1980er Jahren Aspekte von Geschlechtlichkeit auf, die erst später in der feministischen Kunstwissenschaft und in den Genderstudies expliziert wurden.
Poesie ermöglicht Zugänge : Potenziale deutschsprachig-muslimischer Lyrik für Unterricht und Praxis
(2023)
Im Folgenden soll ein kurzer Überblick gegeben werden über die schiitische Sicht der frühislamischen Geschichte sowie über einige Phänomene, die sich daraus ergeben haben. Sie sind Hindernisse einer islamischen Einheit und müssten, sollte ein ernsthafter Versuch einer solchen verfolgt werden, mit deutlich mehr Mut angegangen werden. Dabei geht es hier weniger darum, alle Unterschiede zwischen Schia und Sunna aufzuzeigen, als sich auf die wirklich problematischen Felder zu konzentrieren, die nicht Folgen späterer, oft zufälliger Entwicklungen sind, sondern Weichenstellungen, die in der Frühgeschichte zu verorten sind. Bisher werden diese neuralgischen Punkte bei den Versuchen einer islamischen Ökumene, um diesen sehr christlich belegten Begriff an dieser Stelle doch einmal zu verwenden, meist umgangen, weil man um ihre Brisanz und Sprengkraft weiß. Doch müsste die Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Geschichtsbildern erfolgen, da sie ein wichtiges innerislamisches Differenzkriterium bilden; zumindest sollte man sich klar darüber sein, dass es unterschiedliche Geschichtsbilder gibt und sie ein Differenzkriterium bilden.
Entstanden in einem Milieu aus exklusivistischen islamischen Bewegungen, baut die Gewalttheologie der dschihadistischen Organisationen wie der al-Qa‘ida oder des IS auf eine Geschichtstheologie, welche Verfalls- und Dekadenzdiagnosen über die Situation der islamischen Welt und der Muslime mit eschatologischen Elementen verknüpft. In der Konsequenz müsse diese Dekadenz zum Zerfall der Welt und zum Anbruch der Endzeit führen, als deren kämpfende Avantgarde und notwendige Vorbedingung sich die dschihadistischen Akteure stilisieren. Videos mit identifizierbaren erzählerischen Elementen gehören dabei zu zentralen Mitteln der dschihadistischen Kommunikation. Anhand eines Fallbeispiels untersucht der Artikel die geschichts- und gewalttheologisch geprägten Strukturen der IS-Videopropaganda. Zugleich wird auf im muslimischen Spektrum generierte Alternativen zu dieser exklusivistischen Geschichtstheologie verwiesen, die nicht von einem sich in der Geschichte enthüllenden ‘Heilsplan’ Gottes ausgehen, sondern auf der Prämisse der Unabgeschlossenheit und der offenen Bewegung menschlichen Denkens beruhen und damit eine Epistemologie anbieten, die nicht Spielarten des Identitären befördert.
Der Artikel wirft einige Schlaglichter auf die Geschichtsbilder und -vorstellungen, die im modernen muslimischen religiösen Denken seit dem späten 19. Jahrhundert zum Tragen gekommen sind. Insbesondere im Blick steht dabei die Frage nach dem Umgang mit eigener Geschichtlichkeit und mit den Konsequenzen, die sich daraus für die Ausgestaltung von Islamität ergeben. Die unterschiedlichen Gewichtungen und Verknüpfungen von Vergangenheit und Gegenwart und die Frage, ob die Bedeutung des historischen Wandels für die eigenen Erkenntnisprozesse mitreflektiert wird, entscheidet, so die These, über den Umgang des religiösen Denkens mit neuen Wissensbeständen, Epistemen und methodischen Verfahren ebenso wie darüber, ob diese als legitim angesehen werden, um als authentisch islamisch akzeptiert zu werden.
Diese Arbeit beschäftigt sich mit der türkischen Musikpolitik in der Zeit von Atatürk und seinem Auftrag insbesondere an den Komponisten, Ahmed Adnan Saygun, im Rahmen der vielfältigen Reformen in der jungen türkischen Republik, eine zeitgenössische türkische Kunstmusik zu schaffen. Mit dem Begriff des Kulturtransfers wird die Umsetzung von Atatürks Musikpolitik beschrieben, der auf die Entwicklung der Musik im 19. Jahrhundert, dem Zeitalter des sogenannten Nationalismus, zurückgreift und mit dem Kulturtransfer anderer Nationen verglichen wurde. Neben Saygun wurde auch das Wirken von vier anderen türkischen Komponisten, die mit Saygun die sogenannten ‚Türkischen Fünf‘ bildeten, erwähnt, die diesen Auftrag Atatürks sehr unterschiedlich umsetzten in einer Zeit der gesellschaftlichen Veränderungen und des ‚Kulturkampfs‘. In diesem Zusammenhang wurden die fünf Sinfonien von Saygun analysiert, der als ein Vorbild und Pionier fast aller Arten türkisch-klassischer Musik im Rahmen dieser musikalischen Revolution angesehen werden kann.
Saygun hat in Zusammenarbeit mit Béla Bartók türkische Volkslieder aufgenommen, verschriftlicht und systematisiert. In dieser Arbeit wurde daher untersucht, wie Saygun, der die türkische Kunst- und Volksmusik sowie in Paris die westeuropäische klassische Musik studiert hat, diese mit Mitteln klassischer Musikformen verbindet. Anhand der fünf Sinfonien von Ahmed Adnan Saygun wird gezeigt, dass er nicht nur als Komponist, sondern auch als Musikethnologe eine führende Rolle in der zeitgenössischen türkischen Kunstmusik übernahm und über den Kulturtransfer hinaus eine eigene ‚musikalische Sprache‘ entwickelte.
Eine der wichtigsten Quellen dieser Arbeit sind die handschriftlichen Partituren der Sinfonien und die Originalartikel von Ahmed Adnan Saygun, insbesondere Sayguns handgeschriebene Artikel ‚Orkestra‘ (dt.: Orchester) und die Artikelsammlung ‚Yalan‘ (dt.: Lüge), die in die deutsche Sprache übersetzt wurden. Als Ergebnisse der Analyse und Interpretation dieser und anderer Quellen, konnten Methoden aufgezeigt werden, die in Sayguns Werke und insbesondere in seinen Sinfonien in rhythmischen, melodischen, harmonischen und motivisch-thematischen Strukturkonstruktionen verwendet und als Beispiele einer zeitgenössischen türkischen Kunstmusik interpretiert werden. Dabei wurde herausgearbeitet, wie Saygun Elemente der türkischen Kunst- und Volksmusik verwendete, diese zunächst in tradierte Formen westeuropäischer klassischer Musik einbettete, um unter Hinzuziehung von eigenen kunstphilosophischen Ansätzen eine Form von ‚universaler Musik‘ zu kreieren.
Der Begriff der Kompetenz ist allgegenwärtig und wird fast schon inflationär eingesetzt, um beispielsweise Qualität und Wertigkeit einer Dienstleistung oder eines Produktes hervorzuheben, sowie häufig verwendet, um eine besondere Bedeutung und hohe Leistungsfähigkeit zu vermitteln.
Innerhalb des formalisierten schulischen, aber auch des beruflichen und des universitären Bildungssystems nimmt der Kompetenzbegriff, nachdem er aufgrund seiner Popularität den Begriff der Schlüsselqualifikation ablöste, eine zentrale Stellung ein. Kompetenzorientierter Unterricht soll nicht nur dafür sorgen, dass Deutschland im internationalen Vergleich schulischer Bildungsergebnisse besteht, sondern auch ermöglichen, dass Bildung und Ausbildung an gesellschaftlichen Erfordernissen und individuellen Voraussetzungen gleichermaßen ausgerichtet werden können.
In der Kunstpädagogik ist die Kompetenzorientierung nicht unstrittig. Zwischen dem Begrüßen als Möglichkeit des Anschlusses an internationale Bildungsstandards und der vehementen Ablehnung als Versuch der Ökonomisierung und Technokratisierung von Bildungsprozessen sind nur wenige Alternativen auszumachen, die eine fachspezifische Aneignung und Reformulierung des Begriffs beabsichtigen.
Die hier vorliegende Forschungsarbeit untersucht die Anwendung, Schulung und Erweiterung von Kompetenzen in einem bildnerischen Projekt in der Jugendhilfe, einem Teilbereich der Sozialen Arbeit. In außerschulischen Bildungskontexten wird der Begriff der Kompetenz bislang noch wenig rezipiert. Was nicht zuletzt daran liegt, dass Handlungsfelder außerhalb formalisierter Lernsettings lange nicht als einflussreiche Bildungsorte in den Blick genommen wurden. Erst langsam beginnt sich eine Forschung zu etablieren, die Bildung in Bezug auf die gesamte Lebenswelt versteht. Dabei werden Kompetenzen ähnlich wie im schulischen Bildungssystem oftmals auf vermittelbare Wissensbestände, Fertigkeiten oder methodische Vorgehensweisen bezogen und somit vor allem kognitiv und domänenspezifisch bestimmt. Ein weiter gefasstes Verständnis begreift Kompetenz jedoch als Fähigkeit, subjektiv erfolgreich mit der Umwelt zu interagieren, wobei diese Fähigkeit in der Interaktion ausgebildet und modifiziert wird. Mit diesem Verständnis lassen sich auch motivationale und volitionale Aspekte integrieren.
Kompetenz wird damit als eine sowohl sachliche als auch soziale und personale Bestandteile beinhaltende Befähigung zur Lebensbewältigung betrachtet, die auf eine weitestgehende Selbstbestimmung abzielt und ein auf die Zukunft gerichtetes Handeln ermöglicht. Kompetenz ist damit nicht nur als Folge oder Ergebnis von Bildungsprozessen anzusehen, die in der erwünschten Form und Ausprägung entwickelt werden sollen. Kompetenz kann vielmehr als eine dem Individuum eigene Befähigung angesehen werden, die in Bildungsprozessen subjektiv sinnhaft aktiviert, weiter ausgebildet und verändert wird. Damit geraten sowohl die subjektiven Sinnstrukturen als auch die soziokulturellen Kontexte, in denen Kompetenz als Bewältigungskönnen ausgebildet werden muss, stärker in den Blick.
Nok Eisen : zentralnigerianische Eisenverhüttung in der Mitte des ersten Jahrtausends vor Christus
(2023)
Based on excavations, excavation documentation and archaeometallurgical analyses, this thesis aims to characterise Nok iron production in central Nigeria through a contextually based investigation.
In 2010, 2011, 2013 and 2016, the Nok research project at Goethe University Frankfurt/Main in collaboration with the National Commission for Museums and Monuments, Nigeria excavated 27 iron-smelting furnaces from 8 sites 60 kilometres north of Abuja. All furnaces date around the middle of the first millennium BCE. Absolute dates, relative pottery chronology and terracotta figurine finds in furnace contexts suggest their affiliation to the Nok context. In comparison, all 27 furnaces resemble each other closely regarding their design and spacial arrangement. The numbers of furnaces per site, furnace width, furnace wall angle and thickness as well as pits beneath the furnaces are just some features with similar qualities. The similarities of the smelting sites also extend into their finds: the structure of tuyères and their position in situ as well as macroscopic slag morphology and distribution. Find morphology and distribution as well as furnace structure suggest a highly standardized way of Nok iron production. However, archaeometallurgical analyses show heterogeneous use of raw materials between sites and/or furnaces. In similarly structured furnaces different kinds of iron ore were smelted leaving a high iron content in the respective slags. This hints at an early stage of iron production in which the smelting process was limited to one operative set-up.
Unser Alltag wird immer digitaler. Auch das Theater als Medium, das mit den Vorstellungen von Realität und Wirklichkeit spielen kann, greift die Virtualisierung der Realität künstlerisch auf. Susanne Kennedy und Markus Selg konfrontieren das Publikum mit einer zunächst rätselhaft wirkenden technologisierten Erscheinungsform von Theater. Sie führen es damit immer wieder an die Schwelle zwischen leiblicher und virtueller Weltwahrnehmung.
Dark Matter ist ursprünglich für das 2002 eröffnete BALTIC Centre for Contemporary Art in Gateshead (UK) entstanden, das als Teil der postindustriellen Neuentwicklung in der Stadt erbaut worden ist; Stadt und Region im Nordosten Englands waren lange vom Kohleabbau und -handel dominiert, bevor sich zunehmend Dienstleistungen wie Callcenter ansiedelten. Die Soundcollage wurde von Curd Duca komponiert. 2007 war die Installation im Rahmen von Eva Grubingers Einzelausstellung »Spartacus« in der Schirn Kunsthalle Frankfurt zu sehen.
[Nachrufe] Dr. Isa Kubach-Richter und Dr. Wolf Kubach *19.05.1934 / *07.10.1940 // † 24.01.2022
(2022)
Sterben, Tod und Jenseits werden in der Medienlandschaft täglich behandelt. Bilderbücher und Graphic Novels werden mit diesen Themen häufig nicht in Verbindung gebracht, jedoch steigt die Anzahl an Veröffentlichungen. Dabei stellt sich die Frage, welche Bilder dargestellt werden. Wie wird die teils junge Zielgruppe berücksichtigt?
Anhand von Fallbeispielen aus Bilderbüchern und Graphic Novels zeigt Birte Svea Philippi auf, welche gemeinsame Bildideen die Autor*innen aufgreifen
"Imara – Moscheen und Umweltschutz" : Moscheegemeinden als Akteurinnen nachhaltiger Entwicklung
(2021)
Im Zusammenhang mit geplanten Bauvorhaben im Industriegebiet der Stadt Bopfingen wurden in den Jahren 1989 bis 1991 archäologische Untersuchungen unter der Leitung des Landesdenkmalamtes Baden-Württemberg durchgeführt. Im Rahmen der Grabungen stieß man in vier Suchschnitten südlich der B 29 zwischen den Bopfinger Ortsteilen Flochberg und Trochtelfingen auf parallele Gräbchen, die erste Hinweise auf eine römische Straße gaben. In der Folge wurden zwei römische Straßentrassen, vier Gebäudefundamente und ein Brunnen ausgegraben. Die Lage der vier Gebäude in unmittelbarer Nähe zu einer römischen Straße ließ vermuten, dass es sich dabei um Teile einer Straßenstation handeln könnte.
Ziel dieser Arbeit ist es, anhand der zur Verfügung stehenden Grabungsdokumentation die römischen Befunde und Funde zu erschließen und zu deuten.
Im archäologischen Befund ließen sich vier Straßentrassen unterscheiden (A, 1, B, 2), die, wie die Untersuchungen gezeigt haben, zu zwei Straßen zusammengefasst werden können (Straße A/1 sowie Straße B/2), deren Richtung durch die Richtung von Gräben bestimmt werden kann.
Die Nutzung der Straße A/1 steht in einem Zusammenhang mit der Belegung des Militärlagers in Oberdorf. Für seine Belegung wird ein Zeitraum vom Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr. bis in die Zeit zwischen der frühen 1. Hälfte und der Mitte des 2. Jahrhunderts n. Chr. angenommen. Damit fällt die Nutzung der Straße A/1 in die Zeit des Alb-Limes und in die Anfangsphase der römischen Okkupation Rätiens nördlich der Donau. Die Straße A/1 ist demnach die ältere der beiden Straßen. Die Straße B/2 wurde wahrscheinlich vom Härtsfeld und vom Nördlinger Ries aus in zwei Abschnitten zeitgleich geplant und zur Straßenstation hin gebaut. Darauf deuten einmal die unterschiedlichen Breiten der Straßenabschnitte „B“ und „2“ von 9 m und 6 m hin. Zum anderen muss das Gebäude 3 mit dem Raum 2 zu diesem Zeitpunkt bereits bestanden oder sich zumindest im Bau befunden haben, denn der Straßenverlauf passt sich in diesem Bereich dem Grundriss des Gebäudes an. Sie ist als eine Fortsetzung der Straße Faimingen-Aalen in Richtung Nördlinger Ries anzusehen.
Von den vier freigelegten Gebäuden sind zwei Gebäude mit hypokaustierten Räumen versehen und lassen sich als Bad (Gebäude 1) und als Herberge (Gebäude 2) ansprechen.
Raum 2 des Gebäudes 3 und eine Viehweide südlich der antiken Straße ins Nördlinger Ries boten die Möglichkeit, Tiere, Transportmittel und Fracht über Nacht unterzubringen. Die Räume 1 und 2 des Gebäudes 3 wurden zeitversetzt gebaut, was vermutlich auf die Notwendigkeit einer Vergrößerung von Stell- und Lagerplätzen innerhalb des Gebäudes 3 und damit auf eine Erhöhung der Nutzungsrate im Verlaufe der Betriebszeit der Straßenstation hinweist. Das vierte Gebäude zeigt den für einen gallo-römischen Umgangstempel typischen Grundriss in Form von zwei konzentrisch verlaufenden rechteckigen Mauerzügen. Der kleine Tempel stand den kultischen Bedürfnissen der Nutzer der Straßenstation zur Verfügung.
Im Fundspektrum der Straßenstation sind Gefäßkeramik, Metall und Glas mit Abstand am häufigsten vertretenen, Münzen, Baukeramik sowie Funde aus Stein und Bein dagegen nur in kleinen Mengen.
Die Gefäßkeramik der Straßenstation weist einen sehr hohen Anteil an
tongrundig-glattwandiger Ware und einen deutlich geringen Anteil an Terra Sigillata auf. Ein Vergleich mit sechs zufällig ausgewählten Gutshöfen (villae rusticae) zeigt, dass fünf Gutshöfe einen TS-Anteil von über 19 % aufweisen, während bei der Straßenstation dieser Anteil nur 5 % beträgt. Um diese Auffälligkeit zu untersuchen, wurden Magerung, Gefäßform und Warenart der gesamten Gefäßkeramik auf Identitäten untersucht. Das Ergebnis lässt vermuten, dass Reibschalen, Kragenschüsseln und Schalen von der Form wie Drag. 32. der tongrundig-glattwandigen Ware mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 % bei ihrer Niederlegung der engobierten Ware zugerechnet werden müssen. Die Veränderung, die eine Scherbe der engobieren Ware während ihrer Bodenlagerung erfahren hat, kann man als „keramische Taphonomie“ bezeichnen. Damit lässt sich für die Straßenstation die Verteilung der Warenarten und der Gefäßformen zum Zeitpunkt der Niederlegung der Gefäße rekonstruieren. In diesem Zusammenhang wird eine Methode aufgezeigt, welche die Zugehörigkeit von gleichartigen Materialgruppen (z. B. Keramik) aus verschiedenen Fundkomplexen (z. B. aus der Abfalldeponierung) quantitativ bewertet.
Fasst man die Gefäße von Terra Sigillata und Glanztonware zum Tisch- und Tafelgeschirr zusammen, dann ergibt sich, dass der Anteil des Tisch- und Tafelgeschirrs der Straßenstation bei etwa 30 % liegt und mit dem der Gutshöfe (villae rusticae) vergleichbar ist. Dieses Ergebnis kann man so interpretieren, dass die Betreiber der Straßenstation sich bei der Beschaffung und dem Erhalt des Tisch- und Tafelgeschirrs auf das Notwendigste an
TS-Gefäßen beschränkten und das weitere Geschirr in einer der Sigillata optisch sehr ähnlichen Keramik, nämlich in engobierter Ware, beschafften. ...